Experimentelle Forschung und Aktionsforschung

Veröffentlicht: Dienstag, April 7, 2009 in Forschungsmethodik
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In bin an Projekten beteiligt, in denen verschiedene Forschungsansätze eine Rolle spielen: zum einen der experimentelle Ansatz, zum anderen der Ansatz der Aktionsforschung. Das Verhältnis der beiden Ansätze zueinander ist nicht ganz einfach zu fassen. Daher bin ich dankbar, dass ich heute im Workshop The Intro Programming Course in Dagstuhl einen Vortrag über beide Ansätze halten und dabei auch einiges für mich persönlich klären durfte.

Zum Kontext: In diesem Workshop geht es um die Verbesserung der Anfängervorlesungen in der Informatik an Hochschulen. Dozenten sind hier zusammengekommen, um über die didaktische Designentscheidungen zu diskutieren. Natürlich will man irgendwie wissenschaftlich ermitteln, ob diese Innovationen auch tatsächlich effektiv sind. In diesem Zusammenhang habe ich in einem forschungsmethodischen Vortrag sowohl experimentelle Forschung als auch Aktionsforschung vorgestellt. Ich bin gespannt, wie darüber in den nächsten Tagen in Dagstuhl weiter diskutiert wird.

Ich habe meinen Vortrag aufgezeichnet und online gestellt (in üblicher Podcast-„Qualität“). Diskutiert werden darf im Wiki (oder hier). 🙂

Kommentare
  1. mosworld sagt:

    Schon einmal vielen Dank für die Aufzeichnung, so etwas würde ich mir von allen wünschen die in Dagstuhl vortragen.

    Grüße

  2. mosworld sagt:

    Schöner Vortrag, für den ersten Teil falls jemand schnell und kurz sich über das Experiment informieren will ist das Buch „Das psychologische Experiment“ von Oswald Huber zu empfehlen. Das liest sich einfach und eignet sich als Einführung in das Thema.

    Ein Punkt hat mich im Vortrag gestört, auf Folie 29 stellst Du „replizierbar“ bei Experimenten gegenüber von „Modell für andere“ bei der Aktionsforschung. Das heisst für mich, dass die Ergebnisse aus der AKtionsforschung übertragbar sind oder wenn diese zu einem Modell abstrahiert werden übertrag bar werden. Dieses sehe ich als Problem. Da bei der Aktionsforschung eine Situation betrachtet wird kann es sehr oft passieren, dass die Veränderung A nicht die Ursache für das Resultat R ist. Und in einer neuen Situation würde diese Veränderung A nicht zum Resultat R führen. Für mich sehe ich den Modell Charakter der Resultate aus der Aktionsforschung nicht. Das Aktionsforschung der einen Situation gut tun kann ist ok, da wie der Name sagt überhaupt eine beobachtete Aktion passiert.

  3. cspannagel sagt:

    @mo Gute Frage! Folgende Situation: Ich befinde mich in einem Kontext, in dem ich etwas verbessern möchte (beispielsweise die Motivation der Lernenden). Jetzt stoße ich bei meiner Literaturrecherche auf ein Aktionsforschungsprojekt von jemand anders, der erfolgreich mit Methode XYZ die Motivation seiner Lernenden gesteigert hat.

    Ich selbst kann dies jetzt als Anregung / Idee nehmen und überlegen: „Könnte das die Lösung für mein Problem sein?“ Wenn ich zu dem Schluss komme, dass ich diese konkrete Lösung ausprobieren könnte (ggf. mit einer Modifikation), dann ist die gefundene Lösung ein Modell für mich. Die konkrete Situation kann dabei eine vollkommen andere sein, das ist egal: die gefundene Lösung ist trotzdem Modell für meinen action plan.

  4. mosworld sagt:

    Was mir noch aufgefallen ist, das Aktionsforschung nichts anderes ist als der DIA-Cycle für Forschung. dabei beziehe ich mich auf Deine Folie 20 und dem Text (http://tinyurl.com/37gjey) zur Handlungsforschung von Werner Stangl.

    Design -> Implement -> Analyse -> Design …
    planen -> handeln -> bewerten -> planen …

    Genau wie man nicht die Ergebnisse der Anaylse bei der Software-Entwicklung immer für andere Software-Projekte übernehmen kann, solle man auch mit den Ergebnissen aus der Aktionsforschung behudsam umgehen.

  5. mosworld sagt:

    @cspannagel Die von Dir oben dargestellte Situation hat etwas mit der Literaturrecherche zutun. Die Ergebnisse der Akionsforschung hätten genau so gut nicht passen können. Für mich ist ein Pattern oder ein Modell im vornherein eins. Bei dem Beispiel ist es ein Modell, sobald es auch in der neuen Situation erfolgreich war. Ich verstehe unter einem Modell etwas, dass ich nehmen kann und nutze und bekomme mein gewünschtes Ergebniss.
    Ein Aktionsforschungsprojekt kann ein Vorbild sein, so dass ich es toll finde und es auch ausprobiere. Vielleicht klappt es vielleicht auch nicht.

