Gemeinsamer Gedankenaustausch – E-Learning 2009 Nachlese

Veröffentlicht: Sonntag, September 20, 2009 in Conferences, Twitter, Web 2.0

Letzte Woche war ich auf der Tagung E-Learning 2009, einer Gemeinschaftstagung der DeLFI 2009, GMW 2009 und des Medida-Prix. Es war eine wirklich außergewöhnlich inspirierende Tagung. Aber nicht etwa wegen der Vorträge – die waren in etwa so wie immer. Nein, der Grund war der persönliche Gedankenaustausch mit ganz vielen äußerst interessanten Personen. Ich habe wirklich sehr viele Bekannte auf der Tagung getroffen, auch Menschen, die ich bislang nur aus dem Web kannte. Und viele Gespräche waren wirklich tief und haben mich sehr nachdenklich gestimmt.

Die wichtigste Erkenntnis für mich aus dieser Tagung ist (Achtung – provokante These): Das Zentrale an einer Tagung ist die persönliche Begegnung, die Vorträge sind zweitrangig. Oder anders formuliert: Die Vorträge bieten höchstens Impulse für inhaltliche Diskussionen. Das Wichtige ist aber der gemeinsame Gedankenaustausch unter den Teilnehmern. Aber wie viel Raum für Diskussionen gibt es auf einer solchen Tagung?

Kaum. Die Vorträge dauern 20 Minuten, anschließend gibt es 10 Minuten „Diskussion“. Die Anführungsstriche sind berechtigt: diskutiert wird nämlich praktisch nicht. Es handelt sich um Frage-Antwort-Spiele, nicht um Diskussionen. Ich bin vermutlich von Barcamps verwöhnt, auf denen ich an wirklich spannenden Gesprächsrunden teilgenommen habe. Mein Vorschlag für zukünftige Tagungen: Die Sessions bestehen aus 10 Minuten Vortrag und 20 Minuten Diskussion. Jeder Vortrag muss mit einigen provokanten Thesen oder interessanten Fragen ans Publikum enden, sodass die Diskussion „angeheizt“ wird. Wer keine spannenden Thesen oder Fragen präsentieren kann, darf keinen Vortrag halten. Wie wär das?

Interessant unter dem Aspekt des gemeinsamen Gedankenaustauschs war auch die Podiumsdiskussion am Ende der Tagung. Gelinde gesagt empfand ich sie als Katastrophe. Es war keine Podiumsdiskussion, es war mehr eine Pressekonferenz. Das lag nicht an den Podiumsteilnehmern – hier fiel der ein oder andere wirklich gute Kommentar. Es lag vielmehr an der Struktur: Die Moderatorin stellt einzelnen Podiumsteilnehmern fragen, diese antworten. Mal ehrlich: Was ist daran eine Diskussion? Als noch viel schlimmer empfand ich, dass dem Auditorium keine Möglichkeit zur Partizipation gegeben wurde. Weshalb durften wir keine Fragen stellen? Es sitzen ca. 200 Fachexperten im Raum und werden „mundtot“ gemacht. Wirklich schade – viel echtes Diskussionspotenzial wurde verschenkt.

Als (fast) vorbildlich empfand ich die Twitter-Integration in die Tagung. Es gab Twitter-Walls, wie ich sie nur von Barcamps kenne. Und fast wäre es auch während der Podiumsdiskussion gelungen, eine Twitterwall zu projizieren – immerhin! Die Verwendung von Twitter führte auf der Tagung zu kontroversen Diskussionen. Wirklich spannend! Auch im Nachhinein beschäftigt die Verwendung von Twitter auf dieser Tagung noch die Gemüter, wie man zum Beispiel hier und hier und hier nachlesen kann. Ein paar Gedanken zur Verwendung von Twitter auf Tagungen aus meiner Perspektive:

  • Es wurde vielfach kritisiert, dass Twitter und Twitterwalls während Vorträgen Aufmerksamkeit abziehen. Klar – allerdings wird die Aufmerksamkeit in die aktive Verarbeitung der Vorträge investiert und nicht etwa in das Abarbeiten von Mails (übrigens auch  ein häufig vorkommendes Phänomen während Vorträgen). Twitter ist für mich ein Denkwerkzeug: Gedanken, die ich während eines Vortrags habe und ich für wichtig halte, twittere ich. Damit werden sie zu Gedankenimpulsen für die anderen Twitterer, die wiederum ihre Gedanken twittern, die ebenso Impulse für mich sind usw. Wird eine Twitterwall gezeigt, können auch die nichtwitternden Personen derartige Impulse bekommen. Über Twitter verarbeitet das Publikum die Vorträge aktiv und gemeinsam – was wünscht man sich als Vortragender mehr?
  • Ideal wäre es, wenn der Vortragende während seines Vortrags Rückmeldung über die Twitterbeiträge bekommt und evtl. gleich Fragen oder Kritik aufgreifen kann. Für zukünftige Tagungen würde es sich anbieten, dass eine Person im Publikum („Twittermanager“) die Diskussion beobachtet und gegebenfalls dem Vortragenden eine zusammenfassende Rückmeldung gibt, auch zwischendurch.
  • Einige Twittermeldungen wurden als „unter der Gürtellinie“ klassifiziert.  Für meinen Geschmack waren die Tweets alle noch  im Rahmen – von Barcamps bin ich durchaus anderes gewöhnt. Nichtsdestotrotz – hier gibt es unterschiedliche persönliche Grenzen. Davon mal abgesehen: Ich habe nur Beschwerden von nichtwitternden Zuhörern gehört, nicht aber von Vortragenden (was nichts zu bedeuten hat, ich bekomme ja nicht alles mit). Vortragende sollten meiner Ansicht nach die Tweets nach dem Vortrag unemotional als Feedback auswerten: Wie ist mein Vortrag angekommen? Was wurde kritisiert? Was kann ich besser machen? Die Tweets können auch so für Wissenschaftler zur Lerngelegenheit werden.
  • Ebenso kritisiert wurde, dass die Tweets öffentlich sind. Mo’s und meiner Ansicht nach muss dies unter gewissen Einschränkungen gesehen werden. Viele Tweets lassen sich nur im jeweiligen Kontext verstehen. Sie stehen zwar im öffentlichen Raum, anfangen können damit aber  oft nur anwesende Personen etwas. Manche Tweets aber – beispielsweise Zitate von besonders tollen Aussagen in den Vorträgen – werden gerne von außen aufgegriffen und kommentiert. Hier sind somit Impulse auch von außen möglich: Die Twittergemeinde holt sich durch Kommentieren der Vorträge Anregungen von Menschen außerhalb des Tagungsorts. Die Reichweite von Vorträgen geht somit weit über den Vortragsraum hinaus, und das Gesagte wird in Interaktion mit Auswärtigen aktiv verarbeitet. Ist das für Vortragende nicht großartig? Ich finde das grandios: Ein Vortrag bewirkt die aktive, kollaborative Auseinandersetzung mit den Inhalten bei Menschen im Raum und außerhalb des Raums.
  • Neben den inhaltlichen Diskussionen ist Twitter auch ein fantastisches Medium für die Pflege persönlicher Beziehungen und sorgt für jede Menge Spaß auf einer Tagung. Ich hätte niemals gedacht, dass mein Tweet „Auf dieser Tagung fehlen definitiv die Kekse“ eine solche Welle von spaßigen Interaktionen erzeugt. Außerdem wurde so Michael Kerres zum Keksretter – ist das nicht total witzig?

In Zukunft würde ich mir wünschen, dass Twitter noch konsequenter in Tagungen integriert wird. Ich vermute, Tagungen würden dadurch intensiver, lockerer, witziger werden. Mir jedenfalls machen Tagungen mit Twitter hundertmal mehr Spaß als ohne. Danke an die Organisatoren, dass ihr Twitter integriert habt!

Kommentare
  1. Oliver Tacke sagt:

    Meiner Ansicht nach gute Anregungen. Ich vermute, es wird einfach einige Zeit dauern, bis sich so etwas durchsetzt, wie häufiger bei Technik.
    Wird sicher auch von der „Branche“ abhängen. Einige sind empfänglicher für Neuerungen als andere. Einige Vortragende beziehen gerne das Publikum ein und nehmen Anregungen an, andere wollen bloß ihr Programm abspulen und nur ihre Inhalte transportieren.

