Youtube, Vorlesungen und das Aktive Plenum

Veröffentlicht: Freitag, Mai 20, 2011 in Hochschuldidaktik
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Eine liebe Kollegin aus Berlin, Andrea Hoffkamp, mit der ich gemeinsam im hochschul-mathematikdidaktischen Projekt SAiL-M arbeite, hat mir in einer E-Mail ein paar Fragen gestellt, auf die ich hier gerne antworten möchte. Doch zunächst die Mail von Andrea:

Lieber Christian,

Du weißt ja, dass ich derzeit Workshops für Mathematik-Hochschuldozenten durchführe. In einer ersten Sitzung mit den Dozenten haben wir eine Bestandsaufnahme der drängendsten Anliegen und Probleme in Mathematikveranstaltungen gemacht. Dabei wurden u.a. folgende Punkte diskutiert: Wie schafft man es, in großen Veranstaltungen die Studierenden zu aktivieren? Man ist hier ja in der Zwickmühle, da es einerseits gilt eine große Stofffülle zu absolvieren und man andererseits nicht an den Studierenden vorbei dozieren möchte. Es wurde auch oft moniert, dass Studierende auf Fragen nicht antworten und nicht zur Mitarbeit zu bewegen sind.

Ich möchte nun ein paar BestPractice-Beispiele zur Verfügung stellen, die Anregungen bieten, sich dieser Probleme anzunähern. Du hast doch letztes Semester Deine Arithmetik-Vorlesung aufgezeichnet und online gestellt. Dein Ziel war, diese Vorlesungsvideos in diesem Semester zu nutzen mit der Idee, dass die Studierenden sich inhaltlich auf die Vorlesung vorbereiten, indem sie die Videos ansehen, damit Du in der Vorlesung mehr Zeit hast, mit den Studenten gemeinsam zu arbeiten. Ich habe da mal einige Fragen, die ich auch im Sinne von Dozenten stellen möchte, die geneigt sind, diese Idee aufzugreifen:

Die erste Frage ist: Wie läuft es denn so? Geht Dein Konzept auf? Funktioniert es?

Wenn ja, was muss man tun, damit es funktioniert? Wie bekommt man Studierende dazu, sich die Videos tatsächlich anzusehen und vorbereitet zu sein? Braucht man ein spezielles Charisma (z.B. besonders mitreißend zu sein) oder meinst Du, dass das jeder machen könnte? Verlangst Du, dass jedesmal 90 Minuten Video zur Vorbereitung angesehen werden müssen oder nimmst Du nur bestimmte Ausschnitte?

Warum glaubst Du überhaupt, dass Videos besser sind als ein Skript, was die Studierenden ja auch zur Vorbereitung nutzen könnten?

Und eine Frage, die mich sehr interessiert: Was machst Du denn mit der Zeit, die Du dadurch gewinnst? Wie arbeitest Du mit Deiner großen Gruppe? Warum sind die Studierenden tatsächlich aktiv in der Vorlesung?

Ich bin schon sehr gespannt auf Deinen Bericht und Deine Antworten!

Liebe Grüße aus Berlin
Andrea

Na, dann mach ich mich mal an die Antworten. Ich gebe auch den Studierenden bescheid, damit sie sich hier an der Diskussion beteiligen können.

Zur ersten Frage: Ich denke, es läuft gut. Die Studierenden melden jedenfalls zurück, dass die Sache mit den Vorlesungsvideos in Vorbereitung auf die nächste Sitzung hilfreich ist. Meine Idee dahinter ist: Wer die Zeit in Vorbereitung steckt, hat mehr von einer Sitzung und den darin stattfindenden Diskussionen als jemand, der dieselbe Zeit in Nachbereitung steckt (was meist gleichzusetzen ist mit Vorbereitung auf die Klausur). Der Vorteil: Die Studierenden können in Ruhe und in ihrem eigenen Tempo den Vorträgen folgen und mich bei Bedarf auch zurückspulen oder anhalten – Das ist in normalen Vorlesungen nicht möglich (zumindest nicht individuell).

Die Videos zur Vorbereitung dauern – zusammengenommen – jeweils 60 bis 90 Minuten, d.h. es ist durchaus die Länge einer tatsächliche Vorlesung, die vorzubereiten ist. Ich habe in früheren Vorlesungen, als ich noch keine Aufzeichnungen hatte, die Studierenden mit Texten vorbereiten lassen („Lesen Sie bitte Kapitel 3 bis nächste Woche zur Vorbereitung.“). Bei fachdidaktischen Veranstaltungen klappt dies ganz gut, bei fachlichen Veranstaltungen hatte ich aber den Eindruck, dass die Texte nicht wirklich tief verarbeitet werden. In der Mathematik unterliegt man schnell der Illusion des Verstehens: Man überfliegt etwas und denkt, man hat’s verstanden. Und man realisiert nicht, dass man es wirklich Schritt für Schritt durcharbeiten müsste, um es tatsächlich zu verstehen. Texte lassen sich zu leicht überfliegen. Vorlesungsvideos haben den Vorteil: Sie verlangsamen die Rezeption der Inhalte – man kann Videos nicht „überfliegen“. Man muss den einzelnen Schritten des Dozenten „relativ langsam“ folgen. Darüber hinaus konnte ich die Dinge so erklären, wie ich es für gut halte (und war nicht abhängig von irgendwelchen „Fremdtexten“). Insofern ist die Vorbereitung mit meinen eigenen Videos passgenau zu den Inhalten und Prozessen, die mir persönlich wichtig sind; passgenauer als es jemals irgendein Text sein könnte!

Wie erreicht man, dass Studierenden sich tatsächlich vorbereiten? Ich denke, ganz wesentlich ist, dass man wirklich in der nächsten Sitzung voraussetzt, dass sie sich vorbereitet haben, und dass den Studierenden klar wird, dass man ohne Vorbereitung gar nicht zu kommen braucht, weil man sonst nichts versteht. Würde ich in der nächsten Sitzung jeweils alles nochmal wiederholen, dann wäre die Vorbereitung ja „unsinnig“ – diesen Fehler darf man nicht machen! Ob man bestimmtes „Charisma“ braucht, damit man die Studierenden davon überzeugen kann, weiß ich nicht.  Das können die Studierenden vielleicht besser beantworten. 🙂

Die Sitzung selbst (also die „eigentliche Vorlesung“) nutzen wir dann für die gemeinsame Bearbeitung von Aufgaben oder für das Hervorheben und Besprechen von Problembereichen. Aufgaben werden beispielsweise mit der Methode des Aktiven Plenums (oder Neuronenvorlesung) durchgeführt: Studierende kommen nach vorne, moderieren den Lösungsprozess (an dem sich alle beteiligen!) und halten die wichtigsten Schritte an der Tafel fest, während ich mich nach hinten setze und nur bei Bedarf einschreite. Manchmal führe ich auch selbst durch eine Problemlösung, oder ich moderiere den Prozess – je nachdem, wie ich es gerade für sinnvoll erachte. Die Studierenden sind dabei permanent angesprochen (es handelt sich sozusagen ständig um Unterrichtsgespräche), sodass gar kein Zweifel aufkommt, dass wir alle gemeinsam arbeiten müssen. In der letzten Woche habe ich ein Feedback eingeholt, und die Studierenden haben dabei als Kritik geäußert, dass die gemeinsam bearbeiteten Probleme in der „Vorlesung“ zu leicht seien – hier muss ich also noch schwierigere Aufgaben herausgreifen (Ich finde, das alleine ist schon grandios! Die Aufgaben sind zu leicht? Okay, gerne – lasst uns schwerere Aufgaben machen!).

