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Videos nicht zitierbar?

Veröffentlicht: Samstag, November 23, 2013 in OeffentlicherWissenschaftler, Wissenschaft

Aus der Reihe „Seltsame Gepflogenheiten der Wissenschaft“

Vorhin erhielt ich folgende Anfrage per Mail (wurde von mir nachträglich anonymisiert):

Sehr geehrter Herr Prof. Spannagel, ich arbeite gerade an meiner Bachelorthesis zum Thema XYZ. Bei meiner Recherche zu den mathematischen Grundlagen bin ich über Ihre Vorlesung zur Zahlentheorie bei Youtube gestoßen. Als erstes möchte ich Ihnen ein Kompliment aussprechen, da Sie diese sehr gut und verständlich erklärt haben. Mein Problem ist nun, dass ich diese Grundlagen gerne in meiner Arbeit zitieren möchte, da ich aber keine Videos zitieren kann/darf, ist meine Frage nun an Sie ob Sie eine Möglichkeit wissen, wie ich diese zitieren kann. Können Sie mir möglicherweise die Ursprungsquellen nennen oder haben Sie irgendeine Art der schriflichen Ausarbeitung, die ich zitieren könnte? Mit freundlichen Grüßen, Bettina Beispiel.

Jetzt frage ich mich: Weshalb sollte man keine Videos zitieren dürfen?

  • Vermutung 1: In Texten kann man schneller die zitierte Stelle finden als in Videos. Antwort: Nein, in Videos kann man die Stelle ebenfalls sekundengenau angeben.
  • Vermutung 2: Bei Texten ist das längerfristige Vorhandensein gewährleistet. Antwort: Ich habe schon öfter versucht, an zitierte Bücher ranzukommen, was bei manchen Büchern praktisch unmöglich ist. Schneller hab ich ein Youtube-Video aufgerufen. Außerdem kann man (des Nachweises wegen) Videos ja auch (je nach Plattform) runterladen oder per Screencast aufzeichnen, wenn man einen Beleg längerfristig vorweisen muss.
  • Vermutung 3: Informationen in Texten sind vertrauenswürdiger oder von höherer wissenschaftlicher Qualität als in Videos. Antwort: Weshalb sollte man einem Text von mir eher vertrauen als einem Video?

Wer wissenschaftlich redlich arbeitet, muss alle verwendeten Quellen anführen. Wenn man also Informationen aus Videos bezieht, muss man diese anführen. Also dürften Dozent_innen die Angabe von Videos als Quellen nicht verbieten, weil man sonst zum unredlichen wissenschaftlichen Arbeiten auffordert. Oder muss man die Aufforderung gar so verstehen, dass man Videos beim wissenschaftlichen Arbeiten gar nicht verwenden darf? Ich bin gespannt, wann bei einigen Kolleg_innen ankommt, dass wir uns mittlerweile im 21. Jahrhundert befinden, dem Zeitalter digitaler, multimedialer, weltweit jederzeit abrufbarer Informationen.

Die Zitierbarkeit einer Quelle ergibt sich nicht aus dem Medienformat, sondern aus der Glaubwürdigkeit der Darstellung und der mit einem wissenschaftlichen Blick beurteilten Qualität. In Büchern kann ebenso Mist stehen wie in Videos.

Bitte an meine Student_innen: Bitte verwendet ausgiebig Videos und zitiert daraus, wenn ihr das im jeweiligen Kontext für passend haltet !

Forschungsgruppe: check

Veröffentlicht: Sonntag, Februar 17, 2013 in OeffentlicherWissenschaftler, PlayGroupHD, Uncategorized

Die Ausgangssituation

Seit ca. vier Jahren bin ich nun an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg (krass, sooo lange schon, kann ich gar nicht glauben). Mittlerweile stellt sich so langsam in verschiedenen Bereichen ein Gefühl des Angekommenseins und der Routine ein. Ich habe mich zwar seit der ersten Minute an der PH Heidelberg ausgesprochen wohl gefühlt, aber man braucht doch eine ganze Zeit, um sich in einer neuen privaten und beruflichen Umgebung neu zu strukturieren. Insbesondere sind auch zahlreiche neue und durchaus auch umfangreiche Aufgaben auf mich zugekommen, mit denen ich vorher noch nie zu tun hatte (wie beispielsweise die wissenschaftliche Leitung des Instituts für Datenverarbeitung/Informatik (IfD/I), das an der PH das Rechenzentrum ist). Darüber hinaus: in Heidelberger Variante der alten Prüfungsordnungen einfinden, neue Prüfungsordnungen mitgestalten, Master Bildungswissenschaften mitbauen, Kapazitäts- und Auslastungsberechnungen verstehen und durchführen, im Hochschulrat beteiligen, Mitwirkung in den LernZeitRäumen aufbauen, Dossenheim zur Kreidezeit mitentwickeln, Vorlesungen flippen, usw. usw. ufz.

Ein Bereich, der ein wenig gelitten hat, ist die Forschung. Sicherlich kann ich mir hier keine Untätigkeit vorwerfen: Mein eigenes Aktionsforschungsprojekt Die umgedrehte Mathematikvorlesung habe ich konsequent weiter verfolgt,“alte“ (Ludwigsburger) Projekte mit abgeschlossen (z.B. SAiL-M),  jede Menge Veröffentlichungen gemacht und mehrere Drittmittel-Projektanträge gestellt (erfolglos), außerdem meine beiden Doktoranden Florian und Felix betreut. Richtig „strukturiert“ bzw. „organisiert“ empfand ich den Bereich meiner Forschung bislang aber nicht. Da man an der PH auch keinen „Lehrstuhl“ oder sowas hat, sondern in einem Fach-Team aus mehreren Professor(inn)en und Rät(inn)en und wissenschaftlichen Mitarbeiter(inne)n arbeitet, stellt sich auch nicht das Gefühl ein, eine „Arbeitsgruppe“ oder „Forschungsgruppe“ oder ähnliches zu haben. Und Florian und Felix haben auch keine Stelle an der PH, sondern promovieren extern, was natürlich die Zusammenarbeit erschwert.

