Ich werde in den nächsten zwei Wochen in Maputo mit einer Studentengruppe intensiv arbeiten. Daher ist es empfehlenswert, am Anfang eine persönliche Basis zu schaffen und „das Eis zu brechen“. Das ist insbesondere aufgrund sprachlicher Barrieren schwierig: Ich spreche kein Portugiesisch, und die Studierenden sprechen nur mehr oder weniger gut Englisch. Als erster Schritt ist es also bedeutsam, dass die Studierenden beginnen, in kleinen Schritten Englisch zu sprechen, und dass man sich gleichzeitig etwas näher kennen lernt, zumindest gegenseitig beim Namen nennen kann. Ich habe mir überlegt, hierzu am Anfang zwei Spiele zu spielen: The Name Game und The Positioning Game. Auch wenn es albern klingt, „Kennenlernspiele“ zu spielen – jeder spielt doch letztendlich gerne, und es macht einfach Spaß. Außerdem: Normale Kennenlernrunden sind total trocken und erzeugen irgendwie eine peinliche Stimmung („Oh Gott, ich muss mich vorstellen!“).
The Name Game: Dieses Spiel wurde von Morris und Fritz intensiv empirisch erforscht, und die Wirksamkeit auf das Namenbehalten ist praktisch belegt. Ich habe es schon oft in Seminaren eingesetzt, und es hat eigentlich immer ganz gut funktioniert. Das Spiel gibt es in verschiedenen Varianten, prinzipiell läuft es aber folgendermaßen ab: Alle sitzen in einer Runde, und die erste Person nennt ihren Namen und z.B. was sie gerne macht: „My name is Ana, and I like to go to the cinema.“ Die nächste Person sagt: „This is Ana, and she likes to go to the cinema. I am Tomás, and I like to read books.“ Die dritte Person wiederholt alles von Ana und Tomás gesagte und fügt ihren Namen und Hobby wieder hintenan undsoweiter undsofort. (Wenn ich das Spiel bislang immer erklärt habe, gab’s an dieser Stelle schon den ersten Lacher, weil alle wussten, dass die Person am Ende total gelitten hat.) Wenn das Spiel in etwa zur Hälfte rum ist, wirft der Dozent ein, dass am Ende die erste Person (in diesem Fall Ana) nochmal alles wiederholen muss. Wenn jemand „hängt“, dann darf die Gruppe helfen.
Das Spiel hat die folgenden Vorteile: Die Namen werden nicht nur gehört (wie in klassischen Kennenlernrunden, wo sich jeder vorstellt), sondern jeder muss die Namen wiederholen, d.h. aktiv abrufen (retrieval), und dadurch prägen sich die Namen besser ein. Dies gilt nicht nur für denjenigen, der gerade dran ist, sondern auch für all diejenigen, die noch drankommen werden – im Geiste üben diese nämlich bereits mit. Damit diejenigen, die schon dran waren, sich nicht zurücklehnen, gibt’s den Einwurf in der Mitte, der letztlich bedeutet: Jeder kann potenziell nochmal drankommen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Abstände, in denen ein und derselbe Name wiederholt werden, im Laufe des Spiels größer werden, weil neue Namen dazukommen. Das ist eine Form des spaced retrieval, eine Methode, die auch beim Vokabellernen erfolgreich eingesetzt wird. Die Zusatzinformation (Hobby, wasweißich, …) hilft übrigens wenig, die Namen zu behalten – es macht dadurch aber einfach mehr Spaß.
The Positioning Game: Das Spiel hab ich mal so getauft, weil mir keine bessere Übersetzung von „Aufstellungsspiel“ eingefallen ist. Das Spiel hab ich schon ein paar Mal im Unterricht gespielt, und es hilft, sich einen groben Eindruck über Verteilungen innerhalb einer Gruppe zu machen. Es funktioniert so: Man räumt den Raum leer, sodass genug Platz da ist. Jetzt wird der Raum genutzt, damit die Personen sich bezüglich einiger Eigenschaften positionieren, und zwar relativ zueinander. Mögliche Aufträge sind:
- Imagine this floor is Mozambique (here is north, here is south, …). Go to the place where you live.
