Wikipedia als Quelle?

Veröffentlicht: Sonntag, Januar 31, 2010 in OeffentlicherWissenschaftler, Uncategorized, Web 2.0
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Vor etwas mehr als drei Jahren habe ich einen Weblog-Artikel zu der Frage verfasst, ob man Wikipedia in wissenschaftlichen Arbeiten als Quelle verwenden dürfe. Dieser Artikel gehört seitdem zu den recht häufig aufgerufenen in meinem Blog. Anlass genug, einmal ein Update meiner Position zu veröffentlichen.

Damals habe ich die Meinung vertreten, dass man Wikipedia zwar zur Orientierung verwenden dürfe, zitieren sollte man sie aber nur in Fällen, in denen es keine adäquate wissenschaftliche Literatur gibt (also beispielsweise bei sehr aktuellen Fakten wie der größten bekannten Primzahl).

Diese Position möchte ich nun lockern: Ich erlaube Studierenden, Wikipedia als Quelle zu verwenden und Seiten aus Wikipedia auch zu zitieren. Dies soll aber mit Verstand erfolgen:

  • Für Wikipedia gilt das  gleiche wie für wissenschaftliche Literatur: Man sollte sich nicht nur auf eine einzige Quelle verlassen. In Wikipedia können Fehler enthalten sein. In wissenschaftlicher Literatur auch. Somit sollte Wikipedia in der Regel nicht die einzige Quelle sein – eben genau wie bei wissenschatftliche Literatur. Mehrere Quellen verwenden ist die Devise.
  • Dabei kommt es auch auf die Bedeutung eines Inhalts für die gesamte Arbeit an. Wenn es sich z.B. um einen zentralen Begriff handelt, empfiehlt es sich, die Belege auf eine breite Basis zu stellen. Hierunter kann Wikipedia dann eine von vielen Quellen sein (Man muss sich dann aber überlegen, ob der Wikipedia-Beleg in diesem Kontext wirklich wichtig ist). Handelt es sich eher um einen „unbedeutenden“ oder „trivialen“ Inhalt, kann man vielleicht auch mal nur auf Wikipedia verweisen (beispielsweise in Unterrichtsentwürfen, wenn es um die Frage geht, was ein Vieleck ist).
  • Wird in Sekundärliteratur auf Primärliteratur verwiesen, dann empfiehlt es sich oft, einen Blick in die Primärliteratur zu werfen und diese als Beleg für Aussagen zu verwenden. In diesem Sinne ist Wikipedia in der Regel Sekundärliteratur, und es ist empfehlenswert, die in Wikipedia zitierte Literatur heranzuziehen.
  • Für Wikipedia gilt -wie für alle Quellen, auch wissenschaftliche -, dass man sich kritisch mit ihr auseinandersetzen muss. Warum sollte man sich z.B. nicht mal in einer wissenschaftlichen Arbeit kritisch mit einer Wikipedia-Quelle beschäftigen und dafür weitere Literatur heranziehen? Man könnte so Wikipedia-Artikel als „Aufhänger“ nehmen, um wissenschaftliche Begriffe zu diskutieren und beispielsweise mit Ansichten in anderer Literatur zu vergleichen und zu kontrastieren.
  • Jede Quelle muss in ihrer Glaubwürdigkeit überprüft werden; das gilt gleichermaßen für Wikipedia und für wissenschaftliche Literatur. Man muss sich überlegen: Wurde der Inhalt bereits von anderen überprüft? Wird diese Quelle auch von anderen Fachleuten verwendet? Beruht diese Quelle bereits auf einer breiten Literaturbasis? Wer hat den Artikel geschrieben? … Bei wissenschaftlicher Literatur ergibt sich die Glaubwürdigkeit in der Regel aus der Tatsache, dass sie von einem ausgewiesenen Fachmann geschrieben wurde, dass der Artikel in einem Journal von anderen Fachleuten begutachtet wurde usw. – dies schützt aber auch nicht vor Fehlern! Bei Wikipedia muss man u.U. andere Kriterien ansetzen: Wird der Artikel stark diskutiert? Wie viele Personen haben mitgeschrieben? Ist er durch Literatur belegt? Bei der Einschätzung können Dienste wie wikibu.ch helfen.

