Archiv für die Kategorie ‘Teaching’

Heute habe ich im Rahmen des Informatiklehrertags 2016 an der Universität Heidelberg einen Vortrag zum Thema „Medienbildung, ITG, Informatik – Was brauchen wir?“ gehalten. Darin ging es um die Frage, in welcher Form Medienbildung und informatische Bildung in den Bildungsplänen verortet werden sollte. Fazit: Medienbildung fachintegrativ und Informatik als Pflichtfach. Hier ist das Video des Vortrags:

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Danke Digitalfoto!

Veröffentlicht: Sonntag, Juni 14, 2015 in Computereinsatz in der Schule
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Christian Ebel hat auf dem Vielfalt-Lernen-Blog zu einer Blogparade mit dem Titel Mit digitalen Medien besser lernen? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? eingeladen. Die Blogparade endet am 15. Juni. Da muss ich mich beeilen, um noch einen Beitrag rechtzeitig abliefern zu können. 🙂

Es gibt natürlich zahlreiche sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für digitale Medien in Lehr-/Lernszenarien, genauso wie es verschiedenste gewinnbringende Einsatzmöglichkeiten für analoge Medien gibt. Die Entscheidung für ein digitales oder analoges Medium sollte dabei insbesondere didaktischen Überlegungen folgen: Welche Funktion übernimmt das Medium im Lernprozess? Digitale Medien sollten dabei additiv zu analogen gedacht werden: Digitale Medien ersetzen analoge nicht, sondern sie ergänzen sie. Mit neuen Medien entstehen neue Alternativen, für die ich mich als Lehrperson entscheiden kann (oder natürlich dagegen): Ich kann beispielsweise Schülerinnen und Schüler zunächst geometrische Konstruktionen mit Zirkel und Lineal anfertigen lassen, um die Basis-Konstruktionstechniken erfahrbar zu machen. Später im Lernprozess kann ich eine dynamische Geometriesoftware wie etwa GeoGebra einsetzen, beispielsweise um die Möglichkeiten des Experimentierens mit interaktiven Konstruktionen zu ermöglichen. Sowohl das analoge als auch das digitale Medium erfüllen ihre Funktion im Lernprozess.

Okay, so weit so gut. Auch wenn didaktische Überlegungen ganz wesentlich für die Wahl von Medien sind, möchte ich an diese Stelle nicht weiter darauf eingehen (sie sind beispielsweise in dem Artikel Mehr als eine Rechenmaschine oder dem Artikel „Digitale Medien in der Schule: in medio virtus“ [1] beschrieben). In diesem Beitrag möchte ich einen unterrichtspraktischen Aspekt betonen, also: Digitale Medien können in der Präsenzlehre einfach unglaublich praktisch sein und dadurch die Unterrichtssituation so verändern, dass Lernen besser möglich wird. Denn: Je weniger Zeit für Phasenwechsel und Umbauarbeiten drauf geht, um so mehr Lernzeit bleibt. Dabei hilft: Das Digitalfoto.

Nach Arbeitsphasen möchte man einzelne Ergebnisse von Schüler_innen oder Student_innen im Plenum besprechen. Dazu sollten aber alle die Lösungen sehen können. Wie macht man das klassischerweise? Möglichkeit 1: Die Ergebnisse werden an die Tafel geschrieben. Das dauert in der Regel lange. Abkürzen kann man das, indem man Schüler beauftragt, bereits gegen Ende der Arbeitsphase ihre Lösungswege an die Tafel zu schreiben. Nachteil: In der Regel lässt man das die guten Schüler machen, denn die sind schon früh fertig („Du bist schon fertig? Dann schreib doch dein Ergebnis mal an die Tafel!“). Trotzdem: Beim Schreiben an die Tafel entstehen Verzögerungen, und die behindern den Schwung im Unterrichtsfortgang, Unterrichtsstörungen werden wahrscheinlicher. Darüber hinaus lässt man falsche Ergebnisse eher nicht anschreiben (auch wenn diese gute Diskussionsanlässe wären), weil die Gefahr des Bloßstellens groß ist. Möglichkeit 2: Man verteilt Folien für den Overheadprojektor und lässt bestimmte Schüler ihre Lösungswege auf Folie übertragen oder gleich von Anfang an drauf schreiben. Auch wenn analoge Medien weiterhin berechtigt sind: Das wirkt nun in der Tat ziemlich anachronistisch.

Mal wieder von Michael Gieding (wie so oft) abgeschaut hab ich mir folgende praktische, total naheliegende weitere Möglichkeit, die nun digitale Technologien nutzt: Fotografiere Lösungen mit dem Smartphone oder Tablet und präsentiere sie über den Beamer. Beim Herumlaufen im Klassenzimmer oder Hörsaal kann man Lösungen fotografieren, die gute Diskussionsanlässe sind: richtige Lösungen, Lösungen mit typischen Fehlern, verschiedene Lösungsansätze usw.

Das Smartphone kann man dann beispielsweise per USB-Kabel an einen Rechner, an dem ein Beamer hängt, anschließen und dann die Fotos über den Beamer präsentieren, oder man holt die Speicherkarte aus dem Smartphone und steckt sie in einen Kartenleser, oder man hat einen VGA- oder HDMI-Adapter für sein Handy. Ich verwende mittlerweile zur Präsentation mein iPad in Kombination mit einem Apple-TV: damit kann ich sofort wireless meine Bilder an die Wand werfen, ohne groß umstöpseln zu müssen. Dadurch wird der Unterrichtsfluss praktisch nicht gestört und wir können sofort die Ergebnisse besprechen.

Bei dieser Methode bietet es sich übrigens an, mit Arbeitsblättern zu arbeiten, die ausgefüllt werden, denn: Wenn jeder seine Lösung in das Arbeitsblatt einträgt, dann sehen die per Foto präsentierten Ergebnisse strukturell alle gleich aus. Jeder im Raum findet sich sofort auf dem projizierten Arbeitsblatt zurecht. Andernfalls hat man eher „Kraut-und-Rüben-Darstellungen“, die man von ihrer Struktur erst mal durchblicken muss.

Alternativ könnte man natürlich eine Dokumentenkamera einsetzen. Drei Nachteile: Erstens muss man diese haben oder kaufen (ein Smartphone hat man ja in der Regel schon), zweitens muss man sie in jedem Raum haben (oder mitschleppen), und drittens müssen die Arbeitsergebnisse nach vorne getragen werden. Auch das könnte den Unterrichtsfluss wieder behindern.

