Lernzeit effektiv nutzen: Süßer die Glocken nie klingen

Veröffentlicht: Donnerstag, Juli 2, 2015 in Uncategorized
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Wie viel Zeit geht zu Beginn einer Vorlesung oder einem Seminar drauf, bis alle ruhig sind, sodass man anfangen kann? Ziemlich viel. Ich habe früher immer lange gewartet, bis es mucksmäuschen still ist. Das kann dauern, ist aber extrem wichtig. Man muss eine Stecknadel fallen hören. Erst wenn keiner mehr das Holztischchen vor sich herunterklappt, mit dem Mäppchen raschelt, einen Ordner aus dem Rucksack heraus holt oder eine Wasserflasche unter Zischen öffnet, kann man in Ruhe beginnen. Alle konzentrieren sich auf das, was vorne passiert, und als Dozent muss man nicht schreien.

Ich habe andere Dozentinnen und Dozenten noch nie verstanden, wenn diese sich beklagt haben, dass die Studierenden zu laut sind. Ich bin davon überzeugt, dass dies in der Verantwortung der Dozentin bzw. des Dozenten liegt. Wer Ruhe kultiviert, braucht nicht zu schreien. Wer über Lärm hinweg geht, hat keine Chance.

Ruhe ist wichtig, damit alle konzentriert bei der Sache sein können. Ruhe ist umso schwieriger zu gewährleisten, je öfter man zwischen Frontalphasen und Arbeitsphasen wechselt. In der Methode Think – Pair – Share beispielsweise beraten sich Studierende zu nächst mit der Nachbarin oder dem Nachbarn über eine Frage, bevor dann alle im Plenum darüber diskutieren. In der „Pair“-Phase ist somit eine produktive Unruhe erwünscht, in der „Share“-Phase allerdings nicht, denn hier muss es wieder mucksmäuschenstill sein, damit man die studentischen Beiträge versteht.

Früher habe ich auch bei solchen Phasenwechseln immer wieder „ewig“ gewartet, bis alle ruhig sind (also kein Klappern, kein Rascheln usw.). Ständig musste ich „Psssscht!“ sagen oder zur Ruhe ermahnen. Das ist sehr anstrengend und strapaziert die Nerven von allen Anwesenden.

Neulich ist mir im Praktikum an einer Grundschule wieder einmal aufgefallen, wie doof ich eigentlich bin. Ich meine damit: Es gibt doch schon super Methoden und Rituale in der Schule für alle möglichen Zwecke. Wieso komm ich eigentlich nie auf den Gedanken, diese auch in der Hochschule einzusetzen? Insbesondere in den Lehramtsstudiengängen: Weshalb verwenden wir dort nicht auch die Methoden, die unsere zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer in der Schule einsetzen werden?

Zu Beginn dieses Semesters habe ich getestet: den Klangstab. In der ersten Sitzung habe ich mit meinen Studierenden ein Ritual eingeübt: Ich lasse den Klangstab ertönen. Nach drei Sekunden schlage ich ihn wieder an. Beim zweiten Schlag darf niemand mehr etwas machen oder sagen. Mucksmäuschenstill müssen alle sein. Keine Bewegung. Zwei, drei mal habe ich das geübt. Und es hat funktioniert: Arbeitsphase („murmel murmel murmel“). Klangstab. Ruhe. Entspannte Diskussion.

klangstab

Alternativ tut es übrigens auch eine sogenannte Pädagogenglocke oder Rezeptionsklingel, die wir einmal beim Hörsaalspiel Ring the Bell! eingesetzt haben. Alles in allem kann man aber sagen: Große Investitionen sind nicht notwendig.

Durch dieses einfache Ritual wird mühsames Ermahnen und lautes „Bitte seid jetzt ruhig.“ komplett überflüssig. Der Klang hat ausreichend Signalwirkung. Relativ schnell konnte ich sogar auf den zweiten Schlag nach drei Sekunden verzichten. Der erste Ton genügte, und alle waren sofort ruhig. Mittlerweile kann ich sogar ganz auf den Klangstab verzichten, weil ein einfaches „Jetzt tragen wir alle Erkenntnisse zusammen.“ genügt, dass alle mucksmäuschenstill sind. Verblüffend.

Ich hab die Idee mal weitererzählt, und einige erste Reaktionen waren: „Das ist ja Konditionierung!“ Ich habe mich auch zunächst gefragt, ob dieses Ritual in der Hochschullehre angemessen ist und ob es sich nicht um „Dressur“ handelt. Aber: Es ist ein wirklich effektives Verfahren, um einen schnellen Phasenwechsel zu gewährleisten, und man gewinnt wertvolle Lern- und Diskussionszeit. Und ganz wichtig: Nerven werden geschont.

Wie seht ihr das?

Kommentare
  1. Klassisches konditionieren – eine von viele Lernmethoden, die ja bereits vielseitig eingesetzt werden.
    Z.b der pawlosche Hund.

    Und solange es keine Gewaltanwendung ist (kommt natürlich auf den Klang und die Lautstärke an) ist es doch eine sehr angebrachte Methode.