Die Erlaubnis, Wikipedia in wissenschaftlichen Arbeiten zu verwenden, kann also als Anlass genommen werden, mit Studierenden generell den Umgang mit Literatur zu diskutieren. Der kritische Umgang mit Wikipedia kann ebenso auf den Umgang mit wissenschaftlicher Literatur übertragen werden. Und nicht nur auf diesen – auch auf Weblog-Beiträge und andere Veröffentlichungsformate. In Zukunft wird zum wisssenschaftlichen Arbeiten die Einbeziehung von Internetquellen ganz selbstbverständlich dazugehören. Umso wichtiger wird es sein, den kritischen Umgang mit Quellen generell zu üben. Das ist etwas, das man sich auch von manchem Wissenschaftler wünscht, der ausschließlich wissenschaftliche Quellen verwendet, allerdings unreflektiert.

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Kommentare
  1. […] [Update am 31.1.2010: Mittlerweile habe ich meine Position dazu aktualisiert: Wikipedia als Quelle?] […]

  2. Lars Fischer sagt:

    Wikipedia-Zitate in wissenschaftlichen Arbeiten sehe ich – von sehr speziellen Situationen wie der in Punkt vier genannten abgesehen – etwas skeptischer. Entweder die Information ist in Wikipedia durch eine belastbare Quelle abgedeckt oder eben nicht.

    Im ersten Fall referenziert man die Quelle, und im zweiten Fall denke ich nicht, dass die Wikipedia als Primärquelle belastbar genug ist. Insofern denke ich, dass Wikipedia als Literaturangabe nur in sehr wenigen Fällen wirklich taugt.

  3. Herr Rau sagt:

    Hm. Ich bin auch nicht so ganz überzeugt. Meinen Schülern erkläre ich das immer analog zum Brockhaus, gerne auch in zwei Dutzend Bänden: der ist für die meisten Belange genauso wenig eine zitierfähige Quelle.

    (Klar, wenn Wikipedia, wie in deinem vierten Punkt thematisiert wird, dann muss man sie natürlich als Quelle nennen.)

  4. cspannagel sagt:

    Was heißt denn „zitierfähig“? Ist es nicht umgekehrt gesehen die Pflicht eines jeden Autors, sämtliche Quellen, die er verwendet hat, auch anzugeben?

  5. Herr Rau sagt:

    Vielleicht meinen wir das gleiche. Ich komme von der Schule, wo die Schüler wirklich nicht wissen, was sie als Quelle angeben müssen und was nicht. Wenn ich im Brockhaus oder in der Wikipedia das Geburtsdatum von Newton nachschlage oder die Hauptstadt des Bundesstaats Washington, dann will ich dafür keinen Beleg haben. Das ist so das Alltagswissen, das man eben hat oder eben mal nachschlägt – das man aus jedem Lexikon der Welt haben könnte. Dafür will ich keine Fußnote und keine Quelle.

  6. cspannagel sagt:

    @Herr Rau Was die einfachen Fakten angeht gebe ich dir recht. Aber im Brockhaus gibt es auch Definitionen für „komplizierte“ Begriffe, beispielsweise eine Definition für „Bildung“. Werden solche Definitionen übernommen, dann muss meines Erachtens schon die Quelle angegeben werden, weil diese Begriffe unterschiedlich definiert werden können. Dann gehört ein Beleg hin – egal, ob es Brockhaus oder Wikipedia ist.

  7. apanat sagt:

    Wichtiger als der Versuch, allgemeine Regeln aufzustellen, wann Wikipedia zitiert werden darf, scheint mir, dass Schüler und Studenten lernen, wie zitiert werden muss (da gibt es horrend ungenaue Zitierweisen – die WP Zitathilfe setzt das Standards, auch wenn sie ein wenig ausführlicher ist als nötig) und wo man Quellen angeben muss, auch wenn man nicht wörtlich zitiert.
    Wenn man an drei Beispielen erklärt hat, wo man Lexika nicht zitiert, sollte das Prinzip begriffen sein. Grenzfälle gibt es nämlich immer wieder, und da schadet es nicht, wenn es keine feste Vorschrift gibt, wie man entscheidet.
    Die berühmten Originalartikel der Chemiker in der engl. WP fallen z.B. überhaupt nicht unter die Lexikonregel.

