Flipped Classroom nur ein Übergangsmodell?

Veröffentlicht: Samstag, Dezember 15, 2012 in FlippedClassroom
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Die umgedrehte Mathematikvorlesung ist ein prima Konzept: Studierende schauen sich die Vorlesung zu Hause auf Video an und kommen vorbereitet ins Plenum, in dem dann genug Zeit zur Verfügung steht, um Fragen zu klären, zu diskutieren und gemeinsam Probleme zu lösen. Präsenz erhält dadurch eine andere Bedeutung als in klassischen Vorlesungen: Man kommt, um mitzuarbeiten, und nicht, um zuzuhören. Studierende finden das Konzept überwiegend prima, und ich auch. Verbesserungsbedarf gibt es aber immer: Im laufenden Semester versuche ich, die Vorbereitung (Videos angucken) zu optimieren. Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Videos  nur beiläufig angesehen, aber nicht „durchgearbeitet“ werden. Daher habe ich mich durch Methoden von Jürgen Handke und Jörn Loviscach anregen lassen und habe jetzt Stützstrukturen um die Videos drumrumgebastelt:

  1. Es werden die Lernziele explizit angegeben.
  2. Es wird ein Worksheet (Lückenskript) zur Verfügung gestellt, das ausgedruckt und beim Ansehen ausgefüllt werden soll. Dabei handelt es sich, wenn man so will,  um einen vorstrukturierten Vorlesungsmitschrieb. (Ist im Prinzip eine ganz alte Idee; das hat auch mein Doktorvater Herbert Löthe früher schon gemacht, aber irgendwie bin ich selbst nie so richtig auf die Idee gekommen, das zu tun).
  3. Auf jedem Worksheet gibt es unten einen Bereich, in dem die Studierenden Fragen aus den Videos notieren sollen, die sie ins Plenum mitbringen können (Studierende hatten berichtet, dass sie ihre Fragen bis zum Plenum wieder vergessen; wofür man alles Stützen braucht :-)).
  4. Ich füge Quiz-Aufgaben zur Selbstüberprüfung hinzu, die ich mit learningapps.org (eine Entwicklung von Michael Hielscher und Kollegen von der PH Bern) erstelle und dort auch die Quiz-Aufgaben in Youtube-Videos einbetten kann (schöne Sache).

Der Video-Input zu Relationen ist ein ganz gutes Beispiel, das veranschaulicht, was ich meine. Und das Konzept „Flipped Classroom“ entwickelt sich für mich tatsächlich zu so etwas wie einer total ausgefeilten, perfekt durchgestylten Methode.

Aber ist das das, was ich will?

Seit einiger Zeit hab ich diesbezüglich schon ein gewisses Unbehagen (links unten, gleich zwischen Magen und Milz). Denn: Das ganze Konzept ist sehr stark „inputorientiert“, also: Ich gebe Input per Videos, anschließend üben die Studierenden das, was sie in den Videos gesehen haben. Einführung, Übung. Einführung, Übung. Einführung, Übung. Mathematikdidaktisch ist das eigentlich eher dritte Reihe. Im Projekt SAiL-M waren wir da schon bezüglich der Aufgaben weiter: Hier gab es auch zahlreiche offene Aufgaben, in denen nicht nur geübt wurde, sondern in denen umfassende eigene Erfahrungen und Entdeckungen gemacht werden konnten, bevor irgendwie überhaupt ein Wort des Dozenten über den Inhalt gefallen war. Induktives Vorgehen nennt man so etwas, oder Erfahrungslernen. Ich versuche zwar, diese Aufgaben im Rahmen der umgedrehten Mathevorlesung auch einzubinden, und zwar indem Studierenden diese Art Aufgaben bearbeiten sollen, bevor sie den Video-Input zum Thema ansehen, aber das Unbehagen bleibt trotzdem: Die Videos sind das Maß aller Dinge. Egal, welche Erfahrungen gemacht wurden, in den Videos wird gesagt, wie es „richtig“ geht. Die eigenen Erfahrungen und die interessanten Entdeckungen, alle beugen sich voller Respekt vor der fertigen Mathematik. Welchen Wert haben meine ganz eigenen Entdeckungen, wenn ich anschließend ein Video gucke, in dem darin gar nicht darauf eingegangen wird, und der Dozent stattdessen einfach das kanonische Wissen präsentiert?

Heute habe ich Peter Baireuther einen Besuch abgestattet. Peter ist Professor für Mathematikdidaktik an der PH Weingarten, und er hat mich vor einiger Zeit angeschrieben und ein paar kritische Punkte zu meiner Veranstaltung ziemlich deutlich geäußert. Peter und ich hatten damals vereinbart, dass wir uns mal zusammensetzen und darüber sprechen. Heute war es so weit. Was für ein Luxus! Einen Tag lang mit einem Kollegen durch die schneeverschneite Landschaft in Weingarten spazieren und über Veranstaltungskonzepte für Mathematikvorlesungen sprechen! Das war ein äußerst wertvolles Arbeitsgespräch, und ich finde, es sollte mehr solche Gelegenheiten geben, bzw.: Man sollte sich mehr Zeit für solche Gespräche nehmen. Ähnliche Kritik an meiner Veranstaltung (siehen unten) wurde zwar bereits z.B. von *m.g.* und Jörn Loviscach geäußert, aber im Alltag nimmt man die Kritik vielleicht nicht so ernsthaft und umfassend auf, wie man das eigentlich sollte. Heute hat sich tatsächlich für mich vieles von der Kritik verdichtet, nicht zuletzt auch deswegen, weil Peter und ich heute die Gelegenheiten hatten, einen ganze Nachmittag gebündelt zu diskutieren, und das in einem ganz anderen Umfeld als dem, das ich gewohnt bin.

Peters Kritikpunkte bezogen sich auf zwei Dinge: 1) die Inhalte meiner Vorlesung „Mathematische Grundlagen 1“ und 2) die methodische Herangehensweise. Peters Hauptfragen sind: Weshalb führe ich die Studierenden systematisch in die Mengenlehre, in den Begriff „Relation“ und „Funktion“ ein, weshalb in die Aussagenlogik? (Ähnlich neulich die Frage von Jörn Loviscach auf Google+, weshalb ich eigentlich vollständige Induktion mache; eine Frage, gegen die ich mich zunächst innerlich aufgebäumt habe, die aber durchaus berechtigt ist.) Wem hilft diese Systematik? Die Studierenden werden später Lehrerinnen und Lehrer, keine Mathematiker. Sie sollen Lernprozesse beim Schülerinnen und Schülern begleiten, und nicht diese in die Fachsystematik einführen. Also weshalb provoziere ich nicht dieselben Lernprozesse bei meinen Studenten und führe sie stattdessen in die Fachsystematik ein? Was hilft einem Studenten die Fachsystematik, wenn er selbst noch nicht auf einen entsprechenden Erfahrungsschatz zurückgreifen kann, der damit systematisiert wird? Was hilft es einem Studenten, wenn er (relativ erfahrungsarm) die Eigenschaften Reflexivität, Symmetrie und Transitivität bei Äquivalenzrelationen anwenden kann? Wozu braucht er das später? Wozu braucht er überhaupt den Begriff? Was nützt einem Lehrer der Begriff der Äquivalenzrelation? Peters Standpunkt: Die Studierenden sollen vielmehr exemplarisch eigene Erfahrungen machen und systematisieren lernen. Sie sollen lernen, was es bedeutet, mathematisch tätig zu sein, und nicht „Mathematik“ lernen. Er gestaltet daher seine Veranstaltungen radikal erfahrungsbasiert. Eine zu meiner Vorlesung vergleichbare Veranstaltung von ihm ist Denken in Zahlen und Strukturen. Das Grundprinzip: Die ganze Veranstaltung ist nicht inputbasiert, sondern aufgabenbasiert (zahlreiche Aufgaben sind unter dem Link zu finden). Die Studierenden bekommen reichhaltige Aufgaben, in denen sie vielfältige eigene Entdeckungen machen können: zu Spiegelzahlen, Stellenwertsystemen, Quadratzahlen, Zahlzerlegungen, Primzahlen usw. Mit diesen Erfahrungen kommen sie in die „Vorlesung“ (die ebenso keine ist), und dort werden ihre Erfahrungen besprochen, gemeinsam systematisiert, und dann die Aufgaben für die nächste Woche vorbesprochen. Wenn man so will: Flipped Classroom, ohne Videos, rein aufgabenbasiert. Es gibt praktisch keine Lehrvorträge. Geprüft wird am Ende der Vorlesung mündlich, die Studierenden präsentieren zu bestimmten Themen ihre Entdeckungen, dann wird vertiefend nachgefragt. In der gesamten Veranstaltung gibt es keine systematische Einführung in die Mengenlehre usw. Peters Argument: Die Mathematik hat mehrere tausend Jahre gebraucht, die Mengenlehre als Abstraktion hervorzubringen. Weshalb sollten wir diese Abstraktion an den Anfang stellen? Weshalb sollten wir die Abstraktion „Relation“ einführen? Oder „Funktion“? Wem hilft das? Lassen wir die Studierenden lieber Aufgaben bearbeiten, in denen sich sich entdeckend mit funktionalen Zusammenhängen befassen. Lasst uns „Begriffe“ einführen, wenn Studierende „begriffen“ haben. Nicht vorher. Oder, lasst sie uns weglassen. Wozu, wenn bereits begriffen wurde? Und letztlich geht es um den Prozess zu lernen, wie man in reichhaltigen Lernsituationen begreift. In die Aussagenlogik einzuführen kostet unnötig Zeit, und man erlernt eine „Sprache“, die ohne Fleisch versehen ein Werkzeug ist, dass die Studierenden nicht fachmännisch anwenden können. Man gibt ihnen Werkzeuge an die Hand, deren Wirkungsweise sie nicht durchdringen – das zeigt seine Erfahrung (und letztlich auch meine). Also lassen wir die Studierenden lieber Situationen durchdringen und verzichten auf den Formalismus, der niemandem nützt und letztlich vielleicht sogar schädlich ist, nämlich dann, wenn die Studierenden eine ähnliche Formalismusliebe in der Schule pflegen.

An dieser Stelle stehe ich mit meiner umgedrehten Mathevorlesung, in der ich schön feinstsäuberlich in Aussagenlogik usw. einführe, ziemlich peinlich berührt da und finde das eigentlich ziemlich doof, was ich da mache. Näher betrachtet stellt sich mir die Situation so dar: Der Flipped Classroom ist eine prima Methode, um von einer traditionellen Voll-Frontal-Veranstaltung in eine Form zu wechseln, in der mehr Interaktionsmöglichkeit in der Präsenzveranstaltung geschaffen wird. Zum Aufbrechen traditioneller Formate ist das ganz prima, und sicher auch eine super Methode, um Dozenten, die ihre Vorlesung lieb gewonnen haben, von mehr Studierendenaktivität zu überzeugen, ohne dabei auf ihre Vorträge verzichten zu müssen. Also, für hochschuldidaktische Fortbildungen eine prima Sache mit dem Ziel, Dozenten davon zu überzeugen, mit der Umstellung ihrer Veranstaltungen „mal einfach und ohne viel Aufwand anzufangen“.

