#MMC13 Reflexion: Über Zeit und Priorität

Veröffentlicht: Mittwoch, Januar 30, 2013 in Reflection
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Zurzeit findet der erste deutschsprachige Open Online Course zum Thema Wie mache in einen MOOC? (mooc = massive open online course) statt. Dabei handelt es sich genauer gesagt um einen cMOOC – also einen MOOC, der eine konnektivistische und teilnehmerzentrierte Form des Online-Kurses ist (im Gegensatz zu den xMOOCs wie diejenigen unter coursera oder udacity, die eher Vorlesungscharakter haben) und sich dadurch praktisch nahtlos zu den OPCOs #opco11 und #opco12 einreiht (Die Wikipedia-Seite zu MOOCs führt interessanterweise auch genau diese drei Kurse als cMOOCs auf). Gastgeberinnen sind Dörte GiebelMonika E. König und Heinz Wittenbrink. Die Teilnehmerliste (Stand 14.1.2013) führt 167 Teilnehmer(innen) auf. Das ist beachtlich, wenn auch noch nicht „massiv“. Aber das ist ja letztlich auch nicht so relevant (erzeugt nur vielleicht die eher künstliche Frage, ob es sich um einen MOOC oder ein OOC handelt).

In der zweiten Woche ging es rund um das Thema MOOC-Didaktik mit folgenden Leitfragen:

  • „Ist Konnektivismus eine Lerntheorie? Und wenn jein, was bedeutet sie in der Praxis?
  • Wer lehrt, wer lernt? Neues Rollenverständnis für Dozenten/innen und Trainer/innen als MOOC-Gastgeber/innen
  • Badges, Peer Reviews, Drop Out… Wer definiert und beurteilt Lernerfolge in einem MOOC?
  • Funktionieren MOOCs eigentlich für jedes Thema und jede Zielgruppe?“

Es gab zahlreiche Beiträge und Aktivitäten in dieser Woche – der Beitrag Wir sind doch kein xMOOC fasst alles schön zusammen. Am Ende der Woche dürfen mehrere Personen reflektieren – und ich darf es neben Andrea Brücken und Jutta Pauschenwein diese Woche tun.

Worüber reflektiere ich nun? Ich werde nicht über den Verlauf und die Inhalte der zweiten Woche reflektieren, und zwar aus folgendem Grund: Ich habe nämlich (fast) gar nicht teilgenommen. Mir war vorher (leider) schon klar, dass ich an dem Live-Event mit Joachim Wedekind nicht teilnehmen kann, weil ich am Freitag zu diesem Zeitpunkt eine Sitzung hatte. Aber auch die anderen Diskussionen im Web habe ich nur beiläufig mitbekommen (in meinem Tweetdeck gibt es seit einiger Zeit eine Spalte mit der Suche „#howtomooc OR #mmc13“). Einzig beim Special am Sonntag abend war ich 30 Minuten anwesend. Ursprünglich hatte ich mir für die Erfüllung meiner Reflektorenrolle das Folgende vorgenommen: Ich werde alle Aufzeichnungen, Texte usw. ansehen und lesen und aus meiner Perspektive in meinem Blog kommentieren. Am Sonntag (beim Wäscheaufhängen) habe ich mir aber überlegt, dass ich dadurch gerade nicht meiner Reflektorenrolle gerecht würde. Denn: Ich soll ja reflektieren, nicht kommentieren. Reflexion kann man natürlich unterschiedlich verstehen, also beispielsweise auch als „ich reflektiere anderen Personen ihr eigenes (Lern-)Verhalten“ (sozusagen als Feedback), aber so verstehe ich den Begriff nicht. In Lehr-/Lernsituationen verstehe ich Reflexion immer (auch und insbesondere) als Reflexion des eigenen Lehr-/Lernverhaltens, als das Nachdenken über eine Lehr-/Lernsituation, an der ich selbst teilgenommen habe (in welcher Rolle auch immer). Würde ich jetzt alle Texte und Aufzeichnungen lesen, zusammenfassen und unter einem von mir eigens herausgesuchten Aspekt kommentieren, so wäre das gerade im Kontext  eines cMOOCs nicht angemessen, weil mir das Wichtigste fehlt: die eigene Partizipation, die über das bloße lurken hinaus geht. Also bleibt mir letztlich nur eine sinnvolle Möglichkeit der Reflexion: Ich werde meine Nicht-Teilnahme reflektieren. Es handelt sich im Folgenden also um eine persönliche Reflexion, und es kann sein, dass euch die gar nicht interessiert. Dann könnt ihr jetzt abschalten… äh… wegklicken. Also, weitersurfen. Ihr wisst schon.