Nun hat es sich zugetragen (hey, klingt wie im Märchen), dass einige Personen sich interessiert gezeigt haben, mit mir zusammen etwas zu machen (z.B. als externe Promotion oder als Masterarbeit o.ä.). Mit verantwortlich war dabei unter anderem auch meine Seite zu Forschungsideen, die andere angeregt haben, einige davon aufzugreifen (YES! Strike! Es funktioniert, das Prinzip!). Jetzt zeichnete es sich ab, dass ich in „bilateralen“ 1-zu-1-Gesprächen diese Arbeiten betreue und dadurch im Forschungsbereich alles noch komplexer wird. Nebenbei gibt es auch immer jede Menge Abschlussarbeiten im Lehramt zu betreuen, die inhaltlich mehr oder weniger auch an meine eigenen Forschungsinteressen anknüpfen. Ende des letzten Jahres / Anfang diesen Jahres war also eine beachtliche Komplexität entstanden, und es musste eine „Lösung“ für verschiedene Herausforderungen her:

  • Einige der forschungsinteressierten Menschen (weiter unten dann „Mitspieler(innen)“ genannt) beschäftigen sich mit ähnlichen Themen, insbesondere aus den Bereichen game-based learning und gamification. Das wäre doch schade, wenn diese sich nicht kennen und untereinander austauschen würden!
  • Fast alle Personen sind nicht an der PH Heidelberg, einige wohnen auch nicht hier. Dies ist eine schwierige Situation, eine gute Betreuung zu gewährleisten (und Betreuung muss sein, da stimme ich Gabi Reinmann zu).

Das Ziel musste also sein: Wir müssen uns als Forschungsgruppe a) finden und b) vernetzen. Okay, vernetzen, das kann ich, dachte ich mir. 🙂

Der Startschuss

Wir trafen uns Anfang Februar in Heidelberg zu einem Kolloquium, wie ich es in früheren Zeiten in Ludwigsburg und auch bei meinem Besuch bei Gabi Reinmann in Augsburg kennen gelernt hatte: Ein Tag gegenseitige Vorstellung der Projekte, gemeinsames Brainstorming, dann abends gemütlich zusammen essen gehen. Ein sehr wertvoller Tag, der nun ritualisiert wird: alle drei oder vier Monate machen wir ein solches Treffen, bei dem es sicherlich weniger, aber dafür noch intensiver besprochene Beiträge geben wird, und zusätzlich kleine Workshops. Das Ganze soll also didaktisch gestaltet werden gemäß des Prinzips „Reflexion durch Produktion“ (wie es von Gabi Reinmann hier beschrieben wird).

Im Anschluss an das Treffen lag es sozusagen auf der Hand, dass wir uns als Gruppe auch virtuell vernetzen und austauschen müssen, insbesondere weil wir alle „in der Gegend verteilt“ sind und weil wir unsere Treffen nicht wöchentlich abhalten können. Zwei Prinzipien sollten dabei verfolgt werden:

  1. open science: Na, also wenn wir uns als Gruppe virtuell vernetzen, dann durchaus auch öffentlich. Sicher wird man nicht alles öffentlich diskutieren wollen, aber bei vielen Dingen ist es sinnvoll, Diskussionen untereinander im Öffentlichen zu führen und dabei auch Personen außerhalb unserer Gruppe mit einzubinden (open science eben).
  2. gamification: Gerade weil sich viele von uns mit diesem Themenbereich befassen, lag es nahe, auch unsere gemeinsame Arbeit zu gamifizieren mit dem Ziel: Spaß zu haben.

 

Das Resultat: Play Group Heidelberg

Beim gemeinsamen Abendessen wurde der Name geboren, die virtuelle Repräsentanz folgte sofort: Wir nennen unsere Arbeitsgruppe Play Group Heidelberg (oder kurz: Play Group HD, hashtag #playghd), ganz nach dem Motto: Forschen muss Spaß machen! Sogleich wurden eine Gilde-Seite mit den Mitspieler(innen), eine Mailingliste und ein Game Forum eingerichtet, der Hashtag #playghd ist schon in intensiver Benutzung. Meine bisherigen Forschungsideen wurden zu unseren. Tausend weitere Ideen schwirren in meinem Kopf herum: Weshalb nicht Badges einführen? Für einen angenommenen Artikel bei einer Fachtagung gibt’s den „Conference Badge“, für ein angenommenes Exposé den „Doktoranden-Badge“ usw.? 🙂 Okay, zu Beginn nicht zu viel, die Struktur und weitere Game-Elemente kann man sukzessive aufbauen.

Vermutlich wird die Kritik kommen, dass das alles „zu wenig ernsthaft“ sei, verbunden mit Bedenken, ob hier denn wirklich „qualitativ hochwertige Forschung“ gemacht wird. Meine Position hierzu ist: Gute Forschung kann man nur in einem kreativen Umfeld machen, in dem auch verrückte Ideen erlaubt sind. Eine solche kreative, phantasievolle Umgebung möchte ich bieten. Und zur Beruhigung aller Kritiker(innen): Es wird schon intensiv an Exposés gearbeitet und gefeilt, und wir befinden uns schon in der zweiten Peer-Feedback-Runde. Get the Feedback Badge! 🙂

Gastbeitrag: netzforschen.de

Veröffentlicht: Sonntag, April 15, 2012 in Gastbeitrag, OeffentlicherWissenschaftler

Nach meinem Vortrag über die sieben Todsünden in der Wissenschaft hat mich Roman Szymanski von der TU Darmstadt angemailt. Ihn hatten die Ausführungen zur öffentlichen Wissenschaft in dem Vortrag angesprochen, und er hat mir von dem Projekt netzforschen.de erzählt. Er und Thies Schneider, beide Psychologen in Darmstadt, haben dieses Projekt vor kurzem ins Leben gerufen. Ich finde, dieses Projekt darf verbreitet werden, und deshalb habe ich Roman angeboten, einen Gastbeitrag zu schreiben. Hier ist er. 🙂

