Ängste von Erstsemestern: muss ich sensibler werden?

Veröffentlicht: Freitag, November 21, 2014 in Uncategorized

Fazit: Im Mathe-MOOC, den wir auch in unseren eigenen Vorlesungen einsetzen, verfolgen wir ein Konzept, in dem wir weniger „fertige Mathematik“ präsentieren, sondern in dem Studierende sich selbstständig anhand von Aufgaben und Impulsen mathematische Konzepte erarbeiten (basierend vor allem auf den didaktischen Herangehensweisen von Michael Gieding und auch auf der Diskussion mit Peter Baireuther). Das bedeutet: Oftmals gibt es zu Aufgaben keine „Musterlösung“, und es wäre kontraproduktiv, solche bereit zu stellen. Die Mail einer Studentin von heute hat mich aber zum Grübeln gebracht: Ich glaube, ich verstehe tatsächlich zu wenig von Ängsten und Nöten von Erstsemester-Studierenden. Vermutlich bin ich manchmal schon „zu weit weg“. Ich muss versuchen, mich mehr in die Studierenden hineinzudenken, und ich muss mich intensiver erinnern, wie es bei mir damals war. Das Konzept der Veranstaltung (MOOC + Flipped Classroom + teilweises selbstentdeckendes Lernen) verlangt wesentlich mehr Sensibilität für die Probleme mancher Studierender von mir.

Mit Erlaubnis der Studentin drucke ich hier den Mailwechsel ab:

Sehr geehrter Herr Spannagel,

Ich sitze normalerweise in Ihrer Vorlesung „mathematische Grundlagen 1“ und bin am verzweifeln. Ich habe Mathe immer gemocht und meine Lehrer haben mich immer für meine schnelle Auffassungsgabe gelobt. Ich habe auch gerne geknobelt und lange an Aufgaben gesessen und rumprobiert – aber momentan bin ich wirklich am Ende meiner Kräfte. Diese ganze „ich vergesse Mathe“ und wende es dann trotzdem an, finde ich einfach nicht logisch. Ich bin kurz davor alles hinzuschmeißen und habe auch soeben versucht sie telefonisch zu erreichen. Ich brauche einfach in gewissen Dingen klare Anweisungen.

Ich habe ehrlich sehr große Probleme mit dieser Arbeitsweise und leider sind mir auch meine Kommilitonen keine große Hilfe. Mir persönlich würden Lösungen der Aufgaben sehr weiterhelfen – und zwar nicht welche die irgendwer ins Internet postet und unter die drei Tage später mal jemand anders was schreibt, sonder ein Erwartungshorizont Ihrerseits. Ich würde Sie wirklich von ganzem Herzen bitten, uns eine Lösung der von Ihnen gegebenen Aufgaben der letzten und dieser Woche zu geben. Denn etwas derartiges findet man im Internet kaum und ich weiß wirklich nicht, was Sie eigentlich von mir hören wollen. Ich bin nicht unbedingt der belastbarste Mensch, das weiß ich auch, aber ich bemühe mich, die mir gestellten Aufgaben zu lösen. Und nun sitze ich hier und weiß einfach überhaupt nicht, was ich zu den Aufgaben schreiben soll. Denn im Kopf ist das alles klar und ich kann nicht alles vergessen, was ich weiß. Aber ich könnte vielleicht lernen, nachzuvollziehen, was man an bestimmten Stellen noch nicht weiß, wenn ich eine Lösung zum nachvollziehen hätte. Und diese dann, wenn ich auch Zeit und Raum habe, mich damit zu beschäftigen. Oder wenigstens rauszufinden ob sie stimmt – ob mit Taschenrechner oder durch Vergleiche. Aber diese Unwissenheit ob ich völlig auf dem Holzweg bin oder nicht ist echt schwer auszuhalten.

Ich bin immer noch völlig durch den Wind, weil mich das ehrlich ziemlich mitnimmt. Wahrscheinlich würde ich, wenn ich noch länger nachdenken würde, diese Email gar nicht abschicken. Aber ich weiß auch, dass ich mit dieser Art Aufgaben ohne Erwartungshorizont oder äquivalente Beispielaufgabe nicht auf Dauer klar komme und bitte Sie deshalb ganz herzlich, mein Anliegen zu berücksichtigen und auch darauf einzugehen.