Tja, woran liegt es eigentlich, dass ich so „inaktiv“ war, obwohl ich sogar im Vorfeld die Rolle des Reflektors übernommen habe und daher eigentlich eine noch größere Verantwortung spüren sollte? Der erste Gedanke, der mir in den Sinn kommt, ist: „Ich hatte keine Zeit.“ Aber, wie wir spätestens seit dem denkwürdigen Blogbeitrag von Helge Städtler wissen: Es ist niemals ein Problem von Zeit, sondern immer eins von Priorität. Jeder von uns hat 24 Stunden pro Tag Zeit. Wie man diese Zeit aber nutzt, hängt von der Prioritätensetzung ab. „Keine Zeit“ zu haben ist somit nur die halbe Wahrheit.

Die halbe Wahrheit deswegen, weil man natürlich auch aus vielfältigen Gründen Prioritäten von außen gesetzt bekommt und nicht so arg viel Entscheidungsspielräume hat. Wenn man sich nun eine Woche ansieht (und ich nehme mal exemplarisch den Zeitraum vom 23.1.-29.1., also denjenigen Zeitraum, den ich heute hätte reflektieren sollen), dann werden so einige Prioritäten von außen bestimmt, aber einige kann ich mir auch selbst setzen. Es rentiert sich also für mich vielleicht wirklich einmal, den Zeitraum „aufzudröseln“ und genauer zu analysieren hinsichtlich der Nutzung einzelner Zeitslots. Nichts überzeugt mehr als nackte Daten.

Zunächst einmal diejenigen Zeiten, in denen ich keine Wahl hatte (die TOP-Priorität also von außen bzw. durch Terminvereinbarungen gesetzt wurde):

  • Mi, 8:00-12:15 Schulpraktikum: Betreuuung von Studierenden an den LernZeitRäumen im Fachpraktikum Mathematik. 
  • Mi, 15:00-16:00 Sprechstunde
  • Mi, 16:00-19:00 Fakultätsratssitzung
  • Do, 9:00-12:00 Sitzung des Instituts für Datenverarbeitung/Informatik (Rechenzentrum der PH)
  • Do, 14:00-15:00 Gespräch mit der Hochschulleitung
  • Do, 16:00-18:00 Seminar „Didaktik der Informatik“
  • Fr, 12:00-19:00 Sitzung im MWK in Stuttgart (mit entsprechenden Fahrzeiten hin und zurück)
  • Mo, 9:00-11:00 Sitzung
  • Mo, 12:00-14:00 Vorlesung „Ausgewählte Kapitel der Mathematik“
  • Mo, 14:00-16:00 Vorbesprechung mit Kolleginnen und Kollegen
  • Di, 8:00-10:00 Vorlesung „Mathematische Grundlagen 1 (Primarstufe)“
  • Di, 10:00-12:00 Tutorenseminar
  • Di, 12:00-14:00 Tutorenseminar
  • Di, 15:00-16:00 Besprechung letsfeedback.net
  • Di, 17:30-21:00 Kolloquiumsvortrag mit anschließendem gemeinsamen Essen

So, nun zu den Zeitslots, die ich mir selbst darüber hinaus verplant hatte:

  • Mi, 12:15-13:00 Wiki-Projekt in den LernZeitRäumen: Ich habe mit Schülern gemeinsam den Bereich des Goethe-Projekts im Schulwiki angelegt und bei ein paar technischen Fragen geholfen.
  • Mi, ab 19:00 Wertvolle Zeit mit Lieblingsmensch
  • Fr 9:00-11:00 Klausuraufgaben überlegt, Veranstaltungen vorbereitet, Kleinkrams abgearbeitet
  • Sa, 10:00-15:00 Videos für „Mathematische Grundlagen 1“ aufgezeichnet (habe ich den Studenten versprochen)
  • Sa, 15:00-17:00 Mit Hund auf der Hundewiese gewesen
  • Sa, 17:00-18:00 Einkaufen
  • So, 15:00-17:00 Mit Hund auf der Hundewiese gewesen II
  • Mo, ab 17:00 Lieblingsmensch-Zeit

Die komplett freien (d.h. im Vorfeld unverplanten) Zeiträume waren nun (wenn man noch Ortswechsel z.B. zwischen verschiedenen Gebäuden der PH mit berücksichtigt, diese Zeiten hab ich bereits entfernt):

  • Mi 13:15-15:00
  • Do 12:00-13:30
  • Do, ab 19:00
  • Fr, ab 19:00
  • Sa, ab 18:00
  • So, 11:00-15:00
  • So, ab 17:00
  • Di, 14:00-15:00
  • Di, 16:30-17:30

