Kann man Äpfel mit Birnen vergleichen?

Veröffentlicht: Mittwoch, August 8, 2012 in Vorlesungsaufzeichnung
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Klar kann man das! Äpfel sind rund, Birnen birnenförmig. Äpfel können rot sein, Birnen nicht. Und Äpfel schmecken mir besser als Birnen. Also, man kann.

Okay, Spaß beiseite. Das Äpfel-Birnen-Bild soll uns natürlich daran erinnern, dass man bei Vergleichen immer acht geben muss, ob das zu Vergleichende auch vergleichbar ist. Man kann dies aber auch anders herum sehen: Wenn man sich der Grenzen der Vergleichbarkeit bewusst ist, dann kann man trotzdem vergleichen, aber eben vorsichtiger und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedingungen.

Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn ich gefragt werde, ob denn die Studierenden durch das Konzept der umgedrehten Mathematikvorlesung denn nun auch besser in den Klausuren abschneiden. Eine berechtigte Frage, wie ich finde. Allerdings auch eine schwer zu beantwortende. Wenn man dies streng wissenschaftlich untersuchen möchte, kommt man schnell entweder an Grenzen der Ethik oder der Übertragbarkeit. Denn: Wenn ich wirklich einen Unterschied zweier Methoden untersuchen wollte, müsste ich streng genommen im selben Semester die Studierenden einer Veranstaltung in zwei Gruppen einteilen (randomisiert, d.h. zufällig zugeteilt, versteht sich): die eine Gruppe besucht eine traditionelle Vorlesung, die andere die umgedrehte. Außerdem muss man sicher stellen, dass die traditionelle Gruppe nicht doch auf die Videos zugreift (also nix mit Youtube). Am besten sollten sich die Studierenden der beiden Gruppen auch während des Semesters nicht begegnen und nicht miteinander austauschen usw. Das ist schon sau schwer zu erreichen, naja, eigentlich unmöglich. Aber gesetzt den Fall, man bekommt das hin: Dann müssen ja beide Gruppen am Ende der Veranstaltung eine Prüfung ablegen, und ich habe eine Gruppe mit einer aus meiner Sicht schlechten Methode gelehrt. Das kann man nicht machen! Die Studierenden würden sich zurecht über eine ungleiche Behandlung beschweren. Ethisch ist das nicht vertretbar.

Das Problem könnte man umgehen, in dem man die Studierenden nur kurzfristig teilt (also z.B für eine Vorlesung) und dann gleich im Anschluss Unterschiede misst (beispielsweise durch einen Lernerfolgstest). Aber, was würde diese einmalige Geschichte aussagen über den Effekt der Umstellung einer gesamten Vorlesung? Eher nix. Das wären ja praktisch Laborbedingungen. Und außerdem wäre es keine richtige Prüfung, sondern „nur ein Fragebogen“ oder so. Die Ergebnisse sind also nur mit Fragezeichen versehen auf Realsituationen übertragbar. Man spricht dann von einer niedrigen externen Validität.

Man kann natürlich noch auf den Gedanken kommen, zwei unterschiedliche Lehrveranstaltungen z.B. an zwei unterschiedlichen Hochschulen herzunehmen und mit den unterschiedlichen Konzepten durchführen zu lassen. Aber: Neenee, kann man auch nicht machen, weil diese sich dann nicht nur durch die Methode unterscheiden, sondern auch durch die Hochschule, durch die Dozenten usw. Hier würde viel zu viel variiert werden! Der einzige relevante Unterschied zwischen beiden Gruppen darf nur die Methode sein, sonst nichts. Letztlich müsste man ganz viele Vorlesungen hernehmen und die eine Hälfte mit der einen und die andere Hälfte mit der anderen Methode lehren, damit sich die Unterschiede zwischen den Hochschulen und den Dozenten usw. auch gegenseitig aufheben. Aber wie bitte sollte man das organisieren?

Also, man sieht: Will man den Effekt des Umdrehens der Mathematikvorlesung auf den Lernerfolg untersuchen, handelt man sich jede Menge methodische Probleme ein. So, und jetzt kommen die Äpfel und die Birnen ins Spiel: Man kann ja trotzdem mal die Ergebnisse verschiedener Semester hernehmen und vergleichen, wohl wissend, dass diese sich mitunter drastisch auch durch andere Dinge als die Methode allein unterscheiden.

Ich habe mal die Klausurergebnisse der letzten vier Semester hergenommen und verglichen: ein Semester ohne Flipped-Classroom-Konzept, drei mit. Bevor ich euch jedoch die Ergebnisse vorstelle, beschreibe ich erst einmal, wodurch sich die einzelnen Semester unterscheiden:

  • Wintersemester 2010/2011: Hier habe ich noch eine klassische Vorlesung gehalten (allerdings parallel gleichzeitig aufgezeichnet). Nichtsdestotrotz: Die Studierenden haben hier nur eine traditionelle Vorlesung besuchen können.
  • Sommersemester 2011: In diesem Semester habe ich erstmals die Vorlesung umgedreht.
  • Wintersemester 2011/12: In diesem Semester habe ich wiederum die Vorlesung umgedreht, allerdings verbunden mit weiteren Schritten. Ich habe wesentlich stärker an die Selbstverantwortung der Studierenden appelliert, beispielsweise indem ich alles (Plenum, Übung, …) als Unterstützung bezeichnet habe, welche die Studierenden annehmen können, aber nicht müssen. Nichts war Pflicht.
    In diesem Semester hat sich zudem noch etwas anderes geändert, nämlich die Prüfungsordnung. In diesem Semester hatte ich noch (wenige) Studierende der alten PO in der Vorlesung, aber zusätzlich auch Studierende der neuen PO. Jetzt kommt der entscheidende Punkt: Studierende der neuen PO schreiben die Klausur erst nach ihrem zweiten Semester (der aktuelle Durchgang also nach dem Sommersemester 2012), während Studierende der alten PO die Klausur sofort am Ende des Semesters schreiben. Insofern haben am Ende des Semesters nur wenige Studierende der alten PO die Klausur geschrieben.
  • Sommersemester 2012: In diesem Semester habe ich die Vorlesung gar nicht gehalten, weil sie nicht im Vorlesungsverzeichnis vorgesehen war. Nichtsdestotrotz haben die Studierenden der neuen PO die Klausur am Ende des Semesters geschrieben, eben aber über die Inhalte von vor einem Semester. Ach ja, das ist auch noch ein Unterschied: Während die Inhalte meiner Vorlesung bei Studierenden der alten PO zu zwei Dritteln in die Gesamtprüfung eingehen, gehen in der neuen PO die Inhalte meiner Vorlesung nur zu einem Drittel ein. Sie schreiben eine Klausur über drei Teile (Didaktik, Arithmetik und Geometrie), und nur einer davon (Arithmetik) ist „meiner“.