Stehenbleiben dürfen wir dabei aber nicht. Obwohl ich meine Vorlesung noch nicht komplett mit Worksheets usw. für den Einsatz im Flipped Classroom optimiert habe, denke ich seit heute, dass es das eigentlich „nicht sein kann“. Vor einem so radikalen Umstellungsschritt, wie ihn Peter Baireuther vollzogen hat, schrecke ich allerdings zurück: Das Konzept verursacht bei Studierenden vermutlich eine größere Unsicherheit (was prinzipiell nicht schlecht ist, wenn es darum geht, erlernte starre Muster des Mathematiklernens loszuwerden), allerdings gibt es bei mir am Ende des Moduls eine Klausur, und dieses Prüfungsformat passt nicht so recht zu Peters Veranstaltungskonzept. Gibt es eine Mischung zwischen Flipped Classroom mit Videos und der aufgabenorientierten Herangehensweise? Kann man Videos nur „für Bedarf“ zur Verfügung stellen? Kann man Flipped-Classroom-Einheiten reduzieren/gezielter einsetzen? Wann passt der Flipped Classroom, wann nicht? Anders gefragt: Wann sind Demonstrationen sinnvoll, wann sollte man als Dozent „mal was zeigen“, wann lieber nicht? Kann man das überhaupt kombinieren, oder wird letztlich nur das als wichtig erachtet, was in der Klausur abgeprüft werden kann?  Ziemlich viel Stoff für mich zum Nachdenken.

Wie denkt ihr darüber?

Kommentare
  1. Oliver Tacke sagt:

    Den Flipped Classroom habe ich nie so verstanden, dass es zwingend Videos als Vorbereitung sein müssen, sondern was halt zum Ziel und den verschiedenen Lernenden passt. Das können Videos sein, aber auch Podcasts, Fachtexte, Zeitungsartikel, … In der Tat ist das stets inputorientiert, wenn nicht denkanregende Fragen dazugeliefert werden. Warum sollte es aber ausgeschlossen sein, etwas anderes vorzulagern? Oder auch mal etwas anderes zu machen und nicht das ganze Semester über „flipped“? Wechsel des Modus finde ich sowieso immer sympathisch, um keinen Trott aufkommen zu lassen.

    In der BWL sind etwa Fallstudien gängig, die ein Problem vorgeben, das es zu erkunden gilt. Es lassen sich verschiedene Lösungsmöglichkeiten erkunden, Modelle als Hilfe zu Rate ziehen. Am Ende soll eine fundierte Entscheidung herauskommen, die bei jedem durchaus anders aussehen kann und dann genügend Diskussionspotential im Plenum bietet. Das kann bis zum Problemorientierten Lernen hin „ausarten“, und ein bisschen weiter gedacht vielleicht hin zu LdL. Lernende bekommen ein Thema, das sie zu Hause zunächst selbst (mit Fragen oder Material als Anregung) erkunden sollen, um ihre eigenen Gedanken dann zusammen mit anderen auszutauschen (LdL, Peer Instruction) und mit dem Lehrenden als Moderator zu vertiefen.

    Hmm, und ‚Videos nur “für Bedarf” zur Verfügung stellen?‘ Willst du sie geheim halten? Was sicher nicht schadet, ist ein Pool an Videos, auf die du bei Gelegenheit explizit verweisen kannst. Denselben Nutzen habe ich an meinem Blog entdeckt, in dem ich mir selbst oft Gedanken zu Themen gemacht habe, die auch andere wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigen und auf die ich dann verweisen kann. Wer suchet, der findet aber sicher auch allein.

    Und was wird als wichtig erachtet? Nicht immer das, dessen Sinn ich für mich selbst erkenne oder entdecke?

    Okay, ich merke schon, jetzt wird es noch dünner als ohnehin schon. Ich schlafe wohl erst einmal eine Nacht drüber und versuche mich morgen noch einmal ordentlich damit.

  2. Oliver Tacke sagt:

    Jetzt muss ich doch noch etwas nachschieben mit Blick auf den Titel des Beitrags: Übergangsmodell wohin? Nach was bist du auf der Suche? Nach DEM Modell, der eierlegenden Wollmilchsau? Nach dem besten Modell für dich als Person? Nach dem besten Modell für die Mathematik im Lehramt? Nach dem besten Modell für bestimmte Gruppen?

  3. Hallo die Herren ..

    Olivers erste Anmerkung muss ich mich anschließen. Wie ich schon im ZUM-Wiki-Artikel mal geschrieben habe, muss ja nicht immer ein Video sein, sondern ich sehe alles Flipp-fähig, was die Schüler ohne meine Hilfe erledigen können. Da steht was von Eigenverantwortung der Schüler dahinter, ob sie es machen (wollen) oder nicht. Oder ich gebe die „langweiligen“ Sachen an die Schüler als Aufgaben, wie das Festhalten der Beschreibung für bestimmte Verfahren, die die Schüler in der Schule geübt habe und anderes … wo ich nicht soviel helfen kann.

    Deine Vorlesungs-Variante, mit Frontal-Input, Übungen (egal in welcher Form), ist natürlich die klassische Vorstellung eines Studiums. Ehrlich gesagt ist mir der Zusammenhang zwischen dem Inhalt deiner Vorlesungen und dem was mein Sohn in der Schule gerade im der 2. Klasse gerade lernt auch nicht klar, aber wenn es so festgelegt ist müssen die armen angehenden Grundschullehrer es eben machen. Ähnlich ist es natürlich bei meinem Studium gewesen. Entweder kannte ich die Analysis-Sachen schon aus der Schule schon oder ich brauche sie sehr wahrscheinlich nicht mehr. Und wenn ich sie doch einmal brauchen sollte, dann werde ich alles bis dahin sicher vergessen haben.

    Dein Zweifeln zeigt genau das Problem, dass ich auch im Schulbereich habe: Soll ich fachlich-themen-zentriert vorgehen … das ist so üblich und wird von vielen Schülern begrüßt, da dann die Regeln klar auf dem Tisch liegen, man die passenden Übungsaufgaben hat und alle wichtigen Zusammenhänge in einem Rutsch zusammen aufgetischt bekommt.
    Oder eine andere Variante, die mir eigentlich viel besser gefällt, nämlich das man sachthemen-orientiert vorgeht und die Lernaspekte immer in kleinen Bröckchen verteilt einstreut (habe den Begriff „graduell“ dazu gelesen). So wird nämlich das Wissen immer wieder aufgriffen, anstatt es in einem großen Brocken schlucken zu müssen … womit einige Probleme haben.

    Beim ersten Thema füllen sich die fleißigen und von sich aus motivierten Schüler wohl, weil es einigermaßen gut erlernbar ist. Probleme machen die weniger motivierten Schüler, die das fachzentrierte langweilig finden und fragen, wozu man das denn braucht.

    Warum also nicht umstellen? Das was die Unmotivierten gut finden, wird doch auch die Motivierten nicht abstoßen, oder? Die Probleme sind meine Meinung nach die …
    1.) die Motivierten, die es von früher nicht anders kennen und dann verunsichert sind.
    2.) die Lehrer, die es ebenfalls nicht kennen, weil sie es als Schülern auch fachzentriert gelernt haben.
    3.) die Lehrer, die Angst haben, dass die fachlichen Anforderungen nicht erfüllt werden. (… vor allem für die Lehrer, stolz darauf sind, an ihrer Schule eine Schüler-Elite herangezogen zu haben, die erfolgreich an Wettbewerben teilnimmt)

    1.) und eventuell auch 2.) könnten sich mit der Zeit ergeben, aber gerade die Gruppe 3.) würde sich dagegen sperren.

    Interessanter Weise gibt es für meine beiden Fächer Chemie und Mathe Ansätze und Lehrwerke, wo man die sachthemen-orientierte Herangehensweise nutzt.

    zu *Mathe:* In der Schweiz ist das Zahlenbu.ch (1-6) bzw. Mathebu.ch (ab 7) schon vor einiger Zeit von Klett herausgegeben worden, dass sachthemen-orientiert arbeitet. Hier arbeiten die Schüler an zweiseitigen Lernumgebungen zu einem Sachthema. Klett hat sich getraut, die ersten Bücher für Deutschland umzusetzen. Mal schauen, wie es sich durchsetzen kann!?
    Da die Startseite zur Reihe: http://www.klett.de/lehrwerk/das-mathematikbuch/einstieg?lw_type=ekv&clickpath%5Bbundesland.id%5D=7&clickpath%5Bschulart.id%5D=5&clickpath%5Bfach.id%5D=57
    Hier ein Livebook dazu: http://klettbib.livebook.de/ECI50002EBA12/

    zu *Chemie*: Vor kurzem wurde das aus Amerika stammende Werk „Salters Chemie“ für die Oberstufe von Schroedel fertiggestellt. Es ist auch sachthemen-orientiert hat aber zusätzlich noch eine hohe Variabilität, indem die Fachthemen in ein Extra-Buch ausgelagert sind. Außerdem ist ein rund-um-sorglos Paket, da es in ergänzenden Ordnern Arbeits-Blätter, Versuchsanleitungen, Spiele und mehr bietet.
    Zitat: „Die fachwissenschaftlichen Inhalte werden jeweils in einem Modul eingeführt und im weiteren Verlauf des Unterrichtsgangs vertieft (Spiralcurriculum).“
    Ein Online-Buch: http://flashbook.schroedel.de/salters-chemie-978-3-507-12201-7#/6

    Gerade für diese Gruppe 3.) könnte ich mir besonders für Mathe vorstellen, dass man vielleicht eine Unterteilung vornimmt in Grundwissen Mathe, im Sinne des neuen Klett-Buches und eine Ergänzungs-Kurs „Algebra“. Wer Mathe-Leistungskurs belegen will, müsste die Algebra-Kurse belegen.

    Sooo … Christian. Direkte Tipps für dich habe ich also nicht. Ich habe nur mein eigenes Dilemma vorgestellt.

    Nicht-desto-trotz finde ich meine Videos, die ich vor allem zu Chemie erstellt habe, gar nicht so schlecht. Denn da ist das, was man sowieso immer wieder genauso wiederholt halt mal erklärt. So kann ich Schüler darauf verweisen, wenn sie ein Problem haben. Das eine Video nähert sich übrigens langsam den 20.000 Ansichten. Ich glaube ich muss dann mal was ausgeben 😉

    Viele Grüße von Birgit

  4. Müssen die Kommentare freigeschaltet werden?

  5. Der Inverted Classroom (wir nennen ihn ganz bewusst nicht „Flipped“, um uns von den ausschließlich „video-basierten“ Methoden nordamerikanischer Schulen abzugrenzen), beruht bei uns in der Marburger Anglistik von Beginn an (seit 2006) immer eine auf einer komplexen multimedialen E-Learning Einheit, die der Präsenzphase vorangeschaltet wird. Diese E-Learning Einheit ist gekoppelt mit interaktiven Worksheets zum Thema (heute alles formative E-Assessments) und einem Vorschlag mit Problemen, die in der Präsenzphase zu lösen sind (die sog. „Practical Sheets“). Zusätzlich gibt es zu jedem Kurs ein Workbook (Print on demand), dessen rein textuelle Inhalte mit den Online-Inhalten ergänzt werden müssen.

    siehe: http://www.linguistics-online.com Der „VLC“ unsere Plattform
    siehe: Handke/Schäfer. 2012. E-learning, E-Teaching und E-Assessment in der Hochschullehre. München Oldenbourg: 98ff.