„Am Anfang jeder Forschung steht das Staunen. Plötzlich fällt einem etwas auf.“

Der Titel meines Gastbeitrags ist ein Zitat des Verhaltensforschers und Zoologe Wolfgang Wickler. Das Zitat enthält eine grundlegende Idee, die wir durch unser Projekt netzforschen.de aufzugreifen versuchen: Jeder Mensch ist in seinem Alltag ein Wissenschaftler bzw. eine Wissenschaftlerin. So wie wir neugierig unsere Welt erleben, stellen wir uns Fragen über sie und unser Erleben, und sind dabei stets bestrebt geeignete Antworten zu finden, indem wir Vermutungen aufstellen, die wir dann durch mehr oder weniger geeignete Maßnahmen zu überprüfen versuchen. Mit Forschungsfragen, die den Kriterien der wissenschaftlichen Forschung entsprechen, sind viele der Fragen aus dem Alltag natürlich nicht zu vergleichen. Dennoch ist das Staunen bzw. das Suchen nach Antworten eine Eigenschaft, die jedem Menschen angeboren ist. Da diese Eigenschaft uns allen gemein ist, versucht das Projekt netzforschen.de neben dem gemeinsamen Fragestellen das gemeinsame Forschen zu fördern. Und zwar zu einem Thema, welches neuerdings das Leben einer Vielzahl von Menschen mitbestimmt. Ich möchte im Folgenden berichten, wie es zu dem Projekt kam und genauer durchleuchten, welche Ideen wir mit netzforschen.de verfolgen.

Wie wollen wir lehren? Am Anfang des Projekts netzforschen.de stand ein Lehrauftrag. Ich sollte einem Teil der Studierenden im 2. Semester des Studiengangs Psychologie das empirische Forschen näher bringen. Im Modulhandbuch war die Kompetenz, welche die Studierenden nach erfolgreichem Abschluss erlangt haben sollten, folgendermaßen umschrieben:

  Die Studierenden können exemplarisch eine theoretische Fragestellung in ein empirisches Forschungsprojekt umsetzen… Sie haben diese Kenntnisse in einer eigenen Untersuchung angewandt und kennen die besonderen Vorkehrungen, die bei deren Durchführung mit menschlichen (oder tierischen) Versuchsteilnehmern zu beachten sind…

Die Studierenden werden zum ersten Mal mit einer Forschungsfrage konfrontiert, sollen ein geeignetes Forschungsdesign erstellen, als Versuchsleiter agieren, Daten sammeln, auswerten, die Ergebnisse interpretieren und einen Bericht schreiben. Damit bietet sich eine optimale Gelegenheit, den Studierenden das Forschen „schmackhaft“ zu machen. Aber wie erreicht man dieses Ziel?

Warum nicht jegliche Kreativität und Neugier nutzen, die vorhanden ist? Thies Schneider (der zu diesem Zeitpunkt meine studentische Hilfskraft war) und Ich wollten das kreative Potential, welches in den Studierenden steckt, gleich zu Beginn fördern. Es war uns wichtig, dass die Studierenden gerade in dieser Veranstaltung, die ihre erste richtig Begegnung mit der Forschung darstellt, entdecken, wie kreativ sie beim Finden und Umsetzen eigener Forschungsideen sein können und dass Forschen Spaß machen kann. Wir benötigten ein interessantes Thema, welches die Studierenden betrifft und welches die Möglichkeit bietet, viele Fragen aufzuwerfen, die es Wert sind erforscht zu werden. Das Thema sollte das Interesse der Studierenden wecken, nach dem Motto: „diese Frage habe ich mir auch schon gestellt“. Wir kamen auf die Idee, „Soziale Netzwerke“ im Internet als Thema vorzugeben. Mehr nicht. Die Studierenden sollten eigenständig entscheiden, was sie bezüglich des Themas erforschen wollten.

Was macht das soziale Netzwerken im Internet zu einem interessanten und wichtigen Forschungsgebiet? Das Knüpfen und Aufrechterhalten sozialer Beziehungen hat durch diese Netzwerkseiten eine neue Form erhalten, die nun mittlerweile bei einer Vielzahl von Menschen zum Alltag gehört. Nach Angaben der Betreiber sind fast 800 Millionen Menschen alleine bei Facebook registriert. Es gibt kaum noch eine Marke, einen Hinweis, ein Lokal, eine Sendung, welches nicht den Facebook „Like Daumen“ auf einem Plakat, unter dem Logo oder in der Werbung enthält. Virtuell trifft man sich auf den Plattformen wie Facebook, StudiVZ, myspace, legt Profile an, gibt Informationen preis, kommuniziert, lernt sich kennen, stellt sich dar, managt eine neue Form der Identität usw. Man trifft in den Medien auf viele Aussagen über soziale Netzwerke und es werden dabei viele Fragen gestellt, was beweist, dass dieses Thema viele Menschen bewegt. Es folgen nur ein paar der Aussagen, welchen man in den Medien begegnet:

  • Der Autor Daniel Kehlmann sagte kürzlich in einem Interview: „Ich kenne Leute, die ihr Sozialleben komplett auf Facebook verlagert haben. Für viele Menschen ist es das neue Sozialeben, aber auf Dauer ein unbefriedigendes.“ (nachzulesen in der aktuellen Neon Ausgabe April 2012).
  • Die Neon schrieb in der April Ausgabe im Jahr 2010 einen Artikel, wie die Selbstdarstellung im Internet auf  den Charakter abfärbt.
  • Man muss nur auf spiegel.de das Stichwort Facebook eingeben und man merkt gleich, dass sich die Menschen nicht nur dafür interessieren, wie Facebook ihre Daten nutzt, sondern dass häufig Phänomene und Fragestellungen beschrieben werden, die unser Leben und Erleben mit diesen sozialen Netzwerkplattformen an sich betreffen (Beispiel): Wie wir uns fühlen, verhalten, denken und agieren mit und durch dieses, zwar nicht mehr unbekannte, aber doch immer noch relativ neue Medium.