So, genug Beschreibung der Situation, jetzt die Ergebnisse. Insgesamt waren jeweils 0 bis 60 Punkte zu erzielen (im Sommersemester 2012 nur 0 bis 30 Punkte, insofern habe ich die Ergebnisse hier der Vergleichbarkeit wegen auch auf maximal 60 Punkte normiert). In der folgenden Tabelle ist die Anzahl der Klausuren angegeben (N) und das jeweilige arithmetische Mittel der Punktzahlen:

Semester WiSe 10/11 SoSe 2011 WiSe 11/12 SoSe 2012
Anzahl (N) 62 59 18 34
Mittelwert 32,4 36,9 32,6 28,9

Die Verteilung der Ergebnisse lässt sich gut mit Boxplots visualisieren:

Punkte-Vergleich umgedrehte Mathevorlesung

Man sieht also: Noch nie waren die Ergebnisse so schlecht wie im letzten Semester. Eigentlich hätte ich mir natürlich gewünscht und auch vermutet, dass die Ergebnisse besser sind als sonst. Aber: Sie sind es nicht. Fraglich ist noch, ob sich die unterschiedlichen Semester überhaupt signifikant unterscheiden. Mit Hilfe einer Varianzanalyse und  anschließenden Post-Hoc-Tests kann man das herauskriegen. Hab ich gemacht, und folgendes kam heraus: Keine der drei Flipped-Classroom-Durchgänge unterscheidet sich im Ergebnis signifikant vom traditionellen Durchgang im Wintersemerster 2010/11, was letztlich heißt (wenn man sich rein auf dieses inferenzstatistische Ergebnis bezieht): Die Ergebnisse der umgedrehten Mathematikvorlesung sind nicht bedeutend besser, aber auch nicht bedeutend schlechter als die Ergebnisse in der traditionellen Vorlesung. Es gibt allerdings einen signifikanten Unterschied zwischen dem Sommersemester 2011 und dem Sommersemester 2012: Hier schneiden die Studenten im Sommersemester 2012 signifikant schlechter ab.Das heißt: zwei Flipped-Classroom-Durchgänge unterscheiden sich signifikant, was ich nicht erwartet hatte. Soweit die Statistik.

Auch wenn die Ergebnisse des Sommersemesters 2012 nicht signifikant schlechter sind als die im Wintersemester 2010/11, so sieht man in der Grafik trotzdem, dass die Verteilung der mittleren 50% (die „Box“) doch erheblich nach links verschoben ist, d.h.: Zufriedenstellend können die Ergebnisse keineswegs sein.

Bei all diesen Dingen müssen allerdings die folgenden Aspekte mit bedacht werden, die letztlich auch „mit Schuld“ an den Unterschieden sein können:

  • Es handelte sich natürlich nicht um dieselbe Klausur, sondern um unterschiedliche (wenn auch mit dem Anspruch der Vergleichbarkeit konzipierte).
  • Die Prüflinge im Sommersemester 2012 hatten verschärfte Bedingungen: Sie haben die Klausur über die Inhalte meiner Vorlesung (im vorausgehenden Wintersemester) ein Semester später geschrieben. Außerdem hat sie da nur noch ein Drittel gezählt, und die Geometrie ist mit einem Drittel zur Prüfung hinzugestoßen. Das heißt: Die Studierenden mussten neben dem Lernen der Didaktik (ein Drittel) und der Geometrie (ein Drittel) meine Vorlesung (Arithmetik) mit einem Semester Verzögerung auch noch zusätzlich lernen.
  • Diese Überlegung führt zu der Frage, was in dieser neuen, verschärften Situation geschehen wäre, wenn die Studierenden die Videos nicht gehabt hätten. Zumindest hätten sie sich nicht das ein oder andere per Video nochmals in Erinnerung rufen können. Eventuell wäre mein Klausurteil also noch schlechter ausgefallen.
  • Prüfungsergebnisse variieren immer von Semester zu Semester. Insofern wäre es auch mal interessant, Semestervergleiche anderer Veranstaltungen zum Vergleich heranziehen: Wie schwanken die Klausurergebnisse, wenn sich nichts auffälliges an den Randbedingungen ändert?

Also, versuch ich mal ein Fazit: Das aktuelle Klausurergebnis ist nicht zufriedenstellend. Nichtsdestotrotz kann man kaum sagen, dass es am Flipped-Classroom-Konzept liegt, dass es vergleichsweise schlecht ausgefallen ist. Schließlich war der Durchgang im Sommersemester 2011 der (zumindest trendmäßig) beste Durchgang – mit dem Konzept der umgedrehten Mathematikvorlesung! Trotzdem zeigt dieses Beispiel wieder einmal: Der Blick auf die nackten Daten ist heilsam. (Übrigens, wer ebenfalls einen Blick auf die Daten werfen möchte, hier sind sie).

