Das Josef-Hutzl-Verfahren

Veröffentlicht: Sonntag, Juni 23, 2013 in Arithmetik, Mathematics

Neulich erhielt ich eine Mail von Josef Hutzl. Josef ist Fernfahrer und ist zufällig auf meine Youtube-Videos gestoßen, auch auf eines, in dem ich mal quadriert habe. Er schreibt:

Das brachte mich auf die Idee, bei Ihnen etwas zu hinterfragen. […] Da ich während stundenlanger Nachtfahrten gerne Kopfrechne, habe ich mir einen Rechenablauf zur Kontrolle  beim Quadrieren entwickelt. […] Meine Bitte, sehen Sie sich meine Kopfrechenhilfe unten an, und sagen Bullshit oder nicht.

Das alleine finde ich schon mal extrem cool. Man sieht, dass hier Videos aus Mathe-Vorlesungen wesentlich breiter aufgenommen werden als man das vermutet. Auch wenn die Nutzung durch „Nicht-Akademiker“ insbesondere im Kontext von MOOCs kritisch hinterfragt wird (hier sind doch die meisten Teilnehmer Akademiker), zeigt das Beispiel Josef Hutzl, dass der Zugriff auf Youtube-Videos vielleicht niederschwelliger ist und dass diese daher breiter wirken können als dies in MOOCs der Fall ist: Schließlich kann sich die Videos ja  jeder „einfach so“ ansehen, ohne sich in einen ganzen Kurs oder ähnliches einschreiben zu müssen. Die Kommentare und Rückmeldungen, die ich auf Youtube erhalte, zeugen jedenfalls davon, dass diese auch von „Nicht-Studenten“ und „Nicht-Akademikern“ angesehen werden. Eine Einschätzung über eine Größenordnung kann ich nicht geben, aber das ist ja letztlich auch egal. Hauptsache, diejenigen Menschen haben Zugriff auf solche Materialien, die sich für Mathe interessieren. Und nicht nur das, sondern es lässt sich auch vermuten, dass überall in der Gesellschaft kleinere und größere Mathe-Genies, Mathe-Freaks und Mathe-Liebhaber rumlaufen, die zwar keinen Zugang zur formalen Hochschulbildung haben, in denen aber ein Potenzial schlummert, dass nun mit einer „Demokratisierung der Bildung“ zum einen mehr ausgeschöpft, zum anderen ein Stück weit öffentlicher wird. Hierzu soll auch dieser Blogartikel einen Beitrag leisten.

Nun aber zurück zum Rechentrick von Josef. Wie kann man beispielsweise 44*44 ausrechnen? Er schreibt:

Mir helfen dabei, wie ich es nenne, Eckzahlen. 1,2,3,4,5,6,7,8,9  ihr 10, 100 und tausendfaches mit sich selbst mal genommen z.B.: 50 mal 50 ist 2500,  folglich ist 2500 eine Eckzahl. In diesem Fall eine „obere Eckzahl“ oE, die „untere Eckzahl“ uE wäre in diesem Fall 1600 (40 mal 40). Zwischen 40 und 50 liegen 9 weitere ganze Zahlen (Grundzahlen).
Ich addiere die Grundzahl der oE mit sich selbst, im Beispiel (50 + 50 oder 2 mal 50). Diese multipliziere ich nun mit dem Abstand der betreffenden Grundzahl zur Grundzahl der oE, hier 50 minus 44 ist 6 (Abstand), und subtrahiere die Summe von oE, addiere nun das Quadrat des Abstands dazu habe als Ergebnis 1936 oder 44 mal 44.
Also zusammengefasst:    2500 – 600 + 36 = 1936  = 44

Wir vollziehen es nochmal an einem anderen Beispiel nach. Nehmen wir mal die Aufgabe 37*37. Somit wäre die obere Eckzahl (nach den Ausführungen von Josef) 40*40=1600. Der Abstand von 37 und 40 ist 3. Wir rechnen 2*40*3 = 240. Schließlich rechnen wir 1600 – 240 + 9, und das ergibt 1369. Und das ist tatsächlich 37*37.

Hier ist eine Aufgabe für meine Studenten:

  1. Vollziehen Sie das Verfahren von Josef Hutzl an weiteren Beispielen nach.
  2. Beweisen Sie es.
  3. Entwickeln Sie auf dieser Basis einen noch einfacheren Rechentrick unter Verwendung der unteren Eckzahl.

