Vor einiger Zeit habe ich eine nette Mail von Jörn Pachl bekommen (Sorry, Herr Pachl, für die späte Antwort – ich musste erst mal andere Stapel abarbeiten…). Jörn Pachl ist Professor für Eisenbahnwesen mit dem Spezialgebiet der Steuerung des Bahnbetriebes und lehrt an zwei Universitäten (TU Braunschweig und TU Berlin). In seiner Mail klagt er darüber, dass man Studierende kaum dazu bewegen kann, in einem veranstaltungsbegleitenden Forum aktiv zu werden:
Foren werden fast nur als einseitiges Medium zum Verteilen von Informationen, jedoch kaum als Diskussionsmedium genutzt. Wenn Studierende Fragen haben, kommen sie immer noch eher nach der Vorlesung zu mir oder schreiben mir gar eine persönliche E-Mail, als die Frage im Forum zu stellen. Das ist insofern bedauerlich, als dass es sich dabei oft um provokative und damit sehr diskussionswürdige Fragen handelt, die hervorragend ins Forum passen würden. Welche didaktischen Ansätze gibt es aus Ihrer Sicht, die Studierenden zur aktiven Nutzung interaktiver Medien zu motivieren?
Diese Frage beschäftigt auch mich jedes Semester von Neuem. Ich setze ebenfalls veranstaltungsbegleitende Foren ein (z.B. zur Veranstaltung Einführung in die Arithmetik). Ich habe dabei festgestellt, dass in verschiedenen Semestern ganz unterschiedliche hohe Forenaktivität stattfindet: Mal entwickeln sich viele und gute Diskussionen, mal passiert fast nix. Und ich glaube auch noch, dass das irgendwie unsystematisch ist.
Mein Eindruck ist, dass die Studierenden den inhaltlichen Austausch in solchen Online-Plattformen nicht gewöhnt sind. Man ist zwar bei Facebook und bei studi.VZ, aber man nutzt diese Plattformen überwiegend für private Kommunikation und nicht für inhaltliche Arbeit. Ich habe mir daher in den letzten Jahren Strategien und „Texte“ (d.h. Ansagen in der ersten Vorlesungsstunde) überlegt, die in Richtung einer höheren inhaltlichen Aktivität in Foren wirken sollen:
- Perpektivwechsel: Aus Sicht eines Studierenden ist es völlig ausreichend, bei einer Frage den Professor oder den Tutor zu fragen und dann eine Antwort zu bekommen. Frage beantwortet. Punkt. Super. Aus Sicht der Dozenten ist die 1:1-Kommunikation extrem ineffizient: Sie bekommen dieselben Fragen x-mal gestellt und müssen immer wieder dieselbe Antwort geben. Studierenden muss deutlich werden, welch großer Effizienzgewinn bezüglich der Beantwortung von Fragen und der Diskussion von Problemen in der Nutzung von Foren liegt. Dies mache ich in der ersten Sitzung deutlich: „Wenn Sie eine Frage haben und geneigt sind, diese mir, Ihrer Tutorin oder Ihrem Tutor zu stellen, dann halten Sie einen Moment inne und überlegen sich, ob die Frage und die Antwort auch die anderen Teilnehmer interessieren könnte. Wenn nein, dann stellen sie uns die Frage. Wenn aber doch, dann stellen Sie die Frage bitte im Forum. Denn: Wir beantworten sonst immer wieder dieselben Fragen mit denselben Antworten. Wenn Sie aber die Frage im Forum stellen, dann passiert das folgende: Einer stellt die Frage. Einer gibt die Antwort. Alle wissen bescheid. Ist das nicht unglaublich effizient?“
- Fehler und Fragen als Lernchance für alle: Studierende haben oft Angst, unter ihrem richtigen Namen in ein Forum zu schreiben. (In unserem E-Learning-System Stud.IP erscheint jeder mit seinem Realnamen.) Denn: Wer will schon dumme Frage stellen? Auch gegen die Angst, Fehler zu machen, ist nur schwer anzukämpfen. Es ist aber extrem wichtig, dass man es tut, insbesondere in der Mathematik: Fragen und Fehler sind tolle Lernchancen, und – wenn es in einem Forum geschieht, dann haben alle etwas davon! Auch hier mein Text zu Beginn der Vorlesung: „Viele haben Angst, Fehler zu machen oder Fragen zu stellen, weil sie denken, dass sie dann als dumm erscheinen, und der Dozent sieht auch noch den Namen. Wissen Sie, was ich denke, wenn jemand eine Frage ins Forum schreibt? Ich denke: >Klasse, die Frau Müller! Sie scheint sehr engagiert zu sein und ist an der Beantwortung ihrer Fragen interessiert.< Wissen Sie, was ich denke, wenn jemand einen Fehler im Forum postet? Ich denke: >Oh, da hat der Herr Meier aber einen sehr interessanten Fehler gemacht! Ich bin gespannt, wie sich die Diskussion um diesen Fehler entwickelt. Es ist sehr gut, dass dies jetzt hier zum Thema gemacht wird, weil es ist ein ganz typischer Fehler. Fragen und Fehler sind positive Beiträge zur Diskussion, und wenn Sie eine Frage und/oder einen Fehler posten, dann fallen Sie positiv auf – niemals negativ!< Darüber hinaus ist es wichtig, dass man in den Vorlesungen selbst auch mal Fehler präsentiert und als Dozent genau so konstruktiv mit seinen eigenen Fehlern umgeht.
