Die Bildungspläne vieler deutscher Bundesländer behandeln das Fach Informatik eher stiefmütterlich. Jörg Ostertag hingegen ist ein vehementer Verfechter informatischer Bildung in den Schulen. In diesem Beitrag fragt er nach den bildungspolitischen Konsequenzen der NSA-Affäre. Zu seiner Person: Er studierte zunächst Lehramt und Medienpädagogik und schloss dann mit dem Master of Arts (Bildungswissenschaften) vorerst ab. Er beschäftigt sich seit seiner Masterarbeit mit der Kompetenz von Lehrkräften zum Einsatz von Informationstechnologien im Unterricht und den Potenzialen offener Bildungsressourcen.
Wer als technisch versierter Mensch, der entweder als „digital native“ aufgewachsen ist oder sich als „digital immigrant“ in die IT-Nutzung eingefunden hat, die Diskussion um die Enthüllungen der Snowden-Affäre in den Medien verfolgt, dem fallen zwei Dinge auf:
- Die nahezu totale Abhängigkeit von amerikanischer und chinesischer Hard- und Software: Diese Abhängigkeit beginnt beim Betriebssystem des eigenen Computers sowie dessen Hardware und endet beim Smartphone, das in seiner allerneuesten Generation auch noch mit einem Fingerabdruck-Scanner ausgestattet ist. Alternative Angebote aus dem eigenen Land oder Europa sind praktisch nicht zu haben oder werden nicht von der breiten Masse genutzt (z.B. Linux).
- Die erschreckende Naivität, mit der man nun nach der Politik ruft: Plötzlich verstehen alle, dass Daten im Internet nicht sicher sind und wir von (einem) befreundeten Staat(en) ausspioniert werden. Dabei scheinen wir schnell zu vergessen, dass wir alle durch die Nutzung einschlägiger Anbieter wie z.B. Facebook, Google oder Apple der weiteren Nutzung und Speicherung unserer Daten bereits zugestimmt haben… Aber wer liest schon die AGBs? Kurzum, man fordert die Politik auf, etwas für die Sicherheit unserer Daten zu tun – in einem weltumspannenden Netz, das nahezu anarchische Strukturen aufweist, kein leichtes Unterfangen für einen einzelnen Staat.
In diesen oder ähnlichen Forderungen kommt meiner Meinung nach das zu geringe informatische Hintergrundwissen vieler Internet-Nutzer zum Vorschein. Für sie scheint das Internet etwas zu sein, das auf dem eigenen Bildschirm stattfindet und das man mit Hilfe politischer Mittel regulieren könnte. Für mich ein Beleg von vielen, dass die Vermittlung von Medienkompetenz, und dazu gehört auch ein Mindestmaß an informatischem Grundwissen, in der Schule zu kurz kommt. Wir leben in einer Welt der digitalen Immigranten, der digitalen Nativen und der digitalen Naiven!
Diese im ersten Punkt genannte Abhängigkeit will die Bundesregierung nun mit einer europäischen IT-Initiative beenden. Dazu soll eine nationale und europäische Strategie in der Informations- und Kommunikationstechnik vorgestellt werden.
Dieses Vorgehen erinnert stark an den sogenannten Sputnikschock. Als die Sowjetunion 1957 den ersten künstlichen Satelliten ins All schoss, erstarrte der Westen vor dem technischen Vorsprung des Ostblocks. Die Ursachen für das westliche Versagen wurden in Amerika im Bildungssystem gefunden, das daraufhin massiv unterstützt und umstrukturiert wurde. Dabei wurde viel Geld investiert, u.a. in die Lehrerbildung, und die bestehenden Lehrpläne wurden überarbeitet.
Ein vergleichbares Vorgehen wäre nun auch für die IT-Initiative der Bundesregierung wünschenswert. Nicht nur die Wirtschaft sollte umstrukturiert werden, sondern auch Teile des Bildungssystems. Dabei müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden. Zum einen im Sinne der Medienbildung, die einen verantwortungsvollen und reflektierten Umgang auch mit digitalen Medien vermitteln soll, zum anderen im Sinne einer informatorischen Bildung, die das notwendige, technische Hintergrundwissen vermittelt. Die Grenze zwischen beiden Aspekten ist jedoch aufgrund der Medienkonvergenz fließend.
Ähnlich wie es nach dem Sputnikschock in den USA geschah, müsste erstens dafür gesorgt werden, dass Lehrkräfte den Computer als selbstverständliches Lern- und Lehrinstrument akzeptieren und im Unterricht sicher damit umgehen können. Dazu müssten Lehrkräfte aller Unterrichtsfächer in der Lage sein, Materialien für das Unterrichten mit dem Computer bereitzustellen. Dafür bieten sich zum Beispiel offene Bildungsressourcen (OER) an, die kostenlos verbreitet und verändert werden dürfen. Hiervon könnte vor allem die sogenannte bildungsferne Schicht profitieren. Zweitens muss die Informatik als Schulfach bestehen bleiben oder (wieder) eingeführt werden, denn hier wird der IT-Nachwuchs von morgen ausgebildet oder entdeckt seine Fähigkeiten. Im Zusammenspiel von Medienbildung und informatischer Grundbildung kann so die Schule die benötigten IT-Fachleute hervorbringen. Diese Gedanken führen zu den folgenden Fragen:
Kommt Medienbildung und informatische Bildung in unseren Schulen zu kurz? Müssen angehende Lehrkräfte im Studium besser auf den Einsatz digitaler Medien im Unterricht vorbereitet werden? Müssten Bildungspläne im Zuge der IT-Initiative an den benötigten IT-Fachkräftebedarf angepasst werden?
Was meint ihr?