- Go to the place where you were born.
- Image a line from this side of the room to the other side. Order yourself with regard to your age.
- Order yourself with regard to how much you like mathematics.
- Imagine two spots on the floor, a „yes“ spot and a „no“ spot. Place yourself: Do you have a computer at home?
- Order yourself with regard to how long you work at the computer every day (on average).
- …
Die Teilnehmer müssen sich dann einerseits unterhalten, um sich relativ zu den anderen zu positionieren. Außerdem kommen dann oft interessante Gemeinsamkeiten heraus (Du bist auch in Beira geboren?), und es werden persönliche Bindungen geschaffen. Auf der anderen Seite erhält man als Dozent einen guten Überblick über die Gesamtgruppe (80% haben einen Computer, …).
Das Name Game ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn die Studierenden sich auch gegenseitig nicht gut beim Namen kennen. Falls Sie sich alle gut kennen, lasse ich es weg und mache nur das Positioning Game. Am Dienstag ist es soweit: Dann habe ich meine erste Sitzung. Ich bin gespannt, wie die Studierenden auf die Spiele reagieren. Darüber hinaus würde mich interessieren, ob ihr Erfahrung mit anderen guten Kennenlernspielen gemacht habt, und die man auch in Hochschulseminaren einsetzen kann. Evtl. muss ich nämlich am Dienstag flexibel sein, und da wäre es gut, wenn ich noch was anderen im Repertoire hätte…
Das Namenspiel erinnert an das Kofferpacken (http://wiki.zum.de/Lernspiele_im_Sprachunterricht#Kofferpacken), ein altes Kinderspiel, das auch vielfältig zum Lernen – nicht nur von Namen – verwendet werden kann. Sicherlich macht das auch Erwachsenen Spaß und ist vermutlich so ähnlich in vielen Ländern bekannt.
Ein wohl nicht vollständig vorhersehbarer Faktor ist, inwieweit die Studierenden in der Lage und bereit sind, auf solche „Spiele“ einzulassen. Aber als „Gringo“ hast Du sicherlich auch etwas „Narrenfreiheit“; das würde ich aus meinen Auslandserfahrungen heraus vermuten.
Die Aufstellungsspiele sind sicherlich gut kultur- und sprachübergreifend zu verwenden. – Mir fallen ergänzend (aber nicht zum Kennenlernen) ein:
– Blitzlicht: Stimmungsbild abfragen (ohne Diskussion!): http://wiki.zum.de/Blitzlicht
– Vier-Ecken-Methode: Meinungsbildung visualisieren (im Prinzip auch ein Aufstellungsspiel): http://wiki.zum.de/Vier-Ecken-Methode_zur_Meinungsbildung
Viel Erfolg!
Gruß
Karl
Hallo Herr Professor Spannagel,
ich war Studentin an der PH Heidelberg und wir haben dort in manchen Seminaren auch Kennenlernspiele gemacht. Die waren eigentlich immer ganz lustig.
In einem Blockseminar spielten wir ein Spiel, bei welchem jeder Teilnehmer drei Dinge über sich erzählen sollte – z. B. Hobbys, Lieblingsfächer, bisher peinlichstes Erlebnis etc. – eines von diesen Dreien sollte gelogen sein. Die anderen müssen herausfinden, was stimmt und was nicht. Die Dozentin hatte ein peinliches Erlebnis aus ihrem Unterricht erzählt 🙂
In einem Pädagogik-Seminar spielten wir ein Spiel, bei dem wir uns in einem Inkreis und einem Außenkreis aufstellten (also immer zwei Personen stehen zusammen). 2 Minuten lang muss man sich gegenseitig über alles Mögliche ausfragen. Dann wird weitergedreht und die neuen Paare fragen sich wieder 2 Minuten aus usw. Es funktioniert also wie Speeddating.
Viele Grüße und eine gute Zeit in Maputo.