Wie können mögliche Forschungsfragen gemeinsam entdeckt und entwickelt werden? Die Studierenden bekamen in der ersten Sitzung ausgewählte Literatur zu dem Thema und hatten die Aufgabe, sich bis zur zweiten Sitzung mögliche Forschungsfragen zu überlegen. Die Literatur diente als Anstoß und Hilfestellung. In der zweiten Sitzung wurde gemeinsam in der Gruppe über das Thema diskutiert, wobei Thies und ich eine moderierende Funktion einnahmen. Zu Beginn der Diskussion tauschten die Studierenden Erfahrungen aus, die sie oder andere in sozialen Netzwerken im Internet gemacht hatten. Nach kurzer Zeit stellten die Studierenden Verbindungen zu der Literatur her, die wir als Hausaufgabe ausgegeben hatten, oder zu anderen Theorien, die ihnen geläufig waren. Oder sie entwickelten eigene Theorien, über die sie dann in der Gruppe reflektierten. Sie fingen an, sich relevante Fragen zu erarbeiten und diese Fragen weiter zu differenzieren. Die Studierenden taten sich in Kleingruppen zusammen und wählten als Gruppe jeweils die Frage aus, für die sie sich am meisten interessierten. In den Kleingruppen entwickelten sie im Laufe der Veranstaltung ein geeignetes Forschungsdesign, um  die gewählten Fragen zu untersuchen, führten das entsprechende Experiment durch und interpretierten schließlich die Ergebnisse. Wir nahmen von Anfang an die Rolle der beratenden Experten ein, für die an oberste Stelle das Interesse der Studierenden stand. Wir bekamen von den Studierenden am Ende der Veranstaltung sehr positives Feedback. Schon während der Veranstaltung konnte man sehen, mit welcher Motivation und mit welchem Ehrgeiz die Studierenden bei der Sache waren. Es war erstaunlich, auf welche kreativen Ideen die Studierenden teilweise kamen, wenn es darum ging, ihr Forschungsvorhaben umzusetzen.

Soll es das gewesen sein? Während dieser Zeit waren uns die Begriffe öffentlichen Wissenschaft oder mode 2 noch nicht bekannt. Als der Lehrauftrag zu Ende war, setzten Thies und ich uns dennoch das Ziel, andere an unserer Forschung zu sozialen Netzwerken im Internet teilhaben zu lassen. Wir sind seither bestrebt, kontinuierlich mit anderen gemeinsam zu forschen. Vor allem mit Personen, die von den Fragen, die es zu erforschen gilt, betroffen sind. Gemeinsames Forschen bedeutet in unseren Augen, dass jeder teilhaben kann. Jeder, der möchte, soll die Möglichkeit besitzen, Ideen, Forschungsvorhaben, Umsetzung, Ergebnisse usw. zu diskutieren. Es soll fortwährend ein Austausch von Meinungen und Erfahrungen stattfinden, sowie das Potential von Vielen genutzt werden.

Das Projekt braucht einen Namen, wie sollen wir es nennen? Wir kamen auf die Idee, einen Blog zu entwickeln. Ein Blog ist in der Regel für jeden mit Internetzugang erreichbar, und es wird jedem ermöglicht Kommentare zu Artikeln zu hinterlassen, oder man kann auch Leute dazu einladen, Artikel zu schreiben. So können Ideen, Meinungen, Kritikpunkte usw. kontinuierlich und zu jedem veröffentlichtem Thema ausgetauscht werden. Wir haben unserem Projekt schließlich den Namen „netzforschen“ gegeben. Den Namen kann man auf zwei Arten verstehen: Einerseits enthält er das übergeordnete Thema Netzwerken (umgangssprachlich, für das Erleben und Verhalten in sozialen Netzwerken im Internet). Andererseits soll es auch als Aufforderung gelten: „Lasst uns ein Netzwerk aus Forschern aller Richtungen und Schichten bilden“. Unser Symbol ist die wissbegierige Eule, die mit der Lupe Sachverhalte genauer betrachten will.

Was genau soll untersucht werden? Cameron Marlow ist der Haussoziologe von Facebook. Er und sein Team haben das Netzwerk einer ersten Analyse unterzogen. Anhand der Nutzerdaten hat das Team das Beziehungsgeflecht der aktiven Facebook Nutzer analysiert. Das Team kann anhand der Nutzerdaten zum Beispiel „nur“ Fragen darüber beantworten, wer wen über wie viele Ecken kennt und wie viele Freunde der aktive Facebook Nutzer im Durchschnitt hat. „Gefühle bleiben für unsere Computer ein Rätsel“, ist eine Aussage, die Cameron Marlow selbst getroffen hat (Interview in der aktuellen Neon Ausgabe, April 2012). Und genau da setzen wir mit unserem Forschungsinteresse an:

  • Welche Faktoren beeinflussen das Verhalten und Erleben auf diesen Seiten? Und wie wirkt sich das Ganze auf unser Leben außerhalb des Netzwerkes aus?
  • Von welchen Faktoren hängt es ab, wie man sich im Netz selbst dargestellt?
  • Sind wir in unserer Darstellung im Internet immer ehrlich?
  • Werden wir auch so im Internet wahrgenommen, wie wir auch im Leben außerhalb des Internets erscheinen, oder wollen wir das vielleicht gar nicht? Inwieweit spielt hier die Persönlichkeit ein Rolle?
  • Sind wir eigentlich nur darin bestrebt, Feedback durch „Likes“ und positive Kommentare zu sammeln und führt das langfristig zu einer Veränderung, wie wir uns selbst und andere wahrnehmen?
  • Wovon hängt es ab, ob wir viel oder wenig Zeit auf solchen Seiten verbringen?

Das sind nur Beispiele an Fragen, die man sich stellen und ausarbeiten könnte. Einigen dieser Fragen sind die Studierenden in unserer Veranstaltung nachgegangen und kamen auf interessante Ergebnisse.