    Noch ein Link zu einer aktuellen Befragung zum Thema BarCamps: http://bit.ly/18az1X

  2. Wir haben jetzt mehrfach gute Erfahrungen gemacht mit einem Format, das 20 Minuten Vortrag, 15 Minuten Diskussion und 10 Minuten Pause verbindet.

    20 Minuten Präsentation ist meist wirklich nötig, um den Kontext einzubinden. Zudem ist eine deutliche Verkürzung besonders auch für Nicht-Vortrags-gewohnte-Nicht-Akademiker eine zu hohe Herausforderung. Für Akademiker natürlich auch, sich selbst zu zügeln 🙂

    15 Minuten Diskussion ist auch ok für diejenigen, die sich Anregungen holen wolllen und nicht so tief ins Thema einsteigen.

    Entscheidend sind jedoch 10 Minuten Pause. Ursprünglich haben wie sie eingeführt, um einen Wechsel zwischen den Tracks zu erlauben. Zugleich war der Gedanke, dass diejenigen, die das Thema vertiefen wollen sich außerhalb des Konferenzraums zusammen finden und weiter vertiefend diskutieren. Das geht nur wenn sie nicht störend den Raum verlassen können.

    Erprobt haben wir das Format inzwischen zweimal auf den Moodle-Konferenzen in Heidelberg (2008) und Bamberg (2009) mit 300-400 Teilnehmern und bei bis zu 8 parallelen Tracks.

    Damit das klappt, ist es erforderlich, in direkter Nähe Sitzgruppen und Treffpunkträume zur Verfügung zu stellen, die spontan von Gruppen von drei bis zehn Leuten genutzt werden können.

  3. Jana sagt:

    Ralf, dieses von Dir beschriebene Format klingt ganz gut. Ob man jetzt 10 oder 20 Minuten für eine Präsentation befürwortet, kann wohl nur die Erfahrung zeigen. Ihr scheint jedenfalls sehr gute Erfahrungen aufzuweisen. Dennoch glaube ich auch, dass auch in 20 Minuten ein Thema nicht wirklich vorgestellt werden kann. Erste Erfahrungen meinerseits, lassen bei mir diese Vermutung aufkommen.
    Allerdings, muss man das denn? Impulse, wie sie in Christians Blog formuliert werden, finde ich wichtiger. Vertiefte Kenntnisse könnten in (wissenschaftl.) Aufsätzen oder etc. nachgelesen werden.
    Ebenso ist für mich der Unterschied zwischen einem BarCamp und einer Tagung, Konferenz etc.. dann nicht mehr hinreichend klar. Selbst auf der E-Learning Konferenz war ich erstaunt, welche Beiträge teilweise in einem wissenschaftlich traditionell durchgeführten Format angeboten worden sind. Heute frage ich mich, war das schon immer so? Warum hatte ich dann bisher ein verklärtes Bild im Kopf? Aber vielleicht sollte der Unterschied auch einfach nur bei den Besuchern vor Ort liegen.

  4. Hallo Christian,

    die Erfahrung, dass auf Tagungen sehr wenig Raum für Diskussion zu haben, kenne ich auch… beim Symposium Bildung und Wissen in Leipzig (http://www.erzwiss.uni-leipzig.de/2009/) ist mir das besonders unangenehm aufgefallen – obwohl oder gerade weil der inhaltliche Input dort zum Teil wirklich sehr anregend war. Dann ist es etwas enttäuschend wenn bei der anschließenden „Diskussion“ nur nach Fragen gefragt wird und meist sehr schnell abgebrochen wird (weil die Vortragenden auch ihre Zeit bereits überzogen haben).