    Seit März 2012 erstellen wir auch Videos, und zwar folgende Typen:

    A: Im geschützten Bereich des VLC:
    – Musterlösungen zu Practicals (diese dürfen erst zu bestimmten Zeitlunkten angesehen werden)

    B: Auf YouTube: „www.youtube.com/linguisticsmarburg, auch verzahnt mit den E-Learning Units im VLC

    – Screencasts zu linguistischer Software
    – E-Lectures: punktuelle Präsentationen zu aus gewählten Inhalten
    – Class Descriptions: Informationen zu den Kursen
    – Suggestions for In-Class Activities: Vorschläge für die Präsenzphasen (zusammen mit Studenten)

    Durch diese Verzahnung ist das Konzept jetzt vollständig: Multimedia, Video, Print und E-Assessment, die wohl höchste Stufe der Nutzung digitaler Elemente in der Lehre. Jedre Student ann den für ihn optimalen Lernweg wählen.

    Die Frage, wie und ob der Inverted Classroom genutzt wird, ergibt sich eigentlich gar nicht mehr. Unsere Studierenden (ca. 1000 in der Marburger Anglistik) nutzen in derzeit 17 Lehrveranstaltungen diese Methode wie von selbst: Vorbereitung durch Bearbeituing der jeweiligen E-learning Unit mit all ihren Bestandteilen, danach Präsenzphase zum Übern, Vertiefen etc.

    Das Konzept läuft als Selbstgänger. Es ist kein Übergangsmodell, es ist das Lehrkonzept der Marburger Anglistik und es bietet immense Vorteile („2-in-1“ Konzept, Quantitätsgarantie, Zielgrupenszifische Lehrer, Kapazitätserweiterung etc)

  6. jeanpol sagt:

    Nur so, ein gedanke… wäre es nicht schon mal ein schritt in die richtige richtung, wenn die videos von studenten und nicht von dir erstellt würden?

  7. Andreas Fest sagt:

    Ich habe ein wenig Probleme mit der inhaltlichen Duskussion. Klar, wir haben Hahrhunderte gebraucht, um bestimmte mathematische Begriffe zu entwickeln. Aber das gilt für sämtliche kulturtechnische und wissenschaftliche Erkenntnisse. Dürfen wir diese deshalb unseren zukünftigen Lehrern deshalb nicht im Studium beibringen?Nein, sicher nicht, im Gegenteil! Ein Studium ist nun einmal mehr als das, was in der Schule gelehrt wird. Erst durch die Beschäftigung mit Inhalten und Techniken, die weit über den schulischen Stoff hinaus entwickeln sich Strukturen im Gehirn, die auch neue Sichtweisen und Verständnisebenen eröffnen, die zum Unterrichten des Schulstoffes wiederum wichtig und hilfreich sind. Verwässern wir das Studium zu sehr, so wird sich das langfristig auf die Qualität der Schulausbildung auswirken. Mit der Folge, dass wir das Studium weiter „vereinfachen“, … Eine Teufelsspirale.
    Die PHen haben doch ausserdem an sich selbst den Anspruch, vollwertige Hochschulen zu sein. Zu einem vollwertigen Studium gehört aber auch, ein Fach in seiner vollen Fachsystematik zu studieren. Wir müssen uns aber klar werden (und dies auch den Studierenden klarmachen), dass ein Studium keine Freizeitveranstaltung ist. Ein Studium bedeutet, sich unter Einsatz von Zeit und Gehirnschmalz mit einem Stoff intensiv auseinanderzusetzen. Das geht nicht, wenn ich mir mal nebenher ein Video anschaue und dann noch einmal in der Woche ein Pläuschchen mit dem Dozenten und anderen Studis halte. Wir hatten an der Uni z.B. In Elementargeometrie 4SWS Vorlesung, 2SWS Übung, wöchentliche Pflichthausaufgaven und am Ende eine Klausur. Danach saß der Stoff. Nicht dass ich das System optimal finde, aber durch reines entdeckendes Lernen in 2SWS brauchen die Studenten wahrscheinlich auch 3 Jahrtausende, um auf den gleichen Stand der Wissenschaft zu kommen. 😉 Wir sollten uns und den Studenten wieder mehr Lehrveranstaltungszeit gönnen, um beides zu ermöglichen: zunächst forschend eigene Erfahrungen sammeln. Und im zweiten Schritt diese Erfahrungen fachsystematisch strukturiert präsentiert zu bekommen. Dabei muss den Studenten klar sein, dass der zweite Schritt nur fruchtet, wenn sie vorher den ersten Schritt erfolgreich ausgeführt haben. Aber auf den Lehrenden als Vorbild für das eigene Handeln zum Lernen durch abschauen und Nachmachen sollten wir nicht verzichten.

  8. Andreas Fest sagt:

    Ergänzung: Wir müssen uns natürlich auch die Zeit nehmen, den Studis klarzumachen, was ihnen die Fachsystematik bringt und wie sie diese sinnvoll aus der Schule herauslassen, aber dennoch für ihr eigenes Verständnis von Schülerfehlern nutzen können.

  9. cspannagel sagt:

    @Oliver Zum Begriff Übergangsmodell: Ich suche natürlich nicht nach einer „besten“ Methode insgesamt, sondern ich suche ein einem besten Modell für meine Modul-1-Veranstaltung, also für meine Zielgruppe mit ihren Lernzielen und für mich als Dozenten. Zurzeit ist mein Grundmodell der „flipped classroom“ in dem Sinne, dass die Studierenden zuerst Videos schauen und dann Aufgaben lösen. Das ist auch wirklich ziemlich gut vom Prinzip her, aber trotzdem würde ich gerne nun in einem zweiten Schritt den „Input“ weglassen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass der flipped classroom zwar sehr gut dazu taugt, die lästigen Hörsaal-Vorträge loszuwerden, aber in einem zweiten Schritt könnte man versuchen, die Videos loszuwerden. 🙂 Natürlich kann man dazu auch noch „flipped classroom“ sagen, wenn man möchte (Definitionssache). Nichtsdestotrotz wird unter „flipped classroom“ eben landläufig verstanden, dass man Input (Videos, Text, …) vorschaltet und nicht „Beliebiges“. Die Grenzen sind aber fließend, logo.

    @Oliver Zu „Videos bei Bedarf“: Natürlich nicht geheim halten (stehen ja auf Youtube), sondern einen Pool zur Verfügung stellen im Sinne von „Zusatzmaterialien“… Allerdings würde all das eher die Unsicherheit der Studierenden erhöhen als steigen („Muss ich mir die jetzt auch noch alle ansehen, um die Prüfung zu bestehen?“)

    @Jean-Pol Das habe ich probiert; Studierende können aber nicht derart schnell zu Mathematik-Experten auf dem erforderlichen Niveau durch Selbstaneignung werden, dass sie anschließend Videos für andere Studierende produzieren können. Und fraglich ist auch, wie man das mit 100 Studierenden organisieren will.

  10. cspannagel sagt:

    @Andreas „Die PHen haben doch ausserdem an sich selbst den Anspruch, vollwertige Hochschulen zu sein. Zu einem vollwertigen Studium gehört aber auch, ein Fach in seiner vollen Fachsystematik zu studieren.“ Zu deinem ersten Punkt: Logo, das stellt ja keiner in Frage. Aber weshalb setzt du „vollwertiges Fachstudium“ gleich mit „volle Fachsystematik“? Was bedeutet überhaupt „vollwertig“? Sollte sich nicht vielmehr jeder Studium auch an das Berufsfeld ausrichten? Warum sollte die Lehrer mit all diesen Konzepten „vollballern“, wenn sie sie eigentlich nicht benötigen? Brauchen Lehrer eine Einführung in die Mengenlehre mit allem Kladderadatsch, oder brauchen Lehrer reflektierte Eigenerfahrung im Umgang mit Mengen (und ggf. könnte man dann auf solche Dinge wie „Was ist der Unterschied zwischen einer echten Teilmenge und einer Teilmenge?“, der vielleicht nur in der formalen Welt von Bedeutung ist, verzichten)?

    Natürlich soll niemand die Mathematik immer wieder komplett neu erfinden. Die Frage ist aber, welcher Teil aus mehreren Jahrtausend Mathematikgeschichte relevant für Lehrerinnen und Lehrer sind. Ist es denn der Begriff der Äquivalenzrelation? Vollständige Induktion? Müssen Studierende auf den aktuellen Stand der Wissenschaft kommen? Schaffen wir das in der Mathematik? Ist das, was wir da machen, der „aktuelle Stand“? (Oder der von vor 100 Jahren?) Warum machen wir die Inhalte eigentlich so, wie wir sie machen? Weil unser eigenes Studium so aufgebaut war, oder? Wer hat eigentlich gesagt, dass das gut so ist?

    Es geht nicht darum, „alles selbstentdeckend“ zu machen, sondern darum, Erfahrungen im Mathematk treiben zu machen, die anschließend gemeinsam systematisiert werden. Sollte ich Studierende in das System einführen, oder ist das „systematisieren lernen“ für sie relevanter? Aber braucht man dazu die oft recht formalen Begriffe? Andererseits: Wenn ich in die Systematik einführe (wie ich es jetzt mache), mache ich dann nicht ganz viel Entdeckungspotenzial kaputt?

    Sollten wir auf der einen Seite kritisieren, dass in der Schule „stofforientiert“ vorgegangen wird („Oh Gott, ich kriege den Stoff nicht durch“), auf der anderen Seite wollen wir aber erreichen, dass „der Stoff sitzt“? (siehe deine Formulierung oben)

  11. cspannagel sagt:

    @Birgit Nein, Kommentare müssen eigentlich nicht freigeschaltet werden, aber wegen deiner vielen bösen Links wurde dein Kommentar als Spam klassifiziert. 🙂

    So, jetzt geh ich erst mal frühstücken, bis gleich. 🙂

  12. cspannagel sagt:

    @Andreas An welcher Stelle genau brauchst du Äquivalenzrelation, vollständige Induktion, Gruppentheorie und Beweisverfahren, um Schülerfehler zu erkennen?

    Als Beispiel zur Äquivalenzrelation: Eigentlich brauchen Lehramtsstudierende genug Erfahrung im Klassifizieren und im „Fehler machen beim Klassifizieren“… aber brauchen Sie dazu die Eigenschaften von Äquivalenzrelationen?

  13. jeanpol sagt:

    @spannagel ok. die studis können die videos nicht erstellen. Zu den inhalten: als didaktiker habe ich stets in meinen kursen absolute basics vermittelt, weil ich wusste, dass sie in den fachveranstaltungen diese basics nicht bekamen: die kollegen waren sich zu fein dazu. Mit dem ergebnis, dass die studis die uni verließen und sich die basics selbst später (als lehrer) beibrigen mussten (oder auch nicht, was eher die regel ist). Ich habe also überblicke angeboten: überblick über die geschichte der französischen literatur in 14 sitzungen, überblick über die geschichte europas in 14 sitzungen, usw. Ich habe die studis angeregt, genau diese überlblich auch später in der oberstufe anzubieten, weil die schüler genau das brauchten und nichts anderes. Und die studis waren immer sehr dankbar dafür: „das und nur das können wir später brauchen“! Übrigens: methodisch verliefen diese kurse systematisch nach LdL.

  14. jeanpol sagt:

    @spannagel und noch was: nie musste ich den studenten erklären, warum wir bestimmte stoffe und inhalte durchnehmen. Meine inhalte habe ich immer so gewählt, dass sofort einsichtig war, warum sie das in ihrem späteren beruf als lehrer brauchen. Das hängt mir der sinnfrage zusammen: man muss als lehrer immer in der lage sein, sofort und ohne lange erklärungen auf die frage „warum lernen wir das, inwiefern ist das wichtig für mich und meine zukunft“ zu antworten.