Was ist als Nächstes geplant? Der Blog befindet sich noch im Aufbau. Es gibt noch viel zu tun. Damit Netzforschen frei und unabhängig funktionieren kann, ist es ein Projekt, welchem wir uns in unserer Freizeit widmen. Es wurden mittlerweile ein Teil der Ergebnisse aus den Experimenten, die unsere Studierenden in der Lehrveranstaltung mit uns gemeinsam entwickelt und durchgeführt hatten, veröffentlicht. Aktuell sind wir dabei einer der Forschungsfrage bezüglich Offenheit der Menschen in sozialen Netzwerken im Internet nachzugehen. Dazu haben wir einen Fragebogen entwickelt, welcher nun getestet werden soll. Dabei geht es unter anderem auch um die Dimensionalität des Konstrukts Offenheit im Internet. Wir erhoffen uns dadurch später ein Messinstrument zur Verfügung zu haben, welches in weiteren Forschungsvorhaben eingesetzt werden kann. Vor allem wenn es um die Fragen geht, wie Menschen mit ihren persönlichen Daten im Internet umgehen, inwieweit die Offenheit mit dem tatsächlichem Verhalten, der Selbstdarstellung usw. zusammenhängt, oder ob an der Aussage etwas dran ist, dass vor allem Jugendliche im Internet allzu offen mit ihrer Person umgehen. Wir brauchen dafür noch eine Menge Leute, die unseren Fragebogen ausfüllen. Jede Weiterleitung und jede Beantwortung des Fragebogens hilft uns weiter.

Ideen für die nächsten Forschungsvorhaben sind auch schon vorhanden, aber noch nicht umgesetzt. Wir wollen die Facebooksucht untersuchen. Gibt es dieses Phänomen und inwieweit ist es mit anderem Suchterleben vergleichbar? Und wir wollen in Zuge der Diskussion über das Urheberrecht, in Erfahrung bringen, wie es um die subjektive Wahrnehmung des Urheberrechts tatsächlich bestellt ist.

Wir würden uns freuen, wenn viele auf die Seite aufmerksam werden und evtl. etwas an unserer Idee abgewinnen können. Unterstützen kann man das Projekt durch Kommentare zu den jeweiligen Artikeln, die auf netzforschen.de zu finden sind, oder man kann uns gerne Meinungen, eigene Ideen oder Vorschläge per E-Mail schicken:  info@netzforschen.de. Wir sind auch auf Facebook und würden uns über jedes „Like“ freuen.

Ich bedanke mich herzlich bei Christian, dass ich einen Gastbeitrag schreiben durfte und ich freu mich darauf, hier oder auf netzforschen.de von Euch/Ihnen zu lesen.

Viele Grüße

Roman

 

 

Coole Sache: Mein GDM-Vortrag über „Die sieben Todsünden eines Wissenschaftlers“ wurde tatsächlich aufgezeichnet (wusste ich vorher nicht). Ich hab das Video von den Veranstaltern bekommen  (Vielen Dank!) und hochgeladen.

Ebenso steht der dazugehörige Artikel online. Viel Spaß beim Ansehen/Lesen.

Kommentiert werden dafür natürlich weiterhin – zum Beispiel auf der Wiki-Seite.

Wiki-Vorbereitung von Vorträgen

Veröffentlicht: Sonntag, März 11, 2012 in OeffentlicherWissenschaftler

Tja, jetzt ist mein Vortrag auf der GDM-Tagung in Weingarten zum Thema Die sieben Todsünden eines Wissenschaftlers schon vorbei. Das Thema des Vortrags war ja schon ein wenig heikel, und bis zuletzt wusste ich nicht, wie der Vortrag aufgenommen würde. Bislang habe ich keine herbe Kritik geerntet, sondern ausschließlich Zustimmung (was natürlich nix bedeuten muss, weil die Kritik ja oft nicht geäußert wird). Die Folien habe ich online gestellt. Ich hoffe noch, eine Aufzeichnung des Vortrags zu bekommen, und falls nicht, werde ich nochmal ein Screencast dazu machen. Jedenfalls sind alle eingeladen, den Vortrag im Wiki zu resümieren – ich würde mich über Rückmeldungen freuen! (Und, dran denken, keine Lobhudelei ;-)).

Sehr geholfen hat mir die gemeinsame Vorbereitung im Wiki. Vielen Dank an alle, die mit „gebrainstormed“ haben. Ich konnte so einige Punkte von anderen in meinem Vortrag aufgreifen und darüber hinaus demonstrieren, wie Wikis zur Vortragsvorbereitung eingesetzt werden können. Bei der Wiki-Vorbereitung hatte ich zunächst nur um Anregungen, Ideen und Wünsche gebeten. Nach einigen Tagen wurde mir aber bewusst, dass es besser wäre, wenn wir gemeinsam konkretere Ideen zu den einzelnen Todsünden sammeln würden.  Daher bin ich zu einem strukturierten Brainstorming gewechselt („Sagt mal, was euch einfällt zu Wissenschaft und Habgier / und Faulheit / und Eitelkeit…“ usw.). Das war viel besser: Das gemeinsame Brainstorming wurde so ein wenig vorstrukturiert…

Etwas Ähnliches versuche ich nun bei meinem Vortrag am Samstag im Rahmen des scilogs-Treffen in Deideheim. Ebenso habe ich wieder eine Wiki-Seite vorbereitet, die nun an die Teilnehmer(innen) weitergegeben wird. Selbstverständlich darf sich wie immer jeder andere auch beteiligen. Also: Schaut mal rein und äußert eure Ideen zu „öffentlicher Wissenschaft“! 🙂

Hashtag zur Veranstaltung: #scilogs12

 

 

7 Todsünden eines Wissenschaftlers

Veröffentlicht: Mittwoch, Februar 29, 2012 in OeffentlicherWissenschaftler

Nächste Woche Freitag darf ich auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Mathemtik einen Hauptvortrag zum Thema Die sieben Todsünden eines Wissenschaftlers halten. Die Todsünden hatten es mir ja auch schon mal in einem anderen Kontext angetan, und das Thema lässt ich wunderbar auf alle Lebensbereiche – natürlich auch auf die Wissenschaft -ausweiten. 🙂

Aus dem Abstract:

Dies ist ein nicht ganz ernsthafter, aber doch ernst zu nehmender Vortrag über die Sünde in Wissenschaft, insbesondere aber über die ganz eigenen „sündigen“ Erfahrungen des Vortragenden. Der Mensch ist ja bekanntermaßen ein lasterhaftes Wesen, und Mathematikdidaktikerinnen und Mathematikdidaktiker sind davon nicht ausgenommen. Bereits als Nachwuchswissenschaftler(in) wird man gerne schleichend von einer beliebigen Auswahl der sieben Todsünden heimgesucht: Hochmut, Geiz, Neid, Wollust, Völlerei, Zorn und/oder Faulheit. Was aber ist mit Wissensdurst, Neugier und Spaß am Forschen und Lehren?