Welche Konsequenzen zieht man nun daraus? Unter anderem folgende:

  • Ich muss mein Veranstaltungskonzept weiter verbessern, und zwar dahingehend, dass die Dinge nachhaltiger gelernt werden – das scheint ja das Manko im letzten Durchgang gewesen zu sein. Eine Strategie wird sein, die Verarbeitungstiefe beim Betrachten der Videos zu erhöhen, zum Beispiel durch Lückenskripte zum Ausfüllen und durch kleine Tests zwischendurch (formative Assessments), wie dies beispielsweise Handke und Loviscach machen.
  • Eine weitere Unterstützung der Prüfungsvorbereitung könnte sein, den Studierenden während ihres zweiten Semesters immer mal wieder kleine Aufgaben zur Arithmetik zu stellen (auch ohne Vorlesung), um sie bei der Stange zu halten.
  • Außerdem muss man noch in Betracht ziehen, dass zum Teil andere Dinge im Flipped-Classroom-Konzept gelernt werden als diejenigen, die abgeprüft werden (beispielsweise mehr Selbstständigkeit bei der Aneignung von Mathematik). Also, vielleicht müssen sich auch die Prüfungen (zumindest zum Teil) ändern?

Wie interpretiert ihr die Ergebnisse?

Kommentare
  1. Bei mir war die Mathematik mit Flipped Classroom dieses Mal besser, aber die Informatik schlechter. Die Informatik hat wohl deutlich darunter gelitten, dass viele Leute erst im letzten Monat die Videos geguckt haben. Also noch eine Baustelle: Wie kann man konsequente Mitarbeit erreichen? (Oder tiefer ansetzen: Was bringt überhaupt dieser Gleichtakt? Sind wir da noch im 19. Jahrhundert?! Das Gleiche gilt für Klausuren.)

  2. Thomas Eibel sagt:

    Tolle Methode, die Mathematik-Vorlesung ‚umzudrehen‘ :-). Offensichtlich sind die Ergebnisse für dich jedoch teilweise enttäuschend, trotzdem hoffnungsvoll ausgefallen. Die Interpretation der Ergebnissen finde ich ausführlich und treffend. Deinen eingeschlagenen Weg finde ich sehr nachahmenswert und bin schon gespannt wie es weitergehen wird … :-).

    Zu den drei Punkten bei „Konsequenzen“ fällt mir folgendes ein:
    * Erhöhung der Nachhaltigkeit: Das „aktive Plenum“ scheint sich für mich (aus der Distanz) für einen Großteil der Studierenden kaum von einem Frontalvortrag zu unterscheiden: die ‚anderen‘ Studierenden agieren hier als Lehrende. Einen höhere Eigenaktivität (und damit Nachhaltigkeit) ist möglicherweise mit Kleingruppen zu erzielen (maximal 5 Studierende), die in der Vorlesung die gestellten „Aufgaben aus dem Off“ lösen und ihr Ergebniss in geeigneter Form präsentieren (falls ein PC/Notebook zur Verfügung steht, könntez.B.: jede Gruppe ihre Lösung als VideoCast abgeben oder noch während der Vorlesung bloggen oder eine Musterlösung auf Papier abgeben oder stichprobenartig während der Vorlesung an der Tafel oder …).
    * „Immer wieder kleine Aufgaben zu stellen, um sie bei der Stange zu halten“ nimmt den Studierenden meiner Meinung nach ihre Selbstverantwortung, die du im dritten Punkt ansprichst). Auch hier finde ich eine (möglichst umfangreiche) Aufgabensammlung hilfreicher: ob die Studierenden das annehmen oder nicht, ist deren Kaffee. Hilfestellung von dir sollten sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr benötigen: sie sollten es ja bereits gewohnt sein bzw. gelernt haben, dass sie die Aufgaben in der Gruppe selbstständig lösen können.
    * Zu deinem dritten Punkt denke ich: die Studierenden haben sich ja bereits eine langjährige (Lern- bzw. Durchkommens-)Strategie angeeignet, die sie in der Vergangenheit erfolgreich durch Schule (und Studium) kommen ließ. Durch diese (von dir durchgeführten) Veränderungen der Rahmenbedingungen müssen die Studierenden ‚Umlernen‘ – was meiner Meinung nach in jedem Falle eine Bereicherung/Kompetenzerweiterung für die Studenten darstellt, jedoch auch Zeit kostet und (möglicherweise) inhaltliche Abstriche fordert (und – wie du im letzten Punkt anführst – nicht (direkt) abgeprüft wird).
    * Eine Frage stellt sich mir noch: Sind Videos als zentrales Lernmaterial im Vorfeld optimal?
    Vorteil ist sicherlich: die Inhalte sind konserviert, nachvollziehbar und eindeutig; den Studierenden ist ganz klar, was sie wie bis zur nächsten Vorlesung vorzubereiten haben.
    NT: es ist ein starres Angebot; Veränderungen sind nur aufwändig machbar; der Vortragende steht nach wie vor im Zentrum; die ‚Verarbeitungstiefe‘ unterscheidet sich nicht von einer Frontalvorlesung (wie du auch angemerkt hast)
    Ich vermute, ich würde als Student eine Inhaltsangabe (Buch Seite x bis y, Website http://www.xyz.de, …) und eine dazugehörige Aufgabensammlung (ohne Erklärung, ohne Lösung) bevorzugen. (Erklärungen und Lösungen werden – falls nötig – in der Vorlesung diskutiert).
    Die Videos sind tolle Ergänzungen bzw. ist ein Zusatzangebot, nicht verstandene Inhalte erklärt zu bekommen – ich würde sie jedoch nicht als ‚Lerngrundlage‘ haben wollen.