Das ganze Konzept weist den Studierenden eine hohe Selbstständigkeit und Selbstverantwortung zu – und genau das will ich auch unterstützen und bewirken.

Wer mehr zu den jeweiligen Konzepten erfahren möchte, hier ein paar Verweise zum Stöbern:

So, ich hoffe, ich habe alle Fragen beantwortet und keine vergessen. 😀 Und wie immer gilt: Ich freue mich sehr über Kommentare, Anregungen, Ideen und Rückfragen!

Kommentare
  1. Oliver Tacke sagt:

    In den letzten 1,5 Jahren habe ich einige Weiterbildungsveranstaltungen zur Hochschullehre besucht, und auch dort kam häufig die Frage nach „Methoden“ für Großveranstaltungen auf – ist also vermutlich überaus relevant. Und auf das aktive Plenum und dieses Blog habe ich dabei stets hingewiesen 🙂

  2. Sönke Graf sagt:

    Sehr schön, Danke für die Verweise da schaue ich mal intensivst rein…

  3. Hallo Christian,
    danke für diesen interessanten Einblick!
    Dein Leitgedanke mit der Vorbereitung statt Nachbereitung erinnert mich an: „Vom Nachdenker zum Vordenker werden“. Die Vorteile liegen auf der Hand: Selbstwirksamkeit der Studierenden erhöhen, Vorlesung für konkrete thematische Fragen und Probleme nutzen (können).

    Mich würde noch folgendes interessieren:
    – Hat sich deine persönliche Art Vorlesungen zu gestalten verändert, seit du auf Video aufzeichnest (bewussterer Umgang mit Sprache, Methoden usw.)?
    – Wie groß sind deine Veranstaltungen (gibt es Grenzen, gerade im aktiven Plenum, LdL)?
    – Wie stellst du deine Art und Weise zu arbeiten den Studierenden im ersten Semester vor (so, dass sie auch wiederkommen 😉 (Stichworte: Eigenverantwortung, Vorbereitungszeit)
    – Eine Frage/Problem, welches immer wieder auftaucht in der Arbeit mit Lehrenden ist, dass die Studierenden unvorbereitet sind bzw. sich nicht vorbereiten – bei dir scheint das zu funktionieren. Verräts du uns dein Geheimnis?

  4. cspannagel sagt:

    Servus zusammen,

    @Oliver Ja, ich denke, Großgruppenmethoden sind in der Tat relevant. Und: Der Vortrag an sich ist nicht die schlechteste Großgruppenmethode, das muss man auch mal sagen…

    @Alexander Mmmh…. kann sein, dass ich jetzt bewusster mit Sprache umgehe. Aber ich hab eigentlich auch vorher schon auf saubere Formulierungen und so geachtet. Insofern: Nein, eher doch nicht. Hat sich nix geändert. 🙂

    Das Aktive Plenum hab ich bereits mit max. 150 Teilnehmern ausprobiert, auch da hats noch funktioniert. Voraussetzung: Absolute Ruhe im Raum! Und dafür bin ich (also der Dozent) zuständig. Sobald Gemurmele los geht, muss man einschreiten und deutlich machen, dass alle (!) Fragen einfach ins Plenum „abgefeuert“ werden sollen (und nicht hin zum Nachbarn). Sicher kann man die Methode aber nicht mit beliebigen Größen machen. Ich denke, bei 200-300 Studierenden wird Schluss sein. (Kommt aber auch auf die Gesamtkonfiguration an: Gruppe, Dozent, Raum, …)

    Wie mache ich deutlich, dass Eigenverantwortung usw. wichtig sind? Ich erzähle in der ersten Veranstaltung ein bisschen was darüber. Und ich mache deutlich, dass alles, was wir bieten, Unterstützungsangebote sind und niemals verpflichtend. Das heißt, ich führe beispielsweise auch keine Anwesenheitslisten (denn Anwesenheitslisten und Selbstverantwortung widersprechen sich). Ich sage den Studierenden, dass sie folgende Unterstützungsangebote bekommen: Vorlesung, Übung, Tutorium, offener Matheraum, Stud.IP-Forum… all diese Angebote können Sie nutzen, müssen Sie aber nicht. Es ist IHRE Verantwortung, am Ende des Semesters fit für die Klausur zu sein. Wie sie das machen und welche Angebote sie nutzen, liegt bei Ihnen… und ich meine das auch tatsächlich so. Man darf Ihnen dann nicht vorwerfen, dass sie nicht in der Vorlesung waren oder so – vielleicht können sie ja ohne Vorlesung besser lernen.

    Zu deiner letzten Frage: Es ist wichtig, dass die eigentliche Seminarsitzung so gestaltet ist, dass es keinen Sinn macht unvorbereitet daran teilzunehmen. Vorbereitung muss tatsächlich Voraussetzung für eine aktive Teilnahme an der Sitzung sein…

  5. Oliver Tacke sagt:

    @Christian
    Das große Fass möchte ich nicht aufmachen, dafür fehlt mir gerade die Zeit. Daher nur als Statement: Vorträge sind bei n-hundert Teilnehmern vielleicht gar die einzige überhaupt „funktionierende“ (effiziente) Methode – wobei ich persönlich dann gleich ein Video vorziehen würde. Bei weniger Teilnehmern ist ein Vortrag sicher auch mal was, wenn er gut gemacht ist (wie oft ist das der Fall?). Dann hält man vielleicht auch mal 90 Minuten aus. Den Vortrag aber generell als DIE Methode zu benutzen, unabhängig von Teilnehmerkreis, Inhalt und Rahmenbedingungen (und das scheint mir an Unis sehr oft der Fall zu sein), das stelle ich in Frage.

  6. Danke Christian.
    Das sieht für mich nach einer klaren und die Ressourcen der Studierenden (Stand) wertschätzenden Struktur aus. Die Eigenverantwortung der Studierenden wird durch die verschiedenen Formate „automatisch“ eingefordert.
    Der Spagat zwischen Klarheit (Voraussetzungen für eine Vorlesungsteilnahme…) und einem entsprechend offen gestaltetem Lernangebot, welches sich an dem Stand der Studierenden orientiert – wie im Hauptbeitrag erkennbar – scheint mir hier entscheidend.

  7. Christian, vielen Dank für Deine Antwort. Ich muss sagen, dass mich Dein Vorgehen zu vielen Gedanken und zum Stöbern angeregt hat.
    Zum Beispiel denke ich darüber nach, was ich mit der Zeit mache, die ich dadurch in der Vorlesung nutzen kann. Ich betreue ja zum Beispiel die Analysis und da wünsche ich mir immer, dass ich mehr Zeit für die Begriffe hätte. Ich mache mal ein Beispiel: Nehmen wir einmal die Definition für Stetigkeit: f ist stetig in einem Punkt a, falls für alle epsilon >0 ein delta > 0 existiert, so dass für alle x mit |x-a|<delta folgt, dass |f(x)-f(a)|<epsilon.
    In einer Vorlesung würde man die Definition erklären, noch das übliche Bild dazu malen und ein paar Beispiele machen. Der Punkt ist aber, dass das eine der ersten Definitionen ist, die den Studenten so richtig schwer fällt. Die Grund warum das so schwer fällt, sieht man ja schon (Quantoren, epsilons, deltas usw.), aber es gibt noch einen anderen Grund: Jede/R Studierender bringt eine Vorstellung von Stetigkeit mit und es wird oft versäumt, diese Vorstellung mitzunehmen und in der Definition zu 'suchen'. Da man aber nun das Video hat, hat man Zeit, sich die Definition vorzunehmen und z.B. die Methode "Thema mit Variationen" anzuwenden (das habe ich grade bei Schupp gelesen, der Schulaufgaben variiert, tolle Sache): Man variiert mit den Studenten die 'Parameter': Tauschen wir doch mal die Quantoren vor epsilon und delta, was passiert dann, welche Beispiele haben wir dann? Was ist, wenn epsilon größer-gleich 0 oder delta? Das sind wichtige Fragen, bzw. diese Variationen stellen eine heuristische Strategie dar, die in mathematischer Forschung häufig angewendet wird.