Wenn man mal davon absieht, dass die kurzen Zeiten zwischen den einzelnen Terminen nicht dazu taugen, sich in Ruhe in etwas einzulesen (insbesondere weil man da auch jede Menge Mails usw. abarbeitet und öfters Menschen ins Büro kommen, um etwas zu fragen oder kurz zu besprechen), dann bleiben als größere Zeitslots diejenigen übrig, die fett gedruckt sind. Das wären Zeiten gewesen, in denen ich mich intensiver mit dem MOOC hätte befassen können (also intensiver bedeutet hier: über „Zwischendurch-Tweets“ hinaus). Was genau hab ich da gemacht? Eine Twitter-, Mail- und Facebookanalyse ergibt:

In all den Zeiten hab ich zig Mails beantwortet, zu denen ich bislang nicht gekommen war. Darüber hinaus habe ich mich mit den folgenden Dingen befasst:

  • Donnerstag ab 19 Uhr hab ich mich intensiver mit Chrome und Cr OS Linux beschäftigt – da gab’s viel zu entdecken
  • Freitag ab 19 Uhr: erst mal Essen gewesen; dann weitere Explorationen von Chrome, außerdem weitere Tools wie picmonkey getestet
  • Samstag ab 18 Uhr: ein weiteres Video aufgezeichnet, dann im Wesentlichen Mails abgearbeitet. Später dann im Schwimmbad-Club tanzen gewesen
  • Sonntag 11-13 Uhr: gesurft
  • Sonntag 13-15 Uhr: Mit diesem Blogbeitrag angefangen; ich dachte, ich würde fertig…
  • Sonntag, ab 17 Uhr: Mit mathjax befasst, Bücher gelesen (ja, ich nehme mir in letzter Zeit wieder mehr Zeit dafür); und 30 Minuten Teilnahme am – ja, tatsächlich! – am MOOC

Dabei ist auch zu beachten, dass das alles Zeiten sind, in denen der „normale Arbeitnehmer“ seine Freizeit genießt. Ich muss mir also darüber bewusst sein, dass ich mir hier gerade die Frage stelle, warum ich nicht auch diese Zeiten zum Arbeiten genutzt habe. Und: Wäre der MOOC eigentlich Arbeit? Oder Freizeitinteresse? Oder beides?

Die Analyse der Woche zeigt jedenfalls: Ich hätte Zeit gehabt. In den freien Zeiten habe ich jedoch meine Prioritäten anders gesetzt. So hatte ich beispielsweise mehr Lust, mich mit Chrome zu befassen, weil mich das Tool einfach gereizt hat, und weil ich darüber hinaus wissen wollte, ob ich auf einem alten Rechner Chrome als OS zum Laufen bekomme. Meine Motivation, mich mit anderen Dingen zu befassen, war also höher, als mich mit dem MOOC zu beschäftigen. Woran liegt das?

Eine „sorgfältige Introspektion“ ergab folgende mögliche Gründe: 1) Ich bin (noch) kein MOOC-Maker. Meine Motivation war nicht sehr groß, an dem Kurs teilzunehmen, weil ich in absehbarer Zeit keinen MOOC anbieten werde und daher keine direkte Anwendungsmöglichkeit habe. Und für die „rein inhaltliche“ Beschäftigung mit der Grundphilosophie und den Definitionen von MOOCs weiß ich einfach schon zu viel darüber, als dass ich mich motivieren könnte, mich damit zu beschäftigen. Ich habe also keine Notwendigkeit gesehen, mich intensiver damit zu befassen, und daher hatte ich auch nicht so recht Lust dazu. 2) Die Grundstimmung im #MMC13 ist mir tendenziell zu „euphorisch“. Ich habe eine solche Euphorie selbst schon durchlebt (im Kontext des ersten EduCamps und dem Aufkommen einer Web-2.0-Euphorie vor einigen Jahren), aber mittlerweile stehe ich solchen Tendenzen eher zurückhaltend gegenüber. Vieles ist in den Web-2.0-Vernetzungswelten zu schnell „super“, „herrlich“ oder „toll“, und auch beim #MMC13 fällt mir dies wieder auf. Irgendwie fühle ich mich gehemmt, an einer solch euphorischen Grundstimmung teilzuhaben. 3) Ich bin (mittlerweile) von meinen „Pflichtaufgaben“ abends oder am Wochenende echt fertig, so dass ich keine Kraft habe, mich zu ganz anderen Lerntätigkeiten aufzuraffen, zu denen ich nicht hunderprozentig Lust habe. Die Zeitanalyse der Woche zeigt mir, dass insgesamt sehr viel Zeit und Energie in Sitzungen und Besprechungen aufgewendet wird. Das war früher („vor-professoral“) tatsächlich anders (d.h. weniger) gewesen. Mittlerweile habe ich viele solcher organisatorischer Verantwortlichkeiten, die einen guten Teil meiner Kraft beanspruchen, sodass ich einfach in bestimmten Bereichen keine Energie für Dinge mehr habe, die mich nicht vollends begeistern.

