Einige Gedanken zu Teaching Thinking

Veröffentlicht: Dienstag, Oktober 12, 2010 in Teaching Thinking

Hier in Maputo sprudeln nur so die Gedanken. Ich habe mich in den letzten Tagen mehr oder weniger zufällig mit teaching thinking aus verschiedenen Perspektiven beschäftigt und möchte hier mal einige Aspekte festhalten.

Curriculare Fragen: Wenn man eine prozessorientierte Sichtweise auf Lernen und Lehren einnimmt, dann betont man dadurch, dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur die Inhalte eines Fachs lernen, sondern auch die zentralen Denk- und Arbeitsweisen. Fragen muss man sich dann, welche Denk- und Arbeitsweisen für eine Disziplin zentral sind. Prozesse, die von den jeweiligen Fachexperten methodisch zur Wissensgenerierung in ihrem Fach eingesetzt werden, sind schon mal super Kandidaten. Wir haben in zahlreichen Befragungen von Professorinnen und Professoren diverser Disziplinen erhoben, welche Prozesse diese für zentral in ihrer Wissenschaft halten. So zählen beispielsweise problem solving and problem posing, analyzing, generalizing, finding relationships und classifying zu den zentralen Prozessen der Informatik, während comparing, using metaphor, communicating und presenting in der Germanistik wichtig sind. Auf der Grundlage von Prozessprofilen verschiedener Wissenschaften kann dann entschieden werden, welche Denk- und Arbeitsweisen in welchem Schulfach vermittelt werden sollten.

Methodische Fragen: Gleich nach dem „was?“ stellt sich die Frage des „wie?“ Es gibt zahlreiche Methoden, bei denen die Denkprozesse im Mittelpunkt stehen, und mir begegnen immer wieder neue. So ist das Modell der kognitiven Meisterlehre (cognitive apprenticeship) darauf ausgelegt, dass einerseits die Lehrperson ihre Denkprozesse bei Demonstrationen expliziert (Lernen am Modell), währen die Schüler in Arbeitsphasen angehalten sind, ebenfalls ihre Prozesse zu reflektieren und untereinander zu besprechen. Das aktive Plenum lässt Prozesse in der diskursiven Auseinandersetzung deutlich werden: Hier vollziehen die Lernenden Prozesse als Gruppe und diskutieren die jeweiligen Teilschritte. In der Mathematikdidaktik wären in diesem Zusammenhang auch das EIS-Prinzip und das operative Prinzip zu nennen, die jeweils als Grundannahme haben, dass sich das Denken aus dem Handeln entwickelt. Darüber hinaus werden Prozesse längerfristig nachvollziehbar und zu Objekten der Reflexion, wenn sie kollaborativ verschriftlicht und diskutiert werden, beispielsweise in Web-2.0-Tools wie Wikis.

Philosophische Einordnung: Ich kenn mich in der Philosophie noch nicht so gut aus (andere haben da mehr Zeit für ;-)), dennoch kann ich sagen, dass sich teaching thinking insbesondere mit der Strömung der Aufklärung in Verbindung bringen lässt. „Benutze deinen Verstand!“ ist wohl die eindrücklichste Aufforderung an die Menschen, sich aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Uns leuchtet daher die Forderung nach eigenständigem Denken aufgrund unserer „Aufklärungsvergangenheit“ sofort ein. In Mosambik scheint man sich damit noch schwer zu tun (in diese Richtung geht auch ein Kommentar von Florentina Sauerbach). Ein Gespräch mit einem sehr netten Kollegen heute hat ergeben, dass ich durch meinen Teaching-Thinking-Ansatz in meinem Kurs hier in Maputo praktisch zufällig ins Schwarze getroffen habe.