In dem Vortrag wird neben ein paar kritischen Anmerkungen am (mathematikdidaktischen) Wissenschaftsbetrieb im Allgemeinen und ein paar persönlichen Reflexionen im Speziellen eine Vielzahl an flow-induzierenden Forschungs- und Lehrmöglichkeiten dargeboten: So werden prozessorientierte öffentliche Wissenschaft, Science-Blogs, Youtube-Vorlesungen und der flipped classroom thematisiert. Außerdem erfahren sie, was das alles mit Neuronen, Spermatozoiden und Haifischbecken zu tun hat. Letztlich darf Ihnen auch das Fazit schon verraten werden: Lassen Sie uns (noch mehr) Spaß am Forschen und Lehren haben und vermitteln!

Zur Vorbereitung würden mich eure Assoziationen interessieren: Was fällt euch jeweils zum Thema „Wissenschaft und Habgier“, „Wissenschaft und Hochmut“, „Wissenschaft und Faulheit“, … ein? Brainstormt mal mit mir gemeinsam und tragt eure Ideen in meine Wikiseite zum Vortrag ein! 🙂

 

Jede(r) ist Wissenschaftler(in)! – Fortsetzung

Veröffentlicht: Donnerstag, Dezember 29, 2011 in OeffentlicherWissenschaftler

Auf meinen letzten Blogbeitrag hat unter anderen Jean-Pol Martin sehr ausführlich geantwortet. Ein Auszug:

Das ist die Arbeit des Professors: seinen Studenten spannende Forschungsfelder anzubieten und sie BEI BEDARF mit entsprechenden Instrumenten (Methode) auszustatten. BEI BEDARF bedeutet: a posteriori. Die traditionelle Wissenschaft macht es anders: sie tötet allzu oft die große Freude und Neugierde der Studenten von Beginn an, indem sie sofort (also a priori) das methodische Rüstzeug eintrichtert, obwohl das Bedürfnis nach sauberen Forschungsinstrumenten noch gar nicht da sein kann, weil der Student seinen Forschungsgegenstand noch gar nicht zu Gesicht bekommen hat! […] Der Prof soll forschungsinduzierende Felder erspähen und seinen Studenten anbieten. Er soll die forschungsbezogene Reflexion, die allein durch die Begegnung mit dem Forschungsfeld bei den Studenten entstanden ist, organisieren und koordinieren und die entstehenden Emergenzen (Innovationen) identifizieren. Er soll auch permanente Konzeptualisierung (Modellbildung) anregen und anleiten.

Jean-Pol bezieht es hier direkt auf das Professoren-Studenten-Verhältnis, ich weiß aber, dass er er letztlich auch weiter sieht: Die Aufgabe des Berufswissenschaftlers ist es, in Projekten (z.B. Praxisprojekten, Web-Projekten, Schulprojekten, …) die Rolle des Wissenschafts-Experten einzunehmen, aus dieser Perspektive mitzuwirken und dabei kollektive Wissenskonstruktion in der Projektgruppe anzuregen und anzuleiten. Berufswissenschaftler, die sich aus dem Wissenschaftbetrieb „hinaus“ in Praxiskooperationen „hineintrauen“, können in diesen Projektgruppen Impulse „hin zum wissenschaftlichen Denken“ geben, die wissenschaftliche Arbeit anleiten und die anderen beteiligten Personen in ihren eigenen Forschungsprozessen unterstützen. Nichtberufswissenschaftler können in Kooperationen mit Berufswissenschaftlern ihr eigenes wissenschaftliches Denken, ihre eigenen Konzepte von Wissenschaft und ihre wissenschaftlichen Methoden weiterentwickeln.

Aber, ist das denn wirklich Wissenschaft? Wenn Laienwissenschaftler in irgendwelchen Praxisprojekten – zwar mit wissenschaftlichen Methoden vielleicht, aber trotzdem – popelige Baby-Ergebnisse herausbekommen? Was ist denn das für eine Wissenschaft? Agieren Schülerinnen und Schüler wirklich als Wissenschaftler, wenn sie Ergebnisse in ihren Forschungsprojekten herausbekommen, die schon längst bekannt sind?

Antwort: Es geht doch überhaupt nicht darum, dass in solchen Projekten Erkenntnisse an der menschlichen Wissenschafts-Front gewonnen werden (By the way: Ich bin mir nicht mal sicher, auf wie viel Prozent der Erkenntnisse der Berufswissenschaft das zutrifft). Es geht darum, dass Erkenntnisse gewonnen werden, die in einem bestimmten System (z.B. in der Firma, in der Schulklasse, …) noch nicht bekannt sind, und zwar (und das ist das entscheidende): systematisch, reflektiert, mit wissenschaftlichen Methoden gewonnen. Innerhalb dieses Systems gibt es dann anschließend eine neue Erkenntnis, und die Menschen in diesem System, welche die Erkenntnis gewonnen haben, dürfen sich zurecht Wissenschaftler(innen) nennen.

Wenn also beispielsweise ein Mensch in seiner Firma ein komplexes Problem vorfindet oder sich ihm eine bedeutsame Frage stellt (wie z.B.: „Weshalb verkauft sich dieses Produkt nicht so gut?“, „Weshalb wollen sich meine Mitarbeiter nicht selbstständig weiterbilden?“, usw.), dann kann eine Vorstellung von wissenschaftlichem Arbeiten, dann kann wissenschaftliches Denken, dann können wissenschaftliche Methoden bei der Lösung des Problems oder beim Beantworten der Frage helfen (beispielsweise durch eine ordentlich geplante und durchgeführte Befragung). Wissenschaftliche Methoden dienen ja schließlich dem Gewinnen von Erkenntnissen. Die konkrete Praxisfrage soll also nicht „irgendwie“, sondern systematisch beantwortet werden, um zu qualitativ besseren Ergebnissen zu gelangen.

