Flipped Classroom: Frequently Asked Questions

Veröffentlicht: Mittwoch, Juni 3, 2015 in Uncategorized

Einige Fragen werden mir öfters zum Flipped Classroom gestellt:

  • Wie sieht es mit Wirksamkeitsstudien aus?
  • Wie geht man mit großen Gruppen in der Präsenzveranstaltung um?
  • Und was macht man, wenn sich keiner auf die Präsenzsitzung vorbereitet hat?

Ähnliche Fragen haben auch die Teilnehmer_innen eines Kurses von Axel Blessing (PH Schwäbisch Gmünd) gestellt. Daher haben wir uns gestern, als wir so gemütlich beisammen saßen und nix anderes zu tun hatten :-), dazu entschlossen, ein paar Antworten aufzuzeichnen:

Gerne darf hier natürlich wieder diskutiert werden!

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Machen soziale Medien das Lernen sozialer?

Veröffentlicht: Mittwoch, April 29, 2015 in Hochschuldidaktik, Teaching, Web 2.0
Schlagwörter:

Am Mittwoch, 6. Mai 2015, darf ich um 14 Uhr in der virtuellen Ringvorlesung von e-teaching.org eine Sitzung gestalten zum Thema Machen soziale Medien das Lernen sozialer? Es ist immer wieder eine Herausforderung, wenn man den Titel eines Vortrags als Frage formuliert, zu der man selbst noch keine umfassende Antwort entwickelt hat. 🙂 Insofern ist die Planung eines solchen Beitrags sehr spannend auch für den Vortragenden selbst. 🙂

Vetreter_innen (oder sollte man vielleicht sagen: Missionar_innen) für social media werden diese Frage vermutlich mit einem deutlichen „ja, natürlich“ beantworten, und haben jede Menge Antworten parat, die in der Form „Mit social media ist es möglich…“, „Mit social media kann man…“ oder so ähnlich formuliert sind. Es wird viel über Möglichkeiten philosophiert, und in der Anfangszeit des Web 2.0 bin ich auch diesem Möglichkeitsdenken aufgesessen. Heute sehe ich es wesentlich nüchterner.

Ich habe jetzt ein paar erste Aspekte, Ideen und Fragen zusammengetragen und würde eure Position dazu gerne „anzapfen“. Wie denkt ihr darüber? Zunächst aber meine paar Cents:

  1. Wenn ich an „soziales Lernen“ denke, dann kommt mir zuerst das Lernen in einer Lerngruppe in den Sinn. In meinem eigenen Studium bin ich beispielsweise tage- und nächtelang mit meiner Lerngruppe im Institut für Informatik rumgehangen. Wir haben damals über informatischen Problemen gegrübelt, uns dazu Essen beim Fastfood-Chinesen von nebenan geholt, literweise Kaffee, Kakao und Champignoncremesuppe (!) aus dem Automaten gezogen und zwischendurch Tetris im Pool gezockt. Die meiste Zeit haben wir dabei natürlich zusammen gelernt und uns gegenseitig geholfen. Hätten soziale Medien diese Form des Lernens sozialer gemacht? Nein.
  2. Stören social media vielleicht nicht sogar das gemeinsame Lernen,als dass sie es befördern? Ich beobachte immer wieder, dass sich  Studierende in ihren Lerngruppen immer wieder von Facebook- und Whatsapp-Messages ablenken lassen. Gruppenlernen wird gestört, wenn einzelne Gruppenmitglieder ihre Aufmerksamkeit zeitweise vom Lernen auf andere Inhalte lenken. In diesem Moment sind Online-Kontakte zumindest für den Moment wichtiger und attraktiver als die soziale Gruppe „Lerngruppe“. Auch beim Lernen alleine lenken social media natürlich immer wieder sehr leicht ab. Machen social media in diesem Fall also das Lernen sozialer?
  3. Aber Facebook kann doch auch zum Lernen eingesetzt werden! Klar, die „Möglichkeit“ besteht. In den studentischen Facebookgruppen, in denen ich Mitglied bin, findet so etwas eher nicht statt. Es wird sich über die Studienorganisation ausgetauscht („Wo hängen die Prüfungslisten aus? Wo kann ich mir den Institutsstempel holen?“), aber gemeinsames Lernen? Gut, vielleicht bin ich in den falschen Gruppen, das kann natürlich sein. Daher verfolgt auch Elisa Köhl genau diese Frage aktuell in ihrer Masterarbeit und schaut da genauer hin.
  4. Aber Foren in Learning Management Systemen und sonstigen Lernplattformen können doch zum gemeinsamen Austausch genutzt werden! Jep, können. Es ist ein ausgesprochen bekanntes Phänomen, das viele Dozent_innen beobachten: Es wird nicht. (Hat jemand gute Literaturhinweise zu dem Phänomen, dass Foren nicht intensiv genutzt werden?) In unserem Mathe-MOOC gibt es zu jedem Video und zu jeder Aufgabe einen eigenen Diskussionsbereich, und die Teilnehmer_innen werden immer wieder aufgefordert, dort ihre Ideen einzustellen und mit anderen gemeinsam weiterzuentwickeln. Im ersten Durchgang haben ca. 6400 Personen am MOOC teilgenommen, 338 haben Beiträge oder Kommentare eingestellt. Das sind 5%. Die 10 Nutzer_innen, die die meisten Beiträge eingestellt haben,  haben 32% aller Beiträge verfasst. Die TOP 10 Nutzer_innen, welche die meisten Kommentare verfasst haben, haben 59% der Kommentare geschrieben – darunter die beiden Dozenten und eine Tutorin. Das heißt: Nur sehr wenige beteiligen sich wirklich aktiv, und von diesen wenigen gibt es absolute Powernutzer, welche die Diskussion dominieren. Man könnte vermuten, dass zumindest diese „sozial lernen“. Tatsache ist allerdings, dass die meisten Beiträge der Teilnehmer_innen im Diskussionsbereich nebeneinander stehen. Jede_r lädt seine eigenen Lösungsideen hoch, es wird kaum auf die anderen Lösungsideen eingegangen. So findet die Diskussion meist zwischen Teilnehmer_in und Tutor_in statt, selten aber zwischen Teilnehmer_innen. Christian F. Freisleben-Teutscher versucht gerade, dies durch Impro-Methoden aufzubrechen (also zum Beispiel durch Methoden, bei denen jeder auf den Beitrag des vorgehenden eingehen muss).
  5. Wesentlicher als das Medium scheint die Methode zu sein. Kein soziales Medium macht per se Lernen sozialer, sondern: Methoden fördern oder behindern das gemeinsame Lernen, das Medium kann dabei unterstützen bzw. den entsprechend notwendigen Raum bieten. Bekannt ist dies von der Sozialform „Gruppenarbeit“ aus der Schule. Wenn man Gruppenarbeiten naiv verteilt („Macht mal in der Gruppe“), dann arbeitet einer und alle anderen gucken zu. Wenn man hingegen beispielsweise Rollen verteilt („Du protokollierst“, „Du bist der Zeitwächter“, „Du moderierst die Diskussion“) oder wenn man Wissen unsymmetrisch verteilt wie beispielsweise beim Gruppenpuzzle, dann wird gemeinsames Arbeiten notwendig und ertragreich. Die Methode macht’s.
  6. Bei Methoden wie dem Flipped Classroom helfen Medien durchaus, das Lernen sozialer zu machen, aber auch eine ganz andere Art und Weise: Dadurch, dass beispielsweise Vorlesungen per Video zu Hause durchgearbeitet werden können, wird in der Präsenzzeit an der Hochschule der Raum geschaffen für gemeinsame Interaktion und Diskussion. Hier helfen Medien also dabei, mehr soziales Lernen in der Präsenzzeit zu ermöglichen. Allerdings sind Videos nicht unbedingt soziale Medien (okay, Youtube könnte man vielleicht als solches bezeichnen).
  7. Ist sozialer eigentlich besser? Ist Lernen nicht oftmals auch ein individueller Prozess? Muss man nicht Aufgaben auch erst mal alleine durchdenken, bevor man sich mit anderen austauscht? Gibt es nicht gerade auch eine starke Tendenz, Lernprozesse individueller zu gestalten, Lernwege für jeden einzelnen zu adaptieren, individuell zu fördern?
  8. Individuelles Lernen allerdings kann auch übertrieben werden. Individualisierung des Lernens klingt auch fast schon wie Vereinsamung. Ich beobachte das des öfteren bei Methoden wie Lernpfaden, Lernlandschaften oder Lernbüros, in denen Schülerinnen und Schüler im selben Raum sitzen, aber jeder seine eigenen Aufgaben bearbeitet. Jeder protokolliert dabei, welche „Kompetenzen“ er bereits „erworben“ hat, welche die nächsten „zu erwerbenden“ sind, und jeder befasst sich mit Aufgaben, die gerade für ihn die nächste passende ist. Im übertriebenen Maße entartet das zur individualisierten Kompetenzbürokratie. Würde man nun versuchen, durch soziale Medien diese Lernformen sozialer zu machen? Quatsch. Man sollte versuchen, durch Methoden die Schülerinnen und Schüler zum gemeinsamen Lernen aufzufordern, beispielsweise durch Aufgaben in Lernbüros, die kooperativ gelöst werden sollen, oder durch Routinen, bei denen Schüler_innen andere bei Schwierigkeiten um Hilfe bitten (und nicht die Lehrerin oder den Lehrer).