    Es bringt aber noch etwas anderes mit sich: Man lernt dadurch Fragen zu stellen, indem man Definitionen sinnvoll analytisch hinterfragt und nicht einfach hinnimmt. Und dieses 'Fragen-Stellen-Können' ist eine Fähigkeit, die man im Laufe des Studiums erwirbt. Tatsächlich ist dies nämlich gar nicht so einfach……

  8. Und nun noch ein weniger spezieller Kommentar:
    Ich habe gerade nach ‚math lecture videos‘ gegoogelt. Und dabei stieß ich auf Videos der Linearen Algebra Vorlesung von keinem geringeren als Gilbert Strang am MIT. Es gibt Videos von Vorlesungen also schon, aber was mich vor allem begeistert: Ich habe hier die Möglichkeit einer so tollem mathematischen Persönlichkeit wie Strang beim Mathematik Entwickeln zuzusehen. Seine Sicht darauf und sein Vorgehen mitzuerleben. Ich habe nun Lineare Algebra schon oft betreut, und dennoch habe ich den Eindruck alleine durch die vermittelte Sichtweise eine Menge zu lernen. http://video.google.com/videoplay?docid=7055571132713022746#
    Faszinierende Persönlichkeit, die begeistert ……

  9. m.g. sagt:

    Lieber Christian,
    mal wieder LdL. Komm endlich weg von dieser unsinnigen Neuronengeschichte und schau, was hinten raus kommt! Nur weil Studenten diverse Parts übernehmen, muss das Ganze nicht effektiv und gut sein. Die Stunde von Kollegen Hammer etwa, die Du mitunter als Beispiel verwendest, dass LdL auch im MU funktioniert, ist aus meiner Sicht einfach schlechter Mathematikunterricht. Der wird dadurch nicht besser, dass Schüler Lehrer spielen. Das Ganze ist dann auch nichts anderes als Frontalunterricht mit anderen Mitteln.
    Natürlich schafft es eine charismatische Persönlichkeit wie Du, die Studierenden zu bewegen, das „aktive Plenum“ anzunehmen. Letztlich geht es aber nicht darum, dass man eine bestimmte Methode zum Laufen bringt um ihrer selbst willen, sondern dass sie möglichst vielen (im Idealfall allen) hilft, den Stoff zu verstehen.
    Damit will ich nicht gesagt haben, dass Dein „aktives Plenum“ in Einzelfällen nicht von Erfolg hinsichtlich eines Verständnisses für bestimmte mathematische Ideen und Zusammenhänge bei einer Mehrzahl von Teilnehmern gekrönt sein kann. Aber der Einwurf der Studierenden „doch mehr schwierigere Probleme“ zu bearbeiten sollte Dir zu denken geben. Wenn die Begriffe komplexer, abstrakter und komplizierter werden, bedarf es des didaktischen Geschicks des Seminarleiters.
    Sieh Dir doch nur den Unterricht an, den unsere Studierenden im Praktikum versuchen. Ich meine das absolut nicht abwertend. Man muss es lernen. Da geht es dann um solche Begriffe wie etwa Sehne, Sekante, Tangente. Es ist nicht unbedingt effizient und methodisch gut, was Studierende den Schülern anbieten. Noch mal: das ist nicht geringschätzend oder abwertend gemeint. Man muss es einfach erst mal lernen. Und nun sollen sie sowas wie etwa von Andrea Hoffkamp angesprochen rüber bringen: Stetigkeit.
    Natürlich hat jeder eine gewisse Vorstellung davon und die Idee liegt nahe, dass wenn jeder seine Idee einbringt insgesamt der Begriff in seiner vollen Pracht angesprochen wurde.
    Darum geht es jedoch nicht, sondern darum, dass jeder einzelne den Begriff verstanden hat.
    Wir sind keine Neuronen und wollen eigentlich auch keine sein. Als Beispiel: Ameisen verhalten sich in ihrem sozialen Verband vielleicht wie Neuronen. Insgesamt entsteht ein relativ intelligentes Gebilde: Der Ameisenstaat. Ist es die einzelne Ameise auch?
    Unmengen von Ameisen bilden den Staat. Neuronale Netze funktionieren auf der Grundlage von Neuronenzahlen in Größenordnungen, die wir uns nur schwer vorstellen könne. Auch wenn unsere Vorlesungen mitunter überbelegt sind, können wir da nicht mithalten.
    Letzlich geht es darum, dass das Netz insgesamt funktioniert. Das Netz lernt als Ganzes, das einzelne Neuron „überblickt dabei die globalen Zusammenhänge nicht“.
    Also nur weil in Deiner Veranstaltung die Neuronen interagiert haben, müssen sie noch lange nicht den großen Zusammenhang verstanden haben. Natürlich sind wir keine Neuronen und ich etwa will auch keins sein. Aber nur weil viele viel zusammengetragen haben, muss der einzelne selbst wenn er beim Zusammentragen geholfen hat nicht viel verstanden haben.
    Lange Rede kurzer Sinn: Mathematik begreifen, so wie wir es als Dozenten brauchen, ist keine Angelegenheit für Neuronen sondern für Menschen. Funktionieren wird das nur durch die eigene, persönliche. individuelle Auseinandersetzung mit der Materie, dazu gehört sicherlich „anderen zuhören“ und „selbst drüber reden“. Aber vor allem „selbst Mathematik treiben“. Dieser Aspekt kommt mir in einem aktiven Plenum zu kurz. Schau in die Gesichter deiner Studierenden, wenn es komplizierter, abtrakter, schwieriger wird. Wer hat wirklich den Biss dran zu bleiben? Was meinst Du, wieviele Studierende den Kommilitonen nebenan der da gerade seine Ideen vorträgt einen guten Mann sein lassen und hoffen, dass irgendwann doch einer mit dem Nürnberger Trichter vorbei kommt.
    Meine Alternative: Rechnereinsatz.
    Jeder Studierende hat ein iPad-artiges Gerät in das er völlig unkompliziert mathematischen Content wie Formeln und Skizzen eingeben kann. In Kürze steht eine Vielzahl von Lösungen, Meinungen etc zur Verfügung. Der didaktisch geschulte Dozent wählt aus diesen die aus, die für die weitere Gestaltung der Veranstaltung besonders hilfreich scheinen. Da niemand weiß, wer denn den jeweiligen Beitrag generiert hat, der zur weiteren Gestaltung verwendet wird, ist die Bereitschaft relativ groß, sich zu beteiligen.
    (Vorausgesetzt, der Dozent hat den Nerv und die Leistungsfähigkeit der Studierenden richtig in seinen Aufgabenstellungen abgebildet. )
    Man kann sich nicht blamieren. Sinnvoll wäre ein wenig künstliche Intelligenz in dem System. Etwa ein Expertensystem, das sofort analysiert, in welcher Form Schwierigkeiten etwa hinsichtlich des Verständnisses für einen bestimmten Begriff aufgetreten sind.
    Lieber Christian, wie immer waren das ein paar kritische Bemerkungen von mir. Was nicht heißen soll, dass ich alles blöd finde, was Du anstößt. Ich finde es toll, wie Du Dich engagierst. Hinsichtlich der Auslotung von Möglichkeiten, die Studierenden zu aktivieren liegen wir völlig auf derselben Wellenlänge.
    Liebe Grüße
    Micha
    PS: Vielen Dank für den Blog zu den Beziehungen. Er zeigte mir die Freuden des Alters. Ich hab mich köstlich amüsiert und mich gefreut, dass ich einfach glücklich in einer Beziehung leben kann, ohne mir darüber einen Kopf machen zu müssen.