Und hier meine Antwort:

Liebe XY,

vielen Dank für deine Offenheit. Ich kann mir vorstellen, dass manche Aufgaben, die ich stelle, dich verunsichern (z.B. die smarten Quadrate, manche Aufgaben zum „Wundern, Staunen und beweisen“ usw.), weil es keine richtige Lösung gibt, mit der man vergleichen kann.

Ich finde es schade, dass der Schulunterricht dir (und vielen anderen) den Eindruck vermittelt hat, in der Mathematik gibt es immer eine richtige Lösung, gegen die man eigene Ideen vergleichen kann. Es gibt so viele interessante Knobelsituationen, in denen es einfach kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Ich möchte gerade nicht den „Fehler“ fortsetzen, „Musterlösungen“ für alle Aufgaben auszugeben, gegen die man dann seine Lösung vergleicht. Für manche mache ich das – nämlich für diejenigen, bei denen das geht und sinnvoll ist (siehe die Videos, die ich jetzt in der aktuellen Unit online gestellt habe).

„Frische“ Lehrerinnen und Lehrer wiederholen oft den Unterricht so, wie sie ihn selbst erfahren haben, und das ist nicht immer gut. Ich würde euch gerne zum Umdenken bzgl. Mathematiklernen bringen, und Umdenken hat manchmal auch erst mal mit etwas Verunsicherung zu tun – Verunsicherung, weil man mit Dingen konfrontiert wird, mit denen man bislang so nicht in Berührung gekommen ist. In der Psychologie spricht man dabei auch von „kognitiven Konflikten“, die zu einem neuen Verständnis führen, wenn sich durchlebt und aufgelöst worden sind. Das fühlt sich manchmal unwohl an, und in deinem Fall hat es vielleicht auch in eine Krise geführt. Das tut mir leid, so „heftig“ möchte ich euch natürlich nicht verunsichern, sondern „nur ein bisschen“ – mit einer positiven Intention. Vielleicht kannst du dabei auch deine persönliche „Entwicklungsaufgabe“ sehen, gelassener in solchen Situationen zu werden. Ein Stück Gelassenheit ist wichtig, nicht nur in der Mathematik, sondern auch im Lehrberuf, ansonsten besteht die Gefahr, dass du dich selbst zu sehr unter Druck setzt, obwohl es die Situation gar nicht so sehr erfordert.

Ich werde immer wieder Beispielklausuraufgaben einstellen, Beispiellösungen geben, und deutlich machen, an welchen Stellen Aufgaben wirklich „nur zum Entdecken“ sind und „nicht zum Prüfen“. Ich bin mir sicher, du wirst am Ende wissen, wie du dich auf die Klausur vorbereiten musst. Wichtig ist, jetzt nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen, dich durchzubeißen, manchmal vielleicht irritiert zu sein, aber letztenendes klarer zu sehen. Das klappt jetzt vielleicht noch nicht so gut, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du dort hin kommst.

Auf diese Mail hat die Studentin positiv reagiert und sich für die Erklärung bedankt. Bei mir bleibt jetzt trotzdem ein Unbehagen: Der MOOC soll Spaß an Mathematik vermitteln und nicht einschüchtern. Wie aber kann man solche Krisen bei Studierenden vermeiden, ohne dabei das Konzept aufgeben zu müssen? Wie kann man das didaktische Design des MOOC vertreten, ohne Prüfungsängste zu schüren? Wie kann man Spaß an diesem Konzept vermitteln und trotzdem die Prüfungssituation ernst nehmen? Wie kann man die Ängste bereits von Anfang an sensibel aufgreifen und abfedern? Wie schafft man das bei 150 verschiedenen Menschen im Hörsaal?

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Kommentare
  1. xquadrat sagt:

    Nun, mir persönlich hat es ebenfalls im ersten Semester Schwierigkeiten bereitet, zu wissen, dass es verschiedene Ansätze und Lösungen für Probleme gibt, man aber – falls es Musterlösungen gibt – nur einen Ansatz gezeigt bekommt. Dementsprechend war ich bei Beweisfindungen eher darauf bedacht, wie es der Mitarbeiter, der die ML erstellt, an die Aufgabe herangehen würde, als selbst eigene Wege zu finden.