Ich habe jetzt vermutlich recht einseitig Aspekte angeführt, die dagegen sprechen, dass soziale Medien das Lernen sozialer machen. Natürlich gibt es zahlreiche Lehr-/Lernsituationen, in denen der Einsatz von social media sinnvoll ist. Vermutlich aber nicht, um das Lernen sozialer zu machen, sondern um die Durchführung von Methoden zu ermöglichen, die gemeinsames Lernen befördern sollen. Aus meiner Sicht steht die Methode im Mittelpunkt, nicht das Medium. Und eigentlich noch vor der Methode: die Didaktik. Als Lehrer_in oder als Dozent_in überlege ich mir vorab, welche Lernziele erreicht werden sollen und auf welchem Wege (Lernprozess) dies voraussichtlich am besten passiert (vgl. Oser und die Choreographie des Unterrichts). Dann überlegt man sich, in welchen Phasen des Lernprozesses individuelles Lernen und in welchen Phasen kollaboratives Lernen sinnvoll ist. Danach wählt man Methoden und Medien aus. Machen jetzt soziale Medien das Lernen sozialer? Ich würde sagen: Es ist die Unterrichtskonzeption, nicht das Medium.

So, jetzt zu euch: Wie ist eure Position? Habt ihr Situationen kennen gelernt, in denen soziale Medien das Lernen sozialer gemacht haben? (Und bitte keine „Möglichkeiten“, sondern reale Beispiele! ;-)) Was denkt ihr über die Punkte oben? Habt ihr Ergänzungen? Her damit! 🙂

[UPDATE:] Der Vortrag ist jetzt vorbei, die Aufzeichnung ist online, außerdem die Folien und eine Linksammlung

Mobil präsentieren im Hörsaal

Veröffentlicht: Donnerstag, Januar 15, 2015 in Uncategorized

Angeregt von ein paar Sessions auf dem EduCamp, von einem Vortrag von Beat Döbeli Honegger in Heidelberg und von Methoden von Michael Gieding habe ich jetzt erste Versuche mit „mobilem Präsentieren“ im Hörsaal gemacht. Die Idee dabei: Ich möchte mit meinem Tablet von jeder Position im Hörsaal aus präsentieren können. Mit Folienpräsentationen funktioniert das sowieso gut, wenn man einen Presenter hat, oder wenn man das iPad mit dem iPhone koppelt. Wenn man aber beispielsweise Tools wie GeoGebra verwenden möchte, dann ist man an das Stehpult gefesselt, weil das Tablet per Adapter am Beamerkabel hängt. Da ich gerne die Position im Raum wechsle, ist es für mich immer mit einem unguten Gefühl verbunden, am Platz stehen bleiben zu müssen. Ich habe gerne räumlichen Kontakt zu den Studenten und befinde mich beispielsweise lieber an der Seite des Raums als vorne am Pult, wenn ich etwas erzähle.

Jetzt hab ich erstmals eine technische Lösung zum mobilen Präsentieren ausprobiert. Ich habe verwendet:

Das Prinzip: Den AppleTV schließe ich an den Beamer an. Mit dem mobilen Router, den man einfach in eine Steckdose steckt, baue ich mir ein eigenes WLAN auf. In dieses WLAN binde ich den AppleTV und mein iPad ein. Das ist super easy, denn wenn man die Konfiguration nicht ändert, muss man einfach alles nur einschalten bzw. einstöpseln, und die Verbindung steht. Jetzt kann ich das Display meines iPads über das WLAN mit dem AppleTV synchronisieren, und das Bild des iPads ist auf dem Beamer zu sehen. Einfacher geht’s nicht.

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Erste Erfahrungen:

  • Ich fühle mich sehr wohl, mobil im Hörsaal unterwegs zu sein und von jedem Punkt aus etwas vorführen zu können. So lassen sich leichter Unterrichtsgespräche mit den Studierenden führen. Ich kann das iPad beispielsweise auch mal einer Studentin oder einem Studenten in die Hand drücken und sie bzw. ihn bitten, etwas den anderen zu zeigen.
  • Mit Explain Everything und dem Mikro im iPhone-Kopfhörer dabei gleichzeitig aufzuzeichnen war für mich ein gehöriger cognitive overload. Hat nicht richtig funktioniert, weil’s zu viel auf einmal war. Mein iPad-Stift ist auch noch nicht ideal. Hier gilt vermutlich: Übung macht den Meister.
  • Super geeignet ist die Lösung zur Präsentation studentischer Arbeitsergebnisse (Danke an Micha für diesen Tipp!). Beispiel: Studierende arbeiten an einer Aufgabe. Man läuft herum, fotografiert die Ergebnisse mit dem iPad, und anschließend zeigt man sie über die oben beschriebene Verbindung auf dem Beamer. Dann kann man verschiedene Lösungen präsentieren und mit Studierenden diskutieren. Hierbei sollte man aber die Bildschirmsychronisation zeitweise ausschalten, weil man den Fotografierprozess nicht allen präsentieren möchte, und weil man bei der Auswahl eines Fotos aus der Fotobibliothek gegebenenfalls auch nicht seine Urlaubsfotos allen Studierenden zeigen möchte. Ein eigener Ordner für Hörsaalfotos ist empfehlenswert. Darüber hinaus ist es gut, wenn man den Studierenden Arbeitsblätter oder vorstrukturierte Seiten zum Ausfüllen ausgegeben hat, weil dann alle Fotos eine gewisse Ähnlichkeit in der Struktur haben (im Vergleich zu beliebig aufgeschriebenen Lösungen in einem Block). Das erleichtert die Diskussion und ist eine „Papier-Variante“ des Classroom Presenters.

Für die Schule ist solch eine technische Lösung natürlich super, insbesondere wenn man kein gutes WLAN zur Verfügung hat. Mit dem mobilen WLAN-Router baut man sich einfach schnell ein eigenes auf und kann mobil im Klassenzimmer präsentieren oder Schülerlösungen fotografieren und im Unterrichtsgespräch diskutieren. Und wenn man einen Klassensatz iPads hat, dann können Schülerinnen und Schüler von ihrem Platz aus die Arbeitsergebnisse auf ihrem eigenen iPad einfach selbst vorne auf dem Beamer präsentieren. Solche Lösungen erscheinen mir massentauglich zu sein.

Vorteil der oben beschriebenen Lösung: Sie funktioniert einwandfrei und tadellos mit Apple-Produkten. Nachteil: Sie funktionert nur mit Apple-Produkten. Die gute Nachricht: Es gibt auch Alternativen für Android und Windows, nämlich ChromeCast und Miracast. Wir würden das gerne auch mal mit Android- und insbesondere auch Windows-Geräten ausprobieren (Wir haben Sony Vaio Duo 11 Laptops). Ich habe mal recherchiert, aber die Miracast-Ecke ist wesentlich unübersichtlicher als die Apple-Ecke. Hat jemand von euch Erfahrungen mit einer funktionierenden technischen Konfiguration für Windows-Geräte gemacht und kann uns einen Tipp geben, welches Miracast-Gerät man nehmen kann?

 

10 Irrtümer zum Einsatz digitaler Medien in der Schule

Veröffentlicht: Montag, Dezember 15, 2014 in Uncategorized

Für einen Zeitschriftenbeitrag zum Thema „10 Irrtümer zum Einsatz digitaler Medien in der Schule“ möchte ich gerne einen Diskussionsraum schaffen. Daher stelle ich hier nochmal meinen Vortrag ein (in der Videobearbeitung von Oliver Tacke). Diskutiert werden darf unten in den Kommentaren.

Zurzeit gebe ich an der PH Heidelberg ein Seminar zum Thema „Aktionsforschung und Design-Based Research“. In dem Seminar ist der Wunsch aufgekommen, einmal ein ausführliches Beispiel zu sehen. Daher habe ich meinen Vortrag im Rahmen des Qualitätstags der PH Heidelberg am 25. November 2014 genutzt, um mal ausführlich darzustellen, wie ich Aktionsforschung im Rahmen meiner Mathematikvorlesungen in den letzten Jahren durchgeführt habe. Hier ist die Aufzeichnung:

Ängste von Erstsemestern: muss ich sensibler werden?

Veröffentlicht: Freitag, November 21, 2014 in Uncategorized

Fazit: Im Mathe-MOOC, den wir auch in unseren eigenen Vorlesungen einsetzen, verfolgen wir ein Konzept, in dem wir weniger „fertige Mathematik“ präsentieren, sondern in dem Studierende sich selbstständig anhand von Aufgaben und Impulsen mathematische Konzepte erarbeiten (basierend vor allem auf den didaktischen Herangehensweisen von Michael Gieding und auch auf der Diskussion mit Peter Baireuther). Das bedeutet: Oftmals gibt es zu Aufgaben keine „Musterlösung“, und es wäre kontraproduktiv, solche bereit zu stellen. Die Mail einer Studentin von heute hat mich aber zum Grübeln gebracht: Ich glaube, ich verstehe tatsächlich zu wenig von Ängsten und Nöten von Erstsemester-Studierenden. Vermutlich bin ich manchmal schon „zu weit weg“. Ich muss versuchen, mich mehr in die Studierenden hineinzudenken, und ich muss mich intensiver erinnern, wie es bei mir damals war. Das Konzept der Veranstaltung (MOOC + Flipped Classroom + teilweises selbstentdeckendes Lernen) verlangt wesentlich mehr Sensibilität für die Probleme mancher Studierender von mir.