  15. cspannagel sagt:

    @Jürgen @Oliver Aus der Überschrift geht es nicht direkt hervor (daher evtl. missverständlich), aber aus dem Text: Es geht mir nicht um den flipped classroom / inverted classroom generell, sondern bezogen auf (meine) Mathematikveranstaltungen. Mathe unterscheidet sich hier bestimmt von Englisch oder BWL, und mein Unbehagen bezieht sich nur auf das Lernen von Mathematik

    @Jeanpol „warum lernen wir das, inwiefern ist das wichtig für mich und meine zukunft“ – genau diese Frage treibt mich seit gestern um: Geben meine Veranstaltungen die Antwort auf diese Frage? Und ermögliche ich Studenten diejenigen Aktivitäten, die sie als Erfahrungsschatz später brauchen?

  16. cspannagel sagt:

    @Birgit Ja, du beschreibst ein ähnliches Dilemma mit analoger Ausrichtung in der Chemie… und bzgl. der „Motivationstypen“ und Probleme, die du beschreibst, ist es in der Mathematik vielleicht ähnlich.

    Meine Videos finde ich natürlich auch prima, insbesondere weil ich diese Erklärungen (wenn sie einmal nachgefragt werden) nie wieder so machen muss. 🙂 Wie gesagt, die Video-Sache ist schon ziemlich prima, aber mich stört die inhaltliche und methodische Grundausrichtung meiner Veranstaltung, die sehr stark am „Videoinput“ orientiert ist, der klassische Vorlesungsinhalte enthält. Da muss ich ran..

  17. Oliver Tacke sagt:

    @Christian
    Genau deshalb habe ich nachgefragt 🙂 Nach Absenden meines Kommentars hatte ich das Gefühl, dass ich an deinen Fragen vorbei geantwortet hatte und du dein Problemfeld eigentlich stark eingegrenzt hast.

  18. jeanpol sagt:

    @spannagel wahrscheinlich muss du an der PH nicht nur didaktik vermitteln sondern auch fachwissenschaft. Ansonsten kann man ja die inhalte heranziehen, die zum schulstoff gehören und diese so einüben, dass die studenten sie voll beherrschen (mitsamt vermittlungsstrategie) und auch lust haben, sie in der schule einzusetzen. Wer beispielsweise nach 12 sessions den überblick über die basics von 30 philosophen hat, brennt darauf, diese auch weiterzugeben…

  19. jeanpol sagt:

    noch was: ein weiterer vorteil des o.g. verfahrens war, dass die studenten sich nicht nur intensiv mit dem stoff befassten, der in den schulen vermittelt wird und diesen stoff aus dem ff beherrschten, sondern dass sie auch selbst überlegten, welchen stoff die schüler wirklich brauchen für ihre zukunft. Auf diese weise konnten neue inhalte, die aus sicht der studenten für die zukunft der schüler wichtig waren, erarbeitet, und alte – überflüssige – inhalte zum wegstreichen vorgeschlagen werden.

  20. Interessante Diksussion, aber kurz zurück zur Ausgangsfrage: ein Übergangsmodell? Nein, das würde ich nicht sagen. Der Grundansatz des Inverted Classrooms, nämlich die Lernenden eigenverantwortlich sonst in Frontalunterricht präsentierten Lernstoff erarbeiten zu lassen, sollte auf jeden Fall weiter verfolgt werden. Aber er ist vielleicht nur ein Teil eines größeren Modells, in dem die Studierenden (oder in meinem Falle die SchülerInnen) in didaktisch aufbereiteten digitalen Lernumgebungen (ähnlich wie im VLC) projektartig sachthemen-orientiert Fachinhalte vermittelt bekommen. So schwebt mir mein Unterricht vor.

    (Das ist die Essenz meines ursprünglich geschriebenen Kommentars, der letztendlich aber den Rahmen gesprengt hätte. Jetzt fühle ich mich genötigt, doch endlich mal mein eigenes Blog zu starten, um auch aussschweifenderen Gedanken Platz zu geben.)

  21. @Herr_Gross … so stelle ich mir das auch vor – sowohl in Mathe als auch in Chemie. Wobei für Chemie dann das Thema Experimente noch dazu kommt.

    Wenn Sie oder du dein Blog startest, wäre ich auch interessiert. Kennst du das neue Klett-Lehrwerk?

    Grüße, Birgit Lachner

  22. ixsi sagt:

    Hier mal ein paar Beispiele aus den letzten Wochen, die zeigen, dass die Unimathematik, so wie ich sie kennengelernt habe, gar nicht so unnütz ist:

    1. Klasse 8, Thema „Wurzeln“. Es sollte in einer Stunde um irrationale Zahlen gehen. Dazu sollten die Schüler feststellen, dass jeder Bruch entweder eine abbrechende oder eine periodische Dezimalbruchdarstellung besitzt. Bekanntlich gehören zur ersten Gruppe die vollständig gekürzten Brüche, deren Nenner nur durch 2 und durch 5 teilbar ist. Alle anderen Brüche sind am Ende periodisch. Die erste Gruppe kann ich mit den Schülern leicht begründen. Für die zweite Gruppe hilft mir der kleine Satz von Fermat. An dieser Stelle kann ich, wenn ich Zeit habe, etwas tiefer in die Zahlentheorie einsteigen, oder, wie dieses Schuljahr, wenn keine Zeit ist, es lassen und es den stärkeren Schülern zukommen lassen. Ich weiß für mich aber, was dahinter steckt.

    2. Klasse 12, Thema „Matrizen“. Es soll das Inverse einer Matrix bestimmt werden. Im Buch wird es am Beispiel des Codierens und Decodierens erklärt. Ich ergänze, dass die Multplikation in R auch ein neutrales Element und Inverse kennt, aber nicht zu jeder Zahl. Ähnlich verhält es sich zur Matrizenmultiplikation. Hier kann ich Analogien bilden, um darzustellen, dass die Matrizeninverse doch nicht so viel anders sind als die gewöhnliche Multiplikation. Eigentlich ist das Gruppentheorie. Einmal kommutativ, das andere nicht.

    3. Klasse 6, Thema „Bruchrechnung“. Schülerfrage: Warum darf man bei der Addition nicht die Zähler und die Nenner jeweils miteinander addieren? Mathematikerantwort: Definieren wir uns das doch mal so und schauen, was passiert. 1+2=3 (weiß jeder 6.Klässler 😉 ). 1/1 + 2/1 wären nach der neuen Addition 3/2. Aber 3/2 ist nicht 3. Oder 3/2 müsste mit 3/1 in einer – und jetzt kommts – Äquivalenzklasse sein. Letztendlich wäre diese Addition eine Addition von Äquivalenzklassen, zu der es eine bijektive Abbildung zur Addition in N gibt (falls ich mich nicht irre). Muss man den Schülern ja nicht mit diesen Worten sagen. Aber die Tatsache, dass die neue Addition nicht mit der alten (also auf den natürlichen Zahlen) kompatibel ist, verdeutlicht, dass die neue Addition zu unpraktisch ist und man eben die Brüche wieder auf den gleichen Nenner bringen muss.

    Manchmal ist es gar nicht so wichtig, ob ich diese Dinge jemals in der Schule brauchen werde. In meiner Begründung meines Unterrichtsinhaltes ist es das jedenfalls.

  23. @jeanpol: Da bin ich gänzlich anderer Meinung. Ich glaube nicht, dass alle Inhalte sofort ihren Nutzwert ausstellen. Im Studium soll man das selbständige kritische Denken lernen dürfen und dazu zählt auch, das nicht sofort autoplausibel ist, weshalb Gegenstand X zum Zeitpunkt Y irgendeinen Nutzwert habe – Mühe gehört nicht nur im Wortsinn dazu. Dann fällt späteren Lehrern auch die Antwort leichter auf eine der problematischsten Fragen („Wozu brauche ich xy im Leben?“): um denken zu lernen, Hürden zu überwinden und Erfolgserlebnisse zu haben. Ich teile die Meinung von @cspannagel vollständig, wenn er sich fragt, ob die „Einführung in das System“ oder „das selbständige Systematisieren“ Lerninhalt einer Veranstaltung oder des Studiums sein sollen.

    Zum IC: Eine Anpassung der Inhalte an die Methode („Kann ich in X mit einem Video einführen oder soll ich dann lieber Thema Y wählen?“) halte ich nicht für sinnvoll. Was sich mit Podcasts vorbereiten lässt, wird mittels Podcast vorbereitet. Braucht man ein Video (z.B. wenn ganzheitliche Inhalte erfasst werden sollen oder prozedurale Abläufe wichtig sind), nimmt man ein Video als methodisches Hilfsmittel. Sollen fachwissenschaftliche Diskussionen aufgenommen werden, stellt man zwei konträre Aufsätze zum Thema zur Verfügung und formuliert einen Fragenkatalog usw. usf.
    __

    Größere Sorgen macht mir beim ICM die fehlende Ergebnissicherung, hier halte ich auch das offen vorgetragene Argument der „Deputatseinsparung“ für politisch problematisch. Faktisch arbeite ich mit zwei Präsenzveranstaltungen, die durch Material vorbereitet werden: Dazu zählen Einführungsliteratur, ein Arbeitsheft inkl. Aufgaben und im Moment ein Podcast, den ich öffentlich zugänglich mache. Die erste Präsenzsitzung findet im flipped classroom (oder „aktiven Plenum“) statt, die zweite Sitzung dient der Ergebnissicherung und Wiederholung.
    __

    Kurz: Der IC kann als Methode immer eingesetzt werden; die Medien, die dabei Anwendung finden, können von Thema zu Thema variieren. Es gelingt damit, Studierende zu aktivieren (von denen man als Dozent überraschend viel lernen kann) und aus der Konsumentenhaltung herauszuholen und sie auch ein Stück darauf hinzuführen, dass die Frage „Wozu brauche ich X?“ möglicherweise nicht richtig gestellt ist. Wenn sie irgendwann fragen „Wie gelingt es mir, eine Lösung zu X zu erarbeiten?“, dann war das Studium erfolgreich. Ich glaube, dass man das mittels des ICM (mit Ervaluation!) besser erreicht.

  24. Daniel Bernsen sagt:

    Wenn ihr euch mal die amerikanischen Blogbeiträge zum #flipclass oder auch das Buch von Bergmann/Sams anschaut, dann wird dort eigentlich genau das beschrieben: der Flipped Classroom als „Übergangsmodell“ zu anderen Formen von Lehre und Unterricht.

    Unter dem Begriff des „flipped classroom“ finden sich in der Praxis mittlerweile völlig unterschiedliche Arte gemeinsame Lernzeit zu gestalten. Wobei ich zwei unterschiedliche Ebenen sehe:
    a) eine stark verkürzte Rezeption, vor allem in den Medien, aber auch bei vielen Kollegen, die die Videos fokussieren;
    b) die Praktiker, die das Modell ausprobieren und es in ihrem Unterricht selbstständig weiterentwickeln.

    Auch wenn der Ausgangspunkt das Vertauschen von „Unterrichts-“ mit „Hausaufgabenaktivitäten“ und dem Lernen von Videos war, ist dies gar nicht mehr der kleinste gemeinsame Nenner des Modells in der Praxis. Was allen Praxisbeschreibungen, soweit ich das überblicke, hingegen gemeinsam ist, ist die Aktivierung der Lernenden, die zunehmend individuell, kollaborativ und eigenverantwortlich ihre Lernprozesse organisieren. Damit verbunden natürlich eine gewandelte Rolle des Lehrers/Dozenten.