    Ich hätte mir damals gewünscht, diverse richtige Studierendenlösungen zu erfahren, die verschiedene Ansätze behandeln (bspw. eine Auswahl aus richtigen Lösungen, mit deren Weiterverbreitung innerhalb des Kurses die jeweiligen Studierenden einverstanden sind) – oder eben von einem Mitarbeiter selbst verschiedene Lösungen vorgestellt zu bekommen, die alle richtig sein können.

    Als Beispiel würden mir die drei verschiedenen Ansätze zur Beschreibung einer Funktion mit exponentiellem Wachstum einfallen, die ich in einer Veranstaltung kennen gelernt habe, in der ich als studentische Hilfskraft tätig war:
    Die Zuordnungsvorschrift f(x)=q^x mit q>0,
    das Additionstheorem f(x+y)=f(x)*f(y) mit f(1)=q>0 und
    die Differentialgleichung f'(x) = p*f(x) mit f(0)=1.

    Hierbei kann man sicherlich viele Probleme finden, die mit allen drei Ansätzen „lösbar“ sind, aber jeweils verschieden gut.
    Natürlich ist das kein gutes Beispiel für eine Erstsemestervorlesung am Anfang. ^^

    P.S.: Gerade das Vermitteln verschiedener Ansätze und Eingehen auf Ideen der Studierenden hat bspw. bei mir dafür gesorgt, dass ich lieber im Lernzentrum arbeite (wo Studierende mit Ideen für Probleme aus den Hausaufgaben herkommen und diese erarbeiten wollen) als in einer Präsenzübung, in der man zeitlich fast nur auf „die eine richtige Lösung“ eingehen kann.

    P.P.S.: Aufgrund von Müdigkeit erlaube ich es mir, einiges vllt. nicht gänzlich meiner Meinung entsprechend dargestellt zu haben. ^^ Aber ich wollte mich dazu äußern (ich finde das Thema interessant), bevor ich es wieder morgen früh vergessen habe.

  2. ixsi sagt:

    Ich mag das Lehrer-Bashing („Die wollen doch eh nur die eine Lösung und sonst nichts anderes, weil die es ja nicht besser wissen.“) nicht. Daher möchte ich auf deinen Punkt eingehen, weshalb ich öfters einen Lösungsweg vorgebe.
    Aktuell habe ich nämlich wieder die Klassenarbeiten aus verschiedenen Jahrgängen vor mir und arbeite mich durch völlig unterschiedliche Argumentationen. Es heißt zwar, dass das Korrigiere in Klasse 6 schneller geht als in Klasse 9. Dafür muss ich dann tief durchatmen, wenn ich die Rechenwege lese. Da gibt es Kettenrechnungen, Nebenrechnungen mit dazwischengequetschten Ergebnissen und Gedanken. Alles prima durchdacht, aber ohne Struktur.
    In den nächsten Jahren werden die Schüler aber lernen, dass man Gleichungen eben nicht wie zufällig auch dem Papier verteilt, sondern die Gleichheitszeichen untereinander setzt, wenn man eine Gleichung lösen will. Das hat nichts mit Bösartigkeit des Lehrers zu tun, sondern mit Übersichtlichkeit. Und das wiederum dient dem besseren Lernen (und dem schnelleren Korrigieren, weil diese Nebensächlichkeiten nicht mehr aufhalten).
    Gebe ich einen Lösungsweg vor, so gebe ich schwächeren oder unsicheren Schülern eine Struktur, an der sie sich entlanghangeln können, ohne die Übersicht zu verlieren. Lernen durch Imitieren ist nicht verkehrt, es dient einem ersten Konzept, das später noch genug überarbeitet und angepasst werden kann.

  3. Peter sagt:

    „Wie aber kann man solche Krisen bei Studierenden vermeiden, ohne dabei das Konzept aufgeben zu müssen?“

    Nun, ich weiß nicht, wie der MOOC genau abgelaufen ist und schaffe es im Moment auch nicht, die Videos durchzuschauen – aber ich denke, so wie die Mail der Studentin geholfen hat würde die Erklärung auch manch anderem Studenten helfen. Sprich: Vielleicht würde es schon genügen, der Veranstaltung eine entsprechende „Präambel“ vorzusetzen oder/und immer wieder darauf explizit hinzuweisen, dass es sich bei jener Aufgabe um eine Knobelaufgabe handelt oder aber, dass eine bestimmte Lösung erwartet wird. Oft kann man ja mindestens die zwei Typen von Aufgaben unterscheiden: Typ 1: Knobelaufgabe, bei der man den Stoff mehr oder weniger kreativ einsetzen sollte, „neues“ ausprobieren sollte und damit sein Verständnis verbessert (oder auch erst erlangt). Typ 2: eher die Anwendungsaufgabe, die einen Sachverhalt abfragt (als Beispiel fällt mir hier gerade eine Anwendung des chin. Restsatzes ein) – da lässt sich recht einfach eine Musterlösung erstellen (und die würde ich an dieser Stelle auch erwarten).

