Resümee der ersten Maputo-Woche

Veröffentlicht: Freitag, Oktober 8, 2010 in Maputo

Ich habe das Gefühl, dass bereits ein Monat in Maputo vergangen ist. Dabei bin ich nicht mal sieben Tage hier. Das Leben hier hat einen ganz anderen, faszinierenden Rhythmus. Ich finde es zum Beispiel schön, dass hier niemand pünktlich ist. Typisch für Maputo ist, dass man sich z.B. um 10 Uhr verabredet. Um 10:30 Uhr kommt der Anruf, dass noch was dazwischen gekommen ist, wir verschieben das Ganze auf 11:30 Uhr. Um 11:45 kommt der Anruf, dass man „gerade unterwegs“ ist. 13:30 Uhr schließlich wird vereinbart, dass man sich um 15 Uhr trifft. Das Treffen selbst findet dann um 15.45 Uhr statt. 🙂 Viele Deutsche würden damit vermutlich nicht gut umgehen können. Ich genieße es. In Deutschland wird das Leben von der Uhr diktiert. Hier, wo niemand Wert auf  Pünktlichkeit legt, empfinde ich die Unpünktlichkeit als Freiheit. Man fühlt sich einfach entspannt. Witzig ist zum Beispiel auch, dass das Seminar „eigentlich“ um 16:00 Uhr beginnt. Um 16:30 Uhr, also dann, wenn 80% der Studierenden da sind, wird begonnen. Bei einer Feedbackrunde haben die Studierenden als positiven Aspekt geäußert, dass wir zeitig beginnen. Glaubt man das?

Die Arbeit mit den Rechnern funktioniert nun, nachdem wir an einem Tag Probleme hatten, mit Laptops ins Netz zu gehen. In einem Raum hatten wir zwar WLAN,  aber 70% der Laptops ließen sich nicht richtig konfigurieren. Also sind wir ins Medienzentrum umgezogen, ein Raum mit ca. 30 Rechnern. Der Raum strahlt an allen Ecken und Enden Pragmatismus aus. Die Rechner funktionieren alle solala, Stecker hängen teilweise aus der Wand, und man nimmt sich einfach ein LAN-Kabel von einem Rechner und  stöpselt es in seinen Laptop, und man ist im Internet (insofern man eine funktionstüchtige Buchse für das  andere Ende des Kabels gefunden hat, also eine, in der der Stecker nicht komplett verschwindet). Nix mit Zugangsdaten oder sowas. Bei den Lautsprechern fehlt die Ummantelung des Steckers, also werden einfach die losen Kabelenden in die Steckdose gesteckt. Alles kein Problem. Es funktioniert. Nur seinen USB-Stick sollte man nicht in die Rechner dort stecken. Einen durfte ich mir komplett formatieren, weil ich mir annährend unendlich viele Viren auf den Stick geholt habe.

Die Studierenden beginnen nun alle, Englisch zu sprechen. Ich habe ihnen deutlich gemacht, dass ich genau so Probleme mit Englisch habe wie sie, und dass es nur darum geht, dass wir irgendwie miteinander kommunizieren. Das aktive Plenum lasse ich komplett auf Portugiesisch durchführen und Punkte an der Tafel festhalten. Anschließend lasse ich mir die Punkte übersetzenund ich muss sagen, einen Teil verstehe ich auch so (mit Latein und Englisch im Hintergrund).

In den letzten drei Tagen haben wir uns intensiv mit Logo beschäftigt: Turtle-Grafik, Modularisierung, Rekursion und teaching thinking. Ich muss sagen, dass ich mich während des Seminars inhaltlich selbst enorm weiterentwickelt habe. Mir war zum Beispiel der starke Bezug zwischen Logo und teaching thinking vorher nicht in dem Maße bewusst. Ich habe dies hier verstärkt wahrgenommen, weil zahlreiche Studierende Schwierigkeiten damit hatten, selbst neue, kreative Ideen zu entwickeln. Einige haben nur die Beispiellösung von der Tafel abgeschrieben, zum Laufen gebracht, haben aber die Hürde nicht geschafft, selbst eigene  Lösungen zu neuen Aufgaben zu entwickeln. Oft höre ich den Satz  „Teacher, this is too difficult.“ (Ich mag die Anrede „Teacher“ irgendwie, die muss ich in Deutschland auch mal einführen :-)), und meine Antwort war: „Okay, this is difficult. You see, the turtle is not doing what you intended. Now, you have to think about that. Rethink your solution.“ Ich muss nochmal in Erfahrung bringen, woran das liegt. Eventuell sind sie mehr gewöhnt, Vorträge zu hören, und weniger, eigene Ideen zu entwickeln. Klar ist mir allerdings geworden, dass es nirgendwo so wichtig ist wie in armen Ländern  Schülern zu helfen, sich zu eigenständigen, kreativen Denkern zu entwickeln – das ist mitunter ihr einziges Kapital. Dies versuche ich den Studierenden, die ja im Bildungsbereich tätig sind oder sein werden, zu vermitteln. Und dabei lege ich Wert darauf zu zeigen, wie man kreatives Denken fördern kann und es sie „am eigenen Leib“ erleben zu lassen. Logo war dazu eine verdammt gute Gelegenheit.

Zum Abschluss  dieses Beitrags noch ein schönes, altes Video von Papert über  Logo, dass es  eigentlich ganz gut auf den Punkt bringt:

Kommentare
  1. hallo Christian, das liest sich wie ein Abenteuerroman oder eine Jonglage mit mehr als den üblichen 3 oder 4 Bällen.