Letztlich beruht dieser Rechentrick auf… (nein, ich verrate es hier nicht, um den Studierenden den Beweis nicht zu einfach zu machen.) Nichtsdestotrotz: Ich schlage vor, dass Verfahren ab sofort Josef-Hutzl-Verfahren zu nennen. Einfach weil ich’s toll finde, dass Josef ein mathematisches Verfahren entwickelt hat. Das ist eine großartige Leistung!

Kommentare
  1. Hokey sagt:

    Ha! Das finde ich ja mal klasse! 🙂

  2. alensaweek sagt:

    Hut ab und ganz tief verneigend!
    Carsten

  3. Andrea sagt:

    Klasse. Das mache ich morgen mal mit meinen Schülern unter genau diesem Namen 🙂
    Hut ab!

  4. Spannend! Auf sowas muss man erstmal kommen! Außerdem wieder mal ein Beispiel, warum sich (Hoch)Schulen öffnen müssen!

  5. Anita sagt:

    $sali Christian
    Mir fällt ein Stein vom Herzen. Bin dir unendlich dankbar, dass du dieses Thema in diesem Blog aufs Tapet bringst. Ich bin auch „Nichtstudentin“ “Nicht-Akademikerin” aber trotzdem total angefressen von Mathe und gehöre zur Spezies Mathe-Freaks und Mathe-Liebhaber. Mathe ist ein Training im spezifischen exakten Denken, das man überall gebrauchen kann. Dieses Mathe-Denken macht unwahrscheinlich Spass und bereitet ab und zu einen veritablen Kick. Zudem ist Mathematik die Sprache des Universum. Einfach fanstastisch. Es wäre ein grosser Verlust, wenn man die Videos nicht mehr so einfach wie bisher via Youtube ansehen könnte. Ich sehe sie nicht nur an, ich arbeite sie durch! Ich weiss, dass ich mich nicht irgendwo einschreiben würde. Ich möchte einfach Mathe geniessen.

  6. Iris Wolff sagt:

    Finde ich super und hoffe mal diese Leistung beeinträchtigt nicht Josefs Konzentration beim LKW-Fahren!

  7. kmesch sagt:

    Die schöne neue weite Internetwelt von ihrer besten Seite, ganz großes Kino!!!

  8. Martina Grosty sagt:

    Ich finde es
    1. große Klasse, dass Du dieses Beispiel veröffentlichst.
    2. ich hoffe ebenfalls, dass Deine Videos auf YouTube genauso wie die von Prof. Loviscach für jeden zugänglich bleiben. Das bietet auch „Nichtakademikern“ die Möglichkeit zu lernen.

    Mach weiter so
    Gruß
    Martina

  9. Peter sagt:

    Ohne die Leistung von JH zu schmälern gilt:
    Das JH-Verfahren war in der Vor-Taschenrechner-Ära ein durchaus genutztes Verfahren für das schnelle Quadrieren. Ferner hatte man eine sehr nützliche Anwendung für die … … . Auch auf Aufgaben wie 43 * 37 wunderbar anwendbar : -). Ich hoffe, dass ich jetzt nicht zu viel verraten habe.

  10. Anita sagt:

    Ich wünschte mir, es gäbe viel mehr Josef-Hutzl’s auf der Welt. Wenn mehr Leute ihr wunderbares Organ, genannt Gehirn, für solch konsturktives Denken benützen würden, wer weiss, vielleicht wäre sie dann ein bisschen besser.

  11. m.g. sagt:

    Ich wünsche mir mehr Josefs und Anitas. Josef zeigt, dass nur die eigene Auseinandersetzung mit den Zahlen zu einem tieferen Verständnis für selbige führt. Dabei entdeckte er seine eigene Version einer gewissen bekannten Formel.Ein schlechter Mathelehrer würde jetzt bemängeln, dass Josef das ja deduktiv aus der Formel hätte ableiten können. Warum, ich brauche doch meine eigenen Erfahrungen mit der Materie. Die reine Deduktion hätte Josef vielleicht gar nicht so einen Spaß bereitet. Auf alle Fälle brauche ich die unmittelbare Auseinandersetzung mit auch ein wenig größeren Zahlen. In der Schule nehmen wir den Schülern dieser Möglichkeit, indem wir sie zu schnell den Taschenrechner benutzen lassen.
    In einem Land, in dem jeder damit kokettieren darf, dass er ja Mathematik überhaupt nicht versteht und in dem selbsternannte Philosophen die Abschaffung des Matheunterrichts in Betracht ziehen freut man sich über Menschen wie Anita. Schaut man genauer hin kommt sie aus der Schweiz …

  12. Dominikus sagt:

    Die indische Mathematik hat viele solcher „Kunstgriffe“ für das Kopfrechnen entwickelt. Das TED-Ed-Video „The magic of Vedic math“ mit Gaurav Tekriwal macht jeden innerhalb von 10 Minuten zu einem kleinen Rechenkünstler. Mathematik macht Spaß!