    Nun – alles keine Patentrezepte, aber vielleicht hilft’s ja! (-;

  4. rarospirit sagt:

    Vielleicht magst Du mal zum LdLMooc2 schauen. Dort hat sich als neue Erkenntnis herauskristallisiert, dass es sinnvoll ist die Schüler mit der Theorie vertraut zu machen, um sie dann nach diesem Ansatz zu unterrichten. Ich kann mir vorstellen, dass eine klare Einführung in Deinen mathematisch-didaktischen Ansatz, auch in Abgrenzung zum „traditionellen“ Schulunterricht, die Studenten ermutigt sich auf einen neuen Weg einzulassen ohne sich verloren zu fühlen.

  5. Lieber Christian,

    du fragst „Wie aber kann man solche Krisen bei Studierenden vermeiden, ohne dabei das Konzept aufgeben zu müssen?“ – die Frage schränkt die Lösungsmöglichkeiten unnötig ein. Warum nicht einfach das Konzept aufgeben?

    Provokante Grüße
    Ulli

  6. Empathie kann Lehrende auch in ein Dilemma bringen. Einerseits erinnert man sich als Lehrkraft an die eigene Anfangszeit, andererseits sitzt Lernenden und Lehrenden die Prüfung im Nacken. Ich habe gute Erfahrungen mit regelmäßigen Rückmeldungen/Feedback gemacht und zwar von beiden Seiten. Ständig im Gespräch bleiben, bevor es zum großen Knall kommt. Auch bei kleinen Gruppen treten häufig die gleichen Probleme bei mehreren Lernenden auf. Insofern kannst Du davon ausgehen, dass noch andere Studierende die Sorgen der Studentin teilen.
    Der Hinweis auf Gelassenheit allein reicht wohl nicht, weil sie diese Gelassenheit ggf. erst üben müssen.
    Tja, die Sache mit dem Spaß hängt vermutlich auch mit Übung und Erfolgserlebnissen zusammen. Ich kann Schwierigkeiten der Schüler (besser) verstehen, wenn ich diese Schwierigkeiten ebenfalls als Schüler hatte. Hier schließt sich der Kreis. Lehrende können versuchen, diskret die Schwachstellen der Lernenden herauszufinden (Feedback), um daran anzuknüpfen und sie gemeinsam zu beheben. Das ist bei 150 Menschen nicht einfach, aber auch nicht unmöglich.

  7. Hallo Christian,

    aufgrund eigener Erfahrungen kann ich Dir zwei Dinge sagen, die Dir sicher auch nicht fremd sind:

    1. Du kannst nie alle mitnehmen. Ich versuche das auch schon seit Jahren im ersten Semester mit unseren Studierenden und Du kannst Dich abmühen wie Du willst, es klappt nicht. Es gibt die Gruppe, die das auch gar nicht wollen (ich weiss dann zwar auch nicht warum sie überhaupt studieren, aber sei’s drum) und die Gruppe, die meiner Erfahrung nach in den letzten Jahren leider immer größer wird, derjenigen, die sich Bemühen aber mit Rückschlägen, wie jeder von uns sie auch schon erlebt hat nicht fertig werden und dann keinen Ausweg wissen. Diese Studierenden tun mir dann auch immer sehr Leid und ich bemühe mich, wenn mal eine(r) zu mir kommt Ihnen Auswegeg aufzuzeigen, aber das ist sehr schwer.
    2. Du kannst Konzepte im Großen oder auch im Detail ändern – meist änderst Du aber nicht das, was hinten bei den Studierenden raukommt. Du scheinst bereits ein gut funktionierendes Konzept zu haben, veilleicht genügen ein paar kleine Detailanpassungen um den „Output“ zu verbessern, aber dennoch denke ich, dass mein Punkt 1 trotzdem gilt.