    Meinst du es wäre möglich ein Video von einer solchen Session zu machen ?? Das wäre die Krönung 🙂

  2. Florentina Sauerbach sagt:

    Bei deinen Schilderungen oben bekomme ich Heimweh… allerdings hat mich die Unpünktlichkeit immer nervös gemacht – sie gehört aber zum südlichen Afrika dazu. Was mich immer fasziniert hat, war die tatsache, dass Regel letztendlich dazu gemacht sind um sie zu brechen 🙂 Wenn man irgend etwas wollte, aber nicht weiter kam, dann versuchte man einen anderen Weg – letztendlich kommt man mit genügend Sturheit immer dahin, wo man will, es war nie das letzte Wort gesprochen.

    zur Thematik: nicht selbständig weiterdenken
    Ich denke, das liegt in der Geschichte begründet – als vernachlässigte portugisische Kolonie, immer mit unter britischem Einfluss, dann die Marxismus-Zeit, gefolgt von einem Bürgerkrieg… M hat erst vor 20 Jahren individuelle Grundrechte des einzelnen auf Papier festgehalten – ich möchte nicht mutmaßen wie lange es dauert, bis der einzelne Durchschnittbürger sich traut diese in Anspruch zu nehmen.
    Zudem stand M auch immer sehr unter südafikanischen Einfluss und auch die christlich nationale Bildung war in M stark verbreitet, wenn ich mich recht erinnere. Dort ist der Status eines Lehrers (ich vermute das sie dich deswegen „teacher“ nennen, du bist eine Institution, keine Person!) eine durch Macht manifestierte Institution, die keinerlei Interaktion zwischen Schüler und Lehrer zulässt und den Lehrer zum „Träger der Wahrheit“ erhebt. Der Schüler wird somit nicht als Akteur gesehen und auch der Lehrer verhält sich dem Schüler gegenüber passiv – er hat dem Schüler Information zu vermitteln, ihn zu belehren, aber nicht ihn zu födern, ihn zu aktivieren, auf ihn zuzugehen und ihn „abzuholen“, wo er ist. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass der eine oder andere, der noch klassisch geprägt ist, von deiner Art zu unterrichten irritiert ist, was allerdings nur förderlich ist!
    Wenn man diese Dinge alle zusammen nimmt ist es nicht verwunderlich, dass einige Schwierigkeiten haben neue und kreative Ideen zu entwickeln…

  3. cspannagel sagt:

    @Jutta Mit Videos bin ich noch vorsichtig. Ich will die Studierenden nicht zu etwas „nötigen“, das sie vielleicht nicht wollen, aber in dieser Situation denken, sie könnten nicht nein sagen.

    @Florentina Vielen Dank für deinen Beitrag! Ja, das kann alles zutreffen. Ich werde versuchen, mich mal mit Kollegen vor Ort darüber zu unterhalten…

  4. Florentina Sauerbach sagt:

    @Christian Sofern du die Zeit dazu findest erzähl doch bitte, was deine Kollegen dazu meinen, würde mich brennend interessieren.

  5. #video
    ja, das verstehe ich 🙂 es ist noch früh im gruppenprozess
    aber die zeit, da haben wir sie wieder, sie flieht so schnell vorbei…

  6. Herbert Loethe sagt:

    Herrlich, herrlich, …
    Mir kommen meine eigenen Erlebnisse von vor 25 bis 30 Jahren in Deutschland, Australien, Philippinen, Singapur etc. hoch. Es hat sich für Dich also nur etwas geografisch verschoben.
    Und es ist richtig: ich habe sehr viel bei den Logo-Kursen gelernt; es hat auch immer Spaß gemacht auch wenn man skreptisch war, dass sonst noch jemand profitiert hat.
    Was man ja von dem Spruchbeutel Papert lernen kann: man lasse sich nicht beirren – was gut war ist gut.
    Mach weiter so Christian.
    Herzlichst Herbert

  7. Danke für diese laufenden Berichte. Ich habe in Äthiopien zwei Wochen verbracht (Deutsche Schule, LdL-Workshop) und kann gut nachvollziehen, was du beschreibst! Liebe Grüße! Jean-Pol

  8. cspannagel sagt:

    @Florentina Ich habe mich heute aussführlich mit Kollegen darüber unterhalten. Es ist tatsächlich so: Hier denken Lehrer in der Regel nicht „vom Schüler aus“, d.h. sie berücksichtigen nicht die individuelle Kognition und konstruktive Prozesse beim Lernen. Es ist mehr ein „Vermitteln von Wissen und Verfahren“, die dann – 1 zu 1 – übernommen werden müssen. Das geht sogar soweit, dass Schüler, die zwar die richtige Lösung haben, aber einen anderen Weg als der Lehrer gegangen sind, 0 Punkte bekommen. Insofern trifft deine Beschreibung ziemlich gut.

    @Herbert Danke für deinen Kommentar! Er bestärkt mich darin, weiterhin auf das „Pferd“ Logo (bzw. auf die damit verbundene „Philosophie“) zu setzen, auch wenn der Durchbruch in den Schulen (leider) ausgeblieben ist.

    @Jean-Pol Welche Sprache haben denn die Schüler in Äthiopien gesprochen? Französisch?

  9. […] sofort ein. In Mosambik scheint man sich damit noch schwer zu tun (in diese Richtung geht auch ein Kommentar von Florentina Sauerbach). Ein Gespräch mit einem sehr netten Kollegen heute hat ergeben, dass ich durch meinen […]

  10. In Äthiopien haben sie englisch gesprochen.

  11. flosa11 sagt:

    @Christian Danke für die Rückmeldung!

  12. […] Szenario: Ich habe zwei Wochen lang in Maputo verschiedene Einheiten zu „Computer im Mathematikunterricht“ mit unterschiedlichen […]

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