Hallo Christian,
das „Positioning Game“ klingt für mich sehr stark nach der von Moreno begründeten Soziometrie. In der Therapie (hier vor allem im Psychodrama) findet die Soziometrie ihre Anwendung. Ich bin mal neugierig, wie das bei Deinen Studis, die ja aus einem anderen kulturellen Kontext kommen darauf reagieren.
Viele Grüße
Florian
Hi, Christian!
Beim Namensspiel kenne ich noch die Variante, sich selbst mit einer Eigenschaft zu beschreiben, die mit demselben Buchstaben beginnt wie der eigene Vorname. Das hilft zusätzlich beim Lernen des Namens. Außerdem kann man das noch durch eine passende Geste begleiten, das hilft beim Erinnern der Eigenschaft. Bei mir könnte das „offen“ sein, dargestellt durch das Ausbreiten der Arme. Die Geste muss man auch nachmachen und wiederholen. Du hast dann sowohl kognitive wie auch motorische Elemente drin, mit der Eigenschaft auch in gewisser Weise emotionale, persönliche („Herz, Hand und Verstand“).
Ich bin auch für Kennenlernspiele, aber da sollte es doch etwas Besseres als das „Name Game“ geben… („Die ulkige Ulrike“ und „Wahrheit und Lüge“ wurden ja schon genannt, aber die sind sicherlich auch nicht das Wahre.)
Zum „Name Game“:
1) Insbesondere bei größeren Gruppen wird es anstrengend, alle Namen im Gedächtnis zu behalten. Und es wird schwierig, den neu hinzukommenden Namen genügend Aufmerksamkeit zu schenken, weil man gedanklich am wiederholen der alten Informationen ist.
2) Ist man in der Lage, alle Namen der Reihe nach aufzusagen, heißt das noch lange nicht, dass man sie einer Person zuordnen kann. Ein Sitzkreis trägt womöglich dazu bei, dass man einen Namen mit einem Gesicht assoziiert (indem man beispielsweise die Person, deren Name man nennt, ansieht), aber andererseits hört man auch immer (vor allem im späteren Verlauf) mehrere Namen, von einer einzigen Person aufgezählt. Man bringt also nicht unbedingt den einen – richtigen – Namen mit der richtigen Person in Verbindung (zum Beispiel dadurch, dass einem anderen Namen bei der Aufzählung mehr Beachtung zuteilwird, zum Beispiel durch Hänger).
2) Insbesondere bei neu gebildeten Gruppen steht jeder Teilnehmer unter dem Druck, die Namen richtig wiederzugeben. Man will sich nicht vor den „Fremden“ blamieren.
3) Man kann die Namen nicht im eigenen Tempo wiederholen. Was ich vermutlich als das Schlimmste an dem Spiel empfinde.
> „Ich habe es schon oft in Seminaren eingesetzt, und es hat eigentlich immer ganz gut funktioniert.“
Man beachte die Adverbien. 😀
@Karl Stimmt, das Name Game erinnert an „Ich packe meinen Koffer“. Witzigerweise hat das ein Kollege von mir gestern auch erwähnt. Die Blitzlicht-Methode werde ich auch einsetzen, vermutlich für Feedback zur Veranstaltung am ersten Abend. Hat jemand ne Ahnung, wie diese Methode auf Englisch heißt? Die Vier-Ecken-Methode klingt auch interessant, insbesondere könnte man sie mit dem aktiven Plenum gut verbinden.
@CS Danke für die Tipps. Diese Methoden klingen auch sehr gut. Ich habe allerdings bedenken, diese hier einzusetzen, gerade wegen der sprachlichen Schwierigkeiten: Es muss dort doch ziemlich viel gesprochen werden…
@Florian Stimmt, diese Methoden scheinen zusammenzuhängen. Ich habe das Positioning Game mal selbst erlebt, und zwar wurde es von einer professionellen Moderatorin durchgeführt. Vermutlich steckt da „systemisches Wissen“ im Hintergrund.
@Oliver Das sind witzige Varianten! Ich glaube, ich übernehme die Geste. Ich finde, das passt super.
