Ein Flow-Seminar retrospektive: Ulrike Kleinau

Veröffentlicht: Montag, Juni 6, 2011 in Gastbeitrag, LdLChronologie

Manch einer mag sich noch daran erinnern: Vor fast 3 Jahren hatte ich ein Informatik-Didaktik-Seminar, das für mich (und ich glaube, auch für die Teilnehmer) vieles verändert hat. Durch die Interaktion im Web mit Jean-Pol Martin und dessen Besuch im Seminar entwickelte sich eine unglaubliche Dynamik: Lutz Berger stieß zum Seminar hinzu. Wir fuhren nach Eichstätt und filmten. Wir gründeten die Maschendraht-Community. Wir führten die Bildungsexpedition durch. Wir organisierten den LdL-Tag in Ludwigburg. Man kann es nicht anders sagen: Wir waren im Flow.

All das ist lange her. Wie sehen die beteiligten Personen von damals die Ereignisse aus heutiger Perspektive? Dieser Beitrag soll eine Reihe von Gastblog-Beiträgen einleiten, in denen darüber reflektiert wird. Dieser Beitrag stammt von Ulrike Kleinau. Ulrike: Bitte sehr!

Vor mittlerweile fast drei Jahren machten sich ein paar Studenten auf, die Didaktik des Informatikunterrichts zu lernen, und erlebten einen Flow. Doch was ist geblieben?

Was damals passiert ist, lässt sich in einfachen Worten beschreiben: Wir waren ca. 10 Studenten und wollten einfach nur ein weiteres Pflichseminar besuchen. Über die Verbindung unseres Dozenten lernten wir nicht nur die Unterrichsmethode LdL, sondern auch deren Entwickler kennen. Aus dieser Verbindung entstand eine Theorie über das Vernetzsein im Web 2.0, dessen Nutzen für Forschung und Lehre und eine eigens dafür geschaffene Plattform. Es schloss sich uns ein E-Learning-Experte mit einer Kamera an, der immer auf der Suche ist nach Neuem und Innovativem. Unsere Namen waren bald in aller Munde in der Welt des webbasiertem Lernen – wir alle hatten Twitter, Blogs, Facebook und und und… Wir fingen an zu reisen, um Unterricht zu beobachten, zu beschreiben, kennenzulernen – dazuzulernen!

Für uns Studenten ein irres Gefühl: Wir waren live und in Farbe dabei, unsere Meinung war gefragt, wir, unser Können, unsere Meinung ernst genommen. Vorträge in der Hochschule, in Seminaren, und eine von uns mitgestaltete Fortbildung folgten. Einsätze in der Schule, Umsetzung des Gelernten in realen Unterrichtsszenarien waren die Fortsetzung in einem folgenden Seminar.

Der Arbeitsaufwand war enorm. Das Gruppengefüge war stark, und das Gefühl bei etwas Besonderem dabei zu sein war unser Begleiter.

Jetzt liegt das Ganze in der Vergangenheit. Ich habe noch meinen sträflich vernachlässigten Twitteraccount und meinen ebenso brachliegenden Blog. Geblieben ist aber mehr:

Geblieben ist eine Liebe zu offenen Unterrichtsszenarien, geblieben ist ein breites Wissen über die Tools, die sich im Unterricht gut einsetzen lassen, geblieben ist eine starke Verbindung zu den anderen Studenten, geblieben ist die Neugier auf Neues, geblieben ist das Bewusstsein als Student wichtig zu sein, geblieben ist ein fast perfekte Zehnfingertipptechnik.

Daraus entstanden sind für mich Studentenjobs an der PH, die ich nur bekommen habe, weil ich gelernt habe, was ich eben in dem Seminar gelernt habe. Entstanden sind neue Perspektiven für mich als Lehrer. Heute berate ich sogar den ein oder anderen Dozenten bei der Umsetzung webbasierter Lernumgebungen.

Nur eine Sache passt für mich, für mein Leben nicht: Das ist die Theorie der permanenten Vernetzung. Ich bin ein Mensch, der im Hier und Jetzt lebt. Contra virtuellen Kaffee, pro eine nette Plauschrunde. Contra zehnmal am Tag Emails checken, pro regelmäßige Updates. Contra Hingabe zu einem einzigen Thema, pro recherchieren, wenn Bedarf besteht.