Speziell in der Mathematik sind Digitalfotos auch noch in einem anderen Bereich extrem praktisch: in Online-Lernumgebungen, in denen sich Student_innen aktiv beteiligen sollen. Jeder kennt das folgende Problem aus Mathematikforen: Wie teilt man anderen die Überlegungen per Formel mit? Formeln werden irgendwie kryptisch mit Hilfe der auf der Tastatur verfügbaren Zeichen reingehackt, oder man muss LaTeX beherrschen. Egal wie: Das Abtippen an sich ist schon ein Umstand, denn man hat ja oft zuvor die Lösung bereits auf Papier entwickelt. Schwierig sind auch Skizzen und Zeichnungen: Will man die nochmal abmalen? Nein. Einfacher geht’s, wenn man die Lösung auf dem Papier einfach abfotografiert oder einscannt und dann das Foto hochlädt. Diese Technik bieten wir seit einigen Semestern in unserem Mathe-MOOC an, und das hat sich wirklich bewährt: Viele, die ihre Lösungen einstellen, machen dies per Foto. Gäbe es die Möglichkeit nicht, dann würden diese Personen ihre Lösungen vermutlich gar nicht einstellen, weil es einfach umständlich wäre.

Das alles klingt fast trivial, aber Digitalfotografie in den oben beschriebenen Szenarien ist wirklich ein mächtiges Werkzeug, gerade weil das so einfach und überzeugend ist: Arbeitsergebnisse von Schüler_innen oder Student_innen lassen sich so wendiger präsentieren und diskutieren, ohne das Zeit verloren geht. Zeit zum Phasenwechsel lässt sich so in Lernzeit umwandeln. Insofern mein Fazit: Danke Digitalfoto, dass es dich gibt!

[1] Spannagel, C. (2015). Digitale Medien in der Schule: in medio virtus. LOG IN, 180, 22-27.

Machen soziale Medien das Lernen sozialer?

Veröffentlicht: Mittwoch, April 29, 2015 in Hochschuldidaktik, Teaching, Web 2.0
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Am Mittwoch, 6. Mai 2015, darf ich um 14 Uhr in der virtuellen Ringvorlesung von e-teaching.org eine Sitzung gestalten zum Thema Machen soziale Medien das Lernen sozialer? Es ist immer wieder eine Herausforderung, wenn man den Titel eines Vortrags als Frage formuliert, zu der man selbst noch keine umfassende Antwort entwickelt hat. 🙂 Insofern ist die Planung eines solchen Beitrags sehr spannend auch für den Vortragenden selbst. 🙂

Vetreter_innen (oder sollte man vielleicht sagen: Missionar_innen) für social media werden diese Frage vermutlich mit einem deutlichen „ja, natürlich“ beantworten, und haben jede Menge Antworten parat, die in der Form „Mit social media ist es möglich…“, „Mit social media kann man…“ oder so ähnlich formuliert sind. Es wird viel über Möglichkeiten philosophiert, und in der Anfangszeit des Web 2.0 bin ich auch diesem Möglichkeitsdenken aufgesessen. Heute sehe ich es wesentlich nüchterner.

Ich habe jetzt ein paar erste Aspekte, Ideen und Fragen zusammengetragen und würde eure Position dazu gerne „anzapfen“. Wie denkt ihr darüber? Zunächst aber meine paar Cents:

  1. Wenn ich an „soziales Lernen“ denke, dann kommt mir zuerst das Lernen in einer Lerngruppe in den Sinn. In meinem eigenen Studium bin ich beispielsweise tage- und nächtelang mit meiner Lerngruppe im Institut für Informatik rumgehangen. Wir haben damals über informatischen Problemen gegrübelt, uns dazu Essen beim Fastfood-Chinesen von nebenan geholt, literweise Kaffee, Kakao und Champignoncremesuppe (!) aus dem Automaten gezogen und zwischendurch Tetris im Pool gezockt. Die meiste Zeit haben wir dabei natürlich zusammen gelernt und uns gegenseitig geholfen. Hätten soziale Medien diese Form des Lernens sozialer gemacht? Nein.
  2. Stören social media vielleicht nicht sogar das gemeinsame Lernen,als dass sie es befördern? Ich beobachte immer wieder, dass sich  Studierende in ihren Lerngruppen immer wieder von Facebook- und Whatsapp-Messages ablenken lassen. Gruppenlernen wird gestört, wenn einzelne Gruppenmitglieder ihre Aufmerksamkeit zeitweise vom Lernen auf andere Inhalte lenken. In diesem Moment sind Online-Kontakte zumindest für den Moment wichtiger und attraktiver als die soziale Gruppe „Lerngruppe“. Auch beim Lernen alleine lenken social media natürlich immer wieder sehr leicht ab. Machen social media in diesem Fall also das Lernen sozialer?
  3. Aber Facebook kann doch auch zum Lernen eingesetzt werden! Klar, die „Möglichkeit“ besteht. In den studentischen Facebookgruppen, in denen ich Mitglied bin, findet so etwas eher nicht statt. Es wird sich über die Studienorganisation ausgetauscht („Wo hängen die Prüfungslisten aus? Wo kann ich mir den Institutsstempel holen?“), aber gemeinsames Lernen? Gut, vielleicht bin ich in den falschen Gruppen, das kann natürlich sein. Daher verfolgt auch Elisa Köhl genau diese Frage aktuell in ihrer Masterarbeit und schaut da genauer hin.
  4. Aber Foren in Learning Management Systemen und sonstigen Lernplattformen können doch zum gemeinsamen Austausch genutzt werden! Jep, können. Es ist ein ausgesprochen bekanntes Phänomen, das viele Dozent_innen beobachten: Es wird nicht. (Hat jemand gute Literaturhinweise zu dem Phänomen, dass Foren nicht intensiv genutzt werden?) In unserem Mathe-MOOC gibt es zu jedem Video und zu jeder Aufgabe einen eigenen Diskussionsbereich, und die Teilnehmer_innen werden immer wieder aufgefordert, dort ihre Ideen einzustellen und mit anderen gemeinsam weiterzuentwickeln. Im ersten Durchgang haben ca. 6400 Personen am MOOC teilgenommen, 338 haben Beiträge oder Kommentare eingestellt. Das sind 5%. Die 10 Nutzer_innen, die die meisten Beiträge eingestellt haben,  haben 32% aller Beiträge verfasst. Die TOP 10 Nutzer_innen, welche die meisten Kommentare verfasst haben, haben 59% der Kommentare geschrieben – darunter die beiden Dozenten und eine Tutorin. Das heißt: Nur sehr wenige beteiligen sich wirklich aktiv, und von diesen wenigen gibt es absolute Powernutzer, welche die Diskussion dominieren. Man könnte vermuten, dass zumindest diese „sozial lernen“. Tatsache ist allerdings, dass die meisten Beiträge der Teilnehmer_innen im Diskussionsbereich nebeneinander stehen. Jede_r lädt seine eigenen Lösungsideen hoch, es wird kaum auf die anderen Lösungsideen eingegangen. So findet die Diskussion meist zwischen Teilnehmer_in und Tutor_in statt, selten aber zwischen Teilnehmer_innen. Christian F. Freisleben-Teutscher versucht gerade, dies durch Impro-Methoden aufzubrechen (also zum Beispiel durch Methoden, bei denen jeder auf den Beitrag des vorgehenden eingehen muss).
  5. Wesentlicher als das Medium scheint die Methode zu sein. Kein soziales Medium macht per se Lernen sozialer, sondern: Methoden fördern oder behindern das gemeinsame Lernen, das Medium kann dabei unterstützen bzw. den entsprechend notwendigen Raum bieten. Bekannt ist dies von der Sozialform „Gruppenarbeit“ aus der Schule. Wenn man Gruppenarbeiten naiv verteilt („Macht mal in der Gruppe“), dann arbeitet einer und alle anderen gucken zu. Wenn man hingegen beispielsweise Rollen verteilt („Du protokollierst“, „Du bist der Zeitwächter“, „Du moderierst die Diskussion“) oder wenn man Wissen unsymmetrisch verteilt wie beispielsweise beim Gruppenpuzzle, dann wird gemeinsames Arbeiten notwendig und ertragreich. Die Methode macht’s.
  6. Bei Methoden wie dem Flipped Classroom helfen Medien durchaus, das Lernen sozialer zu machen, aber auch eine ganz andere Art und Weise: Dadurch, dass beispielsweise Vorlesungen per Video zu Hause durchgearbeitet werden können, wird in der Präsenzzeit an der Hochschule der Raum geschaffen für gemeinsame Interaktion und Diskussion. Hier helfen Medien also dabei, mehr soziales Lernen in der Präsenzzeit zu ermöglichen. Allerdings sind Videos nicht unbedingt soziale Medien (okay, Youtube könnte man vielleicht als solches bezeichnen).
  7. Ist sozialer eigentlich besser? Ist Lernen nicht oftmals auch ein individueller Prozess? Muss man nicht Aufgaben auch erst mal alleine durchdenken, bevor man sich mit anderen austauscht? Gibt es nicht gerade auch eine starke Tendenz, Lernprozesse individueller zu gestalten, Lernwege für jeden einzelnen zu adaptieren, individuell zu fördern?
  8. Individuelles Lernen allerdings kann auch übertrieben werden. Individualisierung des Lernens klingt auch fast schon wie Vereinsamung. Ich beobachte das des öfteren bei Methoden wie Lernpfaden, Lernlandschaften oder Lernbüros, in denen Schülerinnen und Schüler im selben Raum sitzen, aber jeder seine eigenen Aufgaben bearbeitet. Jeder protokolliert dabei, welche „Kompetenzen“ er bereits „erworben“ hat, welche die nächsten „zu erwerbenden“ sind, und jeder befasst sich mit Aufgaben, die gerade für ihn die nächste passende ist. Im übertriebenen Maße entartet das zur individualisierten Kompetenzbürokratie. Würde man nun versuchen, durch soziale Medien diese Lernformen sozialer zu machen? Quatsch. Man sollte versuchen, durch Methoden die Schülerinnen und Schüler zum gemeinsamen Lernen aufzufordern, beispielsweise durch Aufgaben in Lernbüros, die kooperativ gelöst werden sollen, oder durch Routinen, bei denen Schüler_innen andere bei Schwierigkeiten um Hilfe bitten (und nicht die Lehrerin oder den Lehrer).

Ich habe jetzt vermutlich recht einseitig Aspekte angeführt, die dagegen sprechen, dass soziale Medien das Lernen sozialer machen. Natürlich gibt es zahlreiche Lehr-/Lernsituationen, in denen der Einsatz von social media sinnvoll ist. Vermutlich aber nicht, um das Lernen sozialer zu machen, sondern um die Durchführung von Methoden zu ermöglichen, die gemeinsames Lernen befördern sollen. Aus meiner Sicht steht die Methode im Mittelpunkt, nicht das Medium. Und eigentlich noch vor der Methode: die Didaktik. Als Lehrer_in oder als Dozent_in überlege ich mir vorab, welche Lernziele erreicht werden sollen und auf welchem Wege (Lernprozess) dies voraussichtlich am besten passiert (vgl. Oser und die Choreographie des Unterrichts). Dann überlegt man sich, in welchen Phasen des Lernprozesses individuelles Lernen und in welchen Phasen kollaboratives Lernen sinnvoll ist. Danach wählt man Methoden und Medien aus. Machen jetzt soziale Medien das Lernen sozialer? Ich würde sagen: Es ist die Unterrichtskonzeption, nicht das Medium.

So, jetzt zu euch: Wie ist eure Position? Habt ihr Situationen kennen gelernt, in denen soziale Medien das Lernen sozialer gemacht haben? (Und bitte keine „Möglichkeiten“, sondern reale Beispiele! ;-)) Was denkt ihr über die Punkte oben? Habt ihr Ergänzungen? Her damit! 🙂

[UPDATE:] Der Vortrag ist jetzt vorbei, die Aufzeichnung ist online, außerdem die Folien und eine Linksammlung

Der flipped classroom auf dem #clc11

Veröffentlicht: Sonntag, September 11, 2011 in Teaching, Vorlesungsaufzeichnung
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Gestern hab ich mit Oliver Tacke eine gemeinsame Session zum Thema Flipped Classroom auf dem CorporateLearningCamp 2011 in Darmstadt angeboten. Oliver hat zunächst ein wenig zu Gunter Duecks Thesen berichtet, anschließend habe ich mein Konzept der umgedrehten Mathematikvorlesung präsentiert. In der zweiten Phase der Session haben wir die Teilnehmer zunächst in Kleingruppen überlegen lassen, welche Pros und Contras es für den Einsatz des flipped classroom in ihren persönlichen Kontexten (im Wesentlichen die betriebliche Aus- und Weiterbildung) gibt. Anschließend wurde alles in einem Aktiven Plenum zusammengetragen (um auch eine Form von LdL zu demonstrieren, was Oliver in der Session zuvor erläutert hatte). Das Ergebnis wurde von zwei Teilnehmern (danke an Pätrick und Frieder) an der Tafel festgehalten. Da sich solche Tafelbilder für Außenstehende selten von selbst erklären, hier ein paar zusammenfassende Statements zum Einsatz des flipped classroom im corporate learning:

Chancen / Ideen / Möglichkeiten:

  • Verringerung der Heterogenität des Vorwissens der Teilnehmer: Man bringt durch die Videos im Vorfeld die Teilnehmer mehr oder weniger bezüglich bestimmter Dinge auf denselben Stand. Im Realtreffen selbst kann dann von dieser gemeinsamen Basis aus begonnen werden.
  • Kostenreduktion: Wenn Aufzeichnungen vorliegen, können vielleicht hier und da Kosten eingespart werden, z.B. kann die reale Sitzungszeit in manchen Kursen gekürzt werden (ohne dabei die Realtreffen komplett einzusparen, das wäre ja nicht flipped.)
  • Didaktische Qualifikation des Dozenten: Trainer sind gefordert, sich andere Methoden und Aktivitäten als (PowerPoint-)Vorträge für Realsitzungen auszudenken. Dies beflügelt mitunter die didaktische Phantasie und führt zu einer didaktisch-methodischen Weiterqualifikation des Dozenten.
  • Größere Autonomie der Teilnehmer: Dieses Pro hat mir am besten gefallen. Die Teilnehmer werden durch die vorbereitenden Videos sozusagen ermächtigt, in den Realtreffen handelnd und diskutierend tätig zu werden. Sie werden im Vorfeld „wissend“ gemacht (natürlich nur soweit, wie dies durch Vorträge möglich ist), und dieses Wissen können sie dann in der Realsitzung nutzbringend im Rahmen von Aktivitäten einsetzen. Sie haben so die Chance, sich kompetent zu fühlen, weil sie sich entsprechend vorbereitet haben.

Grenzen / Gefahren / Probleme:

  • Didaktische Qualifikation des Trainers: Dieser Punkt tauchte schon unter den Pros auf, nun auch unter den Contras: Manch ein Dozent kann eine offene Sitzung mit Aktivitäten und Diskussionen nicht gut leiten, manch einer will sich vielleicht auch nicht umstellen. Ein solches Konzept kann also am Widerstand des Dozenten, der sein altes Konzept weiter umsetzen möchte, scheitern.
  • Technische Plattformunabhängigkeit / Zugangsvoraussetzungen: Die Vorbereitungsphase mit Videos muss technisch so ausgestaltet sein, dass alle Teilnehmer daran teilnehmen können. Viele Mitarbeiter (beispielsweise in der Produktion) haben gar keinen Computer am Arbeitsplatz, sodass sie von dort aus die Videos nicht ansehen könnten.
  • Erhöhte Anfangsinvestition: Umstellungen bedingen immer einen höheren Aufwand zu Beginn. Beispielsweise müssen Videos erstellt und bereit gestellt werden. Hierfür benötigt man evtl. Hard- und Software. Darüber hinaus meinte ein Teilnehmer, dass erhöhte Kosten zu Beginn dadurch entstehen, wenn man unvorbereitete Teilnehmer wieder nach Hause schickt.

Ingesamt fand ich es äußerst spannend in dieser Session und auf dem ganzen Barcamp zu sehen, dass der Corporate-Learning-Bereich doch anders funktioniert und andere Anforderungen hat als der (Hoch-)Schulbereich. In der LdL-Session von Oliver Tacke  ist beispielsweise deutlich geworden, dass dieses Konzept in Unternehmen vermutlich schwer umzusetzen ist, weil die Beschäftigten oft nur 4-5 Tage Fortbildungskurse im Jahr haben und man in solch kurzen Zeiträumen kaum Konzepte umsetzen kann, die einer längeren Einführungsphase bedürfen und sie sich nur über einen längeren Zeitraum etablieren. Spannend finde ich genau diese Unterschiede, an denen sich die Diskussion entzündet und die das Denken anregen. Ein Grund, nächstes Jahr wieder auf das CorporateLearningCamp zu gehen.

Weitere Berichte vom Camp:

Luft ablassen

Veröffentlicht: Freitag, März 25, 2011 in Teaching

Ich muss mal kurz Luft ablassen über etwas, das mich heute aufgeregt hat.

Studierende beklagen sich oft, dass sie zu wenig Feedback zu ihren Arbeiten und Texten bekommen. Ich kann mir das gut vorstellen, denn in dem ganzen Prüfungsmarathon, den wir hinlegen, hat man als Dozent kaum Zeit, fundiert Feedback zu geben. Ich nehme mir die Zeit und gebe immer detailliert Rückmeldung zu Hausarbeiten. Ich finde es wichtig, nicht nur eine Note oder ein „bestanden“ zu erteilen, sondern informatives Feedback zu geben. Die Studierenden sollen schließlich lernen, wie man es richtig macht. Und damit sie es auch tatsächlich lernen und sich mein Feedback auch „lohnt“, erwarte ich, dass sie den Text gemäß meiner Kommentare überarbeiten. Ich finde, das ist eine gute Sache: Ich nehme mir die Zeit und gebe ausreichend Feedback, und die Studierenden nehmen sich die Zeit und verbessern ihren Text.

Kurz beschrieben, wie ich Feedback gebe: Ich lasse mir die Hausarbeiten als Word-Datei geben. Ich lese den Text am Computer und verbessere/kommentiere gleich. Das heißt: Wenn mir auffällt, dass irgendwo ein Komma fehlt, dann setze ich es einfach. Muss ich das mehrmals machen, dann schreibe ich beim vierten oder fünften Mal in einen Word-Kommentar, dass bitte die Kommasetzung nochmal komplett überarbeitet werden muss (und ggf. erwähne ich nochmal, dass eingeschobene Relativsätze von Kommata umgeben sind). Oder: Wenn inhaltlich etwas nicht stimmt oder fehlt, dann schreibe ich an die entsprechende Stelle einen längeren Kommentar in Word.

Natürlich mache ich mir auch die Mühe, die verbesserten Texte mit meinen Kommentaren von damals abzugleichen, um zu schauen, wie sie umgesetzt worden sind, und um gegebenenfalls nochmal Rückmeldung zu geben. Ich finde, ich investiere hier schon ordentlich. Und deswegen regt mich auch auf, was heute passiert ist: Heute war die Deadline für eine Gruppe von Studierenden für die Verbesserung ihrer Texte. Heute nachmittag hatte ich gerade mal die Hälfte der Texte (was kein Problem ist, heute ist ja Deadline). Ich habe den Studierenden nochmals eine Erinnerungsmail geschickt. Dann kamen fast alle anderen Texte heute abend. (Ich hätte natürlich auch ein Auge zugedrückt, wenn Studierende gemailt hätten, dass sie es vergessen haben oder zu viel zu tun hatten, und dann hätte ich auch Aufschub gegeben. Ich habe dieses Mal auch spät mit der Korrektur angefangen.)