    Liebe Grüße aus Österreich,
    Thomas

  3. m.g. sagt:

    Lieber Christian, die Interpretation ist doch ganz einfach. Im Sommersemester fand die Veranstaltung offiziell nicht statt. Also, die Studierenden haben sich die Videos angesehen und ggf. in Eigenregie einzeln oder in Gruppen geübt. Was fehlt ist der Lehrende als wirklich anwesende Person. Nicht die Methode macht es, sondern der Lehrende. Ich weiß, das passt nicht zu Eurem Bestreben, die allein glücklich machende Lehr/Lernmethode zu finden. Ihr werdet sie nicht finden. Lehre ist mehr Kunst denn Wissenschaft. Die Idee des Lernbegleiters ist ideologischer Unsinn. Wir brauchen mehr Künstler als Lehrer.

  4. alensaweek sagt:

    Mir gefällt die Objektivität in diesem Fazit. Das „Flipped Classroom“-Konzept ist eine schöne Methode, aber kein Allheilmittel. Schön, wenn das auch so gesehen wird. Schade, wenn man alles zu 100% ins FC ändern will. In meiner mehr als 14jährigen Lehrtätigkeit habe ich gelernt, dass vor allem die Vielseitigkeit der Methoden den besten Erfolg bringt.

  5. cspannagel sagt:

    Zunächst nur kurz als Reaktion auf die letzten beiden Kommentare (für die anderen brauche ich mehr Zeit): @alensaweek Ich möchte doch nicht alles in „flipped classroom“ ändern. Ich weiß auch nicht, wie m.g. auf den Gedanken kommt, ich wolle die allein glücklich machende Lehr-/Lernmethode finden. Dass es diese nicht geben kann und dass man gar nicht danach suchen sollte, ist eine didaktische Trivialität. Mein Ziel ist, diese eine Methode (umgedrehte Mathevorlesung) zu verbessern.

    Analog wäre folgende Situation: Person A kommt und sagt „Ich möchte die Methode Gruppenpuzzle verbessern.“ Dann kommt Person B und sagt: „Aber warum behauptest du, dass das Gruppenpuzzle die allein selig machende Methode ist. Es gibt doch noch viele andere Methoden.“ Darauf kann Person A eigentlich nur sagen: „Behaupte ich doch gar nicht. Ich will einfach nur diese eine Methode besser machen.“

    Insofern hast du völlig recht: Methodenwechsel ist wichtig („Vielfalt“ finde ich, erweckt oft als Begriff den falschen Eindruck, es ginge um „möglichst viele verschiede“).

  6. cspannagel sagt:

    @Jörn In Videos unserer amerikanischer Kollegen wird öfter hervorgehoben, dass es aus ihrer Sicht wichtig ist, immer wieder Deadlines einzuführen, bis zu denen Aufgaben bearbeitet sein müssen:

    Okay, das sind andere Kontexte, und ich bin nicht für Zwangsabgaben von Aufgaben, aber trotzdem ist was dran: Man schiebt gerne Dinge auf, die nicht sofort erledigt werden müssen, insbesondere dann, wenn verlangt wird, dass andere Dinge erledigt werden. Wenn Studierende in Lehrveranstaltungen irgendwelche Dinge abgeben müssen und bei mir nicht, dann schieben sie evtl. auf. Dem spricht allerdings entgegen, dass die Studierenden in Umfragen sagen, im Wesentlichen immer rechtzeitig die Videos angesehen zu haben. Ich vermute aber, dass dies wirklich nur oberflächlich erfolgt, d.h. es müssen irgendwelche Arbeitsaufträge (z.B. Lückenskript) zur Verfügung gestellt werden. Das könnte ein Modell sein: Taktung durch die Festlegung von Inhalten, die in den Plenumssitzungen besprochen werden, und Förderung der vertieften Verarbeitung der Videos durch Arbeitsaufträge im Vorfeld.

    Es macht auch schon Sinn, dass sich eine Lerngruppe mehr oder weniger im Gleichtakt durch ein Gebiet hindurcharbeitet, weil dadurch ein Offline-Zusammenkommen überhaupt erst sinnvoll ist (zum Beispiel um gemeinsam Probleme zu besprechen).

  7. cspannagel sagt:

    @Thomas Ja, stimmt, im aktiven Plenum beteiligt sich nur ein Teil der Studierenden. m.g. macht es besser, er nutzt (zurzeit unter erheblichem Aufwand) den classroom presenter mit Convertibles, um Ergebnisse der Studierenden „nach vorne“ zu holen. Das Aktive Plenum ist letztlich eine „Behelfslösung“, wenn die technische Infrastruktur nicht zur Verfügung steht. Trotzdem ist es mehr als „die anderen Studierenden lehren“, denn: Es werden nicht von Anfang an richtige Lösungen präsentiert, sondern Lösungsteile werden aus dem Plenum zusammengetragen, und da kann immer etwas Falsches dabei sein! D.h. jeder muss aufpassen, ob das bisher Gesagt richtig ist, und überlegen, wie es weiter gehen könnte… Oft lasse ich die Studierenden auch im Sinne von „Think – Pair – Share“ erst einmal mit dem Nachbarn die Aufgaben besprechen, dann wird im Aktiven Plenum (oder auch mit mir vorne) die Lösung zusammengetragen. Die von dir skizzierte bzw. von m.g. praktizierte Variante halte ich für ideal, das Aktive Plenum für weniger aufwändig, nicht ideal, aber besser als den reinen Dozentenvortrag im Plenum. (Ergänzung: Natürlich in bestimmten Fällen, um der Kritik der „allgemein seligmachenden Methode“ vorwegzugreifen ;-)).