Mit Erlaubnis der Studentin drucke ich hier den Mailwechsel ab:

Sehr geehrter Herr Spannagel,

Ich sitze normalerweise in Ihrer Vorlesung „mathematische Grundlagen 1“ und bin am verzweifeln. Ich habe Mathe immer gemocht und meine Lehrer haben mich immer für meine schnelle Auffassungsgabe gelobt. Ich habe auch gerne geknobelt und lange an Aufgaben gesessen und rumprobiert – aber momentan bin ich wirklich am Ende meiner Kräfte. Diese ganze „ich vergesse Mathe“ und wende es dann trotzdem an, finde ich einfach nicht logisch. Ich bin kurz davor alles hinzuschmeißen und habe auch soeben versucht sie telefonisch zu erreichen. Ich brauche einfach in gewissen Dingen klare Anweisungen.

Ich habe ehrlich sehr große Probleme mit dieser Arbeitsweise und leider sind mir auch meine Kommilitonen keine große Hilfe. Mir persönlich würden Lösungen der Aufgaben sehr weiterhelfen – und zwar nicht welche die irgendwer ins Internet postet und unter die drei Tage später mal jemand anders was schreibt, sonder ein Erwartungshorizont Ihrerseits. Ich würde Sie wirklich von ganzem Herzen bitten, uns eine Lösung der von Ihnen gegebenen Aufgaben der letzten und dieser Woche zu geben. Denn etwas derartiges findet man im Internet kaum und ich weiß wirklich nicht, was Sie eigentlich von mir hören wollen. Ich bin nicht unbedingt der belastbarste Mensch, das weiß ich auch, aber ich bemühe mich, die mir gestellten Aufgaben zu lösen. Und nun sitze ich hier und weiß einfach überhaupt nicht, was ich zu den Aufgaben schreiben soll. Denn im Kopf ist das alles klar und ich kann nicht alles vergessen, was ich weiß. Aber ich könnte vielleicht lernen, nachzuvollziehen, was man an bestimmten Stellen noch nicht weiß, wenn ich eine Lösung zum nachvollziehen hätte. Und diese dann, wenn ich auch Zeit und Raum habe, mich damit zu beschäftigen. Oder wenigstens rauszufinden ob sie stimmt – ob mit Taschenrechner oder durch Vergleiche. Aber diese Unwissenheit ob ich völlig auf dem Holzweg bin oder nicht ist echt schwer auszuhalten.

Ich bin immer noch völlig durch den Wind, weil mich das ehrlich ziemlich mitnimmt. Wahrscheinlich würde ich, wenn ich noch länger nachdenken würde, diese Email gar nicht abschicken. Aber ich weiß auch, dass ich mit dieser Art Aufgaben ohne Erwartungshorizont oder äquivalente Beispielaufgabe nicht auf Dauer klar komme und bitte Sie deshalb ganz herzlich, mein Anliegen zu berücksichtigen und auch darauf einzugehen.

Und hier meine Antwort:

Liebe XY,

vielen Dank für deine Offenheit. Ich kann mir vorstellen, dass manche Aufgaben, die ich stelle, dich verunsichern (z.B. die smarten Quadrate, manche Aufgaben zum „Wundern, Staunen und beweisen“ usw.), weil es keine richtige Lösung gibt, mit der man vergleichen kann.

Ich finde es schade, dass der Schulunterricht dir (und vielen anderen) den Eindruck vermittelt hat, in der Mathematik gibt es immer eine richtige Lösung, gegen die man eigene Ideen vergleichen kann. Es gibt so viele interessante Knobelsituationen, in denen es einfach kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Ich möchte gerade nicht den „Fehler“ fortsetzen, „Musterlösungen“ für alle Aufgaben auszugeben, gegen die man dann seine Lösung vergleicht. Für manche mache ich das – nämlich für diejenigen, bei denen das geht und sinnvoll ist (siehe die Videos, die ich jetzt in der aktuellen Unit online gestellt habe).