Aus meiner eigenen Lehrerfahrung kann ich sagen, dass man einen ganz anderen Blick auf Lehr-Lernsituationen erhält, sobald man eine prozessorientierte Sichtweise einnimmt. Mir persönlich sagt diese Sichtweise sehr zu, und ich werde versuchen sie zu „pflegen“, und zwar in zweifacher Hinsicht: Einmal als „Basis-Philosophie“ für meine Lehrveranstaltungen, und natürlich als didaktisch-methodischer Inhalt in meinen Vorlesungen und Seminaren.

Kommentare
  1. „problem solving and problem posing, analyzing, generalizing, finding relationships und classifying zu den zentralen Prozessen der Informatik, während comparing, using metaphor, communicating und presenting in der Germanistik wichtig sind.“
    – Interessant: das zeigt, wie einseitig jeder wissenschaftszweig arbeitet. Es wäre doch sehr sinnvoll, wenn die Informatiker die Kompontente communicating und presenting, und die geisteswissenschaftler problemfinden und -lösen integrieren würden. Das wäre dann ganzheitliche wissenschaft, und nicht rumpfwissenschaft.

    „die jeweils als Grundannahme haben, dass sich das Denken aus dem Handeln entwickelt.“
    – Also ganzheitlich. Alles andere ist aus meiner Sicht unzureichend.

    „Aus meiner eigenen Lehrerfahrung kann ich sagen, dass man einen ganz anderen Blick auf Lehr-Lernsituationen erhält, sobald man eine prozessorientierte Sichtweise einnimmt. Mir persönlich sagt diese Sichtweise sehr zu, und ich werde versuchen sie zu „pflegen“, und zwar in zweifacher Hinsicht: Einmal als „Basis-Philosophie“ für meine Lehrveranstaltungen, und natürlich als didaktisch-methodischer Inhalt in meinen Vorlesungen und Seminaren.“
    – Eigentlich sollte es eine Basisforderung für alle Wissenschaftler und vor allem Didaktiker sein! Aber durch die institutionelle Trennung von Praxis und „Forschung“ werden beide Bereiche blind, bzw. wie schon Kant sagte: ohne begriffe ist die anschauung blind, ohne anschauung sind die begriffe leer!:-))

  2. cspannagel sagt:

    @jeanpol „das zeigt, wie einseitig jeder wissenschaftszweig arbeitet. Es wäre doch sehr sinnvoll, wenn die Informatiker die Kompontente communicating und presenting, und die geisteswissenschaftler problemfinden und -lösen integrieren würden.“ – Ganz so extrem getrennt ist das nicht. Auch in der Informatik ist communicating und presenting wichtig, aber eben nicht auf den ersten Rangplätzen. Ich habe nur jeweils die Top-Prozesse erwähnt. Dennoch spielen natürlich auch die Prozesse auf den Plätzen z.B. von 10-15 eine große Rolle.

  3. cspannagel sagt:

    @Jean-Pol Eine Kollege aus Maputo hat neulich mal gesagt: „Die Praxis ist reicher als die Theorie“. Das bringt’s schön auf den Punkt.

  4. Oliver Tacke sagt:

    @Christian
    Recht hat er. Vince Ebert überliefert ja auch von seiner Großmutter: „Bub, du kannst noch so eine helle Leuchte sein, die schönsten Momente hat man immer noch im Dunkeln.“ 😉

  5. @Christian
    Meine Rede! Den Ausgangspunkt zur intensiven Reflexion liefert doch das reale, existentielle Problem in der Realität. Ohne Leiden kein wirklich intensives Reflektieren (Konzeptualisierung).

  6. jean-pol martin

    @Christian
    Meine Rede! Den Ausgangspunkt zur intensiven Reflexion liefert doch das reale, existentielle Problem in der Realität. Ohne Leiden kein wirklich intensives Reflektieren (Konzeptualisierung).

    nanu, ist das Rede eines Glückritters ?? der vor ein paar Tagen sinngemäss sinngemäss sagte, negative Empfindungen muss man abwehren ? ;:-)

  7. „Curriculare Fragen: Wenn man eine prozessorientierte Sichtweise auf Lernen und Lehren einnimmt, dann betont man dadurch, dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur die Inhalte eines Fachs lernen, sondern auch die zentralen Denk- und Arbeitsweisen.“

    Interessant, wie je nach professioneller Herkunft unterschiedlich assoziiert wird, wenn ich prozessorientiert höre, kommen sofort Identitäts- und Gruppenprozesse ins Bewusstsein.