Eines habe ich aus dieser Analyse gelernt: Ich muss unbedingt einmal eine längere zeitliche Analyse meiner Tätigkeiten machen, um für mich realistischer einschätzen zu können, wie viel Kapazitäten ich für welche Aufgaben und Aktivitäten habe. Ich übernehme mich gerne weiterhin mit Tätigkeiten, weil ich (unrealistischerweise) denke, ich hätte diese Kapazitäten. Ich habe sie aber nicht. Und mit einer realistischeren Einschätzung würde ich eine aktivere Teilnahme an einem MOOC wie diesem oder den OPCOs (an denen ich auch nur sehr marginal rumgelurkt habe, ausgenommen der einen Sitzung, die ich selbst gestaltet habe) gar nicht in Erwägung ziehen, vermute ich. Und: Mit mehr Realitätssinn hätte ich der Anfrage bzgl. der Reflektorenrolle vermutlich besser nicht zugesagt. Ich sollte also realisieren lernen, dass es bei mir in Kontexten von MOOCs wie diesem für mehr als seltene beiläufige Twitter-Konversationen und Zufalls-Hangout-Teilnahmen nicht reicht.

Kommentare
  1. apanat sagt:

    Wenn das mal kein eindrucksvolles Lernergebnis aufgrund von MMOC13 ist! So könnte ci “super”, “herrlich” oder “toll” rufen. Ich könnte aber auch in dieselben Rufe ausbrechen, weil du so gut analysiert hast, wo deine Prioritäten liegen.
    In Wirklichkeit fällt mir Brechts Geschichte von dem Mantel ein, den der Revolutionär abholt, obwohl er ihn nicht braucht, weil er angekündigt hat, dass er ihn abholen werde, und ein Revolutionär verlässlich sein muss (aus dem Gedächtnis, nicht nachgelesen, also sicher etwas verfälscht).

    Du bist offenbar noch mehr Pflichtmensch, als ich dachte.
    Dass du Pflichterfüllung mit so viel Kreativität und Lernbereitschaft verbindest, …
    Nun ja, ich sag mal, es wundert mich. Die oben genannten Rufe gehen dir ja offenbar etwas auf den Nerv.

  2. Melli sagt:

    Faszinierend,danke.
    Ich könnte meinen Prioplan ungefähr genauso detailliert ausführen. Er klänge nur nicht so hochdotiert. 😀 Bis auf die Blogbeiträge vom Orgateam, 2 Umfragen und dem Twitterrauschen bekomme ich wenig mit. In der ersten Woche noch Offline durch Providerwechsel, dachte ich… diese Woche schaust dir das mal an. Aber 1. anders und so (irrelevant).

    Was ich natürlich eher schade finde, dass du um Euphorien anscheinend grundsätzlich einen großen Bogen machen willst? Bist du so geläutert, wachgerüttelt und „erwachsen“ geworden? So abgeklärt. gelangweilt… ?

    Christian, da muss ich mir ja glatt etwas von dir wünschen: Bleib wachsam!
    Egal woher, von wem und warum. Pauschalisierte Verurteilung, z.B. _weil_ es die Netzgemeinde ist, sind irgendwie genauso unprofessionell wie die übertrieben unreflektierten Hurra-Rufe.
    Lg melli

  3. […] Christian Spannagel hat seinen Reflektionsbeitrag für die Woche 2 zwar verspätet eingereicht, dafür fand ich persönlich den  Beitrag sehr erhellend. Denn scheinbar bin ich nicht die einzige, die sich Gedanken über die Rolle “ReflektorIn” macht. Mein erster Anstoß zur Diskussion wurde leider als Hilferuf verstanden obwohl es mir um einen distanzierten Blick auf die Rolle ging. #Metameta sozusagen. Aber das bekommen wir auch noch hin. Später. […]

  4. […] Spannagel: Erfahrungsbericht eines konnektivistischen Lerners über seine Mitwirkung am MOOCMakerCourse13 oder wie auch überzeugte Konnektivisten nicht jede Gelegenheit […]

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