  10. cspannagel sagt:

    @Andrea Genau – durch die Vorbereitung bleibt in der eigentlichen Vorlesung mehr Platz, selbst Fragen zu stellen, offene Fragen gemeinsam zu beantworten, Begriffe zu elaborieren usw…

    @m.g. Es geht mir doch nicht darum zu behaupten, Menschen seien Neuronen oder sollen welche sein. Die Neuronenmetapher ist einer Metapher (!), die nicht beschreibt, wie es ist, sondern die ein handlungsinduzierendes Bild ist. Sie liefert den Teilnehmern im Hörsaal ein Bild, wie sie sich in der Gruppendiskussion verhalten sollen. Sie haben eine Idee, zögern aber, diese zu äußern. Dann soll ihnen in den Sinn kommen „Nicht zögern, einfach abfeuern.“ Das kann durchaus derjenige wertvolle Beitrag sein, der an dieser Stelle im Lösungsprozess noch gefehlt hat. Oder es ist ein Beitrag, der in die Irre führt – dann hakt aber jemand anders ein, der ebenfalls dieses Bild vor Augen hat („sag’s einfach“) usw. Dein Vergleich mit dem Ameisenstaat zeigt, dass dir evtl. nicht klar ist, dass die Neuronenmetapher eben nicht deskriptives Modell ist („Ameisen agieren wie Neuronen“) sondern normativ-handlungsinduzierende Vorstellung („Wenn du am Aktiven Plenum teilnimmst, dann verhalte dich wie ein Neuron!“). Man kann das Aktive Plenum auch ohne Neuronenbegriff usw. durchführen, und hilft diese Vorstellung den Teilnehmern vielleicht dabei, ihre „Angst etwas Falsches zu sagen“ zu ignorieren.

    Und selbstverständlich interessiert mich insbesondere, was dabei hinten rauskommt. Was kommt dabei raus? Ganz unterschiedliche Gedanken, Ansätze, Ideen…, die man bei einer Aufgabe haben kann, werden in den Raum gestellt (so ähnlich wie bei deiner Laptopnutzung). Fehler werden gemacht und verbessert, alternative Lösungsvorschläge werden berücksichtigt, eine oder mehrere Lösungen werden gemeinsam ausgehandelt, ganz ähnlich wie bei deiner Laptop-Nutzung. Ich finde es klasse, wie du die Convertibles einsetzt, allerdings ist dies technisch zurzeit nur mit hohem Aufwand realisierbar (weißt du ja selbst). Insofern ist das Aktive Plenum eine Methode, die ähnliche Ideen ohne irgendwelche Hilfsmittel umsetzen hilft. Was dabei allerdings noch stärker herauskommt wie bei der Convertible-Nutzung ist der Kommunikationsaspekt. Beim Aktiven Plenum diskutiert tatsächlich „potenziell“ der ganze Saal miteinander – natürlich diskutieren nicht alle, sondern immer nur ein paar. Ja, ganz ähnlich wie bei der GeoWiki-Sache: Prozesse werden von einigen diskutiert, und alle anderen bekommen die Diskussion mit. Das ist in meinen Augen wertvoll. Die Tatsache, dass du die Begriffe „LdL“ und „Neuronenmetapher“ nicht magst, sollte dich aber nicht dazu verleiten, die Konzepte schlecht zu finden. 🙂
    Der Vorteil am Convertible-Einsatz, wie du es machst, ist, dass der didaktisch geschulte Dozent aus didaktischer Sicht gute Beispiele auswählen kann. Beim Aktiven Plenum hingegen werden die Kommentare aufgegriffen wie sie kommen. Die Studierenden, die vorne stehen, müssen übrigens nicht didaktisch geschult sein, um ihre Rolle durchführen zu können; sie müssen nur aufrufen und aufschreiben. Insofern spielen sie eigentlich auch nicht Lehrer, sondern Moderatoren, Der Lehrer bleibe immer noch nicht, der für die passende Umgebung (Ruhe, …) sorgt.
    Zu dem Kommentar „schwierigere Beispiele“: ich habe beispielsweise eine vollständige Induktion gemeinsam lösen lassen. Das war eine typische, normale Vollständige-Induktions-Aufgabe. Wenn die von den Studierenden als „zu leicht“ wahrgenommen wird, finde ich das prima.
    Zum Kommentar „selbst Mathematik treiben“: Die Studierenden haben ein Übungsheft, mit dem sie die Woche über Aufgaben in Lerngruppen lösen. An „selbst Mathematik treiben“ fehlt es in dieser Gesamtveranstaltung tatsächlich nicht. Und, um das Ganze in Relation zu stellen: Das Aktive Plenum ist eine Methode, die ich vielleicht einmal pro Vorlesung für 20-30 Minuten einsetze. Ich lasse die Studierenden auch z.B. Aufgaben mit dem Partner lösen, und dann besprechen wir gemeinsam die Lösungen usw. In meinem Beitrag kommt es vielleicht zu „monomethodisch“ rüber (und in den Anfängen habe ich auch genau diesen Fehler gemacht).
    Darüber hinaus setzen wir Tools ein, die im Forschungsprojekt SAiL-M entwickelt wurden: Ein Tool, mit dem die Studierenden das Führen von Mengenbeweisen und aussagenlogischen Umformungen üben können (SetSails!), und ein Tool, mit dem man vollständige Induktion üben kann (ComIn-M), Diese Tools analysieren den Lösungsprozess und geben Tipps und Hinweise bei Fehlern. Also auch hier haben die Studierenden ausreichend Möglichkeit, selbstständig Mathematik zu treiben (und Feedback dazu zu bekommen).

  11. cspannagel sagt:

    Ich ergänze nochmal zwei, drei Links zu den Beiträgen von m.g. und mir hier zum Nachvollziehen für die anderen (bei Interesse):

  12. Nadine sagt:

    Schönen guten Abend,

    ich oute mich jetzt einmal als eine Erstsemester-Studentin, die bei Herrn Spannagel sozusagen „in der Vorlesung sitzt“.
    Ich muss gestehen, am Anfang war ich etwas skeptisch, was dieses Konzept angeht, weil man ja tatsächlich sehr viel Zeit aufwendet und keine direkten Fragen stellen kann.
    Wenn man dann welche hat, muss man sich genau notieren, worum es ging, ansonsten kann man selbst nicht mehr nachvollziehen, was man eigentlich fragen wollte. Aber dazu später.
    Ich habe mir jetzt zwar nicht alle Beiträge durchgelesen, aber beim Überfliegen habe ich bisher noch keinen von unseren Studenten ausgemacht. Wenn ja, sorry.