    http://ed.ted.com/lessons/the-magic-of-vedic-math-gaurav-tekriwal

  13. Anita sagt:

    @m.g. 1. danke, tut gut! 2. genau! swiss made 🙂

  14. Gaby sagt:

    Sehr schön! Da sieht man’s mal wieder: Nicht jeder Grufti ist ein „Arbeitsloser Rocker“ und nicht jeder Fernfahrer ist „Nicht-Akademiker“ oder zumindest desinterssiert an Mathematik 😉

  15. Anita sagt:

    Man sollte die Fernfahrer nicht unterschätzen. In der Schweiz gibts einen, der war Arzt, ich glaub sogar Chirurg. Der hat sein Messer an den Nagel gehängt und geniesst sein Leben nun als Fernfahrer. Es gab sogar mal eine TV-Sendung über ihn.

  16. Anita sagt:

    @dominikus danke fhttp://www.sendungen.sf.tv/myschool/Nachrichten/Archiv/2013/02/13/Themen/Naturwissenschaften/Die-Geschichte-der-Mathematikür den Interessanten link.
    Hier noch einer

  17. TobyPubes sagt:

    Und aus diesem Grund sollte ein umfangreiches Infromatikfach in Schulen eingeführt werden. Jemand der wie Josef Hutzl mathematische Verfahren entwickeln kann, hat das Zeug zum kompetenten Programmierer.

  18. kaiobi sagt:

    Muss sagen, ich verwende das schon ne Weile, um meinen (Nachhilfe-)Schülern beizubringen, größere Quadrate auszurechnen. Ich geb aber auch keinen Hinweis, wonach das geht, das klaut deinen Studenten nur den Spaß. 😉

  19. […] | cspannagel, dunkelmunkel & friends on WordPress.com (2013). Online verfügbar unter https://cspannagel.wordpress.com/2013/06/23/das-josef-hutzl-verfahren/, zuletzt aktualisiert am 26.06.2013, zuletzt geprüft am […]

  20. Anita sagt:

    Christian ich mache dir ein dickes Kompliment. So wie du mit der Hutzel-Geschichte umgehst, hast du deine wahre Grösse unter Beweis gestellt. Da schreibt dir ein Fernfahrer Hutzel seine Rechenidee und du machst gleich ein Blog darüber, beschäftigst deine Studenten damit.

    Es gäbe sicher welche an deiner Stelle, die hätten darauf gar nicht erst geantwortet. Sie hätten vielleicht Angst gehabt, dass ihnen ein „Stein aus der Krone“ fallen könnte. In deiner „Krone“ dagegen ist ein neuer (edel)-Stein dazu gekommen.

  21. dunkelmunkel sagt:

    Allen ein herzliches Dankeschön für die Kommentare! Ich habe das Josef-Hutzl-Verfahren gestern auch in meinem Vortrag bei e-teaching.org angeführt („Grund Nr. 4“). Hier sind die Folien: http://de.slideshare.net/cspannagel/open-education-openscience
    Und hier ist die Vortragsaufzeichnung: http://www.youtube.com/watch?v=PDweerwQPVw

  22. Anita sagt:

    Hier noch das Video bezgl. Post vom Mittwoch. Ist teilweise Deutsch und teilweise Schweizerdeutsch. Hoffe ihr versteht es.
    http://www.srf.ch/player/tv/schweiz-aktuell/video/9jaehriger-will-an-die-eth?id=79f64e09-fff4-499e-abda-5a10f7808454

  23. Johannes sagt:

    Bitte lösche meine anderen beiden Kommentare, ich will kein Spielverderber sein. Ich hätte deinen Artikel erst zu Ende lesen sollen.

    Zur Entschädigung hier ein ähnliches „Problem“:

    „Ich weiß nun wie man schnell quadriert. Mit folgendem Trick lassen sich fast beliebige Produkte einfach ausrechnen. Will ich z.B. 37 * 43 rechnen, suche ich die Zahl, die genau in deren Mitte liegt (hier 40), quadriere sie (in diesem Fall einfach, ansonsten Josef-Hutzl-Verfahren verwenden) und subtrahiere das Quadrat der Differenz zu beiden Seiten (hier 3, weil 37 und 43 jeweils 3 von 40 entfernt sind). 37 * 43 = 40² – 3² = 1591“.