    Gruß Ingo

  8. Studentin XY ;) sagt:

    Sie sind immer noch ziemlich hart zu sich. Denn allein dass Sie so herzlich und empathisch auf meine Kritik eingehen zeigt doch, dass Sie einer der Professoren sind, auf die Studenten zugehen können, falls sie Probleme haben.. Schlimm wird es schließlich erst dann, wenn die Studenten anfangen ein Fach zu meiden, weil Sie davon ausgehen, darin sowieso zu versagen. Wenn sie den Dozenten darauf ansprechen und dieser kritikunfähig ist und die Studenten hochkant rausschmeißt. Und ich glaube, bis Sie mal einen Studenten abweisen muss schon wirklich einiges Vorgefallen sein!

    Trotzdem bleibt natürlich das Problem, wie man verhindert, dass den Studenten die Mathematik soweit entgleitet, dass sie sich nicht mehr damit identifizieren können.
    Aber wie bereits sehr viel kommentiert wurde – so denke ich auch, dass dieses Problem weit weniger problematisch ist, wenn Sie uns (die Studenten) von Anfang an darauf hinweisen, dass bei Ihnen nicht nur die Vorlesungssrt (mathe-Mooc) eine andere ist, sondern auch Ihre Anforderungen an uns sich von denen der Schulmathemathik unterscheiden. Dass Knobelaufgaben eventuell gekennzeichnet werden. Oder sowas. Denn ich muss sagen, auf verschiedene Lösungswege gehen wir in der Vorlesung definitiv ein, das ist nicht das Problem. Nur fehlt dieses gewisse „so stimmts-Gefühl“. Und das kann wie bereits angesprochen ganz schön deprimierend sein. Vor allem, wenn man einfach nicht weiß, ob man jetzt keine eindeutige Lösung findet, weil man 1. zu blöd dafür ist oder 2. sich zu kurz damit beschäftigt hat oder 3. es eben keine gibt.
    Ich glaube wirklich, dass eine Kennzeichnung der Aufgaben schon ausreicht. Und wie auch Peter sagt, eine kleine Präambel, in der sie den Inhalt Ihrer Antwortmail reinpacken. Denn ein Konzept aufzugeben, hinter dem man voll und ganz steht, das muss nicht sein.
    Was übrigens auch vielen (inklusive mir) extrem geholfen hat, war das Arbeitsblatt mit „Klausuraufgaben“, für die es ja dann wirklich eindeutige Lösungen gab:)

  9. Fontanefan sagt:

    So richtig das im allgemeinen ist, was Dr. Ingo Hartenbach sagt, gerade im Kontext mit dem Brief der Studentin scheint es mir das unangemessen.
    Ich erinnere mich an meine eigene Studienzeit, wo eine Mathematikstudentin im zweiten Semester Mathematik aufgab und statt dessen zu Philosophie wechselte und im dritten Semester ins Oberseminar gebeten wurde. An der fehlenden Bereitschaft, sich auf kreatives Denken einzulassen, scheint mir da die Abkehr von der Mathematik nicht gelegen zu haben. Freilich hat sie selbst einen erfolgreichen Ausweg gefunden.

    Damals fehlte es den Mathematikprofessoren wohl eher an der nötigen Offenheit, verschiedene Denkansätze zuzulassen. Heut scheint mir das Bedürfnis, alles „richtig“ zu machen, zu groß zu sein.

    Es schadet gewiss nichts, wenn man den Übergang vom schulischen Lehrstil zum universitären für Erstsemester etwas abfedert. Natürlich nicht, indem man Knobelaufgaben weglässt. Aber „Gib dir doch einfach noch mehr Mühe!“ ist nicht für jeden Charaktertyp der richtige Rat.

  10. Hmm, „Du kannst nie alle mitnehmen.“ wie Ingo schreibt, klingt wie eine Bankrotterklärung. Dafür habe ich doch verschiedene Methoden, um alle anzusprechen. Mit der Einstellung, dass sowieso nicht alle mitkommen, kann ich doch gar nicht erst mit der Lehre anfangen.

