Archiv für die Kategorie ‘Wissenschaft’

Videos nicht zitierbar?

Veröffentlicht: Samstag, November 23, 2013 in OeffentlicherWissenschaftler, Wissenschaft

Aus der Reihe „Seltsame Gepflogenheiten der Wissenschaft“

Vorhin erhielt ich folgende Anfrage per Mail (wurde von mir nachträglich anonymisiert):

Sehr geehrter Herr Prof. Spannagel, ich arbeite gerade an meiner Bachelorthesis zum Thema XYZ. Bei meiner Recherche zu den mathematischen Grundlagen bin ich über Ihre Vorlesung zur Zahlentheorie bei Youtube gestoßen. Als erstes möchte ich Ihnen ein Kompliment aussprechen, da Sie diese sehr gut und verständlich erklärt haben. Mein Problem ist nun, dass ich diese Grundlagen gerne in meiner Arbeit zitieren möchte, da ich aber keine Videos zitieren kann/darf, ist meine Frage nun an Sie ob Sie eine Möglichkeit wissen, wie ich diese zitieren kann. Können Sie mir möglicherweise die Ursprungsquellen nennen oder haben Sie irgendeine Art der schriflichen Ausarbeitung, die ich zitieren könnte? Mit freundlichen Grüßen, Bettina Beispiel.

Jetzt frage ich mich: Weshalb sollte man keine Videos zitieren dürfen?

  • Vermutung 1: In Texten kann man schneller die zitierte Stelle finden als in Videos. Antwort: Nein, in Videos kann man die Stelle ebenfalls sekundengenau angeben.
  • Vermutung 2: Bei Texten ist das längerfristige Vorhandensein gewährleistet. Antwort: Ich habe schon öfter versucht, an zitierte Bücher ranzukommen, was bei manchen Büchern praktisch unmöglich ist. Schneller hab ich ein Youtube-Video aufgerufen. Außerdem kann man (des Nachweises wegen) Videos ja auch (je nach Plattform) runterladen oder per Screencast aufzeichnen, wenn man einen Beleg längerfristig vorweisen muss.
  • Vermutung 3: Informationen in Texten sind vertrauenswürdiger oder von höherer wissenschaftlicher Qualität als in Videos. Antwort: Weshalb sollte man einem Text von mir eher vertrauen als einem Video?

Wer wissenschaftlich redlich arbeitet, muss alle verwendeten Quellen anführen. Wenn man also Informationen aus Videos bezieht, muss man diese anführen. Also dürften Dozent_innen die Angabe von Videos als Quellen nicht verbieten, weil man sonst zum unredlichen wissenschaftlichen Arbeiten auffordert. Oder muss man die Aufforderung gar so verstehen, dass man Videos beim wissenschaftlichen Arbeiten gar nicht verwenden darf? Ich bin gespannt, wann bei einigen Kolleg_innen ankommt, dass wir uns mittlerweile im 21. Jahrhundert befinden, dem Zeitalter digitaler, multimedialer, weltweit jederzeit abrufbarer Informationen.

Die Zitierbarkeit einer Quelle ergibt sich nicht aus dem Medienformat, sondern aus der Glaubwürdigkeit der Darstellung und der mit einem wissenschaftlichen Blick beurteilten Qualität. In Büchern kann ebenso Mist stehen wie in Videos.

Bitte an meine Student_innen: Bitte verwendet ausgiebig Videos und zitiert daraus, wenn ihr das im jeweiligen Kontext für passend haltet !

Ein Plädoyer für Ineffizienz

Veröffentlicht: Dienstag, Januar 25, 2011 in Research, Wissenschaft

Wie macht man sich kaputt? Hier ein paar Tipps:

  1. Begeistere dich für alles.
  2. Nimm alles ernst. Sei hunderprozentig gewissenhaft und immer und überall perfektionistisch.
  3. Versuche alles termingerecht zu erledigen.
  4. Und entscheidend ist: Wenn du das alles nicht schaffst, dann denke, dass du noch effizienter arbeiten musst. Mach dir darüber Gedanken, wie du deine Ineffizienz los wirst.

Heute habe ich mich mit einem Kollegen über genau dieses Problem unterhalten, und es ist nicht das erste Mal, dass ich mit Kollegen darüber spreche. Mir scheint es, als sei es kein seltenes Phänomen im Wissenschaftsbetrieb. Man hat unglaublich viele Dinge zu erledigen, in der Lehre, in der Forschung, in der Selbstverwaltung und Organisation. So viele Dinge, dass man das eigentlich gar nicht alles schaffen kann. Und wenn man dann etwas nicht schafft, dann überlegt man sich, wie man sich organisieren kann, dass man noch effizienter arbeitet und noch mehr in derselben Zeit schafft. Oder noch besser: in weniger Zeit, damit man auch noch Freizeit hat. Die bleibt allerdings oft auf der Strecke.

Ich möchte ein kurzes Plädoyer für die Ineffizienz abgeben. Ich denke, wir alle haben ein Recht darauf, (in gewissem Maße) ineffizient zu sein. Sich ein Recht auf Ineffizienz heraus nehmen bedeutet: Nicht mehr vollends „einfach nur“ funktionieren, das System ein Stück weit aushebeln, die Macht über das eigene Selbst wiedererlangen.

Das Gehirn arbeitet nicht ununterbrochen auf Hochtouren. Es braucht Pausen. Diese Pausen dienen dem Lernen. Das heißt: Pausen machen bedeutet, dem Gehirn Zeit lassen, Dinge zu verarbeiten. Letztlich hat Ineffizienz Bildungswert. Wenn wir ununterbrochen fremdbestimmt funktionieren und wie Getriebene agieren, haben wir keine Zeit, uns zu bilden – im eigentlichen Sinn des Wortes. Wo bleibt Zeit für die persönliche, selbstbestimmte Weiterentwicklung? Ist diese Weiterentwicklung nicht enorm wichtig für Tätigkeiten wie Lehren und Forschen?

Und wenn man mal von den persönlichen Konsequenzen absieht: Tut das alles der Wissenschaft gut? Sind lauter getriebene, gehetzte Wissenschaftler dem Fortkommen der Wissenschaft dienlich? Sind wir denn wirklich effizient, wenn der Motor des Wissenschaftsbetriebs permanent auf Hochtouren läuft?

Letztlich bleibt nur folgende Strategie: Begeistere dich für die wesentlichen Dinge, und mache die unwichtigen Dinge einfach nicht gut. Ein hartes Los für einen Perfektionisten, aber ein notwendiger Schritt für jemanden, der wieder ideenreich und schöpferisch sein will.