Lutz Berger greift „LdL 2.0“ auf

Veröffentlicht: Samstag, November 1, 2008 in LdL, Web 2.0
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In seinem Blog edu-tainment.de hat Lutz Berger unser – ich weiß gar nicht, wie ich es nennen soll – „Seminar-Schulklassen-LdL-Projekt“ aufgegriffen und nennt es „LdL 2.0“. Dies soll meiner Erachtens nicht darauf hindeuten, dass es sich um eine neue Version von Lernen durch Lehren (LdL) handelt, sondern darauf, dass in unserem Projekt sowohl LdL als auch das Web zentrale Rollen einnehmen. Für beide gelten – das betont Jean-Pol Martin immer wieder – ähnliche Grundlagen: Schüler bzw. Menschen im Allgemeinen sollten sich und andere als Ressourcen begreifen, die durch die Interaktion im Netz (=Klasse) miteinander Probleme lösen können. Voraussetzung, dass dies reibungslos funktioniert, ist, dass die Teilnehmer netzsensibel und partizipationskompetent sind und dass sie auf eine bestimmte Art und Weise miteinander kommunizieren (Neuronenmetapher). Und wie immer gilt (wie beim Erwerb aller Kompetenzen): Voraussetzungen sind eigentlich Lernziele. Das bedeutet, dass man eine Klasse, die noch nicht an diese Art der Kommunikation gewöhnt ist, erst heranführen muss. Hier muss die Lehrperson gleich von Anfang an eingreifen und deutlich machen, wie kommuniziert werden soll. Einige Tipps von Jean-Pol, soweit ich sie mir behalten habe:

  • Die Schüler sitzen immer im Kreis. Keine Frontalsituation. Alle schauen sich an. Die Schüler sind offen für alle.
  • Es herrscht absolute Ruhe. Wenn ein Schüler spricht, müssen alle anderen aufpassen.
  • Fehler sind nicht schlimm, sondern können einfach von einem anderen Schüler verbessert werden (oder von der Lehrperson, falls es keinem Schüler auffällt). Deshalb sollen Schüler einfach reden, „ohne Rücksicht auf Verluste“. Sie „feuern ab“ (ähnlich wie Neuronen).
  • Es gibt eine „basisdemokratische“ Grundhaltung in der Klasse.
  • Es wird auf absolute Höflichkeit geachtet. „Bitte“ und „danke“ sind sehr wichtig.
  • Ansonsten greift die Lehrperson immer ein, wenn sie den Eindruck hat, dass die Schüler nicht aufmerksam genug füreinander sind. Typischer Wortwechsel dabei ist:
    L: „Glaubst du, dass Martina verstanden hat, was du gerade gesagt hast?“
    S: „…weiß nicht….“
    L: „Dann schau ihr in die Augen. Dann kannst du es sehen.“
  • Grundsätzlich nimmt die Lehrperson sich aber aus dem Gespräch der Schüler heraus, solange die Schüler von selbst „abfeuern“.

Und im Web? Dort ist es ähnlich: Offenheit in alle Richtungen und Höflichkeit sind wichtig. Fehler sind nicht schlimm – irgendjemand wird es merken und verbessern (z.B. in Wikis oder in Kommentaren). Und durch die Interaktion zwischen vielen vernetzten Personen entstehen Emergenzen.

Wenn Schüler diese Kommunikationsregeln verinnerlicht haben, dann – so finde ich – können sie sich und andere richtig ernst nehmen und fühlen sich nicht als die „dummen“ Schüler im Vergleich zum „allwissenden“ Lehrer. Der betont nämlich immer wieder, dass er selbst auf solche Gedanken nicht gekommen wäre, dass die Schüler toll sind, wenn sie eine geniale Idee kommunizieren usw.

Die Neuronenmetapher wird öfter als „inhuman“ bezeichnet, weil „Menschen keine Neuronen sind“. Mal unter uns: Wirkt das, was ich oben beschrieben habe, inhuman? Wirklich nicht. Ich würde das Modell sogar als besonders human bezeichnen wollen. Die Kritik beruht vermutlich im Wesentlichen darauf, dass die Leute nicht verstehen, was eine Metapher ist.