  8. Herr Rau sagt:

    Ich sehe zumindest auch keinen Unterschied zwischen Brockhaus und Wikipedia, und wenn man das eine zitieren kann, dann auch das andere.
    Aber. Welche Definition von Bildung im Brockhaus könnte für eine Arbeit wichtig sein? „Gemeinhin versteht man unter Bildung…“ – okay, wenn es wichtig sein sollte, was man gemeinhin darunter versteht. Aber wenn es um Herders Bildungsbegriff geht, hätte ich schon lieber Herder selber zitiert.
    Es hängt sicher alles von Fach und Thema ab. Wenn es ums 18. Jahrhundert und die Aufklärung geht: dann sagt mir die Wikipedia, was ich lesen muss, und das lese und zitiere ich dann. Wenn es um Entwicklungspsychologie geht: dann auch. Für Facharbeiten an unserer Schule gilt: kein Konversationslexikon zitieren.

  9. cspannagel sagt:

    @Herr Rau Naja…. zum Beispiel zitiert Hartmut von Hentig in seinem Buch „Bildung“ den Brockhaus-Artikel und bezieht sich sehr präzise auf einzelne Teilformulierungen (S. 38f). Und wenn Hentig dafür einen Anlass in seinem Buch über Bildung sieht, dann könnte man sich doch auch weitere Anlässe denken.

  10. Die Frage ist nicht, ob Wikipedia eine Quelle sein darf oder nicht. Natürlich kann sie das, genau so wie ich ein persönliches Telefonat, einen Blogbeitrag, oder ein nichtveröffentlichtes Paper als Quelle nehmen kann. Und stimme ich Dir in allen Punkten voll zu was den Umgang mit wissenschaftlichen Quellen angeht.

    Allerdings gibt es in vielen Fällen „bessere“ Quellen als Wikipedia, damit meine nicht besser im Sinne von „richtiger“ oder „qualititativer“ sondern im Sinne von „wissenschaftlich etablierter“. Und deswegen sollte ich mir bei einer Hausarbeit, einer Diplomarbeit oder einem Paper immer überlegen, ob eine etabliertere Quelle meine Aussage besser belegen könnte.

  11. Herr Rau sagt:

    Hentigs Buch ist allerdings ein Essay und keine wissenschaftliche Arbeit. (Nichts gegen Essays, ich mag sie sehr.)
    Ansonsten gebe ich Joannes Moskaliuk recht. Wenn es keine bessere Quelle als Wikipedia oder „Telefongespräch mit dem Autor“ gibt, dann darf man die natürlich nehmen.

    Vielleicht muss man manchmal auch kapitulieren wie in jener wissenschaftlichen Arbeit über die Rezeption irischer und schottischer Musik, die ich in der Uni mal gelesen habe, und wo die angemessen trockene Fußnote zum oft fälschlicherweise Robert Burns zugeschriebenen „The Ball of Kerrymuir“ lautete: „Meines Wissens noch in keiner philologisch verwertbaren Ausgabe erschienen.“

    (Ich kenne das Lied aus einem Live-Album von Jim Croce, komplett mit Robert-Burns-Legende. Es beginnt: „Four-and-twenty virgins went down to Inverness“ und ist inzwischen zumindest über Wikipedia zitierbar, denke ich.)

  12. cspannagel sagt:

    @Johannes und @Herr Rau Ich möchte euch zustimmen, aber nur eingeschränkt. Wie oben bereits beschrieben sollte Wikipedia (wie andere Literatur auch) nach Möglichkeit eine von mehreren Quellen sein. Wenn ich denke, dass in Wikipedia bestimmte Aspekte sehr gut dargestellt sind, dann gebe ich Wikipedia als eine von z.B. drei Quellen gerne an. Ebenso sollte mit traditioneller wissenschaftlicher Literatur verfahren werden.