Jetzt der Hammer: In einigen Texten wurde kaum etwas von dem umgesetzt, was ich als Kommentar hingeschrieben hatte. Ich hatte beispielsweise bei einer Studentin gefordert, dass sie ein Kapitel nochmal komplett überarbeiten soll. In der „verbesserten“ Fassung war das Kapitel unverändert. Bei einer anderen Studentin, die heute spät geschickt hat, hatte ich einen Kommentar in den Text eingefügt, in dem stand, dass sie bitte noch Literatur hinzufügen soll. Das hat sie nicht gemacht, stattdessen hat sie in einem Kommentar geantwortet, dass sie keine gefunden hat, und ob ich einen Tipp hätte. Das mach ich ja prinzipiell, aber nicht am Abgabetag! Wie hätte sie denn die Literatur besorgen, lesen und einarbeiten sollen? Ich werde die Vermutung nicht los, dass einige Studierende den Text heute noch „schnell, schnell“ überarbeitet haben, um ihrer Pflicht genüge zu tun.

Wieso mache ich das? Weshalb investiere ich viel Zeit für die Rückmeldungen?

Ich mache es für diejenigen 10 %, die es ernst nehmen.

Vorlesungsvideos Zwischenstand

Veröffentlicht: Mittwoch, Dezember 22, 2010 in Arithmetik, Teaching

Jetzt ist endlich bald die Weihnachtspause und ich kann etwas aufatmen – die letzte Zeit war schon recht anstrengend gewesen. Aus diesem Grunde war’s auch in meinem Weblog in den letzten Wochen eher still – ich bin einfach nicht zum Schreiben gekommen (obwohl ich einige Ideen habe, worüber ich schreiben könnte).

Vielleicht trotzdem jetzt in aller Kürze ein Zwischenstand bzgl. meiner Vorlesungsaufzeichnungen: Die Studierenden äußern sich durchweg positiv darüber, dass Vorlesungsteile in Youtube stehen. So können sie sich diejenigen Aspekte, die sie nicht verstanden haben, nochmals ansehen, bei Bedarf immer und immer wieder. Schon praktisch, wenn man den Herrn Spannagel vor- und zurückspulen kann. 🙂

Meine Videos findet man komplett in einem ZUM-Wiki-Bereich (innerhalb meines dortigen Nutzerprofils):

Ein paar Ausschnitte hier (zum Reinschnuppern):

 

Planung einer Vorlesungsaufzeichnung

Veröffentlicht: Freitag, September 10, 2010 in Mathematics, Teaching
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Im nächsten Semester werde ich die Vorlesung „Einführung in die Arithmetik“ aufzeichnen und online stellen. Vorab einmal ein paar Gedanken zur technischen Umsetzung und zu den Zielen, die ich damit verfolge.

Wer einmal ein paar Beispiele sehen möchte, wie ich mir das vom Format her vorstelle, kann einen Blick in die Aufzeichnungen der Geometrie-Vorlesung von Michael Gieding werfen.

Ich freue mich natürlich über jede Anregung!

Sprosse um Sprosse

Veröffentlicht: Freitag, Juli 30, 2010 in Teaching

Eine sehr lange Leiter scheint es zu sein. Ich schaue nach oben und kann das Ende kaum erblicken. Ich ergreife die nächste Sprosse und setze meinen Fuß vorsichtig auf. Ich lasse mit meiner anderen Hand los und fasse wiederum eine weitere Sprosse der Leiter, ziehe mich ein Stück nach oben. So geht es ein ganze Weile lang. Es ist anstrengend. Diese Anstrengung befriedigt mich aber in einer gewissen Weise. Ich bin es, der die Mühe auf sich nimmt und die Leiter erklimmt. Ich bin es, der – Schritt für Schritt, Sprosse für Sprosse – seinem Ziel näher kommt. Ich habe den Eindruck, dass es eine Leistung ist, die ich selbst erbringe, und ich bin stolz darauf. Ich schaue wieder nach oben, kann das Ende nicht erblicken. Zweifel überkommen mich. Bin ich überhaupt auf der richtigen Leiter? Führt sie mich an mein Ziel? Wie kann ich sicher sein, wenn ich das Ende nicht sehen kann? Vielleicht stelle ich, oben angekommen, fest, dass ich die falsche Leiter gewählt hatte? Dann müsste ich wieder hinabsteigen und eine andere Leiter suchen… Diese Gedanken wurden dadurch unterbrochen, dass ich ins Leere griff. Ich bemerkte zu spät, dass die nächste Sprosse einen viel größeren Abstand zur vorherigen Sprosse hatte als bisher. Ich strecke mich, stelle mich auf die Zehenspitzen, wohl wissend, dass ich jederzeit abrutschen könnte. Erreichen kann ich die nächste Sprosse dennoch nicht. Ich mache einen erneuten Versuch, wieder vergeblich. Die Sprosse ist zu hoch, ich komme nicht ran. Plötzlich ergreift mich eine riesige Hand. Sie ist viel größer als ich. Ich weiß nicht, woher sie kam, und ich kann nicht die Person erblicken, zu der sie gehört. Sie nimmt mich sanft zwischen die Finger und zieht mich von der Leiter weg. Ich werde ein Stück nach oben gehoben. Es kommt mir vor wie ein Wunder, die Rettung im richtigen Moment. Ich versuche die Sprosse zu ergreifen, die eben noch unerreichbar schien. Doch nun bin ich zu weit weg von der Leiter, und die Hand hebt mich weiter hoch, an der Sprosse vorbei. Auch an der nächsten und übernächsten Sprosse werde ich vorbeigehoben, immer weiter, immer höher. Schließlich setzt mich die Hand oben, am Ende der Leiter, ab. Ich bin tatsächlich am Ziel. Es war die richtige Leiter, ich habe es geschafft. Ich… nein, nicht ich habe es geschafft. Die Hand hat mich hochgehoben. Ich habe nichts mehr beigetragen. Ich habe das Gefühl, dass die Hand es mir zu einfach gemacht hat. Es war nicht meine Leistung, ans Ziel zu gelangen. Ich bin oben, aber ich bin unglücklich darüber. Ich schaue nach unten und denke: Wie schön wäre es, wenn ich jetzt sagen könnte, dass ich es geschafft habe, die Leiter zu erklimmen. Wie schön wäre es.