„Frische“ Lehrerinnen und Lehrer wiederholen oft den Unterricht so, wie sie ihn selbst erfahren haben, und das ist nicht immer gut. Ich würde euch gerne zum Umdenken bzgl. Mathematiklernen bringen, und Umdenken hat manchmal auch erst mal mit etwas Verunsicherung zu tun – Verunsicherung, weil man mit Dingen konfrontiert wird, mit denen man bislang so nicht in Berührung gekommen ist. In der Psychologie spricht man dabei auch von „kognitiven Konflikten“, die zu einem neuen Verständnis führen, wenn sich durchlebt und aufgelöst worden sind. Das fühlt sich manchmal unwohl an, und in deinem Fall hat es vielleicht auch in eine Krise geführt. Das tut mir leid, so „heftig“ möchte ich euch natürlich nicht verunsichern, sondern „nur ein bisschen“ – mit einer positiven Intention. Vielleicht kannst du dabei auch deine persönliche „Entwicklungsaufgabe“ sehen, gelassener in solchen Situationen zu werden. Ein Stück Gelassenheit ist wichtig, nicht nur in der Mathematik, sondern auch im Lehrberuf, ansonsten besteht die Gefahr, dass du dich selbst zu sehr unter Druck setzt, obwohl es die Situation gar nicht so sehr erfordert.

Ich werde immer wieder Beispielklausuraufgaben einstellen, Beispiellösungen geben, und deutlich machen, an welchen Stellen Aufgaben wirklich „nur zum Entdecken“ sind und „nicht zum Prüfen“. Ich bin mir sicher, du wirst am Ende wissen, wie du dich auf die Klausur vorbereiten musst. Wichtig ist, jetzt nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen, dich durchzubeißen, manchmal vielleicht irritiert zu sein, aber letztenendes klarer zu sehen. Das klappt jetzt vielleicht noch nicht so gut, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du dort hin kommst.

Auf diese Mail hat die Studentin positiv reagiert und sich für die Erklärung bedankt. Bei mir bleibt jetzt trotzdem ein Unbehagen: Der MOOC soll Spaß an Mathematik vermitteln und nicht einschüchtern. Wie aber kann man solche Krisen bei Studierenden vermeiden, ohne dabei das Konzept aufgeben zu müssen? Wie kann man das didaktische Design des MOOC vertreten, ohne Prüfungsängste zu schüren? Wie kann man Spaß an diesem Konzept vermitteln und trotzdem die Prüfungssituation ernst nehmen? Wie kann man die Ängste bereits von Anfang an sensibel aufgreifen und abfedern? Wie schafft man das bei 150 verschiedenen Menschen im Hörsaal?

Freie Bildungsmedien (OER)

Veröffentlicht: Samstag, November 8, 2014 in Uncategorized

Neulich habe ich am Medienkompetenztag in Pforzheim einen Vortrag gehalten zum Thema Freie Bildungsmedien (OER) für den eigenen Unterricht entdecken, erstellen und teilen. Die Zuhörer waren Lehramtsanwärter_innen, also Personen, die jetzt in erheblichem Maße Arbeitsblätter usw. erstellen. Eine prima Situation also, alles gleich von Anfang an richtig zu machen. 🙂

Jean-Pol Martins Ruhmräume

Veröffentlicht: Mittwoch, April 16, 2014 in LdLChronologie
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Beim Educamp 2014 in Frankfurt habe ich mich besonders gefreut, Jean-Pol Martin wieder zu treffen – so lange haben wir uns nicht gesehen! Und wie hätte es anders sein sollen: Jean-Pol hat wieder einen schönen Begriff mitgebracht: „Ruhmraum“. Durch das Erschaffen von Ruhmräumen schafft man sich Informationsinput, um sein Informationsverarbeitungsbedürfnis zu bedienen und um die Wahrscheinlichkeit für Flow zu erhöhen. (Wir haben schon mal in diesem Blogbeitrag dazu diskutiert.)

Zwei Interviews und eine Session-Aufzeichnung gibt es, dank lutzland:

Workshop-Party

Veröffentlicht: Montag, Februar 17, 2014 in Hochschuldidaktik, Methods

Vor einiger Zeit hat mich Oliver Tacke mit einer Idee infiziert: den Einsatz eines Partyspiels, das „Party Dinner“ oder so so ähnlich heißt, und zwar nicht auf einer Party, sondern in einem Workshop. Beschrieben hat Oliver das in seinem Beitrag Aktives Zuhören in der Schillerstraße:

Vor einem Essen in geselliger Runde mit FreundInnen erhält jeder Anwesende geheime Aufträge, zum Beispiel “Klaue deinem Sitznachbarn eine Kartoffel vom Teller, ohne dass er es merkt” oder “Starte eine Diskussion zum Thema XY”. Das ist so ähnlich wie das Prinzip der Sendung Schillerstraße, bloß mit freier Zeiteinteilung. Nach dem Essen werden die Aufträge offen gelegt und es hat derjenige gewonnen, der die meisten absolviert hat.