- Nicht zu früh, nicht zu spät: Als Dozent darf man sich niemals zu früh einschalten. Wenn eine Frage im Forum gestellt wird, nicht sofort antworten – so kann ja niemals eine Diskussion unter Studierenden aufkommen. Man darf aber auch nicht zu spät antworten – ansonsten fühlen sich die Studierenden „alleine gelassen.“ Mein entsprechender Text: „Ich selbst antworte nie sofort, sondern warte erst mal ab. Wenn jemand von Ihnen eine Frage stellt, dann sollten sich alle aufgefordert fühlen, zu antworten. Ich möchte, dass Sie die Fragen und Probleme miteinander besprechen und lösen. Sie dürfen mir aber vertrauen: Ich schalte mich rechtzeitig ein, wenn ein Fehler nicht entdeckt wird oder wenn niemand sonst eine Antwort hat.“ Es kam in sehr aktiven Forenzeiten aber schon vor, dass ich den Überblick verloren habe (Äh… welche Fragen sind jetzt noch offen?). Wenn dies passiert, dann sollen die Studierenden, deren Frage noch offen ist, ins Forum so etwas posten wie „Hilfe, Herr Spannagel, jetzt müssen Sie mit einsteigen!“ (Das war einmal eine Idee von Studierenden im Rahmen der GeoWiki-Nutzung.)
- Notwendigkeit erzeugen: Wenn alles einfach ist, gibts keine Fragen. Im letzten Semester habe ich zu Beginn der Vorlesung relativ rasch angezogen, und ich hatte den Eindruck, dass die Studierenden dadurch im Forum gleich von Anfang an recht aktiv wurden. Wenn der Start gut ist, dann hält sich das Aktivitätsniveau auch länger über das Semester hinweg. Allerdings möchte man natürlich auch keine Ängste erzeugen und dadurch die Aktivität steigern – ein schmaler Grad.
- Immer wieder erinnern: Einmal sagen hilft gar nix. Wenn Studierende mit einer Frage kommen, immer wieder auf das Forum aufmerksam machen: „Oh, das ist aber eine spannende Frage! Wissen Sie was? Ich beantworte sie jetzt nicht. Diese Frage ist ganz wichtig, und die anderen Teilnehmer sollten diese Frage unbedingt auch mitbekommen! Stellen Sie die Frage doch bitte im Forum, und ich schalte mich dann ggf. ein.“ Dieses Verhalten müssen alle an einer Veranstaltung beteiligten Dozenten zeigen, auch die Tutorinnen und Tutoren!
Trotz dieser Strategien ist der Erfolg mal so, mal so. Ich habe den Eindruck, es hängt auch von der Gruppenzusammensetzung, der Gruppengröße, der Jahreszeit und von wasweißich ab…
Welche Strategien wendet ihr an? Kennt jemand von euch Literatur dazu? (Also, Literatur, die sich explizit auf veranstaltungsbegleitende Foren in diesem Sinne bezieht, nicht generell zu Motivierung von Online-Kollaboration – die Situation ist ja eine andere wie beispielsweise in Fern-Studiengängen oder Blended-Learning-Szenarien, in denen die Online-Aktivität z.T. zentraler Bestandteil ist.) Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Wie bindet ihr das Forum in eure Lehrveranstaltungen ein? Und eine Frage an Studierende: Warum postet ihr in Foren, warum nicht?