Mathematische Probleme sind oft für diejenigen sehr schwierig, die sich gerade in ein mathematisches Teilgebiet einfinden. Sie kennen den Lösungsweg nicht, und vieles ist im Ungewissen. Erste Ideen führen oft nicht zum Ziel, und man versucht, einen passenden Ansatz zu finden. Wenn man schließlich nach viel Mühe und nach Irrwegen die Lösung vor Augen hat, ist man stolz darauf, die Aufgabe gelöst zu haben. Manches Mal kommt man aber nicht weiter, man findet keine Ansatz, sieht den nächsten Schritt nicht. Hier ist es die Aufgabe des Lehrenden, Hilfe zu geben und zu unterstützen. Oft wird dabei aber zu viel verraten, und nicht selten sogar die Lösung. Als Student habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass Tutoren mir zu viel verraten haben. Eine ernüchternde Erfahrung – ich wollte die Aufgabe doch selbst lösen! Darüber hinaus wird auch oft geholfen, wenn noch keine Hilfe notwendig ist. Lehrende laufen durch den Raum und geben den Lernenden Tipps, wo vielleicht noch gar keine notwendig sind. Als Lehrender sieht man oft direkt, wenn ein Student in die falsche Richtung läuft, und man kann sich kaum zurückhalten, ihn nicht auf den falschen Weg aufmerksam zu machen.

Hilfe sollte nur dann gegeben werden, wenn der Lernende auch die Hilfe wünscht (help on demand). Diese Hilfe muss dann aber auch minimal sein in dem Sinne, dass der Lernende auf die nächste Sprosse gehoben wird, an eine Stelle, von der aus er selber weitermachen kann.

Wenn man weiter über dieses Bild nachdenkt, kommen einige Fragen auf: Gilt dieses Bild – neben der Lösung mathematischer Probleme – nicht für jegliche Lern- und Bildungsprozesse? Gilt es nicht immer dort, wo Hilfe gesucht und Hilfe angeboten wird? Sollte Hilfe nicht generell den Hilfesuchenden in die Lage versetzen, das Problem (was auch immer das Problem ist) selbst lösen zu können? Ist Hilfe, die dem Hilfesuchenden das Problem aus der Hand nimmt, nicht prinzipiell unpädagogisch?

Feedback-Runde als aktives Plenum

Veröffentlicht: Sonntag, Juli 11, 2010 in Hochschuldidaktik, Learning, Methods, Teaching

Jede Lerngruppe ist anders. Das gilt auch für die Studierenden in Hochschul-Lehrveranstaltungen. Von Semester zu Semester ändern sich die Wahrnehmungen von Studierenden, was die Inhalte und die Methodik von Seminaren und Vorlesungen anbelangt. Mal ist beispielweise eine Lerngruppe der Methode des aktiven Plenums aufgeschlossen, mal nicht. Darüber hinaus probiert man als Dozent auch mal etwas Neues aus, man führt neue Rahmenbedingungen ein oder man verwendet eine Methode, die einem (zunächst) sinnvoll erscheint.

Wichtig ist daher, dass man sich Feedback von den Studierenden frühzeitig einholt und adäquat reagiert. Eine solche Reaktion kann beispielsweise darin bestehen, methodische Vorschläge von Studierenden aufzunehmen – oder nicht. Im letzteren Fall sollte man dann aber auch die Kritik der Studierenden eingehen und begründen, weshalb man trotzdem so und so verfährt und nicht anders. Im Großen und Ganzen sind solche Feedback-Schleifen wichtig, um Frust frühzeitig zu vermeiden, um voneinander zu lernen, und um die Lehrveranstaltungen didaktisch und methodisch zu verbessern.

Die hochschulweiten Evaluationen, die vom Gesetz her vorgeschrieben sind, dienen dafür nur bedingt. Zum einen sind die Fragebogen, die eingesetzt werden, oft nicht derart aussagekräftig, dass sich methodische Konsequenzen daraus ableiten lassen. Zum anderen finden die offiziellen Befragungen oft zu spät statt, und dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen.

Früher habe ich nach ca. dem ersten Drittel der Veranstaltung von den Studierenden Feedback-Zettel ausfüllen lassen. Diese Zettel bestanden aus zwei Spalten. Eine Spalte war mit einem lachenden Smilie überschrieben, eine mit einem weinenden. Die Studierenden waren aufgefordert, positive und negative Elemente der Lehrveranstaltung zu beschreiben, immer im Sinne konstruktiver Kritik – bei negativer Kritik war ein Verbesserungsvorschlag hinzuzufügen. Vorteil dieser Methode ist, dass man ehrliches Feedback erhält, weil die Befragung anonym stattfindet. Insbesondere bei großen Lehrveranstaltungen führt dies allerdings zu einem erheblichen Auswertungsaufwand. Ich saß oft Abende da und habe die Feedback-Zettel gelesen, Exemplare eingescannt und das Fazit in der nächsten Veranstaltung anhand der eingescannten Zettel gemeinsam mit den Studierenden gezogen. Nachteilhaft ist ebenso, dass man bei mancher Kritik den Eindruck hat, dass eine Diskussion unter Studenten sinnvoll wäre, sodass bestimmte Kritikpunkte unter den Studierenden selbst geklärt und gegebenenfalls relativiert werden.

Eine andere Methode, die ich einmal ausprobiert habe, war eine offene Diskussion zur Verbesserung der Lehrveranstaltung. Während hier die Möglichkeit zum direkt Austausch besteht, hatte ich dabei allerdings den Eindruck, dass sich manch Studierender scheut, offen Kritik zu äußern. Schließlich stand ich als Dozent vorne und habe die Kritikpunkte aufgenommen, und ich prüfe sie ja auch irgendwann. Da kann man noch so sehr versichern, dass man auch für negative Kritik offen ist, die Scheu besteht trotzdem.

Seit einiger Zeit verwende ich eine Methode, die Jean-Pol Martin in der Schule eingesetzt hat. Zu Beginn der Feedback-Phase (ca. 20 Minuten vor Ende einer Sitzung) zeichne ich die Tabelle mit einem lachenden und weinenden Smilie an die Tafel. Danach fordere ich drei Studierende auf, nach vorne zu kommen: Ein Studierender schreibt die positiven Punkte auf, einer die negativen, und ein dritter ruft die Meldungen aus dem Plenum auf und moderiert die Diskussion. Ich selbst verlasse für 10 Minuten den Raum und warte vor der Tür. Nachdem die Studierenden gemeinsam ihre Punkte an der Tafel festgehalten haben, werde ich wieder in den Raum geholt. Ich lese mir die Punkte durch und frage nach. Dabei berichten mir die Studierenden von der vorherigen Diskussion und führen die Argumente an, die genannt wurden. Bei Bedarf fotografiere ich dann noch das Tafelbild, um das Feedback festzuhalten.