  6. cspannagel sagt:

    @mosworld Zum DIA-Cycle: Ich gebe dir recht – auch mit dem behutsamen Umgang mit Ergebnissen aus der Aktionsforschung.

    Zum Modell-Begriff: Wir beide verstehen etwas unterschiedliches unter dem Begriff. Ich verstehe unter Modell „Vorbild“ (im Sinne von „Lernen am Modell“), und nicht ein didaktisches/mathematisches/… Modell, das eher normativen Charakter hat.

  7. Itari sagt:

    Du weißt ja, dass meine Beiträge konstruktiv sind … auch wenn man/frau ein wenig dazu braucht, es zu verstehen.

    Ich finde es immer sehr grotesk, wenn sich Leute zusammensetzen, die möglicherweise etwas ‚Gutes‘ für andere Leute erreichen wollen, diese aber nicht beteiligen. Daher meine erste Frage: Wie viele Studenten/Studentinnen (und zukünftige Studenten/Studentinnen) sitzen denn mit euch in der Runde? Wenn es welche gibt, was denken sie zum Thema? Dürfen sie auch referieren und mitgestalten? Oder bleiben sie außen vor?

    Wie viele der Anwesenden haben in den letzten 12 Monaten bei Kollegen hospitiert bzw. sind hospitiert worden?

    Wie sehen die statistischen Auswertungen der Qualitätsbefragungen aus den letzten 10 Veranstaltungen aus? Wie viele Korrekturmaßnahmen (im Sinne des Qualitätsmanagements) sind verfasst worden und wie viele sind umgesetzt worden?

    Und abschließend mein Mantra: „Kümmere dich nicht um die Motivation – es reicht wenn du nicht zuviel demotivierst. Kümmere dich nicht soviel um die Ziele und Wege – es reicht, wenn dich Menschen begleiten können.“

    Ich hoffe, ich habe gut verständliche Metaphern verwendet. Viel Spaß noch bei eurem Meeting

    Itari

  8. medpaed sagt:

    Hallo Christian,

    so jetzt muss ich aber doch auch mal die kritische Frage stellen, was denn jemand, der immerhin Mathematik studiert hat, zu dem Verhältnis sagt zwischen (a) der Qualität von Daten, die man so üblicherweise aus Experimenten zum Thema Lernen und Lehren erhält, und (b) der gewählten statistischen Verfahren, die man da so gerne anlegt. Ich habe ein äußerst ungutes Gefühl (um es mal vorsichtig auszudrücken), wenn ich mir anschaue, wie leichtfertig man die im nachhinein mit Zahlen versehenen Bedeutungen (etwa Antworten in einem Fragebogen) wie Daten aus dem Vorgang des Abmessens der Länge einer Strecke behandelt. Am liebsten würde ich mal mehrere Tage mit Mathematikern verbringen und ihnen ein Loch in den Bauch fragen, um herauszubekommn und zu verstehen, ob das tatsächlich sinnvoll ist, was da vor allem in psychologischen Experimenten so alles getrieben wird. Es geht mir hier also nicht um die Frage, ob experimentelle Designs sinnvoll sind (die haben für bestimmte Fragestellungen durchaus ihre Berechtigung), sondern darum, wie nachvollziehbar die zugrunde gelegte mathematische Modellierung ist!

    Gabi

  9. Anna sagt:

    Hi Christian,

    hab gerade deinen Beitrag gelesen und bin jetzt gespannt auf den Vortrag, den ich mir gleich ansehen werde. Mit den Themen Aktionsforschung und Evaluation beschäftige ich mich ja auch … 🙂

    Gruß,
    Anna

  10. cspannagel sagt:

    @itari Ich liebe deine Beiträge. 🙂 Es sind keine Studenten da. Das ist schade, aber es ist so. Das ist aber zum Beispiel ein Aspekt, der mir am Aktionsforschungsansatz gefällt: Hier werden i.d.R. die im Kontext beteiligten Personen auch an der Forschung in irgendeiner Weise beteiligt.

    Zur Hospitation: Vermutlich keiner (ich habe sie nicht gefragt).

    Mit statistischen Auswertungen haben wir uns befasst (im Sinne von Häufigkeiten, z.B. Bestehensquoten). Eine globale Aussage kann ich hier aber nicht treffen, weil es viele unterschiedliche Aussagen gab.

    Von deinem Mantra halte ich nichts. Aber das weißt du ja.

    Ich hab übrigens keine einzige Metapher gefunden. 😉

  11. cspannagel sagt:

    @medpaed Du stellst genau die richtige Frage. Es ist ganz entscheidend, dass man das statistische Verfahren nach der Datenqualität auswählt (also z.B. dem Skalenniveau). Das beispielsweise bestimmt den Unterschied zwischen Fragebogenergebnissen (in der Regel) und Längen (nach deinem Beispiel). Erstere sind meist ordinalskaliert, zweitere sind verhältnisskaliert. Erhobene Längen (in verschiedenen Gruppen) darf man mit parametrischen Verfahren auswerten, Fragebogenergebnisse in der Regel nicht (zumindest nicht, bevor man nicht plausibel gemacht hat, warum Intervallskalenniveau vorliegt bzw. angenommen werden kann). Auf diesen Unterschied bin ich auch im Vortrag kurz eingegangen. Wählt man korrekte Verfahren, hätte ich an der Passung von Daten und Verfahren keine Beanstandungen.