Mein Selbstverständnis als Studentin und später als Lehrerin haben sich durch das Seminar verändert. Mein Zugang zu Wissen, meine Lust Neues auszuprobieren und keine Angst vor dem Scheitern zu haben, weil Fehler Teil des Systems sind, habe ich mitgenommen und sie werden mich hoffentlich mein Leben lang begleiten.

Ich bin froh dabei gewesen zu sein und dankbar für die Chancen, die sich daraus ergeben haben. Ich habe über mich genauso viel Neues gelernt wie über die Materie an sich 😉

Kommentare
  1. apanat sagt:

    Es soll ja sogar einen Dozenten geben, der die Netzaktivitäten dieser Phase zurückgefahren hat, ohne dass sein Blog deshalb weniger lesenswert geworden wäre.

    Vernetzung ist wichtig – und der gegenwärtige „Open Course 2011“ leistet dazu eine Hilfestellung, ohne dass alles aus eigener Initiative geleistet werden muss.
    Aber alles hat seine Zeit. Vertiefung eigener Reflexion auch.

    Mein Eindruck ist, auch ich habe von eurem Engagement, eurer Bereitschaft, Neues zu wagen, profitiert. Und das dürfte auch einigen anderen so gegangen sein.

    Dafür herzlichen Dank!

  2. „meine Lust Neues auszuprobieren und keine Angst vor dem Scheitern zu haben, weil Fehler Teil des Systems sind, habe ich mitgenommen und sie werden mich hoffentlich mein Leben lang begleiten.“
    – Genau! Das ist es!

  3. für mich gehört noch etwas dazu… das unglaublich gute Gefühl in einem Team gemeinam mit Menschen, die man gerne mag und mit denen man irgendwie „zusammenwächst“ etwas zu bewegen.

    Das erinnert mich daran, wie es war wenn ich als Kind eine „Bude“ aus alten Holzbrettern mit meinen Freunden gebaut habe.

  4. ekirlu sagt:

    @ Sabine Huber So habe ich mich in der Tat ein bisschen gefühlt 🙂

    @ Apanat Danke 😉

  5. […] Gastbeitrag: Ein Flow-Seminar retrospektive: Ulrike Kleinau […]

  6. […] ich habe das Merkzeiche “aG”Chrisp´s virtual commentsGastbeitrag: Ein Flow-Seminar retrospektive: Ulrike KleinauGastbeitrag: Ein Flow-Seminar retrospektive: Melanie Gottschalk Interessanter Beitrag […]

  7. Jörg sagt:

    Was bleibt noch zu sagen, was Ulrike Kleinau nicht bereits gesagt hat!

    Nun auch ich war damals Teilnehmer des Seminars und kann vieles von dem, was Ulrike geschrieben hat ohne weiteres so stehen lassen. Es war mit Abstand eins der authentischsten Seminare, dass ich in meinem Studium besuchen durfte. Christian Spannagel hat es geschafft etwas ins Seminar zu bringen, was ich mir auch von anderen Seminaren gewünscht hätte. Er nahm uns damals ernst! Er sah uns weniger als die zu Belehrenden, denn als kleine individuelle Potenziale.
    Dies ist in meine Augen einer der wichtigsten Faktoren, die dazu geführt haben, dass, wie Ulrike schreibt, ein regelrechter „Flow“ entstand. Sie beschreibt das Seminar als dynamisch, motivierend, arbeitsintensiv, kreativ und innovativ. Das war es in der Tat!

    Ich möchte in diesem Zusammenhang die Möglichkeit ergreifen das ganze Unterfangen um eine weitere, kritische Perspektive zu bereichern und den Blick auf ein wesentliches Problem zu richten – Zeit!

    Ein Blick hinter die Kulissen!