    Welche Rolle spielt dann noch der eigentliche Ausgangspunkt des „flipped classrooms“?
    Er ist Auslöser und Katalysator für weitergehende Veränderungen, regt an über grundlegende Fragen der Unterrichts- und Lernzeitgestaltung, der Rolle von Lehrkraft und Lernenden grundsätzlich nachzudenken. Vor allem aber bietet das ursprüngliche Flipped Classroom-Modell, genau wie du schreibst, Christian, einen guten Einstiegspunkt in die Veränderung für alle, die bisher stark lehrer- und inputzentriert arbeiten.

    Ich habe meinen Unterricht nicht in Klassen umgestellt, aber da wo ich mit dem „Flipped Classroom“ experimentiert habe, bin ich letztendlich bei Formen von LdL und Projektlernen gelandet – ganz ohne Videos aber mit hoher Aktivierung und Verantwortlichkeit der Lernenden für Auswahl und Gestaltung von Lernprozessen und -inhalten.

  25. jeanpol sagt:

    @alexander wahrscheinlich gibt es einen großen unterschied zwischen der systematik der mathematik als fach und der systematik der romanistik als fach. An der uni werden romanistik-studenten mit literaturwissenschaftlichen methoden intensiv befasst und würden sehr gerne einen überblick über die geschichte der literatur erhalten, weil dies für die schule und das leben nützlicher ist. Das bekommen sie aber nicht. Was die mathematik angeht, das kann ich nicht beurteilen.

  26. m.g. sagt:

    Lieber Christian,
    hab leider nur wenig Zeit, nächste Woche ggf. mehr. Schön ist, dass Du endlich wesentlich mehr über Inhalte nachdenkst.

    Eine Antwort auf die Frage „Wozu brauch ich das“ ist sehr komplex und nicht einfach. Ich werde dazu ein anderes mal Stellung nehmen. Heute sei nur bemerkt, dass diese Frage von Fachleuten diskutiert werden muss und nicht von Leuten, die „die immer schon Schwierigkeiten mit Mathematik“ hatten und „Klötzles schiebe“ für ausreichend halten. Die allseits angestrebte Entfachlichung nicht nur der Mathematiklehrerausbildung halte ich für sehr problematisch. Insbesondere dann wenn sie als pädagogische Revolution gefeiert wird.

    „Sie sollen lernen, was es bedeutet, mathematisch tätig zu sein, und nicht “Mathematik” lernen.“

    Was soll dieser konstruierte Gegensatz? Gilt nicht eher: Mathematik lernen gdw. mathematisch tätig sein?

    Mathematik ist ein Fach, das sich wunderbar unterrichtet. Mit vergleichsweise wenig Aufwand ist es möglich, die Schüler sich selbst mit der Materie auseinander setzen zu lassen. Nur aus einer solchen Auseinandersetzung heraus ist es wiederum möglich, ein wirkliches Verständnis für die Materie zu entwickeln.

    Selbst wenn Du Deine Videos mit Quizfragen aufpeppst (der programmierte Unterricht aus den 70ern feiert fröhliche Urständ), es ist und bleibt vor allem eine rezipierende Tätigkeit. Das passt gut zu einem Mathematikverständnis wie: Hier hast du einen Algorithmus, schau ihn dir gut an, damit auch du ihn so schön anwenden kannst.“ Ins linke Kästchen schreibst du immer den Grundwert, ins rechte den Prozentwert …. jetzt musst du nur noch die Entertaste drücken.“

    Wirkliches Verständnis ergibt sich nur durch die aktive Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Eine richtige Definition selbst entwickelt ist für unsere Studierenden 100 mal mehr wert als 100 Definitionen, die ich mir im Video angesehen habe und ggf. nachbeten kann. Warum sollte ich das eigentlich können, da ich doch jederzeit den Professor zurückspulen kann und ihn die Definition zum Vortrage bringen lassen kann?

    Also erst selbst entwickeln und dann mal schauen was der Prof. im Video dazu sagt. Irgendwann bin ich mir so sicher, dass ich den Prof. nicht mehr brauche. Es ist der Lehrer (ich sage Lehrer und nicht Lernbegleiter) der beste, der es schafft, sich überflüssig zu machen. (Lernbegleiter sind von vornherein überflüssig.)

    Grüße
    Micha

  27. […] dem Titel des Beitrags gibt es drüben bei Christian Spannagel eine interesssante Diskussion. Ich habe dort gerade kommentiert und veröffentliche den Kommentar […]

  28. @Andreas – danke, so etwas wollte ich auch schreiben. Dann kann ich jetzt mal zuspitzen.

    Christian: Jetzt mal abgesehen davon, dass bei uns (Halle, aber auch Karlsruhe) Relationen und Mengen und Aussagenlogik in der Modulbeschreibung stehen, die Inhaltsdiskussion muss doch völlig unabhängig von den Methoden geführt werden. Du kannst doch nicht sagen „mit normaler Vorlesung kann man das nicht unterrichten, also unterrichte ich etwas anderes auf eine andere Art und Weise…“

    Das Argument „das hat Jahrtausende gedauert“ zieht m.E. gar nicht. Das ist für mich genauso falsch wie der Ansatz „Kinder müssen alles selbst entdecken und erfahren“. Wäre das so, dann kämen wir nie über Steinzeit-Niveau (wenn überhaupt) hinaus.

    Jetzt kann man noch fragen, warum man überhaupt diese Themen braucht (für Lehrerinnen und Lehrer). Ich mache diese, weil ich es für essentiell halte, die Strukturierungskraft der Mathematik zu erleben. Jemand, der Mathematik unterrichtet, sollte in der Lage sein, Zahlen nicht als gottgegeben hinzunehmen, sondern sie als etwas wahrzunehmen, was zwingend aus der einfachen Tatsache entsteht, dass man Dinge zu Mengen zusammenfassen kann (meinetwegen kann sich das Gott auch so ausgedacht haben). Weiterhin hilft dieses tiefergehende Verständnis auch dabei, die Lernprozesse von Kindern adäquat zu begleiten.

    Und jetzt noch was zu Videos und Flipped/Inverted Classroom. Ich halte dieses Konzept für grundlegend falsch (das weißt du ja schon länger). Und ich mag es auch nicht. Nichts gegen Lehr-Videos, aber das ist EIN SCHLECHTER ERSATZ FÜR GUTE VORLESUNGEN. Anstatt mir jetzt 1000 Argumente auszudenken oder nach Evaluationen oder anderen messbaren Dingen zu fragen, möchte ich ein Gleichnis wagen: Wozu Theater, wenn es doch Film gibt? Wäre es nicht viel besser, wenn man sich eine gute Fassung von Goethes Faust auf Video reinzieht und sich dann mit den Darstellern trifft und darüber diskutiert?

    Zusammenfassung für TLDNR-Menschen:

    – Ändern der Inhalte ist keine Methode
    – Man muss nicht alles selbst entdecken
    – Vorlesungen sind wertvoll und können nicht einfach durch Videos ersetzt werden

  29. jeanpol sagt:

    @cspannagel für mich liest es sich hier wie wenn die mathematik-didaktiker fachwissenschaftliche veranstaltungen halten würden. Ich gehe doch davon aus, dass die systematik der mathematik von den fachwissenschaftlern abgedeckt wird und dass die didaktiker sich ganz der didaktik widmen, also der frage, wie man den bezug des schülers zur mathematik, also seine motivation, sich mit diesem stoff zu befassen, optimiert, intensiviert und möglichst für das ganze leben „erotisiert“ (im platonschen sinne). Sonst wäre didaktik eine verdoppelung der fachwissenschaft, was ja leider in der didaktik oft genug vorkommt!

  30. jeanpol sagt:

    @spannagel und noch was: in meinem fach (didaktik des französischen) waren die didaktiker-kollegen sehr oft fachwissenschaftler (literaturwissenschaftler oder linguisten), die in ihrer spezialität keine professur bekommen hatten und von ihren fachkollegen, die majoritär in den berufungsausschüssen saßen, durch eine didaktikstelle entschädigt wurden. Mit entsprechendem negativem effekt für die didaktik, die sie lehrten, für die studenten und für die schüler!

  31. Lisa Rosa sagt:

    Ich bin ja erschrocken, als ich las, dass du die Studis drauf aumerksam machen musst, dass sie sich beim Gucken des Videos Notizen machen müssen, damit sie ihre Fragen nicht vergessen , und dann tstsächlich Lückentexte vorbereitest, damit sie beim Videogucken konzentriert bleiben. Sowas haben meine 8.klässler gebraucht, um einem Vortrag von Lennard Bernstein von 20 min konzentriert folgen zu können. Aber Studis? In einem selbst gewählten Fach? Meine Güte! Aber vlöt ist das so, dass sie tatsächlich üben müssen, einem Vortrag zu folgen. Das spricht dafür, dass sie Vorträge kriegen!
    Das andere Extrem ist der Vorschlag von JPM, die Studis das Video selbst machen zu lassen. Das finde ich sehr überfordernd, vor allem unter diesem Bedingungen, wir oben geschildert.
    Warum so extrem?
    Ich schlage vor, die Studis kriegen die Aufgabe, aus dem Vortragsvideo ein Handout zu machen, also eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte. Dabei merken sie, was sie nicht verstanden haben, und können gezielter fragen in der Präsenz veranstaltung. Und beim öffentlichen Vergleich einiger Handouts können die verschiedenen Verständnisse von dem, was wichtig ist, diskutiert werden

  32. jeanpol sagt:

    @cspannagel die frage der inhalte beschäftigt mich sehr im zusammenhang mit deinem blogeintrag. Ich bin überzeugt, dass meine erfolge als didaktiker zentral auf die auswahl der inhalte zurückzuführen sind, die ich sowohl für die schüler, als auch – davon abgeleitet – für die studenten getroffen habe. Als didaktiker war mir sehr wichtig zu ermitteln: a) welche inhalte sind für die gegenwart und vor allem für die zukunft der schüler von hohem wert? b) wie kann ich die studenten als künftige lehrer mit den von mir für die schüler als relevant identifizierten inhalte so vertraut machen, dass sie den stoff beherrschen und sich nur noch überlegen, wie sie diesen stoff optimal vermitteln können. So kam ich als französischdidaktiker zum ergebnis, dass die struktur der uno, die struktur von europa, die geschichte der welt seit der antike, für das verständnis der welt von eminenter bedeutung sind. Das hatte NICHTS mit der fachwissenschaft zu tun! Ich erinnere mich sogar, dass ich die relativitätstheorie mit schülern, dann mit studenten behandelt habe, als FRANZÖSICHDIDAKTIKER! Wie du siehst, das ist ein radikaler schnitt gegenüber dem, was sonst mit lehrerstudenten gemacht wird. Da diese inhaltlichen entscheidungen dreißig jahre lang mein leben als lehrer und didaktiker stark geprägt haben und mein glück und erfolg bedingt haben, wollte ich dich noch dringlich auf diesen aspekt hinweisen. Und wenn die verpflichtet bist, fachinhalte an der ph zu vermitteln, dann weigere dich. Die macht dazu hast du ja! Im übrigen: Immer lag ich quer zu dem, was meine didaktikerkollegen (verkappte fachwissenschaftler) empfohlen haben. Mit etwa 15 jahren verspätung kamen dann in den lehrplänen ddie inhalte, die ich aus einsicht bereits 15 jahre lang behandelt hatte. Weil ich selbst in der schule unterrichtete, im gegensatz zu meine didaktikerkollegen, wusste ich, was die schüler und studenten für die zukunft brauchten…