    Zum Thema:
    Nach erstem Zögern meinerseits muss ich gestehen, dass ich total begeistert bin. Man kann sich die 60-90 Min. (eigentlich immer eher an die 90) gut einteilen und in „Häppchen“ gucken. Wenn man nicht mehr genau weiß, wo man aufgehört hat, bzw. was passiert ist, guckt man einfach noch ein paar Minuten vom vorherigen Video.
    Im Vergleich zum Lesen von Literatur – wie es durchaus in anderen Fächern ist – gebe ich Herrn Spannagel definitiv recht. Lesen bleibt nicht so im Gedächtnis haften wie ein Professor, der sozusagen live am Bildschirm von rechts nach links rennt und erklärt. Ob es jetzt an Hr. Spannagel liegt, kann ich gar nicht so genau sagen – was nicht heißen soll, dass Sie das nicht gut machen. Ich denke, man muss einfach davon überzeugt sein, dass es auch funktioniert.
    Uns wurde klar gesagt, wer nicht guckt, braucht nicht zu kommen. Wer nicht kommt, ist selbst schuld. (Das habe ich jetzt mal hinzugefügt!)
    Motivationsschwierigkeiten sollten gerade in der Mathematik nicht aufkommen. (sehe ich zumindest so) Es sollte ja nun jedem klar sein, dass er nicht mehr mitkommt, wenn die Vorbereitung fehlt. Und so vom Eindruck her würde ich schon sagen, dass jede Woche die gleiche Anzahl an Studenten in der Vorlesung sitzt.
    Für mich persönlich gibt es keine bessere Vorbereitung mehr – Texte liest man eher mal schnell zwischendurch und weiß hinterher gar nicht mehr so genau, was drinnen steht.
    Der Zeitaufwand ist zwar sehr groß, aber dafür haben wir in der Vorlesung mehr Zeit für Fragen und Übungsaufgaben. Mir fehlt zwar der Vergleich, aber vollständige Induktion wäre sicherlich ein größeres Problem gewesen, hätten wir nicht noch 90 Min. volle Konzentration darauf gehabt. Sozusagen extra 90 Min.

    Zu den oben genannten Fragen möchte ich noch einmal kurz zurück kommen.
    Zuerst habe ich immer gedacht, oh mist, Fragen gut aufschreiben und merken…
    Allerdings gibt es auch in den Videos immer wieder Studenten, die Fragen stellen. Und immer genau an der Stelle, wo ich auch nachgefragt hätte.
    Es ist ja nicht so, dass Herr Spannagel das allein gedreht hat, es war ja die tatsächliche Vorlesung.
    Wenn dann doch noch Fragen offen sein sollten, dann muss man sich das eben genau aufschreiben.

    Als Fazit gibts von mir also ein dickes PLUS.

    Ich finde die „neue“ Methode super.

    Liebe Grüße
    Nadine

  13. @ m.g.
    „Und nun sollen sie sowas wie etwa von Andrea Hoffkamp angesprochen rüber bringen: Stetigkeit.
    Natürlich hat jeder eine gewisse Vorstellung davon und die Idee liegt nahe, dass wenn jeder seine Idee einbringt insgesamt der Begriff in seiner vollen Pracht angesprochen wurde.
    Darum geht es jedoch nicht, sondern darum, dass jeder einzelne den Begriff verstanden hat.“

    Genau darum geht es! Jeder soll den Begriff verstehen, und wenn ich die bloße Definition mit dem Standardbeispiel in Form eines Video auslagere, dann habe ich die Möglichkeit, den Studierenden des ersten Semesters (später braucht man das nicht mehr) allgemeine Strategien aufzuzeigen, wie man sich Begriffe aneignen kann. Dazu gehört das Hinterfragen der Parameter und Voraussetzungen und das Suchen von Beispielen, wenn ich an irgendwelchen Rädchen drehe. Das ist unabhängig von der Methode (aktives Plenum oder was auch immer). Videos können die Möglichkeit schaffen, mehr Zeit und Raum zur Thematisierung allgemeiner heuristischer Strategien in der Mathematik zu geben. (Warum soll ich zum Hundertsten Mal die Definition von Injektivität anschreiben, das guckt man sich im Video an und in der VL arbeitet man mit dem Begriff: Z.B. fragt man, was denn ’nicht-injektiv‘ heißt und sieht, dass da ein ‚Für alle‘ zu einem ‚Es existiert‘ wird. Für solche Dinge hätte ich gerne mehr Zeit, gerade an der TU, wo der Stoff sehr schnell fortschreitet.)

    @ Christian: Gerade meinte ein Kollege, dass es doch doppelt so viel Zeitaufwand für 90 Minuten VL bedeute, wenn man erst das 90-Minuten Video anschauen muss und dann noch 90 Minuten in die VL geht. Was wäre, wenn jede VL so abliefe? Ich denke, dass gerade in einer Anfängervorlesung dieser Zeitaufwand kein ‚mehr‘ ist, denn man erspart sich quasi die Nachbereitung. Sogar noch besser, man gibt vor, wie man die VL für sich erarbeitet und viele Studierenden brauchen solch eine Anleitung (nicht alle, aber es ist auch so, dass eine Methode nie für alle funktionieren kann). Was denkst du?
    (Tatsächlich weiss ich nicht, ob ich in meinem Hauptstudium Mathematik jede VL in dieser Art gewollt hätte, aber da wurden VL durch Seminare ersetzt…..)

    @ Nadine: Danke für Deinen Beitrag! Wie schätzt Du die Stimmung unter den Studierenden ein bzgl. des Vorgehens in der Vorlesung? Du hast ja jetzt deine Meinung kundgetan. Vielleicht kommentieren noch ein paar Studierende – das würde mich sehr interessieren.

  14. m.g. sagt:

    Liebe alle,
    Ich bin ja bei Ihnen, wenn es darum geht, dass „jeder“ Teilnehmer die Begriffe verstehen soll. Im Rahmen einer Vorlesung für Studierende auf Lehramt versuche ich diesbezüglich gern den Einsatz von Methoden, wie sie für den Mathematikunterricht der Schule entwickelt wurden. Nicht die Definition vorgeben, sondern den Begriff durch einen gewissen Abstraktionsprozess erarbeiten.

    Das dauert lange und man schafft auch nicht so wahnsinnig viel Stoff. Für Studenten der Mathematik ist dieser lange Vorbau der Begriffsbildung sicherlich nicht nötig (und schon gar nicht in Bezug auf den Begriff des Winkels). Für Lehrerstudenten halte ich es für sinnvoll, wenn die Didaktik gleichzeitig in der Fachvorlesung angewendet wird.
    Wie im Video zu sehen, läuft die Begriffserarbeitung so ab, wie es in einem klassischen Unterrichstgespräch auch wäre. Der Versuch die Studierenden einzubeziehen ist da und wie man sieht nicht besonders erfogreich. Nun könnte man sich vorstellen, dass ein besserer Dozent als ich es bin da vorn steht und es diesem gelingt, mehr Resonanz bei seinen Zuhörern zu erzeugen. Man könnte sich auch vorstellen, dass einer der Studierenden da vorn den Moderator gibt und die „aktives Plenum“ gewohnte Zuhörerschaft besser reagiert.
    Wie auch immer, es wird zwangsläufig immer nur ein zu geringer Teil der Zuhörerschaft sein, der wirklich aktiv wird.
    Diese Methode ist dann vielleicht besser als eine reine Vorlesung. Mir ist es allerdings zu wenig.
    Hinsichtlich unserer Studierenden, die ja später an einer allgemeinbildenden Schule Mathematik unterrichten werden, fände ich es sogar fatal, wenn diese aus dem Studium mitnehmen würde, dass diese aus der Not geborene Methode ein gutes Mittel des Mathematikunterrichts wäre. Mathematik verstehen, kann nur über Mathematik treiben funktionieren. Auch wenn ein Student oder in der Schule ein Schüler den Part des Moderators übernimmt, bleibt ein Unterrichtsgespräch ein Unterrichtsgespräch, welches immer nur dem ein oder anderen aber niemals der gesamten Zuhörerschaft helfen wird, die Dinge wirklich zu verstehen.
    Appelle wie „sei ein Neuron“ sind dann auch nicht hilfreich und törnen eher ab.
    Im Rahmen einer Vorlesung mit mehr als 100 Teilnehmern wird diese Problematik sogar noch größer als in einer Schulklasse mit etwa 25 Schülern. Fatal wird es insbesondere dann, wenn wir uns von tollen Ideen, die durchaus in einem aktiven Plenum enstehen können blenden lassen und meinen, das wäre jetzt auch wirklich bei allen angekommen. Im Schulpraktikum predige ich es in fast jeder Stunde: Glauben Sie bitte nicht, dass nur weil Mariam diese tolle Erklärung geliefert hat, sie wirklich Verständnis bei möglichst vielen Schülern erzeugt haben.
    Damit ist das Unterrichtsgespräch in seinen verschiedenen Ausprägungen eine Möglichkeit, den Vorlesungsstil zu durchbrechen. Das ist gut. Das ist aber aus meiner Sicht noch lange nicht gut genug.
    Ich möchte einfach, dass jeder Teilnehmer der Veranstaltung aktiv wird. Die Technik ist endlich soweit, dass sie diesbezüglich helfen kann.
    Grüße
    Micha
    @Christian ein weiterer Neuronenkommentar folgt später