  11. Fontanefan sagt:

    Ich zitiere hier noch kurz, was ich eben bei jeanpol gefunden habe:
    „…das erstrebte Ziel ist die Kontrolle, also das Gefühl, alles im Griff zu haben. Nur die Kontrolle entlässt den Schüler am Ende mit einem positiven Gefühl so dass er bereit ist, sich erneut auf Unbestimmtheit einzulassen. Es wäre unmenschlich oder zumindest unpaedagogisch, ihn am Ende mit seiner Ratlosigkeit allein zu lassen. Denn allein gelassen wird er im Leben genug.“

    Meine Ergänzung:
    Zu meinen, sobald jemand sich auf ein Studium eingelassen hat, brauche er das Gefühl der Kontrolle nicht mehr, ist etwas blauäugig. Was man für ein erfolgreiches Studium nämlich unbedingt braucht, ist nämlich die Bereitschaft, sich immer wieder „erneut auf Unbestimmtheit einzulassen“.
    Dafür braucht es aber Erfolgserlebnisse und nicht Verunsicherung.

  12. Kevin Atkins sagt:

    Hallo Christian,

    ich kann mich gut in die Lage der Studentin versetzen und verstehe in welche Unsicherheit sie sich gebracht fühlt. Ich habe es schon oft erlebt, im Rahmen meiner eigenen Ausbildung, dass man von einem Lehrenden „in die Krise“ gebracht wird und dann seinen eigenen Weg wieder zurück findet. Das passierte aber nicht in einem Hochschulkontext! Und ich weiß, dass das in keinem Fall deine Absicht war. Dein Lehrkonzept ist für Erstsemester vielleicht wirklich Neuland und überfordert vielleicht den Einen oder die Andere.

    Ich selbst finde deinen Ansatz aber super und würde Herrn Kortenkamp ungerne nachgeben und das Konzept verwerfen 🙂 Ich finde Peters und rarospirits Ideen gut: eine Einführung in die Theorie mit einer Präambel, wie man mit welchem Aufgabentyp arbeitet macht Sinn. Da ich deinen MOOC aber nicht kenne (Asche auf mein Haupt!), weiß ich nicht, inwiefern du das schon machst. Ebenso charmant wären meiner Meinung nach Tutorien, in denen man die Studierenden offen miteinander arbeiten lässt, also eher eine Art Fortsetzung des FlippedClassroom-Prinzips mit Peer Teaching und Lehrendenunterstützung, was aber auch Zeit fordert. Zuletzt stimme ich Kristina zu: Feedback ist wichtig. Bei einem so offenen Lehr-/Lernkonzept, wie du es anwendest (Chapeau!) finde ich es wichtig, dass dem Lernenden soviele Kanäle wie möglich offen gehalten werden sich mit dir und untereinander (notfalls auch anonym) auszutauschen und diesen Austausch auch immer wieder anzuregen! Ich bin ja ein großer ARSnova-Fan :o) Dieses System bietet z.B. das Feature anonyme Zwischenfragen zu stellen. Das siehst erstmal nur du, aber du könntest diese Fragen anonym weiterposten, in ein Forum z.B. Alles aufwändig, keine Frage! Aber genau da liegt ja die Crux. Wenn man den Studenten neue Wege weisen will, dann brauchen sie Karten, Stützpunkte, Proviant, vielleicht sogar Waffen 😉 Wer weiß schon, was da alles auf Einen lauert.

    Liebe Grüße

  13. WeaponOfMathInstruction sagt:

    In meinen Augen ist neben der komplizierten Denkweise, die man am Beginn des Mathamatikstudiums lernen muss, vor allem das Gefühl nichts zu können sehr erdrückend. Im Gegensatz zu anderen Fächern (mein Zweitfach ist Philosophie, was nicht minder schwer aber viel dankbarer ist), wird in Mathematik nicht honoriert was man geschafft und verstanden hat, sondern alles wird als einfach, „trivial“ oder selbstverständlich verkauft. Dies gilt insbesondere für die Übungsaufgaben, mit denen man sich 15+ Stunden pro Woche plagt und – im Gegensatz zu einem Literaturpensum – nur mit Glück danach auch fertig ist. Das Empfand ich als sehr anstrengend, demotivierend und wenig brauchbar für Feedback.

    Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung

  14. Andrea sagt:

    @WeaponOfMathInstruction
    Aber das Gefühl, eine Aufgabe gelöst zu haben, die man beim ersten Durchlesen nicht mal verstanden hat, entschädigt für die Mühe. Mathematik ist dann einfach… geil!