Diese Methode, bei der es sich letztlich um ein aktives Plenum handelt (diesmal aber ohne Dozent im Raum), vereinigt alle Vorteile und vermeidet alle Nachteile, die oben genannt wurden:

  • Die Methode ist zeitsparend und vermeidet „Auswertungsabende“.
  • Die Studierenden können gleich über bestimmte Punkte diskutieren und aushandeln, welche davon wie an die Tafel geschrieben werden.
  • In der anschließenden Diskussion mit mir weiß ich als Dozent nicht, von wem genau welche Punkte geäußert wurden; die Beiträge sind für mich als Dozent anonym.

Die Rückmeldungen von Studierenden zeigen mir, dass diese Methode für sehr gut befunden wird.

In der Hauptschule habe ich diese Methode noch nicht eingesetzt. Irgendwie scheue ich mich davor, Unterricht in der gleichen Weise von Schülern diskutieren zu lassen wie Vorlesungen von Studierenden. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich zu konstruktiver Kritik führen würde. Vielleicht sollte ich mich das aber einfach mal trauen und mich überraschen lassen.

Was meint ihr dazu? Welche Feedback-Methoden verwendet ihr?

Am Samstag darf ich auf einem Podium im Rahmen des tazlab teilnehmen. Das Thema: Uni 2.0. Vorab kann man schon über Fragen abstimmen, die wir – ciffi, cervus, literatenmelu, ich und andere – diskutieren sollen. Leitfragen sind:

Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke beim Studium 2010 ff? Ist Twitter ein Studientool, wie kann es dazu werden? Wie sieht das E-Learning aus, wenn das E-Learning tot ist? Macht Uni 2.0 Wilhelm von Humboldt erst wirklich möglich – weil sich erst jetzt ProfessorInnen und StudentInnen auf Augenhöhe begegnen?

Zur Vorbereitung habe ich mir 3 Statements überlegt und bereits vor einiger Zeit in Wikiversity eingestellt:

  • E-Learning ist tot. Es lebe E-Learning!
  • Im Web 2.0 überzeugt Authentizität, nicht Autorität
  • Neuronenverhalten führt zu einer veränderten Wissenschaftspraxis

Hier jetzt eine etwas ausführlichere Diskussion der Statements. Ich freue mich über Kommentare!

Statement 1: E-Learning ist tot. Es lebe E-Learning!

Dieses Statement hängt eng mit der Frage zusammen, was eigentlich unter E-Learning verstanden wird. E-Learning im „klassischen“ Sinne ist die Bereitstellung von Online-Inhalten (Texte, Videos, multimediale Materialen) zum Selbstlernen, in der Regel begleitet durch Überprüfungsfragen mit Feedback o.ä. Diese Form des E-Learning ist eine Übertragung des instruktionalen Ansatzes aus Realräumen (wie der Vorlesung) ins Web. Damit verbunden sind zwar einige Vorteile (Studierende können im eigenen Tempo und an jedem Ort lernen), aber auch einige Nachteile: Man lernt „einsam“, denn auch Foren und Chats (so meine intuitive Auffassung) sind nur schwer dazu geeignet, ein echtes „Gruppengefühl“ aufkommen zu lassen. Darüber hinaus muss auch irgendjemand die Inhalte erstellen – und Contentproduktion ist extrem aufwändig, insbesondere wenn die Inhalte auch noch ansprechend, d.h. motivierend, gestaltet sein sollen.

Mit dem Web 2.0 ist das anders: Hier tritt die Rezeption vorgefertigter Inhalte in den Hintergrund. Stattdessen ist Wissensproduktion das zentrale Konzept: Lernenden erstellen gemeinsam Inhalte, sie konstruieren Wissen kollaborativ. Darüber hinaus sind sie in jeder Hinsicht vernetzt, auch über die Beschäftigung mit den eigentlichen Lerninhalten hinaus. Wenn Lernende erst einmal über Twitter, Facebook o.ä. miteinander verbunden sind, dann vernetzen sie sich auch über private bzw. persönliche Themen. Und das ist meiner Ansicht nach ganz zentral! Denn: Inhalte schön und gut. Aber Menschen wollen sich nicht nur mit Inhalten beschäftigen, sondern insbesondere auch mit anderen Menschen. Das soziale Netz wird so zu einer Umgebung, in der man sich „ganzheitlich“ kennen lernt und so eine Basis für die gemeinsame inhaltliche Arbeit schafft. Vergleichen wir das mal mit einem Arbeitsplatz: Menschen, die eng zusammen arbeiten, müssen sich doch auch persönlich verstehen, und man tauscht sich auch gerne über persönliche Themen aus. Wenn diese Basis stimmt, dann geht auch die Arbeit besser von der Hand. In einer funktionierenden Gruppe, in der man den anderen Gruppenmitgliedern vertraut, ist man eher bereit, neue Felder zu erforschen, Risiken einzugehen und auch einmal Fehler zu machen. Wenn Steinzeitmenschen früher gemeinsam auf die Jagd gegangen sind, dann musste auch erst mal die Gruppe funktionieren, damit man sicher sein konnte, sich auf den anderen verlassen zu können. Vermutlich haben diese Menschen sich zunächst auch nicht nur über Jagdstrategien unterhalten, sondern haben erst mal Freundschaften geschlossen.

Zurück zur Erstellung von Inhalten durch die Lernenden: Wenn im Team an Inhalten gearbeitet wird, dann kommt sofort der Projektgedanke zum Tragen: Man hat ein Projektziel (irgendein inhaltliches Produkt), und alle müssen gemeinsam mitwirken, um dieses Ziel zu erreichen – wie im Arbeitsleben auch. Und genau das ist alles andere als einfach. Gruppenprozesse sind kompliziert. Studierende müssen aber lernen, mit Konflikten und Problemen umzugehen. Web-2.0-Tools machen diese kollaborativen Arbeitsprozesse sichtbar, da sie schriftlich oder wie auch immer festgehalten sind. Damit werden sie der Reflexion zugänglich gemacht, und die Teamarbeit selbst wird zum Lerngegenstand. Prozessorientierung, Kompetenzorientierung, wie auch immer man diese Art des Lernens bezeichnen möchte: Web 2.0 bietet eine Plattform, diese umzusetzen.

Selbstverständlich wird man weiterhin auch vorgefertige Inhalte in „traditionellen E-Learning-Angeboten“ weiterhin benötigen – nur Wissen im Team konstruieren zu lassen ist Quatsch. Schließlich ist es nur sinnvoll und effizient, wenn das bisherige Wissen der Menschheit nicht immer wieder selbst konstruiert werden muss, sondern wenn Menschen auch auf fertige Wissensbausteine zurückgreifen können. Was wir benötigen, ist eine Verschränkung von instruktionalen und kollaborativen Anteilen in der universitären Lehre.