    Zum „bei der Stange halten“: Die Studenten haben ja eine umfangreiche Aufgabensammlung, die sie idealerweise im ersten Semester schon bearbeitet haben. Jetzt kommen sie ins zweite Semester und beschäftigen sich in einer anderen Vorlesung mit neuen Inhalten (Geometrie). Ich würde jetzt gerne in diese Gruppe von Zeit zu Zeit Aufgaben einspeisen, nur um sie daran zu erinnern, sich auch weiterhin ein wenig mit Arithmetik zu beschäftigen. Nicht als Zwang, sondern als Stütze, in dem Sinne: „Schaut mal, ich hab hier ein paar Übungsaufgaben zur Wiederholung von Arithmetik, so für zwischendurch. Damit könnt ihr euch bzgl. Arithmetik weiterhin fit halten.“

    Zu den Videos als Lerngrundlage: Ich habe auch schon vorher mit mathematischen Texten experimentiert in folgendem Sinne: „Bitte arbeiten Sie die bis zur nächsten Woche die Seiten x-y durch, im Plenum besprechen wir dann Fragen.“ Also, das war bereits „flipped“, nur eben mit Texten. Effekt: Die Studierenden arbeiten (gefühlt) die Texte nur sehr oberflächlich durch (Motto: „Ah ja, ist klar.“) und erliegen der „Illusion des Verstehens“, einfach weil ihnen nicht auffällt, dass sie bestimmte Stellen (z.B. Umformungen) einfach länger durchdenken müssen. Darüber hinaus kommen bestimmte Prozesse in Texten nur unzureichend herüber. So findet man in den Texten oft Beweise, aber es wird nicht gezeigt, wie man beweist. Hier sind Demonstrationen extrem wichtig, also ich, wie ich zeige, wie man an eine Beweisaufgabe als Experte herangeht (auch mit Fehlern und Sackgassen, die man auch in Texten nicht in dieser Form findet). Also: Ich denke, Demonstrationen haben hinsichtlich der Durchführung mathematischer Prozesse eine ganz große Bedeutung, daher sind Videos aus meiner Sicht schon die geeignete Form, mathematische Prozesse zu erläutern. Nichtsdestotrotz gebe ich den Studierenden immer auch Bücher an, an denen ich mich orientierte und die sie ergänzend hinzuziehen können. Wer nicht die Videos anschauen mag, kann somit auch lesen.

  8. m.g. sagt:

    @christian: Natürlich übertreibe ich mit dem Ansinnen einer allein glücklich machenden Lehrmethode. Leg doch mal das Hauptaugenmerk auf den Satz: „Nicht die Methode macht es, sondern der Lehrende.“ Die zu starke Sicht nur auf die Methode ist es, was ich stört. Was steht dahinter: Wenn wir nur die Methoden verbessern, werden wir schon irgendwann erfolgreich lehren. Falsch: Die Methode ist nichts, der Lehrende ist alles. (Ich übertreibe wieder, aber um ein Gegengewicht zu erreichen scheint mir die Übertreibung angebracht zu sein.)

    Wenn Du etwa äußerst „Jetzt habe ich Vorlesung n.m auch endlich im Kasten, ich werde sie nie wieder halten müssen.“, dann bekomme ich schon Bauchschmerzen. Du weißt, auch ich habe den Großteil der „Einführung in die Geometrie“ auf Youtube hinterlegt. Für mich ist das eine nette Zugabe: sehen sie sich doch mal an wie wir es vor einem oder vor zwei Jahren gemacht haben, vielleicht gefällt ihnen die Herangehensweise an den Stoff von damals ja besser als die, die wir heute verwendet haben. Jede meiner Vorlesungen ist ein Unikat. Da werden auch in der 15. Auflage verschiedene Herangehensweisen an den Stoff probiert. Da wird analysiert, wie die Studierenden drauf sind, da wird spontan umgestellt, da wird darauf geachtet, dass nicht nur rezeptiv aufgenommen wird, da wird ggf. unterbrochen und ein wenig Urschleim wiederholt, da wird ggf. Stoff weggelassen oder zugefügt, da wird ggf. die Vorlesung durch einen spontanen Übungsteil (Arbeitsblätter für 170 Studierende) unterbrochen bzw. ergänzt. Mitunter lege ich mich mit den Studierenden an, wenn ihre Arbeitshaltung zu wünschen übrig lässt, es kann passieren, dass jemand die Vorlesung verlassen muss, weil er stört bzw. zu spät kommt. Im Gegenzug bekommen die Studierenden einen Dozenten, der für seine Sache brennt. Dieses Brennen wäre maximal ein Glimmen, wenn ich immer wieder gleich an die Dinge herangehen würde. Das Glimmen, das es nach vielen Jahren Lehrtätigkeit mitunter nur noch sein könnte, wird zur lodernden Flamme, wenn der Funke ins Podium überspringt.

    „Sehen Sie, die Aussage heißt zwar schwacher Außenwinkelsatz, aber er ist doch eigentlich ein gewaltiges Werkzeug. Ohne dass wir die übliche Innenwinkelsumme von Dreiecken kennen müssten, erledigen wir die Eindeutigkeit des Lotes, das Winkelhalbierendenkriterium, die Seite-Winkel-Beziehungen im Dreieck, …. in einer absolut eleganten Art und Weise. Dieser dem Namen nach schwache Satz atmet richtig Größe.“

    Sowas kriegst Du in keinem Video untergebracht, weil es so nicht immer funktioniert. Wenn Deutschland gestern gegen Italien verloren hat, dann wirkt sich das heute auf die Vorlesung aus. Wenn ein Teil der Übungsaufgaben dieses mal vom Schwierigkeitsgrad her nicht richtig justiert war, kriegst du das in der Vorlesung zu spüren. Da reagiert man dann entsprechend drauf.