  15. Gabi Moll sagt:

    Die bisherigen Beiträge geben ja schon sehr viel Auskunft über das Vorgehen.
    Was mich darüber hinaus noch interessieren würde:

    Wie unterscheiden sich die Aufgaben, die in der Vorlesung bearbeitet werden von den Übungsaufgaben, die im Tutorium bearbeitet werden? Sind diese untereinander auch verzahnt oder laufen die Übungen weitgehend unabhängig von der Vorlesung?

    Mir ist es bisher ein wenig zu idealistisch, dass alle, die dann letztlich in der Vorlesung sitzen, auch wirklich aktiv sind. Es arbeiten (wie Christian schon geschrieben hat) doch nie ALLE mit. Wie schätzt ihr das ein? Sitzen auch welche dabei, die mit ihrer Anwesenheit lediglich ihr Gewissen beruhigen?

    Ich persönlich finde die Idee eigentlich toll. Dennoch bin ich skeptisch, dass Studierende tatsächlich 90min für die Vorbereitung investieren. Es hätten wahrscheinlich auch nie immer alle die Texte gelesen, oder?

  16. […] gesagt und geschrieben worden – und diskutieren kann man sicher endlos. Da aber gerade im Blog von Christian Spannagel das Thema erneut aufkam und ich außerdem über einen brandaktuellen Artikel von Louis Deslauriers, Ellen Schelew und Carl […]

  17. Oliver Tacke sagt:

    Hmm, Pingback scheint nicht zu funktionieren, daher der Link zu Fuß: http://www.olivertacke.de/2011/05/23/vorlesungen-–-uberholt-revisited/ (Vorlesungen – überholt? (revisited))

  18. cspannagel sagt:

    @Nadine Vielen Dank für Ihren Kommentar! Es freut mich, dass Sie das so positiv einschätzen. Mich würde auch interessieren, ob die Gesamtstimmung so ist. (Letztlich ging ja das Feedback in der letzten Woche in diese Richtung, aber vielleicht gibt es auch Studierenden-Kritik an dem Konzept, die wir hier diskutieren könnten?).

    @Andrea „Gerade meinte ein Kollege, dass es doch doppelt so viel Zeitaufwand für 90 Minuten VL bedeute, wenn man erst das 90-Minuten Video anschauen muss und dann noch 90 Minuten in die VL geht.“ – Bei jeder Vorlesung sind neben den 90 Minuten Präsenzeit auch weitere Zeiten für das Selbststudium zur Vorlesung einberechnet. Das ist ganz normal. Niemand erwartet, dass die 90 Minuten komplett ausreichen und man zu Hause nix mehr machen muss. Diese zusätzliche Zeit wird „normalerweise“ für Nachbereitung usw. verwendet. Ich lagere diesen Aufwand „nach vorne“ um, in der Hoffnung, dass die Vorlesungszeit selbst effektiver für alle genutzt werden kann.

    @m.g. „Damit ist das Unterrichtsgespräch in seinen verschiedenen Ausprägungen eine Möglichkeit, den Vorlesungsstil zu durchbrechen. Das ist gut. Das ist aber aus meiner Sicht noch lange nicht gut genug.“ – Da stimme ich dir zu. Letztlich kann man die Auslagerung von fachlichem Input in Videos ja so oder so machen, egal ob man Aktives Plenum, Gruppenarbeit, dozentengeführtes Unterrichtsgespräch oder sonst was in der „Vorlesung“ macht. Das oben beschriebene Konzept wendet sich letztlich gegen den „Trott“, man müsse eine Vorlesung ein Semester lang jede Woche mit 90 Minuten Vortrag füllen. Fazit: Vorträge kann man auch auslagern (damit können die Studierenden die Vorträge in ihrem eigenen Tempo nachvollziehen), und man kann die Vorlesungszeit mit anderen Methoden füllen. Wenn man sich dann für ein Unterrichtsgespräch entschließt (z.B. in einer bestimmten Phase einer Vorlesung), dann halte ich das Aktive Plenum für eine ganz interessante „andere“ Form des Unterrichtsgesprächs mit einigen Vorteilen (und sicher auch einigen Nachteilen, wie bei jeder Methode). So, nicht mehr und nicht weniger.

    @Gabi Mit den Aufgaben in der Vorlesung experimentiere ich noch. Die Übungen finden letztlich eine Woche versetzt (d.h. später) statt, sodass ich in der Vorlesung grundlegende Aufgabentypen durchführe oder durchführen lasse (aussagenlogische Umformungen, vollständige Induktion, …). Oder ich zeige die Verwendung der Tools wie SetSails! oder ComIn-M. Die Übungen greifen die Inhalte und Methoden dann von verschiedenen Perspektiven nochmals auf.

    „Mir ist es bisher ein wenig zu idealistisch, dass alle, die dann letztlich in der Vorlesung sitzen, auch wirklich aktiv sind.“ Das ist definitiv nicht so. Wenn man das Aktive Plenum einsetzt, arbeiten vielleicht 5-10% aktiv mit. Die anderen sind „ruhig“ und folgen der Diskussion. Ich finde das völlig okay. Es ist jedenfalls mehr Teilnehmeraktivität als in einem Vortrag, weil: Da ist oft nur der Dozent aktiv an dem Gesagten beteiligt (es sei denn, Rückfragen sind erlaubt), und vieles von dem, was gesagt wird, entspricht nicht den tatsächlichen Denk- und Lernprozessen (mit allen potenziellen Fehlern), die im Aktiven Plenum automatisch geäußert werden.