Wenn solche Nichtberufswissenschaftler jedoch nicht ausreichend wissenschaftlich-methodisch fit sind (bzw. sich nicht fit genug fühlen), dann könnten sie doch ihr Problem in interdisziplinären Gruppen unter Mitwirkung eines oder mehrerer Berufswissenschaftler gemeinsam lösen – so zumindest verstehe ich den Mode 2 der Wissensproduktion (vielleicht ist es aber sogar eine Weitung dieses Begriffs). Dabei lernen die Nichtberufswissenschaftler wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen (a posteriori bzw. einfach währenddessen), während der Berufswissenschaftler ein Praxisfeld vorfindet, in dem praxisrelevante und forschungsintensive Fragen aufgeworfen werden, und in dem auch er Anküpfungspunkte und wertvolle Anregungen für die eigene Forschungsarbeit finden kann. Nicht zuletzt erdet Praxisnähe ja auch, und vielleicht wird so die ein oder andere praxisirrelevante Frage in der Berufswissenschaft nicht mehr gestellt.

Das Web kann schließliche dazu dienen, interessierte Partner zu finden, die in derartigen Projekten mitwirken wollen. Die gemeinsame Arbeit kann dort strukturiert werden, Diskussionen und Arbeitsprozesse können webgestützt ablaufen, in Wikis, in Foren, in Etherpads, sonstwo. Open Science 2.0 eben.

Jede(r) ist Wissenschaftler(in)!

Veröffentlicht: Donnerstag, Dezember 29, 2011 in OeffentlicherWissenschaftler

Eine Diskussion im Blog von Kristina Lucius hat mich wieder einmal ins Nachdenken über öffentliche Wissenschaft gebracht. Kristina steht ganz am Anfang ihres Forschungsprozesses und bringt diesen gleich durch ihr Weblog in die Öffentlichkeit – ein Paradebeispiel für öffentliche Wissenschaft von Anfang an. Das Paradoxe: Kristina hält sich noch gar nicht für eine Wissenschaftlerin. Sie schreibt: „bedauerlicherweise bin ich noch nicht im geringsten eine Wissenschaftlerin“. Mit dieser Einstellung kommen auch Studierende oft zu mir, wenn Sie sich für das Schreiben einer wissenschaftlichen Hausarbeit interessieren: Sie denken, man müsse erst eine Art formale Wissenschaftlerausbildung durchlaufen haben, um Wissenschaftler zu sein.

Ich denke hingegen: Na klar sind all diese Menschen Wissenschaftler. Sie wissen es nur nicht, weil es ihnen noch niemand gesagt hat, und weil die Berufswissenschaftler (die nenn ich jetzt mal so in Abgrenzung) ein recht hohes Ansehen genießen und man meint, man müsse erst durch Bachelor, Master und Promotion durch, um sich „Wissenschaftler nennen zu dürfen“. (Ich verwende in diesem Artikel übrigens „Wissenschaftler“ synonym mit „Forscher“, man möge das eine durch das andere nach Belieben ersetzen.)

Betrachten wir mal folgenden Vergleich: Familie Müller ist bei Familie Mayer zum Essen eingeladen. Auf dem Weg dahin unterhalten sich Frau und Herr Müller über die Mayers. Frau Müller sagt, Herr Mayer sei ein miserabler Koch (Bei Mayers kocht immer ER, weil SIE denkt, er sei der bessere Koch): Beim letzten Mal ist ihm nämlich die Entenbrust sowas von in die Hose gegangen… Herr Müller hingegen findet, Herr Mayer ist ein fantastischer Koch – und selbst fantastischen Köchen darf mal etwas misslingen. Viel kritischer hingegen ist Herr Mayer mit sich selbst. Er denkt, er müsse noch viel mehr lernen, um ein richtig guter Koch zu sein. Nun ja…. alle vier Personen in dieser Situation denken, Herr Mayer ist ein Koch – entweder ein besserer oder ein schlechterer. Aber Koch. Keiner wundert sich, weshalb alle sagen, Herr Mayer sei ein Koch, wo er doch eigentlich als Sachbearbeiter bei einer Versicherung arbeitet. Das liegt vermutlich daran, dass keiner der vier beteiligten Personen mit „Herr Mayer ist Koch“ meint, er sei ein Berufskoch. Trotzdem ist der doch Koch – genauso wie jeder andere Mensch, der kocht. So in etwa würde ich mir wünschen, dass man über andere Menschen sagt: „Hey, die Lisa, die ist eine super Wissenschaftlerin!“, obwohl sie als Bankkauffrau arbeitet und berufsmäßig mit Wissenschaft nix am Hut hat. Natürlich kann jemand ein guter oder ein schlechter Wissenschaftler sein (ähnlich wie beim Kochen), wobei die Maßstäbe hier vermutlich ähnlich subjektiv sind wie beim Verzehr der Entenbrust.

Was macht nun aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus? Sie haben sich folgende Haltungen, Denk- und Arbeitsweisen zu eigen gemacht:

  • Sie sind neugierig und wissbegierig.
  • Sie stellen Fragen.
  • Sie wissen, welche Fragen man beantworten kann (und wie) und welche nicht.
  • Sie stellen Vermutungen auf und überprüfen sie.
  • Sie sind skeptisch gegenüber Glaube und Aberglaube.
  • Sie sind kritisch und selbstkritisch.
  • Sie wenden wissenschaftliche Methoden an, um zu Erkenntnissen zu gelangen. Hierzu zählen die Beobachtung, die Befragung, das Experiment (um mal ein paar empirische Methoden zu nennen).
  • Sie bemühen sich herauszufinden, was man dazu schon weiß, z.B. in Literatur und im Internet.
  • Sie setzen ihre Erkenntnisse (samt Gewinnungsprozess) der Kritik anderer aus.

Natürlich muss man hier vieles lernen. Vieles verlernt man aber auch. Neugierig sein, Fragen stellen, Experimentieren… das alles machen Kinder schon verdammt früh, bis, naja, bis es in der Schule eher um das Geben von Antworten als um das Stellen von Fragen geht. Die Schule selbst fördert den Forschertrieb von Kindern insgesamt betrachtet nicht stark genug. Und auch später: Wann ist man als Schüler schon in eigene Forschungsprojekte involviert? Vielleicht mal bei „Jugend forscht“ oder sowas. Toll.