    Jedes Seminar begann mit einer neuen Überraschung, wir saßen alle an einem Tisch und schafften unsere eigenen Inhalte. Aus einer Idee, einem Problem wurde ein Seminar. Ein Seminar, dass aber nicht nach 90 Minuten beendet war, sondern ein Seminar, dass 24 Stunden, 7 Tage die Woche aktiv war (nämlich im Web 2.0). Wir führten Blogs, waren vernetzt (und das gleich auf verschiedenen Plattformen) und lernten Technologien des interaktiven Web 2.0 kennen. Wir nutzten das Internet nicht mehr passive rezipierend, sondern in einer aktive aneignenden und kreativen Weise. Wir produzierten Inhalte und kommentierten einander. Was zu Beginn des Seminars dazu führte, dass wir extrem motiviert waren und haufenweise Inhalte erstellten, wurde im Laufe des Seminars zu anstrengender Arbeit. Die 3h Vor- bzw. Nachbereitungszeiten eines durchschnittlichen Seminars wurden schon bald gesprengt.

    Vielleicht erinnert sich noch der ein oder andere wie viel Stunden er sich um die Ohren geschlagen hat, oder mal wieder nachts um drei auf die Uhr sah.

    Das hat bei mir zu einer wichtigen Erkenntnis geführt. Zeit ist ein kostbares Gut und alles im Leben hat seine Zeit. Sei es Lesen oder Recherchieren, Schlafen oder Essen oder die Zeit, die für ein Seminar zur Verfügung steht. Seit Bologna wird diese Seminarzeit sogar ganz genau in CP gemessen. 1 CP bedeutet 25-30h workload (vgl. http://ec.europa.eu/education/lifelong-learning-policy/doc48_en.htm). Ein durchschnittliches Seminar mit 3CP ist so angelegt, dass max. 90h Arbeitszeit veranschlagt werden. 30h davon sind Seminarzeit nochmal 20-30h werden veranschlagt für einen Leistungsnachweis, die das System verlangt. Es bleiben rund 30-40h. Ich brauche nicht zu sagen, dass dies ein unmöglich zu haltendes Limit für ein derartiges Seminar ist.

    Was also tun in so einer Situation in der man hoch motiviert ist und in der die Nacht zum Tag wird. Neben diesem Seminar gibt es noch 12 weitere, die den gleichen Anspruch für sich geltend machen wollen. Diese werden schamlos vernachlässigt, aufgegeben oder im schlimmsten Falle ungewollt wiederholt. Ja tatsächlich der Lohn für großes Engagement und Motivation auf einer Seite ist „Nachsitzen und Tadel“ auf einer Anderen.

    Für mich die Lösung war der richtige Takt. Ein Takt der aus 1 und 0 besteht aus Zeiten für das Seminar und aus Zeiten für andere Seminare, aus Essen und Schlafen, kurz gesagt aus Zeiten der Aktivität und aus Zeiten der Ruhe. Diese Erkenntnis möchte ich mit allen Teilen, die vor lauter Motivation oder „Flow“, Gefahr laufen, sich in einem Takt von 1 und 1 zu verlieren!

  8. cspannagel sagt:

    Danke @Jörg für deine weiteren kritischen Anmerkungen! Für mich stellt sich dabei die Frage: Wie genau mach ich es als Dozent richtig? Sollte ich in solchen Situationen die Studierenden davor warnen, sich „zu sehr“ in das Feld hineinzubegeben? Aber: Ich will ja die Motivation nicht einschränken, den Flow nicht „töten“…

  9. auf den Beitrag von Jörg bin ich erst jetzt gestoßen, ein eigener Artikel hätte sich angeboten. 🙂
    Die Frage, wie du Intensität und Zeit vereinbaren kannst ist mehr als schwierig. Warnungen von dir hätten ja auch nichts gebracht. ;))) Eines ist sicher, es hat allen Beteiligten ein „Studiererlebnis“ beschert wovon sie noch ihren Enkelkindern berichten werden. Vielleicht sollte es ein Bonus-Ects-System geben für besonders motivierte und neugierige Studierende, damit wir aus der Legebatterie austreten können. Denn die größte Diskrepanz besteht mittlerweile für mich zwischen dem was ich kann und dem was meine Abschlüsse berichten… sehr diffizil.

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