    Die Methode ist nichts der Lehrende ist alles. Feine Sache der Classroompresenter. Allerdings nur, wenn der Stoff der mit ihm zum Disput kommt, hinreichend durch den Übungsleiter aufbereitet wurde. Ich hab ne Menge Übungen in den Sand gesetzt. Da half mir die Technik dann wenig. Mitunter ist es sinnvoll, die Rechner links liegen zu lassen. Mitunter ist es auch perfekt, wenn der Lehrende die Sache noch mal mit Herz und Leidenschaft rein frontal zum Vortrage bringt. Eine Classroompresenterübung ist nur so gut wie der Übungsleiter es ist. Ich muss die Balance wahren, den Schwierigkeitsgrad meiner Aufgaben dem spezifischen Vermögen der Studierenden anpassen. Ich muss ein Gespür dafür haben, wann dringend ein Erfolgserlebnis für den weiteren Verlauf der Übung notwendig ist und in dem Moment auch eine passende Aufgabe parat haben. Das ist das, was ich mit Kunst meine. In der Lehrerausbildung sollte ich diese Kunst vorleben.

    Wir brauchen mehr gute Lehrer, die für ihre Sache brennen. Dazu bedarf es einer neuen Wertschätzung des Lehrerberufs in der deutschen Gesellschaft. Die einseitige Methodendiskussion lenkt von dem eigentlichen Problem ab. Das Ganze um so mehr, wenn die Methoden häufig vor allem ein Sammelsurium englischer Schlagworte sind.

    Warum muss es auch immer gleich eine Theorie sein? Nach meiner Ansicht ist das Aufbauschen eine besondere Form der Lüge.

  9. m.g. sagt:

    @christian:
    “ Dann müssen ja beide Gruppen am Ende der Veranstaltung eine Prüfung ablegen, und ich habe eine Gruppe mit einer aus meiner Sicht schlechten Methode gelehrt. Das kann man nicht machen! Die Studierenden würden sich zurecht über eine ungleiche Behandlung beschweren. Ethisch ist das nicht vertretbar.“

    Glaubst Du wirklich, dass die Methode derartig gut ist, dass die anderen definitiv benachteiligt wären? Wie sieht es denn dann mit Markus aus, der ja die Arithmetik in klassischer Weise liest? Auch Markus wird von seiner Methode überzeugt sein. Aus Deiner Sicht müssten die Studierenden von Markus Deinen gegenüber benachteiligt sein.

    Du weißt doch nicht wirklich viel über die Effizienz deiner Methode. Ok. Du hast ein paar Studierende befragt. Wie aussagekräftig das ist, wäre noch zu überlegen. Entscheidend ist, was hinten raus kommt.

  10. m.g. sagt:

    @christian:
    „Außerdem muss man noch in Betracht ziehen, dass zum Teil andere Dinge im Flipped-Classroom-Konzept gelernt werden als diejenigen, die abgeprüft werden (beispielsweise mehr Selbstständigkeit bei der Aneignung von Mathematik). Also, vielleicht müssen sich auch die Prüfungen (zumindest zum Teil) ändern?“

    Der Klassiker, sich die Dinge schön zu reden: Mag schon sein, dass die Schüler/Studenten nicht mehr die Leistungen bringen, die früher üblich waren. Klar konnten Schüler früher besser rechnen. Aber das brauchen wir ja heute auch nicht mehr. Dafür können sie mit dem Internet umgehen, warum prüfen wir das nicht ab? Klar kannten sich die Schüler früher besser mit der Rechtschreibung aus, aber war die Rechtschreibung nicht nur ein Instrument um Leute, die Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung haben, auszugrenzen? Warum prüfen wir nicht die Fähigkeit mit der Rechtschreibprüfung von Word umzugehen ab?

    Du musst doch eine Idee davon haben, was wichtig ist und was hinten raus kommen soll bei Deiner Lehrveranstaltung. Das steht doch und ist begründet. Zumindest sollte das so sein. Die Idee der selbständigen Auseinandersetzung mit dem Lehrstoff ist eine notwendige Voraussetzung für den Transfer des Wissens und Könnens der Studierenden. Also Aufgaben in der Prüfung bringen, die auf Transfer hinauslaufen. Das sollte uns dann doch schon einiges an Erkenntnis bringen.

    Anders herum gefragt: Was bringen uns irgendwelche momentan nicht genauer zu benennenden Aspekte des selbständigen Lernens, wenn diese sich nicht erfolgreich bezüglich der Prüfungen auswirken, die wir als absolut sinnvoll und definitiv notwendig erachten?

    In meinem Studium musste ich mich im Rahmen der Psychologieausbildung mit dem überforderten Leistungsversager beschäftigen. Ein kleiner Junge bot nach vielen misslungenen Versuchen, einen Turm nach bestimmen Kriterien zu bauen, als Ersatz an, ein Lied zu singen.

    Ich hab zwar nicht verstanden, worum es in dem Lehrvideo geht, aber ich habe den Link zum Video an 12000 weitere Personen geschickt.

  11. cspannagel sagt:

    @m.g. Ich gebe dir vollkommen recht: Der Lehrende ist entscheidend. Gerade durch das Auslagern von Videos in die Vorbereitung erhält man aber im Plenum mehr Zeit, um als Lehrender tatsächlich zu wirken. Die Äußerung „jetzt brauche ich die Vorlesung nie wieder halten“ ist natürlich auch überspitzt. Wenn ich mit einem alten Vorlesungsteil nicht einverstanden bin, dann halte ich ihn eben (auch im Kontext inverted classroom) neu und zeichne ihn wieder auf. In den bisherigen Durchgängen gab es immer wieder Situationen, in denen ich neue Videos gedreht habe. Die Tatsache, dass alte Videos online stehen, hält einen doch nicht davon ab, neue (bessere) zu produzieren! Nur: Wenn ich mit einem alten Video einverstanden bin und ich das gut finde, dann fände ich es quatsch, eine ähnliche Veranstaltung nochmal zu halten. Ich habe dadurch mehr Zeit im Plenum für Studierendenaktivitäten und kann dabei als Lehrender wirken (so wie du es beschreibst). Auch im inverted classroom kann man im Plenum unterschiedliche Aktivitäten miteinander kombinieren und „zur lodernden Flamme werden“ – und man hat auch noch ordentlich Zeit dafür, wenn bestimmte Teile anhand von Vorlesungsvideos vorbereitet werden konnten. Ich habe noch mehr Zeit, so Dinge wie verlorene Fußballspiele aufzunehmen und (auf dem Hintergrund der Vorbereitung) mit den Studierenden zu besprechen.