Forschendes Lernen – oder noch besser: Forschen – sollten wir viel mehr und vor allem expliziter in der Schule und in der Hochschullehre umsetzen. Wir sollten Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten klar machen, dass sie ganz selbstverständlich Wissenschaftler sind, weil alle Menschen neugierig sind, weil alle Menschen Fragen stellen, weil alle Menschen nach Antworten suchen. Die Methoden muss man lernen – in der Schule, in der Hochschule. Das macht man dann aber nicht, um Wissenschaftler zu werden, sondern um ein besserer Wissenschaftler zu werden. Ich denke, hier liegt der Knackpunkt. (Nebenbemerkung: Wobei ein Wissenschaftler, der die Methoden beherrscht, nicht automatisch ein guter Wissenschaftler ist. Vielen Berufswissenschaftlern fehlt nämlich dafür mitunter die Neugier oder die Fähigkeit, gute Fragen zu stellen. Dies ist aber lediglich eine gewagte Vermutung.)

Öffentliche Wissenschaft ist vielleicht ein Feld, in dem genau diese Haltung auch in die Öffentlichkeit getragen werden kann: Berufswissenschaftler tauschen sich mit Nichtberufswissenschaftlern über Fragen, über mögliche Antworten, über Erkenntnisprozesse aus, und sie führen gemeinsam Projekte durch. Ein schönes Beispiel hierfür ist eben der Blog von Kristina Lucius, auf dessen Fortführung ich gespannt bin.

 

 

Open Science 2.0

Veröffentlicht: Samstag, Oktober 8, 2011 in OeffentlicherWissenschaftler

Das Experiment in Maputo ist tatsächlich geglückt: Ich habe dort einen Vortrag zum Thema „Open Science in the Web 2.0 – Building learning networks with wikis, weblogs, and twitter“ gehalten, und das ganze wurde per ustream.tv gestreamt. Darüber hinaus hatten wir einen Twitter-Backchannel mit Twitterwall, um den Teilnehmern draußen eine Kommunikationsplattform zu bieten.

Bei der Vorbereitung ist mir eine Parallele zwischen der Entwicklung des Web und der Entwicklung öffentlicher Wissenschaft aufgefallen: In den „old days of the internet“ a war das Web eine Umgebung, in der nur wenige publiziert und viele gelesen haben. Ähnlich verhält es sich mit öffentlicher Wissenschaft: Früher wurde darunter überwiegend verstanden, wissenschaftliches Wissen in die Gesellschaft zu transferieren, z.B. mit Hilfe populärwissenschaftlicher Literatur, VHS-Kursen, Museen, TV-Sendungen usw. Wenige (Wissenschaftler) produzierten, viele (Gesellschaft) konsumierten. Open Science 1.0 sozusagen.

Immer bedeutsamer wurde in den letzten Jahren der Begriff Open Access: Wissenschaftler stellen ihre Artikel, Daten und Materialien online, sodass sie jeder (insbesondere andere Wissenschaftler) lesen bzw. verwenden können. Dies ist schon prozessorientierter als der Transfer wissenschaftlichen Wissens, geht mir aber noch nicht weit genug. Daher: Open Science 1.5.

Bei Open Science 2.0 wird nicht wissenschaftliches Wissen mitgeteilt (produktorientiert), sondern die Gesellschaft wird in den Prozess der Produktion wissenschaftlichen Wissens einbezogen (prozessorientiert). Wissenschaftler vernetzen sich mit Nicht-Wissenschaftlern, bilden Teams und lösen gemeinsam Probleme. Ganz ähnlich also der Entwicklung im Web: Open Science 2.0 und Web 2.0 teilen sich Eigenschaften wie Kollaboration, Partizipation, Vernetzung.

Das Ganze wird im Video noch näher ausgeführt:

Die Folien stehen auch online (sie sind im Video nicht so gut zu erkennen). Wer sich noch tiefer für Open Science 2.0 interessiert, auf meiner dazugehörigen Wiki-Seite hab ich einiges zusammengestellt. Vor kurzen hat außerdem Oliver Tacke einen sehr schönen Beitrag dazu verfasst.

Am Freitag, dem 30. September 2011, habe ich um 15 Uhr einen Vortrag zum Thema „Öffentliche Wissenschaft“ in Maputo. Und toll daran ist, dass die Kollegen hier vor Ort Lust auf Experimente haben. Wir werden versuchen, den Vortrag per ustream ins Internet zu übertragen und einen Twitter-Backchannel einzurichten mit einer Twitterwall, sodass ihr euch von außen auch beteiligen könnt. Das wäre krass, wenn das klappen würde, was? Experimentell ist es deswegen, weil es hier zum Teil schwierige technische Bedingungen gibt. Es ist unklar, ob das Streaming gelingen wird, und ob wir überhaupt Internet haben. Aber, auf einen Versuch kommt es an. Zur Not haben wir vielleicht nur den Twitter-Backchannel und ich versuche, einen Austausch über Twitter zu integrieren.

Also: Es wäre schön, wenn ihr am Freitag, 30. September, 15 Uhr mit dabei wärt (vielleicht in ustream und twitter, vielleicht nur in twitter, je nach dem). Und: Es kann sein, dass wir nicht pünktlich beginnen, also: bleibt entspannt. Und es kann sein, dass gar nix passiert und ihr auch nix von mir hört, weil ich nicht ins Internet komme. Und es kann sein, dass ustream hakt, dann ignoriert das einfach und macht nur über Twitter mit. Lust, bei dem Experiment mitzumachen und vielleicht den Kollegen hier in Maputo über die Twitterwall hallo zu sagen und über öffentliche Wissenschaft zu diskutieren? Dann sag ich mal: „Ciência Aberta no Web 2.0: Construindo redes de aprendizagem com weblogs, wikis, e twitter“. Der Vortrag ist übrigens auf Englisch, nicht auf Portugiesisch :-).

[Update] Ah, ich vergaß: Bei „Open Science in Maputo“ bietet sich der Hashtag #osmaputo an.