  33. cspannagel sagt:

    @jeanpol Zu deinem letzten Beitrag: Ja, die Frage der Inhalte beschäftigt mich seit Freitag immens. Grundveranstaltungen in der Mathematik werden eher aus „traditionellen“ Gründen so gestaltet, wie sie gestaltet sind.Ich selbst habe mich bei der Gestaltung meiner Vorlesung unter anderem an der Struktur der Vorlesungen, die ich als Student gehört habe, orientiert: Zunächst einmal brauchen wir Aussagenlogik (ohne die geht nix), dann Mengenlehre (Basisbegriff Menge), dann kommt der Begriff der Relation dazu, mit dem Begriff kann man prima den Begriff der Funktion einführen, dann haben wir alles, was wir brauchen. Dann bauen wir die Folge der Natürlichen Zahlen axiomatisch auf. Wir lassen die Mathematik so richtig „aus dem Nichts“ entstehen. Dieses Vorgehen hat eine große Ästhetik inne, und das finde ich auch weiterhin so. Nur kann man diese Ästhetik vielleicht erst am Ende eines längeren Prozesses fühlen, und nicht schon im ersten Semester. Und wir führen damit zahlreiche Formalismen und Spezialbegriffe ein, die man als Grundschullehrer nicht wirklich braucht. Das wird zwar immer behauptet („Man muss wissen, was eine Äquivalenzrelation ist, damit man richtig darauf reagieren kann, wenn Grundschüler ihre Bauklötzchen nicht richtig klassifieren“), aber ich glaubs nicht (mehr). Natürlich muss man fachwissenschaftlich fit sein (ich habe die Diskussion nicht angezettelt, weil ich die Fachwissenschaft loswerden will). Die Frage ist aber, welche Fachwissenschaft wir brauchen.

    An den Pädagogischen Hochschulen ist es übrigens anders als an den Universitäten. Wir sind alle Fachdidaktiker und decken komplett die Lehre für die Lehramtsstudiengänge ab, also sowohl fachwissenschaftliche als auch fachdidaktische Veranstaltungen. Wir sind in der Mathematik summe summarum ca. 10 Fachdidaktiker, die alles unter sich aufteilen. Insofern gibt es keine Fachwissenschaftler, die fachwissenschaftliche Veranstaltung für die Lehramtsstudiengänge „abdrücken“, sondern das ist schon alles okay so. Ich beziehe mich hier im Beitrag auf meine Modul-1-Veranstaltung „Grundlagen der Mathematik 1“, die eine Einführung in die Fachwissenschaft ist, im Wesentlichen im Bereich Arithmetik.

  34. cspannagel sagt:

    @Uli Du hast völlig Recht, die Frage nach den Inhalten und nach den Methoden sind zwei verschiedene Fragen, und hier entsteht zunächst der Eindruck, die Frage nach der Methode hätte einen Einfluss auf die Wahl der Inhalte. So ist es nicht, eigentlich hatte ich hier beide Fragen (vielleicht ungünstig) zusammen aufgeworfen. Peter und ich hatten auch beide Fragen getrennt besprochen: Brauchen wir wirklich genau diese Inhalte? Und: Wie gestalte ich methodisch eine Grundveranstaltung besser?

    Und, wenn es eine Beeinflussung gibt, dann eher in die andere Richtung: Ich wähle die Inhalte, und dann entscheide ich mich für Methoden. In BW sind wir mit den Inhalten ja ein bisschen freier (weißt du ja noch), insofern kann ich diesen Weg auch beschreiten. Wenn man sich aber entscheidet, dass weniger die komplette Fachsystematik vermittelt werden soll, sondern bestimmte fachwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen, die exemplarisch an grundschulrelevanten Inhalten erlernt werden sollen, dann hat das definitiv eine Auswirkung auf die Wahl der Methoden.

    „die Strukturierungskraft der Mathematik zu erleben“… „Erlebt“ man die Strukturierungseigenschaft der Mathematik, wenn man die Struktur „vorgesetzt“ bekommt? Oder muss man nicht viel mehr viel stärker selbst strukturieren lernen? Und dabei erfahren, wie schön es ist, wenn sich Strukturen in mathematischen Umgebungen herausschälen?

    Zu deinem Vergleich mit Faust: „Wäre es nicht viel besser, wenn man sich eine gute Fassung von Goethes Faust auf Video reinzieht und sich dann mit den Darstellern trifft und darüber diskutiert?“ Ich würde eher sagen: „Wäre es nicht viel besser, wenn man sich eine gute Fassung von Goethes Faus auf Video reinzieht und sich dann trifft, um miteinander selbst Theater zu spielen?“ … und mittlerweile würde ich sagen: „Wäre es nicht besser, wenn wir alle versuchen, miteinander Theater zu spielen (vielleicht erst stümperhaft, dann immer besser werdend) und bei Bedarf mal in Gustav Gründgens reingucken, wenn wir keine Ahnung haben, wie wir eine Szene umsetzen sollen?

    Natürlich kann man nicht alles selbst entdecken, so ist es ja auch nicht gemeint. Deshalb bereitet mal als Dozent ja auch Umgebungen (ich mag das Wort nicht, hab aber kein anderes) vor, in denen bestimmte mathematische Prozesse mit größerer Wahrscheinlichkeit ablaufen, und anschließend kann man dabei helfen, das Ganze zu strukturieren und einzuordnen. Und darüber hinaus bleibt die Frage in der Aussage, dass man nicht alles entdecken kann, warum man weiterhin davon ausgeht, dass man alles braucht.

    Was sind denn TDLNR-Menschen?

  35. cspannagel sagt:

    @Daniel Groß Ja, starte einen Blog, und poste bitte hier die Adresse! 🙂

    @ixsi All die Inhalte, die du beschreibst, sollen ja nicht „verschwinden“. Die Frage ist, ob sie in dieser Fülle und in der Wucht der kompletten Fachsystematik auch „wie für Fachmathematiker“ vermittelt werden sollen. Beispiel Äquivalenzklassen: Weshalb genau muss man dann eigentlich die Eigenschaften Reflexivität, Symmetrie und Transitivität in allen Facetten durch alle möglichen mehr oder weniger konstruierten Relationen durchnudeln, um in der von dir beschriebenen Situation über Äquivalenzklassen nachdenken zu können? Und weshalb muss das ganze dann in eine Einheit „Relation“ eingebettet sein, in der man auch weitere Eigenschaften (Irreflexivität, Asymmetrie, Antisymmetrie, …) durchackert? Wozu muss man eigentlich wissen, was asymmetrische und antisymmetrische Relationen sind, und wo der Unterschied ist (auch zu „nicht-symmetrisch“)? Man könnte „man braucht das als Denkschule“ antworten, aber brauchen wir eine solche Denkschule das ganze Studium über? Und gäbe es, wenn man sich darauf geeinigt hat, dass Äquivalenzrelation ein wichtiger Begriff ist, nicht andere Vorgehensweisen, in der man den Begriff wirklich „erfahrbar“ macht und nicht so abstrakt vermittelt wie bislang?

  36. cspannagel sagt:

    @Micha Deinem Kommentar gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen. Und, um es nochmal deutlich zu machen: Es geht mir keinesfalls um eine „Entfachlichung“, im Gegenteil: Es geht mir um eine bessere Fachwissenschaft, eine Fachwissenschaft, die Lern- und Entstehensprozesse von Mathematik mit abbildet, und dabei vielleicht auch mehr exemplarisch und weniger „groß-systematisch“ arbeiten darf.

  37. cspannagel sagt:

    @Daniel Ja, so in etwa stell ich mir das auch vor.

    @Lisa Die Idee mit dem Handout ist gar nicht schlecht… da muss ich mal drüber nachdenken.

  38. cspannagel sagt:

    @Alexander Ich will nicht Inhalte an die Methode anpassen.. Uli hat ähnliches verstanden, irgendwo muss ich mich missverständlich ausgedrückt haben. (siehe meine Antwort an Uli)
    Und: Klar kann der IC als Methode immer eingesetzt werden. Theoretisch kann jede Methode immer eingesetzt werden. Die Frage ist nur, ob ihr Einsatz immer sinnvoll ist. Und ich bezweifle, dass für bestimmte Kombinationen von Inhalten (Mathematik) und Zielgruppen (Lehramtsstudierende) das nicht immer sinnvoll ist bzw. seine eigene Ausprägung (noch) finden muss.

  39. jeanpol sagt:

    „Natürlich muss man fachwissenschaftlich fit sein (ich habe die Diskussion nicht angezettelt, weil ich die Fachwissenschaft loswerden will). Die Frage ist aber, welche Fachwissenschaft wir brauchen.“
    – Exakt. Ich konnte nur deshalb den richtigen stoff auswählen, weil ich einen großen überblick über mein fach hatte, auch über die fachwissenschaften. Ich war also sehr fitt und entwickelte mich ständig fachlich weiter. Für den unterricht wählte ich methoden der fachwissenschaft heraus, die mir fruchtbar erschient und für die adressaten weiterführend.

    „“Wäre es nicht besser, wenn wir alle versuchen, miteinander Theater zu spielen (vielleicht erst stümperhaft, dann immer besser werdend) und bei Bedarf mal in Gustav Gründgens reingucken, wenn wir keine Ahnung haben, wie wir eine Szene umsetzen sollen?“
    – Ja, es wäre besser. Und m.g. gebe ich in vielen punkten recht.