    Schade finde ich nur, dass es trotz langer Schulbildung nicht selbstverständlich ist, zur Ruhe zu kommen, wenn vorne jemand beginnen will. Hat sich etwas mit Respekt zu tun, dem vorragenden gegenüber.

  2. Birgit sagt:

    Mir wuree mal von Schülern ein Glöckchen geklaut, weil meine Ermahnung zur Ruhe damit sie genervt hat. Und es War ein Erbstück von meiner Oma. Schlimm!!!!

    Funktioniert zwar durchaus, aber die Pubertären in der Schule sind davon nicht sosehr zu beeindrucken.

  3. ichwersonst sagt:

    Klar ist das Konditionierung. 1:m-Konditionierung. Lärm hingegen ist Konditionierung des Dozenten, m:1.
    Nutzt der Dozent positiv empfundene Erfolgskonditionierung wie Süßigkeiten beschwert sich seltsamerweise keiner.

    Zu beiden Konditionierungsrichtungen wurde ja niemand wirklich ermächtigt. Im Endeffekt sind die Studenten aber ja selbst die Nutznießer der pssscht-Konditionierung. Damit heiligt schon der Zweck die Mittel.
    Es gibt meist auch genügend Leute im Plenum, die vom Lärm genervt sind, aber nichts sagen können/wollen. Der Dozent hingegen steht außerhalb des wabernden Sozialgefüges (der Studenten unter sich) und damit darf er gerne die Dompteursrolle übernehmen. Auch schon aus eigenem Karrierekalkül, denn die Burn-Out-Kosten trägt schließlich obendrein auch die Gesellschaft.

    Die einen können Lärm halt besser ab, die anderen schlechter. Ich glaube da mittlerweile fest an einen Geschlechter- und Altersunterschied. Irgendwann sollte es dann aber entwicklungstechnisch vom Kinde zum Ausgewachsenen mal gut sein mit dem Lärm.

    Das lärmende Verhalten zieht sich ja nach dem Studium genau so auch durchs Arbeitsleben und dann leidet da auch wieder die Arbeitsqualität darunter. Zum Glück ist die größte Welle des Großraumbürotrends wohl durch, aber trotzdem wird Arbeit zunehmend auch räumlich verdichtet. Gibt es dann keine Lärmhygiene im Zimmer und auf dem Flur, verliert man schnell mal wichtige Arbeitskräfte, die für planerisch-konzeptionelle Dinge zuständig sind.

    Oder der Chef macht halt regelmäßig seine Bürotüre zu, weil’s draußen zu laut ist. Dann ist er nicht mehr so niederschwellig erreichbar, die wichtige Kommunikation hinkt und das trägt dann wiederum der ganze Laden mit sinkendem Arbeitsniveau.

  4. Lärm nervt! Warum also einer Art von Lärm eine andere Lärmquelle entgegensetzen? Ruhe herstellen gelingt auch durch „ruhige“ Zeichensetzung und benötigt keine zusätzlichen Mittel. Das time-out-Zeichen aus dem Sport zum Beispiel kann sowohl von Dozierenden als auch von Studierenden, die sich sonst vielleicht nicht über Lärm beschweren würden, verwendet werden. So haben Dozierende schnelle Rückmeldung, wenn es Studierenden zu laut wird. Außerdem verringert sich das Machtgefälle, wenn den Studierenden die gleichen Mittel zur Verfügung stehen wie den Dozierenden.
    Die Studierenden sind in Gespräche vertieft und sehen das Zeichen nicht? Irrtum – eine/r guckt immer! Mach‘ doch ein (Bewegungs-)Spiel daraus. Welche Gruppe zuerst komplett mit dem vereinbarten Zeichen antwortet, hat gewonnen. *hüstl*
    Für Euch getestet: Lärmmäßig wird es in Gruppen mit höherem Durchschnittsalter nicht besser, aber „time-out“ ist alters-, größen-, sprach- und dialekt-, raumunabhängig, fächerübergreifend, … und bis auf Ausnahmen körperlicher Einschränkungen, leicht anwendbar und ziemlich interaktiv! 🙂

  5. Lars sagt:

    Ich glaube, es gibt kein Allheilmittel. Es ist auszuprobieren, was am besten wirkt. Ob es ein Klang oder ein Zeichen oder das laute Brüllen ist (ja, es gibt diverse Möglichkeiten … 😉 ), testen, einsetzen und konsequent bleiben, wobei das Brüllen auf Dauer vielleicht für alle Beteiligten nicht sooo toll ist ;-). Aber ich finde deine Idee gut Christian, v. a. wenn der Klang so wirkt, dass man ihn mit der Zeit reduzieren kann und du rascher zum gewünschten Ergebnis kommst.
    Zum Thema Konditionierung: Die Schulglocke an sich ist ja auch eine Konditionierung, und wenn es für das adäquate Verhalten auch eine Belohnung gibt (z. B. eine interessant vermittelte Mathevorlesung o. Ä. …;-) ), spricht ja nichts dagegen …