@Laura zu 1) Das stimmt. Ich glaube, es sind in etwa 20 Teilnehmer. Das müsste „gerade noch so“ gehen. Die anderen Punkte kann ich ansatzweise nachvollziehen, habe es selbst noch nie in dieser Form erlebt. Natürlich kann ich nicht in die Teilnehmer reinschauen, aber es waren immer sehr spaßige Runden, in denen viel gelacht wurde. Und wenn jemand einen Namen nicht kennt, helfen die anderen einfach.
Was ist denn an den Adverbien so seltsam? 🙂
> Hat jemand ne Ahnung, wie diese Methode auf Englisch heißt?
Das UNESCO Glossary of Adult Learning in Europe (http://www.unesco.org/education/uie/pdf/glossary.pdf) sagt „Flash“.
> Natürlich kann ich nicht in die Teilnehmer reinschauen, aber es waren immer sehr spaßige Runden, in denen viel gelacht wurde.
Lustig ist es definitiv. Ich zweifele nur, ob es wirklich effektiv ist. Vor allem im Hinblick auf große Gruppen.
> Was ist denn an den Adverbien so seltsam?
Falls das keine rhetorische Frage sein sollte: „Eigentlich immer ganz.“ Auf keine andere Weise kann man den Satz schöner halbherzig klingen lassen. 😉
@Laura Zum Glossary: krasses Dokument! Super! Danke!
„Ich zweifele nur, ob es wirklich effektiv ist. Vor allem im Hinblick auf große Gruppen.“ – Die Wirksamkeit gegenüber klassischen Vorstellungsrunden, in denen jeder nur seinen Namen sagt, ist nachgewiesen (siehe Morris & Fritz) – mit bis zu 25 Personen! (Wissenschaftstheoretisch müsste man allerdings hinzufügen: „… nachgewiesen, solange niemand das Gegenteil herausfindet.“)
Oh, das sollte nicht halbherzig klingen. Ich korrigiere: Es war immer voll und ganz super! 🙂
@cspannagel
Okay, dann formuliere ich meinen Zweifel um: Möglicherweise gibt es etwas Effektiveres. Dass das Spiel wirksamer als eine klassische Vorstellungsrunde ist – daran hege ich keinen Zweifel. 🙂
> „Oh, das sollte nicht halbherzig klingen. Ich korrigiere: Es war immer voll und ganz super! :-)“
Ich rate aber ab, den Smilie mit in den Text einzubauen. Sonst könnte man den Satz wegen des lächelnden Gesichts sowie der maßlosen Übertreibung noch für Satire halten. 😉
[…] unter anderem als Lehrerinnen und Lehrer, und „nebenbei“ den Master machen. In der Round of Introductions habe ich auf das Name Game verzichtet, weil die Teilnehmer sich untereinander schon kannten. […]
Hallo Herr Spannagel,
natürlich ist der Zug für den Termin längst abgefahren. Trotzdem hat mich das Stichwort Portugiesisch gereizt (ich habe portugiesischsprachiges brasilianisches Abitur).
Es ist zwar schon Erleichterung, wenn in zwei verschiedensprachigen Umgebungen die Kommunikation in einer dritten Sprache abläuft, die in beiden Sprachgruppen nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Da ist eine Erleichterung, wenn auch die zwei Grundsprachen durch spontanes Dolmetschen zum Zug kommen. Zugleich helfen Zusammenfassungen in diesen Sprachen sowohl bei der kognitiven Verarbeitung als bei der (fach-)sprachlichen Förderung in der jeweils anderen Sprache.
Falls es nicht schon zu spät ist: Einen erfolgreichen Abschluss.
Lieber Herr Nestle,
vielen Dank für Ihren Kommentar – ich gebe Ihnen vollkommen recht. Es war für einige Studierende notwendig, dass die „guten Englischsprecher“ ab und zu ein paar wesentliche Dinge ins Portugiesische übersetzt haben.
Ich bin schon seit zwei Wochen wieder in Deutschland – und will so bald wie möglich wieder nach Mosambik! 🙂