  40. Peter Baireuther sagt:

    Für mich war der Besuch von Christian eine tolle Sache. Es passiert mir ja nicht oft, dass ich mich von jemand wirklich verstanden fühle – noch damit von jemand, den ich ganz schön provoziert hatte.
    Aber es geht mir ja gar nicht darum, die Mathematik schlecht zu reden (und das hat Christian wohl gespürt) – es geht mir vielmehr darum, dass sie im Rahmen von Schule eine Chance bekommt, ihren schlechten Ruf los zu werden und nicht nur als Selektionsinstrument, sondern als Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung wahr genommen zu werden. Und es geht mir darum, im Lehramtsstudium die dafür notwendigen Kompetenzen zu stärken.
    Wie sollen aber Lehrer(innen) Prozesse anregen und begleiten, durch die fachspezifische geistige Grundtechniken geschult und zentrale mathematische Ideen spürbar werden, wenn in ihrer eigenen Erfahrung Mathematik als Sammlung von vorgegebenen (von wem eigentlich?) Verfahren erscheint, mit denen offensichtlich für die Schule konstruierte Aufgaben erledigt werden können und mathematisches Wissen vorwiegend die Funktion hat, abgefragt zu werden? Wie soll im Unterricht Kommunikation (d.h. Austausch von individuellen Sichtweisen und Erfahrungen) über Mathematik in Gang kommen, wenn „richtig“ und „falsch“ die wesentlichen Kategorien sind, mit denen Äußerungen zum Fach bewertet werden?
    Umkehrschluss: Um Verantwortung für das mathematische Lernen von Schüler(innen) übernehmen zu können, müssen Lehrer(innen) aus eigener Erfahrung ein Gespür dafür entwickelt haben, welche mathematischen Erfahrungen wichtig sind. Wichtig deshalb, weil sie Orientierungshilfen und Handlungsstrategien ausbilden und stärken, mit denen Schüler(innen) das Selbstvertauen entwickeln können, dass sie im Zusammenhang mit Mathematik nicht nur dann handlungsfähig sind, wenn ihnen passgenau getrimmte Aufgaben gestellt werden.
    Anwendung auf Strukturen, Inhalte und Methoden des Lehramtsstudiums in Mathematik:
    – Da Prüfungsformen fast zwangsläufig bestimmen, was in den Lehrveranstaltungen als relevant angesehen wird, sollten Klausuren als Inbegriff der scheinbar objektiven Überprüfung scheinbar objektiven Wissens so weit wir möglich vermieden werden.
    – Begriffe sind nur dann mehr als tote Worte, wenn ihr Inhalt wirklich „begriffen“ worden ist. Das ist in Mathematik ein hoher Anspruch, weil ihre Begriffe Ausdruck eines umfangreichen Abstraktionsprozesses sind. Statt des (meist fruchtlosen) Versuchs, Begriffe zu vermitteln, sollten die Studierenden viel Gelegenheit bekommen, Erfahrungen zu machen, mit denen die Inhalte mathematischer Begriffe greifbar werden.
    – Mathematische Grundbegriffe (Mengen, Relationen, Funktionen, …) werden nicht umsonst erst seit (mathematikgeschichtlich) sehr kurzer Zeit als solche angesehen. Nur innerhalb der Fachwissenschaft Mathematik haben sie sich als grundlegend etabliert – für Nichtmathematiker wie Schüler(innen) oder Lehrer(innen) können sie niemals diese Bedeutung erlangen. Sie gehören deshalb nicht an den Anfang von mathematischen Lehrveranstaltungen, sondern sie sollen durch diese zunehmend mit Inhalt gefüllt werden.
    Bsp.: Eine Definition von Funktionen z.B. als spezielle Paarmengen schafft kein Verständnis für funktionale Zusammenhänge – das kann nur durch die intensive Untersuchung der Wirkung von Funktionen („was passiert, wenn?“) angebahnt werden und im Rahmen von Schule niemals den Status eines umfassenden Funktionsbegriffs erreichen (was auch keineswegs notwendig ist).
    – Mathematik ist die Wissenschaft von formalen Systemen und Strukturen. Um ein Gespür dafür zu entwickeln, müssen Studierende ausreichend Erfahrungen mit dem systematischen Erkunden bzw. selbstständigen Entwickeln von Mustern und Strukturen machen können – denn das bringen sie in aller Regel aus der Schule nicht mit. Nur so können sie (möglicherweise) die Bedeutung von entsprechend strukturierten Lernerfahrungen für die Schule erfassen: dass alle Schüler einerseits basale Grundsicherheiten aufbauen und andererseits durch systematische Erweiterung zu vertieften Einsichten gelangen können.
    Resümee: Ich habe in über 40 Jahren lernen müssen (dürfen?), dass es nicht reicht, wenn ich mathematische Inhalte hochschuldidaktisch geschickt verpacke, weil sie dann zwar für Prüfungen vielleicht gut gelernt werden können, aber in der Schule nicht zum Tragen kommen (oder schlimmer noch: als zusätzlicher Verbalballast mathematisches Lernen erschweren). Es reicht auch nicht, wenn ich ihre didaktische Relevanz ins Zentrum meiner Vermittlungsbemühungen stelle, so lange Studierende das nicht mit eigenen Erfahrung überzeugend stützen können. Sie werden das vielmehr immer als Marotte eines Fachidioten abtun und schnell verdrängen.
    Im Moment setze ich in der Tat große Hoffnungen in den Versuch, mathematische Lehrveranstaltungen konsequent in Lernumgebungen umzugestalten. Die Erfahrungen nach jetzt mehr als einem Jahr scheinen mich da echt zu ermutigen – schade, dass so etwas erst (fast) am Ende meines Berufslebens passiert.
    Ziemlich skeptisch bin ich aber nach wie vor, ob solche Effekte auch erzielt werden können, wenn die Kommunikation über mathematische Erfahrungen über Online-Foren organisiert wird. Die Formulierung mathematischer Gedanken ist schon eine sehr spezielle Sache – hier ist der direkte Kontakt und genügend Zeit zum Schaffen gemeinsamer Erfahrungskontexte wohl kaum zu ersetzen.

  41. Oliver Tacke sagt:

    Gewissermaßen als Quereinsteiger in beiden Themenfeldern (zum „Inhalt“ als Fernstudent der Mathematik, zur „Methode“ als Wirtschaftsinformatiker in der Hochschuldidaktik) finde ich die Diskussion sehr bereichernd! Vielen Dank an alle Beteiligten!

    Ich zögere gerade, mich hier einzubringen. Das finde interessant, warum eigentlich? Das muss ich für mich noch klären.

  42. Lisa Rosa sagt:

    „Mathe macht glücklich“ heißt der beeindruckende Film von Christel Manske, die in ihrem Institut Trisomie 21-kindern, Autisten und ADHSlern Mathe so lernen lässt, dass sie superleistungen hinkriegen. Dabei erfährt man auch, was Schule meist mit allen Kindern falsch macht http://www.amazon.de/gp/aw/d/3941849352
    Mathe-Didaktiker sollten den Film und Die Webseite der Hamburger Lerntherapeutin C
    auf jeden Fall kennen. (Christel-Manske-Institut)

  43. Was für eine Diskussion 🙂 @Christian: Das muss ich schon mal sagen – in keinem anderen mir bekannten Blog gibt es so viel Diskussionsbeiträge. Respekt! Ich kann aufgrund fehlender Kenntnisse zu deiner Domäne der Mathematik jetzt nicht viel Konkretes beitragen, aber eines muss ich denn doch loswerden:

    Warum haben wir so eine Abneigung gegen Vermittlung jeglicher Art entwickelt? Weil es so viel schlechte Vermittlung gibt? Ich sehe das gelassener: Wer gute Vorlesungen machen kann, die Studierende auch verstehen und in denen es gelingt, sie für etwas zu begeistern, sollte diese auf jeden Fall halten. Warum denn nicht? man muss doch auch mal zuhören können und wenn es gut ist, hört man auch gerne und interessiert zu (nur eben nicht dauernd!). Wen es nervt, als Hochschullehrer immer das Gleiche oder Ähnliches zu erzählen und wer mit Videos gut umgehen kann, der soll doch dieses Medium nutzen und die Präsenz-Zeit, wie du @Christian, es eben machst, anderweitig nutzen. Ich z.B. schreibe lieber Studientexte oder mache Audios. Wenn wir das geschickt und an den richtigen Stellen (natürlich, das ist eine Forschungsfrage: Wo sind die richtigen Stellen?) mit aktivierenden Methoden verbinden, in denen Studierende üben, selbst etwas entdecken, selbst produktiv (u. a. forschend) tätig werden und dabei auch lernen, vermittelte Inhalte (auch vom eigenen Prof) kritisch zu hinterfragen: Was sollte daran falsch sein? Ich finde, wir stehen auch in der Verantwortung, etwas zu vermitteln – natürlich nicht mit dem Anspruch, die allein selig machende Wahrheit zu besitzen, die wie gnädigerweise weitergeben, aber mit der Pflicht, verständlich zu kommunizieren, was wir für wichtig halten.

    Vor diesem Hintergrund plädiere ich für eine didaktische Vielfalt (wie Peter Baumgartners Buch :-)), und für den Mut, immer wieder auch etwas Neues auszuprobieren, aber auch zu kombinieren, was sich in einzelnen Aspekten bewährt. Vorschnelle Urteile darüber, ob bestimmte Modelle und Methoden nun gut oder schlecht sind, etwas tauen oder nicht – das traue ich mir jedenfalls nicht zu, weil es von so vielen Dingen abhängt, die Generalisierungen einfach sehr, sehr schwierig machen.

    Gabi

  44. m.g. sagt:

    @Christian: Es ist schon eine andere Nummer ob Ordnungsrelation und die ganzen Nichtsymmetrien oder eben die ÄR: natürliche Zahlen sind Äquivalenzklassen, gebrochene Zahlen sind Äquivalenzklassen, Richtungen sind Äquivalenzklassen, Pfeile werden zu Äquivalenzklassen zusammengefasst. Letzlich ist der Prozess der Begriffserarbeitung im Mathematikunterricht eine Generierung von Äquivalenzklassen.

    Ich weiß, ein schwieriger abstrakter Begriff aber von zentraler Bedeutung. Aber, wer über dieses Abstraktionsvermögen nicht verfügt, sollte auch nicht Mathematiklehrer (zumindest für die Sekundarstufen) werden dürfen. Diese ordnende Kraft der ÄR ist einfach nur geil. Mathelehrer sollten das spüren können.

    Mathematikdidaktik ist ein Pendel, das zwischen drei nichtkollineraren Punkten schwingt: Psychologie, Pädagogik, Mathematik als Fachwissenschaft. Es liegt in der Natur der Sache, dass es immer eine Weile extrem über einem dieser drei Punkte verharrt. Momentan ist es nicht die Fachwissenschaft. Man weiß nicht was wird, wenn der ganze pädagogische Erleichterungszauber zusammenbricht. Es gab auch Phasen in der das Pendel extrem über der Mathematik verharrte. Unsere Studierenden sollten mit allen drei Punkte souverän umgehen können.

  45. @jeanpol Ich bin LInguist (Gegenstandssprache: Deutsch) und daher kann daher das Problem fehlender Überblicksdarstellungen für das Fach sehr gut nachvollziehen — an den Universitäten, an denen ich bisher studiert und gelehrt habe, gab es diese Probleme aber nicht, im Gegenteil. Mein Punkt ging eher dahin, dass ich glaube, dass nicht die „Einführung in die Systematik“ sondern das eigenständige (und angeleitete) Systematisieren der Schlüssel ist zum Problemverständnis. Kurz an einem Beispiel: Wir haben in den germanischen Sprachen die Tendenz zur Nebensilbenabschwächung. Das ist ein langwieriger Prozess, der mit der Festlegung des Stammakzents im Germanischen einhergeht und sich seitdem beobachten lässt. Wenn man Studierende nur häufig genug die Vokalkombination „a“-„i“ nacheinander sprechen lässt, leuchtet ihnen recht schnell ein, weshalb die Nebensilbe (die für die Bedeutungskonstitution immer nebensächlicher wurde) zu „e“ abgeschwächt wird — es ist nämlich einfach weniger aufwändig. Nun ist es vielleicht nicht legitim, komplexe Sprachwandelphänomene auf solch ein Niveau herunterzubrechen, aber für den Einstieg reicht es. Anhand eines solchen Beispiels ist es nämlich für die Studierenden möglich, komplexere Systematisierungen selbst anzugehen und nach Konsequenzen in anderen Bereichen (wie Metanarrationen der Sprachgeschichte) zu befragen.

    @cspannagel Das wollte ich nicht gesagt haben, nur besteht eben gerade immer die Gefahr, dass möglicherweise auch ein Grund für die fehlende Passgenauigkeit einer Methode ist, dass die Inhalte an die Methode angepasst worden sind und nicht umgekehrt. Von Mathematik habe ich im akademischen Kontext zu wenig Ahnung, aber ich wüsste, dass ich beispielsweise in die Konstruktionsgrammatik nicht mittels ICM einzuführen bräuchte. Sprachhistorische Seminare hingegen, wie eines zu mittelniederdeutschen Handschriften und Drucken (z.B. Urkunden) könnte man wunderbar im IC erarbeiten. Aber noch einmal zur Frage nach der Evaluation: Macht Dir die Ergebnissicherung keine Sorgen? Bzw. wie löst Du das Problem?