    Mathematikaufgaben zu lösen ist halt einfach mühsam und erfordert viel Zeit. Wer nach dem ersten Semester aber immer noch glaubt, für jede Aufgabe gäbe es eine Musterlösung, sollte sich mal die Beweise für den Satz des Pythagoras oder den Primzahlsatz anschauen und sich ernsthaft Gedanken darüber machen, den Lehrerberuf nicht zu ergreifen.

  15. Fontanefan sagt:

    Als Nachtrag zu meinem letzten Kommentar die Fundstelle zu jeanpols Aussage:
    “ Nur die Kontrolle entlässt den Schüler am Ende mit einem positiven Gefühl so dass er bereit ist, sich erneut auf Unbestimmtheit einzulassen. Es wäre unmenschlich oder zumindest unpaedagogisch, ihn am Ende mit seiner Ratlosigkeit allein zu lassen. Denn allein gelassen wird er im Leben genug.“ (http://jeanpol.wordpress.com/2014/11/22/ldl-am-ende-der-stunde-muss-klarheit-herrschen/)

  16. @denkspuren sagt:

    Lieber Christian,

    ich kenne die konkrete Veranstaltung, ihre Gestaltung und ihren Aufbau nicht. Und ich finde es mutig und auch ermutigend, dass Dir eine Studentin diese Mail geschrieben hat. Tatsächlich, glaube ich, sind wir Lehrenden uns oft nicht mehr bewusst, was in den Gemütern der Studierenden passiert. Der Versuch einer Analogie:

    Stell einen Studenten oder eine Studentin auf einen 3m-Turm im Schwimmbad und bitte ihn/sie, dass Kunstspringen neu zu erfinden. Mal so ohne Vorlage. Schon kleinste Fehler bestraft das Wasser hart. Die Ängste sind berechtigt, vor allem, wenn man bislang in der Schule nur vom Startblock und vom Einer springen musste. Was, wenn man nach 4 Monaten so ratlos ist, dass man nicht mehr als einen verkrampften Fußsprung hinbekommt? Ist die Person unkreativ? Warum hat der Aufgabensteller nicht selbst ein paar Kunststücke vorgemacht? Kreative Prozesse leben vom Lernen am Vorbild. Auch vom Vorbild, mit Problemen zurecht zu kommen. Vom Vorbild, Wege zu einer Lösung zu finden (erst vom Einer springen, aufs Trampolin gehen, sich Anregungen vom Ballett, von Tänzern zu holen, Videos von Kunstspringern analysieren, die historische Entwicklung verstehen etc.).

    Du verstehst was ich meine?

    Wir Profs sind eine hochselektive Gruppe, die sich einiges im Leben abverlangt und zugemutet hat und dabei in der Regel viel Spaß hatte. Manche Ängste sind uns fremd — oder aber wir haben sie verlernt.

    Ich habe die Tage einen Blog-Beitrag geschrieben, der etwas ähnliches aufgreift: ICM & MOOCs alleine sind keine Lehre. Wenn man lernzentrierte Lehre machen möchte, dann gehören die Ängste und Probleme, aber auch die Talente und die Förderung wieder mehr ins Zentrum gerückt.

    http://denkspuren.blogspot.de/2014/11/was-mich-am-inverted-classroom-bzw.html

    Viele Grüße,

    @denkspuren

  17. dunkelmunkel sagt:

    @xquadrat @ixsi @Peter Ihr habt recht: für bestimmte Aufgaben braucht man Lösungsbeispiele, ganz klar. Wenn ich Aufgaben zur vollständigen Induktion Stelle, dann gebe ich jede Menge Aufgaben mit Lösungen heraus. Es gibt aber auch jede Menge Aufgaben in unserem MOOC, da wäre es schade, wenn wir Musterlösungen herausgeben würden, weil wir gerade die Diskussion um verschiedene Lösungsmöglichkeiten forcieren wollen. Und die Diskussionen liefern dann ja auch viele Gedankenansätze für diejenigen, die keine Idee haben, wie sie anfangen sollen. Also, ich habe gelernt: man braucht beides – je nachdem.

    @rarospirit ich denke, das haben wir versucht im ersten Kapitel. Aber es ist dann doch nur Theorie, die noch nicht erfahren und damit noch nicht verstanden ist.