Statement 2: Im Web 2.0 überzeugt Authentizität, nicht Autorität

Twitter ist „anarchisch“, „bottom up“ – jeder darf gerne ähnliche, weitere Adjektive dazuerfinden. Menschen sind hier nicht hierarchisch „verortet“, sondern in komplexe Netze eingebunden. Es ist eine gänzlich andere Struktur, als sie an Universitäten bislang vorherrschte: Hier gibt es Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter, Tutoren und Studierende. Hat ein Student eine Frage, geht er erst mal zum Tutor. Man belästigt ja nicht den wissenschaftlichen Mitarbeiter mit trivialen Fragen. Kann der Tutor die Frage nicht beantworten, geht man zum wissenschaftlichen Mitarbeiter. Man belästigt ja nicht den Professor mit trivialen Fragen. Erst wenn der nicht weiter weiß, geht man zum Professor – und hat in dessen Sprechstunde das Gefühl, in zu belästigen, weil er einem das Gefühl gibt, eigentlich besseres zu tun zu haben. Naja, ok – das Bild ist irgendwie überzogen, aber jeder, der mal studiert hat, kennt solche Situationen in der ein oder anderen Form. Das Lernen an der Universität ist bislang durchzogen von hierarchischen Beziehungen und der damit einhergehenden „Autorität durch Position“. Und dies wird von Professoren auch hin und wieder als „Schutz“ verwendet. Denn Studierende dürfen sich nich erdreisten, einen Professor zu kritisieren! Immerhin: Er ist der Professor! Was er sagt, ist Gesetz!

Derartige Hierarchien werden durch Bottom-Up-Strukturen unterlaufen. Man nehme das Bild von twitternden Studierenden in der Vorlesung: Der Professor beschallt von vorne, und Studierende „verbünden“ sich zeitgleich „im Untergrund“. Erlebt habe ich das in ähnlicher Form auf der Delfi-Tagung: Hier hat am Ende der Ausrichter der Tagung gesagt, dass das Web 2.0 stärker in Tagungen eingebunden werden sollte – und wir haben die ganze Zeit über schon getwittert und eine parallele Netzstruktur außerhalb der „offensichtlichen Struktur“ geschaffen. Solche Bottom-Up-Kräfte machen Personen, die in der hierarchischen Struktur leben, Angst. Denn die Position hilft auch dabei, einen gewissen „Schein“ aufzubauen, eine „Schutzfassade“. Studenten sind wüste Revolutionäre – also sollten sie besser klein und stumm gehalten werden. Diese Haltung wird in Zukunft keinen Bestand mehr haben.

Es gibt nur eine Lösung: Alle Personen im universitären Lehrbetrieb – insbesondere auch Professoren – müssen aus der autoritären Position heraus in das Netz eintauchen und – authentisch sein. Auch Professoren machen Fehler. Prima! Perfekt! Gibt es etwas, was Studierende noch mehr darin bestärken kann, mit eigenen Fehlern konstruktiv umzugehen, als Professoren, die das in aller Öffentlichkeit tun? Sollten Professoren nicht gerade folgende Position beziehen: „Ok, ich habe in meiner letzten Vorlesung einen wirklich großen Fehler gemacht. Studentin XYZ hat diesen Fehler entdeckt und korrigiert. Super! Schaut her: So geht man mit Fehlern in der Wissenschaft um! Niemand ist als Einzelgänger perfekt, und wenn man in der Gruppe denkt, dann gibt es immer jemanden, der Fehler bemerkt.“ Darüber hinaus sinkt die „Unnahbarkeit“ von Professoren, wenn sie in Twitter, Facebook oder irgendwelchen anderen sozialen Netzwerken kontaktierbar sind. Sie werden so zu Denkpartnern innerhalb des Netzes und verstehen sich auch als „permanent Lernende“.

Ähnlich wie bei Statement 1 bedeuten diese Überlegungen nicht, dass wir das eine aufgeben und das andere machen sollten. Auch hier gilt: Selbstverständlich haben Professoren immer noch ausgezeichnete „Expertenknoten“ im Netz, und auch eine gewisse Autorität muss bestehen bleiben (schließlich prüfen sie ja noch). Hier gilt es, ein „gesundes Mittelmaß“ zu finden: Bestehende Strukturen dürfen nicht beseitigt, sondern müssen aufgebrochen werden. Das ist ein Unterschied.

Statement 3: Neuronenverhalten führt zu einer veränderten Wissenschaftspraxis

Wer als Wissenschaftler das Web 2.0 ernst nimmt, der nutzt es als Plattform für die gemeinsame Konstruktion wissenschaftlichen Wissens. Er verlässt den Elfenbeinturm und vernetzt sich öffentlich mit Wissenschaftlern und Nichtwissenschaftlern, die sich ebenfalls in seinem Inhaltsgebiet tummeln und so zu wertvollen Denkpartnern werden können. Er hält Ideen nicht zurück, sondern diskutiert sie öffentlich. Dies beschleunigt das Vorankommen der Wissenschaft, da Ideen, die „praxisfern“ oder „irrelevant“ sind, schnell identifiziert und aufgegeben werden können. Jean-Pol meinte mal: „Menschen aus der Praxis sind diejenigen, die die Relevanzfrage besonders gut stellen können.“ In der Bildungsforschung wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass diese Frage zu Beginn des ein oder anderen Forschungsprojekts gestellt worden wäre.

Durch solche „kurzfristigen (Mini-)Projekte“ von Wissenschaftlern und Nichtwissenschaftlern ändert sich die Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft: Wissenschaftskommunikation findet nicht „unidirektional“ statt (wissenschaftliches Wissen wird für die Allgemeinheit aufbereitet), sondern bidirektional bzw. vernetzt: Information fließt in verstärktem Maße auch von der „Gesellschaft“ in die Wissenschaft hinein, Wissenschaftler lernen von Nichtwissenschaftlern. Damit werden letztere auch zu Wissenschaftlern – schließlich sind sie am Prozess der wissenschaftlichen Wissensproduktion beteiligt. Dies wirft die Frage auf: Was ist ein Wissenschaftler?

Auch hier wieder: Selbstverständlich wird durch diese Art des gemeinsamen Austauschs nicht jeder zum „Wissenschaftler“ im „herkömmlichen“ Sinn. Aber: Das Web 2.0 hilft dabei, verschiedene gesellschaftliche Bereiche stärker miteinander zu vernetzen und Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen. Jeder hat dadurch die Möglichkeit, in den Bereich des jeweils anderen „hineinzuwirken“. Dies ist vergleichbar mit der Vernetzung verschiedener „Hirnareale“: Unterschiedlich spezialisierte Neuronen werden „zusammengeschaltet“ und können Informationen austauschen und sich gegenseitig „korrigieren“.

So, jetzt genug geschwafelt – was ist eure Meinung?