Kommentare
  1. ich krieg mich gar nicht mehr ein!

  2. Jana sagt:

    Hallo Christian ,

    inhuman wirkt Deine Beschreibung wirklich nicht. Ich habe sogar den Eindruck, dass somit Kommunikation und Interaktion zwischen den Menschen auf ein höheres Niveau gehoben werden kann (im Vergleich zu dem, nach meiner Wahrnehmung rauheren aktuellen (alltäglichen) Umgangston). Auf Twitter wird über einen längeren Zeitraum auch nur der gehört, verfolgt, wahrgenommen …, der sich im freundlichen Umgangston (neben der Aufmerksamkeit) bewährt hat.

    Existieren User in Twitter, die sich gerne beleidigen lassen?

    Lg
    Jana

  3. cspannagel sagt:

    @Jean-Pol Ich mich auch nicht. 🙂

    @Jana Mit Sicherheit existieren die in Twitter nicht – und auch sonst nicht. In Twitter, in Blogs, in der Kneipe – überall kann neuronenartig miteinander kommuniziert werden! Die Art und Weise, wie wir miteinander im Netz umgehen, könnte und sollte abfärben auf die Alltagskommunikation.

  4. Scheppler sagt:

    Eine sehr schöne Beschreibung des LdL 2.0. Ich denke auch, dass die ersten skeptischen Reaktionen auf die Neuronen-Metapher aus dem Fehlenden Verständnis für deren Metapher-Charakter entstehen.
    Ich halte es für sehr bedeutend, immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir es im Web 2.0 auch ganz wesentlich mit einer Änderung von Kommunikationsstrukturen zu tun haben, die sich auch auf gegenseitig mit der „realen“ Welt rückkoppeln. daher vielen Dank für die sehr praktischen Tipps für Unterrichtsgespräche.

  5. cspannagel sagt:

    @Scheppler Die Rückkopplung halte ich auch für sehr wichtig! Im Netz werden die sozialen Netze explizit gemacht („wer kennt wen“, XING, Twitter, …). Dies wirkt sich bei mir bereits auf meine persönliche Vorstellung von „realen“ Gruppen und Netzen aus (ich „denke“ die Gruppen als Netze).

    Wenn man die Neuronenmetapher jeder Form von Netzwerken (real und virtuell), in denen man sich bewegt, zu grunde legt, dann hat man eine offene und handlungsorientierte Grundhaltung, die sehr stark auf die kollektive Wissenskonstruktion und die Problemlösungen fokussiert.

  6. Ich bin absolut erfreut über die Entwicklung „LdL 2.0“! Was wir hier schon lernen konnten – unglaublich! Wenn dieses Modell nicht human ist, dann habe ich etwas nicht verstanden. Lernen darf endlich wieder Spaß machen (auch bei den Lehrenden), Kommunikation findet auf gleicher Augenhöhe statt (…) und ganz nebenbei, lernen alle Beteiligten noch, wie erfolgreiche Kommunikation praktiziert wird. Ich finde dieses Beispiel macht deutlich, welche Energie und Möglichkeiten im sog. Web 2.0 stecken… Findet ein Thema und geht es an… es scheint gut zu funktionieren ;-)) Danke!

  7. Auch ich finde deine Zusammenfassung und Verdeutlichung der Neuronen-Tipps sehr gelungen!

  8. cspannagel sagt:

    @Jean-Pol Vielleicht hast du noch eins, zwei Beispiele solcher „Wortwechsel“? Ich glaube, das wäre sehr wertvoll!

  9. […] handeln. Wie Neuronen im Rahmen von LdL und in der virtuellen Welt handeln sollen, das hast du in deinem Blog unübertrefflich beschrieben. Was sollen nun aber diese Neuronen tun? Sie sollen Handlungswissen […]

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