    @Ulrich Kortenkamp Du hast natürlich recht, letztenendes kann es bedeuten, dass es besser ist, das Konzept aufzugeben. Weil ich davon aber überzeugt bin, will ich lieber versuchen, es zunächst weiterzuentwickeln. Wenn das nicht klappt, dann muss es weg. 🙂

  18. dunkelmunkel sagt:

    @StudentinXY okay, ich werde eine Präambel erstellen und Aufgaben zukünftig kennzeichnen!

    @Fontantefan Danke für den Hinweis auf das Kontrollkonzept! Vollkommen richtig!

    @Kevin zu den Tutorien: wir haben tutoriell betreute Übungsgruppen, in denen die Studierenden in Lerngruppen arbeiten.

    @Kristina @Kevin regelmäßige Feedbackrunden mach ich auch. Beim nächsten Mal kommt die erste große Feedback-Runde. Ich mach das dann immer technisch unaufwändig so: https://cspannagel.wordpress.com/2010/07/11/feedback-als-aktives-plenum/

    @denkspuren Ja, du das hast Recht. Ganz so krass sind wir aber natürlich nicht drauf: wir machen natürlich auch Sprünge vor und helfen beim Springen (insbesondere die Tutoren), aber die Tendenz stimmt: ich muss mehr die Ängste ernst nehmen und entsprechend begleiten. Nicht so einfach. Ansonsten: ich hab bei deinem Blogeintrag kommentiert.

  19. Ich kenne diese Anfragen von Schülerinnen und Schüler und Lehrkräften in Ausbildung gut. Ich unterricht kein Mathematik, bin aber davon überzeugt, dass es auch beim Thema „gelungener / erfolgreicher“ Unterricht keine endgültige Wahrheit und verschiedene Wege gibt. Wichtig für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und Lernenden ist es, zu verstehen, dass Veränderung im Denken erst dann entsteht, wenn man seine Komfortzone verlässt. Auch wenn man quasi dazu gezwungen wird.

  20. Mario sagt:

    Spannendes Thema. Ein paar lose Gedanken dazu:

    – Die Einbettung einer solchen Lehrveranstaltung in das System Hochschule im BA/MA im Anschluss an das Schulerlebnis ohne disruptives Erlebnis dazwischen fördert das Fortsetzen bestehender Denkstrukturen.
    – Der Aufbau der Veranstaltung bedingt eigentlich eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema über die Lehrveranstaltung/Aufgabenlösung etc. hinaus. Das ist toll, im Prinzip. Im Alltag aber vermutlich problematisch weil es mit den zeitlichen und gedanklichen Anforderungen anderer Veranstaltungen kollidieren kann.

    – Die Struktur, bzw. der Prozess zum erlernen von Wissen ist geprägt durch die institutionelle Ebene. Keine Lösungen zu haben gibt keine Sicherheit in einer Umgebung, in der Lernerfolg weiterhin mit Tests überprüft wird (werden muss?!). Was also liegt näher zu schauen ob man das Ergebnis gefunden hat. Mit einem Weg und es dann dabei zu belassen, die Anforderung ist ja erfüllt. Dementsprechend wäre der Hinweis, „bearbeiten, bis Sie denken eine gute Lösung gefunden zu haben“ eine Hilfe

    – Eingebunden in ein hierarchisches Gefälle wie es zwischen Prof. und Student existiert kombiniert mit dem Druck alles möglichst schnell richtig machen zu wollen/müssen führt ja dazu, dass die Auseinandersetzung mit der Materie auf alternative Weisen eher zu kurz kommt.

    Ich kann mir vorstellen, dass es sinnvoll ist in der Lehrerbildung nicht nur den Inhalt zu vermitteln, sondern auch transparent zu machen wie das eigene didaktische Konzept aufgebaut ist. In einer ersten Sitzung zur Veranstaltung also nicht mit Mathematik, sondern mit Pädagogik konfrontiert zu werden wäre ja schon die erste „Enttäuschung“ der Erwartungen. Sicherlich muss abschließend eine Versöhnung erfolgen, damit der Student sich nicht gänzlich allein gelassen fühlt und ein Erkenntnisgewinn erfolgt der dem Gegenstand entspricht, nämlich „think outside the box“ und folge nicht nur Anleitungen

    Tl;dr:
    Verlassen der Komfortzone ist ne gute Sache. Vielleicht hilft es das am Anfang transparenter zu machen.

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