    Und für eines der besten Konzepte in bezug darauf halte ich das von Ruth Cohn. Ihre Themenzentrierte Interaktion mit dem Vierfaktorenmodell aus
    ICH die einzelnen Personen mit ihren Anliegen und Befindlichkeiten
    WIR die Gruppe, das Miteinander der Personen (Interaktion)
    ES die Aufgabe, das Ziel der Gruppe und der
    Globe das organisatorische, physikalische, strukturelle, soziale, politische, ökologische, kulturelle engere und weitere Umfeld der Gruppe.

    in dem der Widerstand, die Störung eine positive Rolle spielt.

    Seltsam, dass ich es bisher nicht erwähnt fand 🙂

  8. Oliver Tacke sagt:

    Da schließe ich mich Jutta an, die TZI bietet einen prima Denkrahmen für lebendiges Lernen.

  9. @Jutta
    „nanu, ist das Rede eines Glückritters ?? der vor ein paar Tagen sinngemäss sinngemäss sagte, negative Empfindungen muss man abwehren ? ;:-)“
    – Da habe ich mich aber missverständlich ausgedrückt. Ich plädiere dafür, dass man Probleme aufsucht, um sie zu lösen. Auf diese Weise übt man das Problemlösen und wird zum permanenten erfolgreichen Problemlöser. Das ist zumindest meine Theorie. Die Praxis sieht mit einigen Abstrichen tatsächlich so aus, bis jetzt..:-)

  10. @Jean-Pol
    naja, ich will nicht so tun als hätte ich bezüglich Freud und Leid, Problem- vs. Lösungsfocussierung eine homogene Linie.
    Aber in manchen deiner Formulierungen schien mir das Abwehren zu dominieren, in deiner Lebenspraxis, soweit ich dich kenne, überhaupt nicht. Ein wenig ist es so, dass ich dich besser finde als manche deiner Theorieschnipsel, die mir oft so amerikanisch, oberflächlich pragmatisch vorkommen.
    Aber das ist hier nicht der Ort für unser kleines match, see yu im Philoraum nebenan 🙂

  11. cspannagel sagt:

    @Jutta Ja, der Begriff „Prozess“ bezeichnet alles mögliche. So könnte er in diesem Zusammenhang auch z.B. den „Lernprozess“ meinen… Deswegen ist es immer wichtig zu klären, was man unter „Prozessorientierung“ versteht.

  12. jeanpol sagt:

    „Ein wenig ist es so, dass ich dich besser finde als manche deiner Theorieschnipsel, die mir oft so amerikanisch, oberflächlich pragmatisch vorkommen.“
    – Das Problem bei Theorien, die aus einer großen Anzahl von Bausteinen zusammengestellt sind, ist dass man sie nur in toto verstehen und beurteilen kann. Wenn man jeden Einzelteil betrachtet, wirkt es oberflächlich. Wenn man das Ganze sieht, dann merkt man, dass jede Alltagshandlung mit allen anderen Teilen des Konzeptes aufs Engste verwoben ist. So glaube ich, dass ich auf Anfrage jeden Satz, jeden Schritt mit meiner Gesamtheorie begründen kann. Das war mein Anspruch im Unterricht und das ist mein Anspruch für mein ganzes Leben: jeder Schritt von Früh bis Abend. Jeder Schritt!

  13. […] Theorieschnipsel? Veröffentlicht am 19. Oktober 2010 von jeanpol „Ein wenig ist es so, dass ich dich besser finde als manche deiner Theorieschnipsel“ sagt @jdierberg http://tinyurl.com/33pk33w […]

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