    @Oliver Ich musste den Pingback erst noch genehmigen… 🙂

  19. m.g. sagt:

    Lieber Christian,
    nachfolgend meine angekündigten Bemerkungen zu den Neuronen.
    Klar, die Sache mit den Neuronen ist eine Metapher. Jede Metapher ist aber auch ein Modell. Es sei OR eine Menge von Objekten und RR eine Menge von Relationen aus gewissen Kreuzprodukten von OR mit sich selbst. Um OR und RR verständlich zu beschreiben sucht man nun eine Menge von Objekten OM und eine Menge von Relationen RM, die auf Grund gewisser Analogien zu den Objekten aus OR und den Relationen aus RR geeignet sind, diese verständlich zu beschreiben. So werden Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, auf gewisse Teilmengen aus n-stelligen Kreuzprodukten der Menge aller flugfähigen Vögel mit sich selbst abgebildet und fortan „Rabeneltern“ genannt. Das Ganze ist eine Metapher und kein deskriptives Modell.
    Nun kann man aus derartigen Metaphern durchaus Bilder entwickeln, die hoffentlich handlungsinduzierend wirken: „Seid keine Rabeneltern!“ Die Regierung könnte nun einen entsprechenden Wettbewerb ausschreiben, wie und in welcher Form relevante Teile der Gesellschaft dahingehend induziert werden könnten, dass diese bezüglich einer „Nichrabenelternschaft“ handlungsorientiert tätig werden würden.
    Sicherlich wäre am Ende des Tages nicht genügend Geld da, was dazu führen würde, dass es nur zu Plakaten für die riesigen Stellwände reichen würde: „Seid keine Rabeneltern“. Diese müssten dann wieder eingestampft werden, weil sich aus Brüssel Widerstand wegen ungerechter Genderformulierungen regen würde. Die neuen Entwürfe würden dann korrekt „Sei kein Rabenelter 1“ und „Sei kein Rabenelter 2“ lauten, was zu einem Veto des Finanzministers führen würde: Für zwei verschiedene Plakatvarianten sei einfach kein Geld da. Es folgt der Entwurf eines weiteren Sachverständigen:„Sei kein Rabenelter n (0<n<3, n \in N) !“ welcher sich letztlich zur Druckversion „Sei kein Rabenelter“ reduzieren würde.
    Nach einer gewissen Inkubationszeit dieser Plakate würde dann eine neue Initiative zur Demonstration der generierten Emergenzen gestartet werden. Familie Kolophonium-Fünf könnte auftreten und erklären, dass sie „Sei kein Rabenelter“ derart beeindruckt hätte, dass sie fortan dem Alkohol abgeschworen hätten und stattdessen jeden Tag mit den Kindern Memory spielen würden.
    Wahrscheinlich würde die Inkubationszeit recht lang sein, verwitterte Plakate müssten ersetzt werden. Aber schließlich und zu guter letzt würde sich die Emergenz schon melden, was zu einem neuen geflügelten Wort führen würde „Lange Inkubation, plötzliche Emergenz.“
    Werbefirmen würden sich auf diesen Slogan stürzen. Zum Ende der Werbespots würde immer ein Männchen mit einem Baguette auftauchen: „Wer hat‘s erfunden? Der Franzose hat‘s erfunden“ Zack, eins übergezogen mit dem Baguette und ab.
    Was soll das Ganze?
    Also „LdL“ ist nichts anderes als eine besondere Form des Unterrichtsgesprächs. Als solche kann sie mal gut und mal weniger gut für einen bestimmten Unterricht sein. Das ist gut und super und toll.
    Nicht gut und nicht super und nicht toll sind die Plattitüden (Du erinnerst Dich an Statement 4?) die ansonsten um „LdL“ (allein bei dieser Abkürzung schüttelt es mich) geschrieben werden. Ich habe selten soviel an den Haaren herbeigezogenen pseudowissenschaftlichen Unsinn gelesen wie von Eurem Guru JPM.
    Ok, es hat ein bisschen gedauert bis ich dieses geschrieben hatte. Aber damit habe ich kein Problem, denn ich hab ja die Quintessenz von „Lange Inkubation, plötzliche Emergenz“ verstanden:
    Manchmal dauert es ein wenig länger.
    Gruß
    Micha

  20. cspannagel sagt:

    @m.g. Dein Kommentar kann mich nicht so recht davon überzeugen, dass die Neuronenmetapher kein gutes Bild sein soll. Ich finde sie extrem nützlich, egal, ob irgendein „Guru“ das sagt oder nicht. 😀

  21. Christiane sagt:

    Bei dieser kontroversen Diskussion wäre die Kombination cspannagel / m.g. wohl nicht ideal für die Betreuung meiner Wissenschaftlichen Hausarbeit, die sich mit LdL beschäftigt, gewesen:-)

  22. cspannagel sagt:

    @Christiane Im Gegenteil – das wäre eine explosive Mischung gewesen! 😀

  23. Christiane sagt:

    Zweifelsohne wäre das eine interessante Sache geworden, aber auch eine extrem nervenaufreibende. Ich denke, ich habe einen weiteren Punkt für den Ausblick gefunden:-)

  24. […] aus dem Blog von Christian Spannagel: Werbefirmen würden sich auf diesen Slogan stürzen. Zum Ende der Werbespots würde immer ein […]

  25. Oliver Tacke sagt:

    @Christiane
    Nervenaufreibend? Ganz bestimmt! Ich habe da so meine Erfahrungen mit. Aber gerade solche Spannungen können doch Neues hervorbringen.

    Ich höre beispielsweise ab und an Leute schimpfen, wenn ihre Textbeiträge von Gutachtern komplett unterschiedlich beurteilt werden oder es gar widersprüchliche Kommentare gibt. Klar, dann ist das Gutachterverfahren an sich unsinnig oder einer von beiden ist ein Stümper… Oder auch nicht! Vielleicht ist der eigene Beitrag einfach unpräzise formuliert und missverständlich, so dass es zu unterschiedlichen Bewertungen. Dann kann man daran gezielt arbeiten: „Oh, so kann man das auch verstehen? Da wäre ich nicht drauf gekommen. Jetzt kann ich das genauer ausdrücken.“ Vielleicht liegt es auch an verschiedenen Perspektiven der Gutachter, an unterschiedlicher Wahrnehmung oder Vorprägung. Das ist doch normal. Sofern die Gutachten ausführlich und verständlich genug sind, kann man das auch berücksichtigen und so den eigenen Blickwinkel vergrößern. Dazu muss man aber nachdenken, woher die Unterschiede wohl kommen: „Habe ich möglicherweise einen wichtigen Einflussfaktor übersehen? Woraus könnten sich die abweichenden Kommentare ergeben? Kann man das unter einen Hut bekommen? Oder irrt sich einer von beiden und vielleicht auch ich?“ Kann man also auch als Chance begreifen. Am Ende entscheidet man selbst.

  26. Kai Nehm sagt:

    Zu meiner Studienzeit hatten wir auch verschiedene Versuche, mit Vorlesungsvideos zu arbeiten.
    Ein Professor hat sich an den Schreibtisch gesetzt, sehr ruhig und langsam erzählt und dazu Powerpoint Slides eingeblendet. Diese Videos wurden unter den Studierenden als große Last empfunden.
    Eine zweite Vorlesung wurde wie hier live mitgeschnitten, für das nächste Semester. Das war wohl bessser, soweit ich das von dem folgenden Jahrgang mitbekommen habe.
    Interessant war jedoch der Vorbehalt, der vom Aufzeichnenden selbst formuliert wurde. Man müsse das Video nach spätestens 3-4 Jahren neu aufzeichnen, weil sich bis dahin Mode und Floskeln so geändert haben, dass der Vortragende lächerlich wirkt. Das hätten die ersten Versuche Anfang ’90 ergeben.