    @Peter Baireuther Möglicherweise, aber nur möglicherweise, wäre eine phänomenorientierte Mathematikgeschichte nicht so uninteressant, um Mathematik aus der so wahrgenommenen „Praxisferne“ in (hoch-)schulischen Kontexten herauszuführen — ich dachte z.B. gerade vor allem an die kosmologisch gedachte Einheit von Musik und Mathematik in der europäischen Philosophie des 13. und 14. Jahrhunderts und deren Konsequenzen.

  46. jeanpol sagt:

    @Alexander Lasch “ komplexe Sprachwandelphänomene auf solch ein Niveau herunterzubrechen, aber für den Einstieg reicht es.“
    -Ja, unbedingt! Die vermittlung von basics und einfachen einstiegen ist ein trigger, der die neugier und die eigene forschungstätigkeit der studis/schüler auslöst. Allein die gegenüberstellung von grundsatzpositionen wie epikur vs. stoiker regt denktätigkeiten an und kann bewirken, dass die adressaten ohne hilfe weiter lesen und forschen.

  47. ixsi sagt:

    @cspannagel Du fragst: „Braucht man das alles in dieser Abstraktheit und Genauigkeit?“ und ich antworte: „JA! Unbedingt!“ Nur so habe ich einen richtigen Überblick und kann mir daraus die Themen picken, die ich für die Schule benötige. Ich habe bis jetzt in drei Bundesländern unterrichtet. In dem ersten stand in der Oberstufe Modellierung ganz groß im KC. Im zweiten waren es dann Kreis- und Kugelschnitte, im dritten Matrizenrechnung. Ich habe bei meiner Einarbeitung in das Thema nur das Buch durchgeblättert und wusste sofort, um was es ging. Ich habe mir nicht mehr besonders Gedanken machen müssen, auf was es hinausläuft. Dafür konnte ich mich dann mit der Vermittlung des Inhalts im Unterricht befassen.

    Ich verstehe den abstrakten Umgang mit Äquivalenzklassen auch eher als Spiel. Der Chemielehrer hat seine zu Molekülen geknoteten Luftballons, der Biolehrer ein eingelegtes Affenhirn und der Mathelehrer Notizzettel mit Relationen. Ab und zu kann man dann auch ein wenig damit im Unterricht spielen.

    Mal eine andere Frage: Langweilst du dich in deiner eigenen Vorlesung?

  48. @ixsi … auch ich habe in drei Bundesländern unterrichtet, allerdings weil ich neben Mathe noch Chenmie habe werde ich mehr da eingesetzt.

    Keine Kritik an dich … aber ich habe im Studium den ganzen Strukturkrams gut überstanden und konnte es dort einsetzen und verstehe für die Wissenschaft Mathematik auch den Sinn. Aber für alle Schulthemen spielten bei mir Äquivalenzklassen nie eine Rolle. Natürlich wendet man es womöglich intuitiv an, wenn man etwa Vergleiche anstellt zwischen 3 und 3/1, aber ich glaube, was hätte ich (persönlich) auch ohne Mathestudium gekommt. Tatsächlich, das muss ich zugegeben, wäre Mathe als Diplom-Studiengang nie etwas für mich gewesen. Viel zu langweilig! Da bin ich mehr Praktiker bzw. finde selbst die schnöde Schulmatematik schon spannend genug und sehe darin eine Faszination und Schönheit.

    Am interessantes in meinem Mathe-Hauptstudium war die zwei-semestrige Vorlesung „Darstellende Geometrie“, die ich mit den Architekten besucht habe. Gut … daran erkennt man vielleicht auch, dass ich nicht so der Algebra-Freak bin. Dagegen kam mir eine Schul-Geometrie-Vorlesung bei Prof. Artmann – Christian wird ihn ja kennen 😉 – schaurig algebraisiert vor.

    Im Grunde genommen finde ich es für mich schade, dass ich selber ziemlich unsicher bin, wenn ich unklassische Unterrichts-Unterlagen sehe, weil ich eben auch das klassische Lehrerstudium gewohnt bin, wo eine echte Vorbereitung auf den Unterricht nicht stattfand.

    Meiner Meinung nach brauche selber Leistungskursler keinen Mathe-Vorkurs. Die normalen Lehrplan-Inhalte reichen vollkommen aus, um sich auf das allgemein Hochschulstudium vorzubereiten.

    Soweit erst einmal … ich muss mich um’s Essen kümmern.

    Grüße, Birgit

  49. cspannagel sagt:

    @Gabi Ich habe keine prinzipielle Abneigung gegen Vermittlung, ganz klar. Es macht mir auch unglaublich viel Spaß, etwas zu „erklären“, und gute Erklärungen sind in der Mathematik auch wichtig. (Oft finden Schüler einen Mathelehrer dann besonders gut, wenn er „super erklären“ kann). Darüber hinaus muss man viele Dinge einfach mal „vormachen“, und Lernen durch Beobachten ist ja nun auch keine schlechte Sache. Insofern soll mein Artikel kein Plädoyer gegen Vermittlung sein.

    Jetzt kommt trotzdem noch das große mathematikspezifische Aber: In der Mathematik „zu vermittelndes“ Wissen ist sehr oft abstraktes Wissen. Das Problem dabei: Es ist schwer, abstraktes Wissen einfach zu vermitteln, ohne dass die Lernenden bereits konkrete Erfahrungen gemacht haben, auf die sich das abstrakte Wissen bezieht. Abstraktes Wissen ohne konkreten Unterbau bleibt letztlich unverstanden, der Transfer ist schwierig, und es wird wieder vergessen bzw. durcheinandergeworfen. Genau müsste man eigentlich sagen: Es ist nicht nur schwierig, abstraktes Wissen „einfach so“ zu vermitteln, sondern irgendwo auch schade: Weshalb sollten wir unsere Lernenden um das Erlebnis der Abstraktion bringen? Ich sehe unsere Aufgabe darin, die Lernenden zur Abstraktion zu führen, d.h. ihnen Lerngelegenheiten mit verschiedenen konkreten Erfahrungen zu bieten, aus denen sie dann (gemeinsam mit anderen und von mir unterstützt) abstrahieren können. Die Abstraktion kommt immer am Schluss (das ist das Wesen der Abstraktion), eine vermittlungsorientierte Mathematiklehre setzt das abstrakte Wissen aber an den Anfang.

    Nichtsdestotrotz: Wir wollen das Pendel nicht immer in die Extreme schlagen lassen. Irgendwo liegt das Gute in der goldenen Mitte (letztlich in der Vielfalt, so wie du es schreibst), und ich finde die Frage extrem spannend für mich, wie ich jetzt meine Lehre auf Basis meiner neuen „Erkenntnisse“ weiterentwickeln kann… (mehr dazu in einem neuen Blogpost, den ich gerade gedanklich vorbereite).

  50. cspannagel sagt:

    @m.g. Okay, vielleicht war das Beispiel Äquivalenzrelation auch ein schlecht gewähltes gewesen (oder gerade deshalb gut, wer weiß). Mein Problem sind letztlich nicht so sehr die Inhalte, die gerade Teil meiner Vorlesung sind, sondern die Tatsache, dass ich zurzeit eigentlich nur zum Teil stümperhafte Begründungen dafür habe, weshalb sie es sind. Ich will keinesfalls alle Inhalte los werden, die ich gerade mache, aber ich will alle hinterfragen. Insofern könnte ich nun (mit vielleicht noch etwas mehr Überlegung) sagen:
    * Äquivalenzrelation: check
    * Alle Eigenschaften von Relationen bis zum Erbrechen in allen Details: gestrichen
    * Prinzip der vollständigen Induktion / besser: induktives Begründen: check
    * Formale Durchführung von 123 vollständigen Induktionen: gestrichen
    So…. wie gehts weiter? 🙂

  51. cspannagel sagt:

    @Alexander Lasch Ich habe zusätzlich zu meiner Plemumsveranstaltung keine weitere Stunde für die Ergebnissicherung (das ist SWS-mäßig so nicht angelegt). Im aktuellen Konzept zeichne ich für alle Aufgaben Lösungen auf, die dann die Studierenden bei Bedarf mit ihren eigenen vergleichen können. Die Frage wäre also, ob Ergebnissicherung im Plenum stattfinden muss, oder ob das eher etwas ist, dass jeder für sich alleine macht (oder in der Lerngruppe)?

  52. cspannagel sagt:

    @ixsi Vielleicht nochmal zu Kontext: Meine Vorlesung besuchen Studierende des Grundschul-Lehramts, du scheinst dich auf das Gymnasium zu beziehen. Natürlich brauchen Grundschullehrer auch abstraktes fachwissenschaftliches Wissen, aber nicht dasselbe wie Gymnasiallehrer. (Achtung, nicht falsch verstehen: Ich meine nicht, dass Grundschullehrer weniger Mathewissen brauchen, sondern anderes). Wenn vollständige Induktion beispielsweise im Bildungsplan des Gymnasiums auftaucht (was man in seiner Sinnhaftigkeit sicher auch hinterfragen kann; danke Jörn), dann sollten Gymnasiallehrer sich auch im Studium vertieft mit diesem Bereich auseinander setzen.

    Für mich ist entscheidend die sinnvolle Auswahl fachwissenschaftlicher Inhalte (und unter „Inhalten“ subsumiere ich auch mal Kompetenzen, Denk- und Arbeitsweisen, Methoden und sonstige Prozesse). D.h. wir sollten diejenige Mathematik in ihrer Tiefe behandeln, die jeweils grundlegend für das Gestalten und Begleiten von Lernprozessen im Umgang mit den späteren Schülern ist. Das kann nicht die komplette Mathematik sein, und das kann auch bedeuten, dass wir bisherige Inhalte getrost weglassen können, einfach weil wir sie „aus Tradition“ und eher unreflektiert behandelt haben. Und ja, natürlich kann es sein, dass wir einem konkreten Lehrer zukünftig in einer bestimmten Situation die Erkenntnis nehmen, dass es jetzt an der Stelle doch gut war, sich im Studium vertieft mit Gruppentheorie befasst zu haben, aber ehrlich gesagt: 1) Man kann solche singulären möglichen Ereignisse nicht zum Ausgang nehmen, alles machen zu wollen und 2) ist dieses Wissen dann vermutlich in der konkreten Situation (also in Erklärungen, die an einen Siebtklässler gerichtet sind) doch nicht so sehr viel mehr hilfreich, als wenn es nicht da wäre.

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  57. Leandra sagt:

    An sich finde ich den Flipped Classroom eine gute Idee. Er lässt sich meiner Meinung nach nur so nicht in jedem Studienbereich umsetzen. Manche Fragen sollten einfach sofort geklärt werden und nicht erst in der nächsten Vorlesung. Ich kenne es aus meinen Studienzeiten. Da war mal ein Gastprofessor aus den USA da, der allerdings verfrüht abreisen musste. Somit wurden die restlichen Vorlesungen von ihm auf Video aufgezeichnet und dann für den Abruf zu Hause zur Verfügung gestellt. Die Motivation sich die anzuschauen hielt sich in Grenzen, zumal es keine Worksheets dazu gab.
    In Studiengängen im Bereich Medien kann ich mir solch ein Lehrmodell allerdings sehr gut vorstellen.

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