    Auf den Lehrer kommt es an. Ich kann allerdings nichts schlechtes dabei sehen, wenn man als Lehrender versucht, seine Methoden zu verbessern. Ich kann mich doch nicht auf den Standpunkt stellen: „Die Methode ist nichts, also mach ich mir keine Gedanken über meine Methoden.“ Ich bitte, meinen Text in genau diesem Sinne zu verstehen: Ich versuche, meine Veranstaltungen zu verbessern.

    Zur Prüfung und Vergleichbarkeit: Deshalb sage ich „aus meiner Sicht schlechter“. Ich glaube wirklich, dass eine traditionelle Vorlesung Nachteile gegenüber dem inverted classroom hat. Deshalb setz ich ja den inverted classroom ein. Ich könnte nicht vertreten, nur eine Hälfte der Studierenden mit einer aus meiner Sicht besseren Methode zu lehren und anschließend alle die gleiche Klausur schreiben zu lassen. Aber, letztlich spielt es bzgl. der Vergleichbarkeit auch keine Rolle, welche Methode tatsächlich besser ist, denn aus Sicht der Studierenden ist immer die Methode der anderen Gruppe besser gewesen, wenn sie schlecht abschnitten haben – und dann beschweren sie sich zurecht.

    Zu deinem letzten Kommentar: Ich will damit nichts schönreden, und ich denke auch, in dem Text kommt heraus, dass ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden bin. Diejenigen Dinge, die abgeprüft wurden, müssen von den Studierenden gekonnt werden, da gibt es keinen Weg dran vorbei. Trotzdem sollen Studierende auch Dinge lernen, die man in Klausuren nur schlecht abprüfen kann (wie beispielsweise über Mathematik mit anderen zu sprechen). Das sollte man in diesem Kontext mit in Betracht ziehen. Insofern halte ich es für nicht abwegig sich zu überlegen, ob die Studierenden vielleicht in diesen Bereichen nun mehr können, dies aber nicht erfasst wird. Insofern wäre ich auch mit einem „Sie sind in der Klausur genauso gut wie früher, haben aber sonst noch mehr gelernt, was ich auch für wichtig halte“ erst einmal zufrieden.

  12. Oliver Tacke sagt:

    Mich erinnert die Diskussion um Methoden ein bisschen an die Frage, was nun besser sei: Judo oder Karate, Taekwondo oder Muay Thai. Bruce Lee hat diese verengte Sicht von Kampfkunst (auch hier: KUNST) kritisiert, und ihm wird dazu der Spruch zugeschrieben: „Absorb what is useful. Discard what is not. Add what is uniquely your own.“

  13. Oliver Tacke sagt:

    Vielleicht weniger blumig…

    Im Buch „Just-in-Time Teaching“ wird davon gesprochen, zwischen Selbstlernphase vor einer Veranstaltung und gemeinsamer Arbeit in einer Veranstaltung nicht nur Selbsttests zu schalten, sondern als Lehrender deren Ergebnisse nach Möglichkeit schon (automatisiert) auszuwerten und Fragen zu Schwierigkeiten von den Lernenden einzuholen. Probleme beim Veständnis können dann in der Präsenzzeit gezielt angegangen werden, ob nun mittels Vortrag, Kleingruppenarbeit, aktivem Plenum oder einer Kombination von diesen und anderen Methoden und Sozialformen. Dabei ist es auch hilfreich, ganz ähnlich wie mit dem Classroom-Presenter die eingegangenen Fragen 1:1 vorzustellen und darauf einzugehen.

    Das dient hoffentlich nicht nur der Nachhaltigkeit, sondern bewegt vielleicht auch dazu, im Vorfeld wirklich etwas zu tun – schließlich sehe ich, dass ich für meine Mühe unmittelbar konkrete Hilfe bei meinen Problemen bekomme.

  14. Oliver Tacke sagt:

    Ach, was mir auch noch einfällt, Stichwort Terminvorgaben: Dan Ariely hat in seinen Kursen einmal verglichen, wie sich die Ergebnisse von Gruppen mit „diktatorischen“ Terminvorgaben (A) von denen unterscheiden, die komplett arbeiten können, wann sie wollen (B) und von denen, die sich selbst Meilensteine setzen (C).

    Resultat: Die besten Ergebnisse lieferte im Mittel Gruppe A mit den festen Vorgaben durch den Dozenten, die schlechtesten Gruppe C mit viel Freiraum. Gruppe B lag im Mittelfeld („Die Menschen setzen sich […] Termine, aber nicht notwendigerweise solche Termine, die auch zur besten Leistung führen.“ (S. 147)

    Wenn nur der Output in Form des Ergebnisses/der Note zählt, scheinen diktierte Vorgaben also tatsächlich für die besten Ergebnisse zu sorgen. Für Ariely ist dennoch der Mittelweg die bessere Wahl (normativ). Der Ansatz möge zwar nicht so effektiv sein wie der „diktatorische“, aber er lenke in die richtige Richtung und würde darüber hinaus nichtfachliche Dinge fördern (hier Selbstdisziplin).

    Das könnte natürlich noch weiter diskutiert werden (Lernzieltaxonomie, Übertragung auf die Arbeitswelt, …), aber nun soll’s erst einmal gut sein von meiner Seite.