    Ob das in der Praxis immer sauber gehandhabt wird, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

    @Anna Ich bin gespannt auf deine Meinung! Bitte unbedingt kommentieren!

  12. Anna sagt:

    Hi Christian,

    ich hab den Vortrag jetzt gehört und finde ihn sehr gut! Schön, wie du die wesentlichen Aspekte strukturiert einander gegenüber stellst. Ich bin sehr interessiert an deiner Literaturbasis. Vielleicht kannst du mir die ja zukommen lassen. Hast du die Gegenüberstellung „Experiment vs. Aktionsforschung“ am Ende des Vortrags selbst erstellt oder von einer anderen Publikation übernommen?

    Schade, dass ich die Diskussion nach dem Vortrag nicht mit erleben konnte. Oder gab es überhaupt eine? Eine Zusammenfassung wäre natürlich super! 😉

    Gruß,
    Anna

  13. @medpaed Noch zur Ergänzung: Es ist dabei natürlich vorausgesetzt, dass die Daten mit einem Messinstrument erhoben sind, das den Standard-Gütekriterien (mehr oder weniger) genügt, nämlich Objektivität, Reliabilität und Validität. Falls da etwas im argen liegt, hilft später gar nix mehr.

  14. Hi Anna,

    die Gegenüberstellung hab ich mir im Wesentlichen aus zwei, drei Quellen zusammengeklaubt und -gestöpselt (im Wesentlichen Hinchey und Stangl).

    Nach dem Vortrag gab’s leider keine anschließende Diskussion – wir „mussten“ zum Mittagessen. Hier wird aber immer mal wieder zwischendrin darüber diskutiert. Sehr spannend! 🙂

  15. Anna sagt:

    Hi Christian,

    welche Methode wird denn in den „Diskussionen zwischendrin“ bevorzugt? Und was sind die häufig genannten Pros und Cons dann?

    Gruß,
    Anna

  16. Anna sagt:

    Zur Aktionsforschung:

    Wie Mo (in seinem dritten Kommentar) finde auch ich, dass eine Analogie zum DIA-Cycle der Softwareentwicklung erkennbar ist.

    Könnte man die Vorgehensweise auch generell mit der menschlichen Wissenskonstruktion vergleichen?:
    Wir stellen Alltagshypothesen auf
    -> Handeln danach und Beobachten unsere Umwelt (Testen also die Hypothesen direkt und praxisnah im komplexen Umfeld)
    -> und basierend darauf verfestigen sich unsere Hypothesen oder müssen revidiert werden, um neue Hypothesen aufzustellen…

  17. […] nachvollziehen kann, weil sie eben nicht zu hören sind (Mikro zu weit entfernt) . Im zugehörigen CSpannagel-Blog-Beitrag hat sich zum Thema “Experimentelle Forschung und Aktionsforschung” bereits eine […]

  18. @Anna Wie üblich wurde das Experiment stark kritisiert (wegen der Schwierigkeit, dieses im Bildungskontext durchzuführen). Diese Auffassung teile ich aber nicht. Experimente lassen sich durchaus durchführen und haben auch (wenn sie gut gemacht sind) eine große Überzeugungskraft. Es kommt aber auf eine saubere Planung an – das ist das Wichtigste.

    @Anna Der Vergleich mit der menschlichen Wissenskonstruktion gefällt mir. Einen wesentlichen Unterschied zur Aktionsforschung gibt es allerdings: Diese wird bewusst und systematisch durchgeführt, außerdem wird dokumentiert!

  19. Anna sagt:

    Hallo Chris,

    danke nochmal für den Literaturtipp „Action Research Primer“ von Patricia Hincey! Dieses Aktionsforschung-Grundlagenbuch ist für einen Überblick über das Thema sehr gut geeignet und einfach zu lesen, finde ich. Außerdem werde ich jetzt mal das umfangreiche Literaturverzeichnis genauer inspizieren… 🙂

    Gruß, Anna

  20. cspannagel sagt:

    @Anna Nichts zu danken – und viel Spaß beim weiteren Lesen!

  21. […] um eine frühzeitige Evaluation der Vorlesungsform “Aktives Plenum” im Sinne von Aktionsforschung, damit wir – die Studenten und ich – noch rechtzeitig Schwachstellen im Konzept […]

  22. […] Artikel von Gabi Reinmann beschrieben) bekannt. Seit meiner Beschäftigung mit Aktionsforschung hadere ich mit meinen damaligen Überzeugungen von der Überlegenheit des Experiments […]

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