Ich finde die Idee, das in einem Workshop mit den Teilnehmer_innen sozusagen begleitend zu spielen, total witzig. Heute hab ichs bei meinem Flipped-Classroom-Workshop in der Multimedia-Werkstatt der Universität Frankfurt ausprobiert, und das lief folgendermaßen ab:

  • Ich habe den Teilnehmer_innen anfangs erklärt, dass wir im Rahmen des Workshops auch ein kleines Experiment machen, und ich habe das Spiel „Party Dinner“ so wie Oliver beschrieben.
  • Dann habe ich erläutert, dass es zwei Gruppen geben wird: Die rote und die blaue Gruppe. Jeder erhält einen roten oder blauen Geheimauftrag, den er im Rahmen des zweistündigen Workshops erledigen muss, ohne dass es jemand bemerkt. Jeder, dem dies gelingt, verschafft seiner Gruppe einen Punkt. Die Gruppe mit den meisten Punkten hat gewonnen.
  • Funny war: Ich habe die Aufträge vor Workshop-Beginn unter die Stühle mit Tesa geklebt. Ich konnte also sagen: „Um ihren Geheimauftrag zu erhalten, greifen Sie bitte mal vor sich unter den Stuhl… :-)“

Die Geheimaufträge waren dabei beispielsweise die folgenden (eine Gesamtliste gibt es auch):

  1. Wirf in einer Plenumsrunde den Begriff “Vorlesungsobertrottel” ein, ohne dass es auffällig wirkt.
  2. Jemand zweites aus deinem Team hat dieselbe Karte wie du. Findet euch durch Augenzwinkern.
  3. Erkläre einem anderen Teilnehmer, dass du die Kleidung von Christian Spannagel total unangemessen findest, und versuche ihn auf deine Seite zu ziehen.
  4. Versuche, den Text “Flipped Classroom ist cool!” auf dem Präsentationsrechner erscheinen zu lassen.
  5. Bringe in einer Plenumsrunde das Sprichwort “Der dümmste Bauer erntet die größten Kartoffeln” ein, ohne dass es auffällig wirkt.
  6. Überzeuge einen anderen Workshop-Teilnehmer davon, dass der Flipped Classroom gerade in seiner Disziplin besonders gut passt.
  7. Überzeuge einen anderen Workshop-Teilnehmer davon, dich einmal in einer deiner Lehrveranstaltungen zu besuchen.
  8. Sammle mindestens drei Visitenkarten von anderen Workshop-Teilnehmern ein.
  9. usw.

Dabei kann man drei Kategorien von Aufträgen unterscheiden: Diejenige, die einfach nur witzig sind (1-5). Diejenigen, die inhaltlich-sinnvoll sind (6). Diejenigen, die der sozialen Vernetzung dienen (7-8).

An dem Workshop haben ca. 20 Personen teilgenommen. Am Ende hatten acht davon ihren Auftrag erfüllt, vier rote und vier blaue – ein schönes Unentschieden! Eine kurze Feedback-Runde dazu hat ergeben, dass die Teilnehmer_innen es witzig fanden, dass das Spiel nicht gestört hat (bzw. nur eine Person war abgelenkt, als sie versucht hat, einen Text auf den Präsentationsrechner zu bekommen), und dass dies eine zusätzliche Spannung in den Workshop gebracht hat. Witzig war: Mir selbst ist nur eine der acht Auftragserfüllungen aufgefallen, obwohl einige Sprichwörter in der Plenumsrunde genannt wurden, die ich ja selbst eingefordert hatte. Strange!

Fazit: Auf jeden Fall wiederholenswert und ausbaufähig!

Fallen euch noch weitere witzige, inhaltlich-sinnvolle und/oder sozial-vernetzende Aufträge für das Spiel ein?

Regenbogen-Schulbücher!

Veröffentlicht: Freitag, Februar 14, 2014 in Beziehung

Zurzeit gibt es eine hitzige Diskussion um die Bildungsplan-Entwürfe des Landes Baden-Württemberg. Ihr kennt bestimmt die Petition und die Gegenpetition. Vorab: Ich habe die Gegenpetition unterzeichnet, weil ich es wichtig finde, dass dem Thema „Vielfalt sexueller Orientierungen“ mehr Raum in der Schule eingeräumt wird. Wenn eine Gesellschaft möchte, dass die Vielfalt der Liebesformen zur Normalität wird, dann ist die Schule eine wichtige Einflussgröße. Ich bin allerdings auch der Meinung, dass dem Thema „Sexuelle Vielfalt“ in dem Papier eine seltsam prominente Rolle eingeräumt wird – besser wäre es, wenn die Vielfalt bezüglich ganz vieler Aspekte in den Vordergrund gerückt wird (also auch Vielfalt bzgl. Kultur, Religion, Behinderung – Nichtbehinderung usw.). Nichtsdestotrotz weist der Bildungsplanentwurf aus meiner Sicht den richtigen Weg, und ich wundere mich über die Emotionalität und  die Heftigkeit, mit der gegen diese Ideen vorgegangen wird.