  6. ruthsscheff sagt:

    In einer Gemeinschaft muss es Regeln geben – das wird aus deinem Bericht bereits deutlich Wenn es keine Regeln gibt, wird das Zusammenwirken schwierig bis unmöglich. Übrigens kann das auch in Polit-Talkrunden beobachtet werden, wenn jeder unbedingt seine Argumente vorbringen will und alle durcheinander reden – bringt mir gar nichts, weil ich nichts verstehe!
    Wenn mir eine Gemeinschaft nicht gefällt und ich die Möglichkeit habe zu gehen, dann gehe ich – oder schalte den Fernseher aus. Diese Möglichkeit ist im Rahmen einer Lehrveranstaltung nicht gegeben. Du kannst nicht gehen, weil das dein Job ist und die Studierenden können nicht gehen, weil sie den Abschluss machen wollen. Das Interesse der Gemeinschaft ist also ganz klar: Inhalte wollen erarbeitet und weitergegeben werden.
    Selbst eine Partnerschaft als Gemeinschaft kann nur mit gemeinsamen Interessen bestehen. Um diese Interessen zu verfolgen, werden auch hier Absprachen getroffen. Insofern sehe ich den Klangstab als eine Verabredung zur gemeinsamen Konzentration, auf die sich die Studierenden einlassen.
    Konditionierung stimmt insofern, als ein Verhalten durch eine Methode verändert bzw. ein gewünschtes Verhalten herbeigeführt wird. Wenn das gewünschte Verhalten nicht im Interesse der Studierenden wäre, könnte daran etwas auszusetzen sein.
    Also wenn die Studierenden z.B. dir Wasser holten, wenn der Klangstab ertönt. Oder dir die Schuhe putzten 😉

  7. Die Idee mit dem Klangstab finde ich klasse. Leider (oder vielleicht besser: glücklicherweise) habe ich das Problem gerade nicht, da meine Kurse sehr klein sind und sich das geschilderte Problem zurzeit nicht ergibt. Dennoch: ich merke mir die Idee mal und probiere sie bei Gelegenheit aus…

    Was ich aber gut finde: die Idee von Kristina dem Lärm mit Ruhe zu begegnen. Das habe ich mal probiert als ich eine größere Seminargruppe hatte. Das Thema des Seminars war damals Inhalte spielerisch zu vermitteln. Das habe ich dann auch ausprobiert als ich durchsetzen wollte, dass die Gruppe ruhig wird. Ich habe einfach mit dem Unterricht begonnen, aber pantomimisch!
    Ich habe also ganz normal unterrichtet, nur ohne Ton. Das hat mal für Verwirrung gesorgt, bis alle still waren und fasziniert dem „Spiel“ zugeschaut haben. Bis eine Teilnehmerin auf die Idee gekommen ist ein „Fenster“ zwischen mir und den Kursteilnehmern zu öffnen, pantomimisch natürlich. Und schon habe ich laut weitergesprochen und alle konnten mich wieder hören. Hat super geklappt. Danach waren sie schon drauf eingestellt und es kam nicht mehr zu großartigen Störungen 🙂

  8. Ich bin noch „böser“, ich habe Konsequenzen bestimmt, falls nach 3 Sekunden nicht Stille einkehrt. Ich „dauerbimmele“ (in der Schule,nicht Uni) 3 Sekunden lang und öffne dabei mit meiner erhobenen Hand ganz ruhig nacheinander 3 Finger, pro Sekunde einen. Danach lasse ich die Glocke nur noch ausklingen. Wer noch redet, wenn es still ist, schreibt eine Seite ab.

    Am Anfang des Schuljahres erwischt es oft 1-3 (von insgesamt 8-10 Klassen, also wenige) und später vielleicht noch eine einzige Person im ganzen Schuljahr. Von daher kann da auch nicht von einer Bestrafungskultur die Rede sein. Nur ohne angekündigte mögliche Konsequenzen würden einige es einfach ignorieren.

  9. Arnulf Hopf sagt:

    diese Notwehr-Maßnahme sollte immer nur gleic hzeititg mit dem Kampf gegen unmenschliche Lehr-Lernsituationen erwähnt und diskutiert werden. So9nstr verändern wir die Rahmenbedinugngen nicht, die es dringend nötig hätten.

  10. […] Augenzwinkern: Einen didaktischen Doppeldecker der etwas besonderen Art beschreibt C. Spannagel hier in seinem Blogbeitrag „Lernzeit effektiv nutzen: Süßer die Glocken nie klingen“. Dass […]

  11. Ich finde es sehr gut wenn Methoden, die auch in der Schule eingesetzt werden können ganz nebenbei bereits vom Dozenten erlernt werden. Ich bin bereits im Ref. Im Seminar sind die Veranstaltungen sehr gut methodische aufbereitet, so dass eigene Erfahrunge unterschiedlicher Methoden gesammelt werden können. Anschließend werden diese kurz auf der Metaeben reflektiert. Das hätte ich mir auch manchesmal an der PH gewünscht 😉

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