    Ariely, Dan (2008): Denken hilft zwar, nützt aber nichts, München. (hier S. 142-149)

  15. […] Unterrichts, die größte Quelle an Erfahrungen sein, die Reflexion erzeugen. Zuletzt gestern z.B. der Beitrag von Christian Spannagel bzw. die Diskussion in den […]

  16. cspannagel sagt:

    @Oliver Danke für die Hinweise und den Literaturtipp… aber kann es sein, dass du (B) und (C) vertauscht hast? Also, die Gruppe mit der mittleren Leistung (und die von Ariely favorisiert wird) ist diejenige, die sich selbst Meilensteine setzte?

  17. Oliver Tacke sagt:

    Yup. Habe ich vertauscht. Diejenigen, die die Termine vorgegeben bekamen, erhielten die besten Ergebnisse. Diejenigen komplett ohne Vorgaben erhielten die schlechtesten Ergebnisse. Diejenigen, die Termine hatten, sich diese aber selbst auferlegten, landeten in der Mitte.

  18. […] Hier lesen Sie den vollständigen Beitrag. Share this:TwitterFacebookGefällt mir:Gefällt mirSei der Erste dem dies gefällt. […]

  19. smp sagt:

    müsste man beim vergleich der semester nicht irgendwie für wiederholungstäter „kontrollieren“? leute, die einmal durchfallen und ein jahr später wiederholen müssen (?), sind ja wahrscheinlich im schnitt eh schlechter als die die bestanden haben.

  20. cspannagel sagt:

    @smp Ja, stimmt, das ist ein weiteres Problem… leider liegen mir nicht mehr die Daten vor, wer Wiederholer war und wer nicht…

  21. Ich, ein bisschen spät zu dieser Party, trotzdem habe ich deinen Artikel und die Kommentare genossen. Letzte Woche konnte ich die Methode in der verkürzten Form während einer Veranstaltung mit Juniorprofessoren ausprobieren. Im letzten Semester habe ich sie durchgehend im Klassenraum in einer Veranstaltung des 6. Semesters angewendet. Beide Erfahrungen waren durchaus positiv. Insbesondere was den Einsatz bei Studenten anbetrifft: so viel Beteiligung am Unterricht habe ich noch nie gesehen, und unter anderem hatte das auch den Effekt, dass mir ein Thema, das ich eigentlich unter Brüdern schon für relativ ausgelutscht hielt, plötzlich wieder mehr Spaß gemacht hat.

    Zu dem eigentlichen Anlass, nämlich den Einsatz der Methode mit den Semesterendeergebnissen zu verbinden: finde ich nicht nur aus methodischen Gründen problematisch. Die hast du ja schon selber analysiert. Aber die Methode des „flipped classroom“ ist eine Methode, bei der formativ auf die Studenten eingewirkt wird, d.h. nicht summativ (wie bei einer Klausur). Die Lern-Ergebnisse können dadurch über den Bewertungs-Termin hinaus aktiv werden: und zwar ohne zeitliches Ende! Als Beispiel: du bildest ja Mathelehrer aus. Wenn einer deiner Studenten diese Methode in seinem Unterricht mit Gewinn einsetzte weil er sie bei dir erfahren hat, oder wenn er sie modifiziert und dadurch einen eigenen didaktischen Beitrag leistet usw. und so fort, dann hast du weitergehende Lernziele erreicht. Gerade in der Lehrerausbildung sind solche Sekundäreffekte möglicherweise wichtiger als „Stoffbeherrschung“, die mechanisch trainiert werden kann.

    Übrigens noch auf den letzten Drücker eine kleine Tagungswerbung: wen es interessiert und wer noch vorbeikommen möchte, online oder offline … elearning.hwr-berlin.de/tagung/ — Inhalte u.a. auf unserem Blog elerner.de. Christian Spannagel und ich machen hier auch was gemeinsam.

  22. cspannagel sagt:

    Lieber Marcus,
    vielen Dank für deinen Kommentar, dem ich allerdings nur bedingt zustimmen kann. Mein vorderstes Ziel war, in dem Gesamtsetting das Erlernen mathematischer Prozesse (wie Problemlösen, Begründen, Beweisen, …) zu fördern. Insofern kann ich mit den fachlichen Ergebnissen nicht zufrieden sein, denn diese sind eben auch wichtig (oft wird das heutzutage „wegargumentiert“, weil ja „Schlüsselqualifikationen“ zukünftig viel wichtiger seien usw. Das stimmt definitiv nicht.) Du hast natürlich recht damit, dass auch das didaktisch-methodische Gesamtkonzept sich auf die Einstellung von Lernen und Lehren bei den Studierenden ausgewirkt hat (das habe ich nicht überprüft), und auch das wäre ein wünschenswerter Effekt. Allerdings, und das ist mir wichtig: nicht auf Kosten der fachlichen Ausbildung. Ich wäre komplett zufrieden mit „fachlich kommt genauso viel rüber wie früher, nur lernen sie in diesem Konzept noch viele andere Dinge auf ganz anderen Ebenen“. Mit „fachlich kommt weniger rüber“ bin ich nicht zufrieden.

  23. […] wäre ich wohl schneller gekommen, wenn es damals schon im Blog von Christian Spannagel den Artikel “Kann man Äpfel mit Birnen vergleichen?”  (mit echten Daten!) gegeben hätte. Andererseits verstehe ich erst jetzt, was es mit externer […]

  24. […] Vertreter des Konzeptes damit weitermachen wie z.B. Prof. Christian Spannagel, der selbst auch eine Untersuchung dazu machte und der mir in einem Gespräch sagte, dass er damit einfach mehr Spass an der Lehre […]

  25. […] immer wieder auf Resonanz in unserer Methodenwerkstatt, und die Erfahrungen und Erhebungen von Christian Spannagel oder Malte Persicke lassen wir einfließen. Speziell für die InformatikerInnen unter euch dürfte […]

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