    Wenn es bessere Quellen gibt, nehme ich die besseren – logo. Aber wenn Wikipedia eine gute Quelle ist, sollte sie auch angegeben werden dürfen.

    Und es kommt auf die Relevanz des beschriebenen Inhalts innerhalb der Arbeit an. Bei zentralen Begriffen wird tief recherchiert. Bei Seitenaspekten sollte der Zugriff auf zusammenfassende Literatur (auch Wikipedia) erlaubt sein – warum sollte man sich für Seitenaspekte die Mühe nochmal machen, die sich schon zahlreiche Wikipedia-Autoren gemacht haben?

  13. Helge sagt:

    Christian, erkläre mir doch einmal kurz was für Dich ein „Seitenaspekt“ ist, und warum da die Zitatqualität nicht so wichtig ist und wieso man für schlechtere Zitatqualität ausgerechnet auf die Wikipedia zugreifen soll.

    „Aber wenn Wikipedia eine gute Quelle ist, sollte sie auch angegeben werden dürfen.“

    Hmm, da scheint mir etwas entgangen zu sein… wer hat denn jemals das Zitieren aus der Wikipedia untersagt?

  14. Oliver Tacke sagt:

    Interessante Diskussion – werde zu Beginn des nächsten Seminars im April unsere Studis zum Lesen empfehlen.

  15. Oliver Tacke sagt:

    Ich würde gerne (bisher ohne gefestigte Meinung zu Pro oder Contra) nachhaken, was unter „wissenschaftlich etablierter“ verstanden wird.

    Ich bin auch schon in einem Buch von „wissenschaftlich etablierten“ Professor auf – in meinen Augen grobe – Fehler gestoßen: Data Mining sei eine Unterart neuronaler Netze, es gäbe objektorientierte Hard- und Softwaretechnologie, …

    Auch wenn das vielleicht ein Einzelfall ist: Auf die Aussagen von „Etablierten“ kann man sich folglich auch nicht 100-prozentig verlassen und erfordern den Vergleich mit anderen Quellen.

  16. Oliver Tacke sagt:

    Huiuiui, und wenn ich mir ansehe, was ich da noch schnell kurz vor der Büroflucht als Kommentar verfasst habe… Werde wohl nie Lieferant für eine „etablierte Quelle“ 😉

  17. cspannagel sagt:

    @Helge Zunächst einmal: Qualitativ gute Quellen dürfen angegeben werden, qualitativ schlechte sollte man besser sein lassen. Egal ob Wikipedia oder nicht.

    Wenn es einen Seitenaspekt betrifft, muss zusammenfassende Literatur erlaubt sein. Egal ob Wikipedia oder nicht.

    > wer hat denn jemals das Zitieren aus der Wikipedia untersagt?

    Gefühlte 99% der deutschen Hochschullehrer.

    @Oliver Genau. Und: Prima Idee mit dem „Zum-Lesen-Geben“!

  18. […] Wikipedia als Quelle? « chrisp’s virtual comments Publiziert am 31. Januar 2010 von UGQ posterous bot Die Erlaubnis, Wikipedia in wissenschaftlichen Arbeiten zu verwenden, kann also als Anlass genommen werden, mit Studierenden generell den Umgang mit Literatur zu diskutieren. Der kritische Umgang mit Wikipedia kann ebenso auf den Umgang mit wissenschaftlicher Literatur übertragen werden via cspannagel.wordpress.com […]

  19. […] “Denkwerkzeug”; es gibt zwar kein Verbot, aus Weblogs oder Wikipedia zu zitieren, doch diese Diskussion über den Umgang mit Quellen läßt mich für heute kapitulieren. Share […]

  20. Uwe sagt:

    Wikipedia lebt von Menschen, die aus Internetquellen und Büchern mehr oder weniger intensiv abschreiben und/oder ihre eigene Phantasie walten lassen und Dinge erfinden. Wenn man auf einen „guten“ Artikel stößt, bedeutet das, dass der Verfasser gute und aktuelle Quellen genutzt hat. Oft ist jedoch das Gegenteil der Fall. Aus diesem Grunde denke ich, sollte sich ein ernsthafter Wissenschaftler nicht mit Wikipedia befassen.

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