  24. dunkelmunkel sagt:

    @Johannes Okay, hab sie gelöscht! 🙂

    Danke für deinen weiteren Trick. 🙂 … und hier gibts noch mehr:
    http://wiki.zum.de/PH_Heidelberg/Bausteine/Symbolisch_und_ikonisch

  25. josef sagt:

    es gibt viele mathe tricks die funken immer, andere nicht. ich finde solche tricks sind eh für amateure wie mich, wichtig ist nur sie zeigen wie schön und einfach mathe sein kann. das aha erlebnis, oh das habe ich verstanden löst angst und zweifel. trick 1: 37*3= 111; 37*6=222 usw.
    trick2 8*17=4*34=2*68=1*136 trick 3 : 17*5=10*17=170:2=85… 5n=10n:2; jetzt werden echte Mathematiker fragen was sollen die kindereien? genau kindereien für zukünftige kinder der mathematik.

  26. dunkelmunkel sagt:

    @Josef Sehr schön formuliert: „zukünftige Kinder der Mathematik“ 🙂 … ich würde das „zukünftig“ streichen wollen. 🙂

  27. Anita sagt:

    @josef …..wie schön und einfach mathe sein kann… gut getroffen. genau so erklär ich jemandem, der/die nicht verstehen kann, warum gerade Mathe. Eben, weil Mathematik ganz einfach schön ist.

  28. Dirk sagt:

    Hallo zusammen…ich weiss nicht, ob es einfacher ist, aber um mit der unteren Eckzahl zu rechnen macht man das ganze wohl so:

    Bsp.: 43*43

    Untere Eckzahl quadrieren, Zahlen mal zwei und mal der Differenz Eckzahl zu tatsächlicher Zahl, zur Eckzahl addieren, und das Quadrat der letzten Stelle abziehen.

    Also quassi:

    1600 + 43*2*3 – 3*3 = 1600 + 258 – 9 = 1849

  29. Dirk sagt:

    Bevor ich es vergesse.. 😉

    in diesem Clip sieht man wie die Chinesen früher multipliziert haben, und das funktioniert sowas von einfach.

    Viel Spass damit 🙂

  30. Josef sagt:

    Hi Dirk, sehr schöne Lösung für 43^2. Mir persönlich fällt es beim Kopfrechnen leichter GZ uE also
    40^2 + 3(2*40) + 3^2 also 1600 + 240 + 9 oder oE 50^2 – 7(50*2) + 7^2 also 2500 – 700 + 49 ist 1849. So halte ich es recht einfach, da man immer nur das kleine 1*1 nutzen muss, höchstens mal ne Null oder zwei anhängen.
    Ich nehme diese Varianten eigentlich nur zur Proberechnung.
    Bei 471^2 oder 942^2 etc. gerate ich schon mal ins straucheln . Klar man könnte den Taschenrechner zücken, aber das wäre nicht so geil 😉
    Natürlich gibt es tausende Mathefreaks, die problemlos mit größeren Zahlen jonglieren, aber die spielen in einer anderen Liga.
    Den chinesischen Rechentrick kannte ich noch nicht. Mathe ist doch einfach nur geil ;))

  31. Roman-Raffaele Chirico sagt:

    Was ist an den Binomischen Formeln so besonderes? Sie stecken doch hinter all diesen Tricks. Leider erlernen Kinder erst das Kopfrechnen und dann in der 8. Klasse die Binomischen Formeln. Ein Zusammenhang wird hier dann nicht mehr hergestellt.

    Wie macht man es aber besser als Josef?
    So wie ich es 1992 aus Quellen von Adam Ries Schrift „Rechnung auf der Linien“ 1525 und der „Coß“ ebenfalls von Adam Ries entwickelt habe!

    Wenn man die Quadratzahlen von 1 bis 25 beherrscht, bekommt man die Quadratzahlen von 26 bis 100 fast geschenkt!

    Man bilde 25 Quadrupel derart:
    ( n; 50 – n ; 50 + n ; 100 – n) n aus {1;2;3;…;25}

    Beispiel für n = 7:
    ( 7 ; 43 ; 57 ; 93 ) und schaue sich deren Quadrate an
    (49 ; 18 49 ; 32 49 ; 86 49 )
    Alle enden auf 49

    Wie bekommt man nun die Tausender und Hunderter?
    25-7 25+7 93-7

    Nun ein 4-Tupel mit Übertrag n = 17:
    ( 17 ; 33 ; 67 ; 83 ) die Quadrate sehen so aus
    (2 89 ; 10 89 ; 40 89 ; 68 89 )

    Wie bekommt man hier die Tausender und Hunderter?
    25-17+2 25+17+2 83-17+2

    Woher kommt die 2 ?
    17*17 = 200 + 89 die 2 sind Hunderter, der Übertrag.

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