    Allerdings frage ich mich, ob die Forderung an die Vortragenden „spannende Thesen zu liefern“ wirklich ausreicht… der ein oder andere mag das können – aber zumindest in Seminaren und ähnlichen Veranstaltungen habe ich die Erfahrung gemacht, dass dies nicht reicht. Spannender finde ich, ein eher ‚workshop-artiges‘ Szenario zu realisieren in dem jeder workshop (in dem ja durchaus inhaltlicher Input in Form von Vorträgen vorkommen kann) etwas zum Gesamtergebnis der Tagung beiträgt (z.B. können in den einzelnen Arbeitsgruppen Thesen oder Fragen entwickelt werden, die dann in einer Abschlussdiskussion diskutiert werden… setzt natürlich voraus, dass diese nicht schon vorher von den Vortragenden geschrieben wurden, sondern tatsächlich gemeinsam diskutiert werden).

    Zum Thema Twitter-Einbindung kann ich als ’noch-nicht-microblogger‘ noch nichts sagen, ich habe erst einmal eine Podiumsdiskussion mit Twitter-Einbindung
    (http://www.wenigerismehr.de/swok/medientreffpunkt/di_verhalten.html) erlebt und ein ambivalentes Fazit in meinem alten Blog gezogen…
    (http://dornroeschenschloss.blogspot.com/2009/05/nochmal-youre-noone-if-youre-not-on.html). Die Idee mit dem ‚Twittermanager‘ finde ich aber gut 😉

  5. cspannagel sagt:

    Hallo zusammen,

    vielen Dank für eure Kommentare!

    Für mich ist beim Lesen eurer Beiträge die Frage entstanden, ob der Vortrag an sich noch seine Berechtigung hat oder alles eher workshop- bzw. barcampartig abgehalten werden sollte. Eine Absage an einen Vortrag wäre gleichzeitig auch eine Absage an die Präsentation von Forschungsergebnissen. Vermutlich ist das auch keine Lösung – schließlich wollen Ergebnisse auch präsentiert werden. Ich habe nur oft die Erfahrung gemacht, dass dies viel zu detailliert geschieht und vieles an Information für die Zuhörer gar nicht so relevant ist. Präsentiert man die Ergebnisse kurz und knackig und führt zuvor in die wirklich relevante (!) Theorie ein, dann – so glaube ich – kann man bei vielen Vorträgen wertvolle Diskussionszeit gewinnen.

  6. […] Spannagel wirft hier eine immer wieder spannende These für Konferenzen auf: Die wichtigste Erkenntnis für mich aus […]

  7. […] seinem Blog chrisp’s virtual comments mit dem Artikel „Gemeinsamer Gedankenaustausch – E-Learning 2009 Nachlese“ vom 20.09.2009, hat die bereits vor Ort begonnene Diskussion um den Einsatz von Twitter auf […]

  8. christian

    nun will ich dich wirklich unbedingt für unsere tagung haben…du sprichst mir aus der seele, obwohl ich bei der tagung nur per second life an einem tag dabei war. das war allerdings sehr partizipativ.

    10 min vortrag + 20 min diskussion klingt wie die richtige mischung einer expertenkonferenz.

    gruß
    marcus

  9. […] auch Anregungen für Tagungsgestaltungen geben (z.B. die Gedanken dazu von J. Wedekind, C. Spannagel oder J. Hochberg und die mittlerweile zahlreichen […]

  10. […] studiumdigitale ( Bremer):  Tagung 2.0: Neue Tagungskultur? Blog Spannagel: Gemeinsamer Gedankenaustausch – E-Learning 2009 Nachlese Blog Reinmann: GMW 2009 – altmodischer […]

  11. cspannagel sagt:

    Eine ähnliche Diskussion, aber in einem anderen Kontext, findet gerade hier statt: http://tinyurl.com/yhfw9ty

  12. […] sich zeitgleich “im Untergrund”. Erlebt habe ich das in ähnlicher Form auf der Delfi-Tagung: Hier hat am Ende der Ausrichter der Tagung gesagt, dass das Web 2.0 stärker in Tagungen […]

  13. […] die Schreibzentrumsarbeit integrieren, was andernorts schon beinahe ein alter Hut ist – die Twitterwall. Als ständig offener Kanal zwischen den teilnehmenden Institutionen könnte sie dazu dienen, sich […]

  14. […] in die Schreibzentrumsarbeit integrieren, was andernorts schon beinahe ein alter Hut ist – die Twitterwall. Als ständig offener Kanal zwischen den teilnehmenden Institutionen könnte sie dazu dienen, sich […]

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