Ich will hier gar keine allgemeine Diskussion über den Entwurf und die Petitionen anregen (das wurde an vielen anderen Stellen schon ausreichend getan). Ich möchte mal eine Idee in den Raum werfen, die mir persönlich in der Diskussion zu kurz kommt. Aber bevor ich zu der Idee komme, will ich erst mal einen Versuch machen, die Vorstellungen darüber, wie sexuelle Vielfalt in den Unterricht aufgenommen werden soll, zu ordnen.

Eine sehr oberflächliche Vorstellung geht davon aus, dass es sich um eine neue Form des Sexualkundeunterrichts handelt. Dabei geht es bei der Diskussion um die Vielfalt sexueller Orientierungen gar nicht um Sex (die Begriffsverwendung ist missverständlich), sondern um die Vielfalt von Formen von Liebesbeziehungen:  die Liebe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen oder polyamoren Menschen usw. Es geht nicht um die sexuellen Praktiken von diesen Personengruppen. Wenn man die Vorstellung eines „modernen Sexualkundeunterrichts“ hat, dann fragt man sich natürlich, welche Bedeutung dieses Thema im Sinne eines Querschnittsthemas durch alle Fächer hindurch hat. Sexualkundeunterricht findet schließlich nicht in allen Fächern statt. Aber eben das ist ja auch nicht gemeint.

Vielmehr ist damit gemeint, dass Unterricht auf die Toleranz und Akzeptanz (ja, auch über diesen Unterschied wurde viel philosophiert) alternativer Formen sexueller Orientierungen im Sinne alternativer Liebesbeziehungen ausgerichtet sein muss, und natürlich spielt dies in vielen Fächern eine Rolle. In den Fächern Deutsch, Geographie, Ethik, Biologie, Kunst, … lassen sich sicherlich vielerlei Bezüge und Diskussionsanlässe herstellen.

Mir persönlich geht das alles aber nicht weit genug. Selbst wenn dieses Thema in mehreren Fächern diskutiert würde, so würde es trotzdem den Anstrich an „Anomalität“ haben: Wir müssen darüber sprechen, dass „auch diese Lebensweisen normal sind“, und deswegen sind sie es ja gerade nicht (sonst müssten wir nicht drüber sprechen). Jede explizite Diskussion im Sinne eines „Unterrichtsthemas“ birgt die Gefahr, dass eben diese alternativen Formen als nicht gleichwertig betrachtet werden. Schließlich bedürfen sie einer gesonderten Behandlung.

Ich stelle mir die Umsetzung dieses Themenbereichs durch alle Fächer hindurch ganz anders vor. Beispiel: In einem Schulbuch zum Fach Englisch kommt ab und an ein schwules Paar in den Geschichten vor. Einfach so, ohne Thematisierung von Homosexualität. Ganz normal. Es wird nicht problematisiert. Es wird nicht thematisiert. Es gibt einfach Jack und John als Paar. Fertig. Wenn die Kinder von sich aus nachfragen, was es mit Jack und John auf sich hat, dann wird es gemeinsam besprochen. Wenn nicht, dann nicht. Nur so kann doch das Thema im Geiste der Normalität behandelt werden.

Damit würde auch der Einspruch relativiert, man konfrontiere Kinder mit Themen, die sie noch gar nicht beschäftigen, ganz im Sinne „Kinder, wir müssen mal über Homosexualität sprechen.“ (Dies wurde beispielsweise bei Maischberger geäußert.) Sondern: Alternative Formen werden als Normalität abgebildet, und wenn Kinder dazu Fragen haben, dann bespricht man sie. So würde sich das für mich gut anfühlen.

Also, ich hätte gerne Deutschbücher, Englischbücher, Mathebücher, Ethikbücher, Physikbücher, Geographiebücher, … in denen heterosexuelle Paare, homosexuelle Paare, polyamore Beziehungen, Patchwork-Familien , …, Menschen unterschiedlicher Kulturen, behinderte und nicht behinderte Menschen, … einfach so auftauchen, in Geschichten und Kontexten, in denen es gerade nicht um diese Themen geht. Das wäre ein plausibles fächerübergreifendes  Vorgehen, das wäre die konsequente Umsetzung der Normalität der Vielfalt. Ich will Regenbogen-Schulbücher haben.

@Schulbuchverlage Könnt ihr das bitte so machen?

@all Wie denkt ihr darüber?