  27. Oliver Tacke sagt:

    @Kai
    Bei uns gab es auch Videos vom Schreibtisch (oder bedeutsamen Orten, die mit dem Thema zu tun haben) aus Folien, empfand ich nicht so als Last, allerdings wurde das auch immer durch Zwischensequenzen aufgelockert, etwa Filmaufnahmen vom MIT in Boston.
    Beim Thema „Gauß’sches Diagonalisierungsverfahren“ könnte Christian beispielsweise einfach mal ein bisschen Hintergrund zu ihm erzählen, am besten vor seiner Statue in Braunschweig oder seinem Grab in Göttingen oder so. Ja, das ist ne Einladung 🙂
    Bei Live-Vorlesungen ist es aber in der Tat netter, wenn auch Interaktion drin ist. Ich sage nur „Kochkäse“ 🙂

    Das mit den Neuaufnahmen kann man entschärfen, wenn man die Videos in Blöcke unterteilt, wie Christian das auch macht. Dann muss man nur die austauschen, sollten sie nicht mehr passen.

  28. „(…) Ich habe selten soviel an den Haaren herbeigezogenen pseudowissenschaftlichen Unsinn gelesen wie von Martin (…)“
    – Kein schlechter impuls, um mich zum nachdenken anzuregen. Da es mir hauptsächlich darum geht, die erfolge meiner praxis a) selbst zu verstehen und mir selbst zu erklären, b) weiterzuentwickeln und zu optimieren und c) für andere nachvollziehbar zu machen, ziehe ich mir adäquat erscheinende modelle heran. Viele waren es nicht: Maslow (1954), Portele (1975) und Dörner et al. (1983). Das ist meine ganze theorie. Und zur veranschaulichung benutze ich gerne metaphern, die ich aus den inzwischen sehr verbreiteten bereichen der systemtheorie und der gehirnforschung ableite, ohne anspruch auf wissenschaftlichkeit.

  29. #die Neuronenmetapher

    Metaphern, egal wozu man sie einsetzt, sind unscharf, bringen aber Effekte, die auf anderem Weg nicht zu erreichen sind.

    Die Neuronenmetapher im o.g. Kontext soll unterstützen, Hemmungen zu überwinden. Das schafft sie, wie ich annehme, recht gut.

    Trotz allem bleibt bei mir ein Unbehagen. Dieses rührt wohl daher, dass hier versucht wird, mit Teilbeobachtungen aus der Naturwissenschaft, deren Bedeutungen nicht geklärt sind (Hirnfunktionen) menschliches Verhalten (in diesem Fall :sag‘ was du denkst) zu legitimieren.

    wäre das nun ein Einzelfall, könnte man’s hin nehmen, aber es steht in einem stream, das ist der punkt, auf den es mir ankommt.

  30. „menschliches Verhalten (in diesem Fall :sag’ was du denkst) zu legitimieren.“
    – Die „metapher“ haben wir im vorfeld vom ersten educamp (2009) als trigger und mehr oder minder als gag entwickelt.
    Meine Idee war: wenn das internet ein gehirn ist und wir die neuronen in diesem gehirn sind, dann sollen wir uns am tatsächlichen „verhalten“ von neuronen orientieren und hohe reaktionsgeschwindigkeit zeigen. Darum ging es also zentral: geschwindigkeit + vernetzung. Und aus den schnellen interaktionen diesen vielen neuronen sollten gute ideen (problemlösungen) „emergieren“. Mehr war nicht…

  31. @Jutta
    In dem zusammenhang möchte ich noch unbedingt auf den neuron-metapher-kritischen blogeintrag des piraten Nich Haflinger hinweisen:
    „Neuronen haben keinen Sex – über die Unzureichendheit gängiger Internetmodelle“:

    Selbstgespräche

  32. cspannagel sagt:

    @jeanpol „Da es mir hauptsächlich darum geht, die erfolge meiner praxis a) selbst zu verstehen und mir selbst zu erklären, b) weiterzuentwickeln und zu optimieren und c) für andere nachvollziehbar zu machen, ziehe ich mir adäquat erscheinende modelle heran.“

    Genau so sehe ich das auch. Ich greife Ideen auf, die mir nützlich erscheinen (z.B. die Neuronenmetapher), unabhängig davon, von wem sie stammen. Es geht um die Ideen, nicht um die Personen dahinter.

    In der Regel sage ich natürlich auch dazu, von wem ich eine Idee aufgreife. Und wenn da eine Person darunter ist (z.B. JPM), die viele gute Ideen hat, die ich aufgreife, und wenn ich diese Person dann immer erwähne, weil ja schließlich die Ideen von ihr stammen, wird diese Person dann zum Guru?

  33. @cspannagel
    Fein! So sehe ich das auch! Einen haufen wichtiger ideen habe ich bei dörner (1983) gefunden. Jemand sagte mir sogar mal, es sei meine Bibel!:-) Aber einen Guru-Dörner kenne ich nicht!:-)

  34. Das ist ja alles sehr spannend hier. Ich muss zunächst mal sagen, dass ich den Beitrag von m.g. sehr gut fand. Ich verstehe ihn so, dass solche Metaphern und (pädagogischen) Konzepte sich leicht verselbständigen können und das wirft er hier ein wenig vor, indem er die Geschichte (über die ich sehr schmunzeln musste) erzählt. Was ist denn, wenn man irgendwann mehr mit der – aus einem scherzhaften Gedanken heraus – Metapher beschäftigt ist, als mit der Sache selbst? Kann das passieren? Wo ist die Grenze und wieviel ist wirklich dran an meinem Konzept? Baue ich vielleicht ein Riesengebäude auf, obwohl alles viel einfacher und banaler ist? Auf welch hohes Podest hebe ich das Ganze? Ich denke, das gehört zur Reflexion. Und trotz des guten Ansatzes und der tollen Ideen von allen Beteiligten (Ich finde das ‚aktive Plenum‘ wunderbar und auch ‚LdL‘ gefällt mir gut), muss man aufpassen, dass man nicht ‚predigt‘, das sei das allein ’selig‘-machende (um beim Bild des Guru zu bleiben ;-)).

  35. cspannagel sagt:

    @Andrea „muss man aufpassen, dass man nicht ‘predigt’, das sei das allein ‘selig’-machende“ – Ich gebe dir vollkommen recht. Aber das mache ich ja auch gar nicht. 🙂

  36. m.g. sagt:

    @Christiane Ich könnte dann schon über meinen eigenen Schatten springen und würde auch einschätzern können, welche Leistung Sie erbracht hätten. Aber nervenaufreibend wäre es wohl schon geworden. Andererseits kann ich mich an eine Disputation zu einer Promotion erinnern, in deren Verlauf sich die Gutachter fast geprügelt hätten, was dem Doktoranden dann allerdings zum Vorteil gereichte.

    @Andrea Hoffkamp Danke, so hatte ich es gemeint.

    @Christian und alle Neronen

    Ich habe einfach keinen Bock, Gehirn zu spielen. Ich hab einfach keine Lust sofort „zu feuern“. Allein der Begriff „feuern“ ist aus meiner Sicht so bescheuert gewählt, dass ich am liebsten nicht weiter drüber nachdenken möchte. Ich bin ein Eigenbrötler, der total teamunfähig ist und das ist auch gut so. In der Regel brauche ich recht lange bis ich meine Gedanken gesammelt habe. Noch länger brauche ich meist, bis ich sie dann auch äußere. Darüber hinaus finde ich das Neuronemodell derart unsexy, dass es mich nur abtörnt. Soweit zu mir.

    Offenbar wurde die Neuronemetapher aus einem Jux heraus auf eine besondere Art von Unterrichtsgesprächen angewendet. So weit so gut. Mit derartigen Dingen könnte ich auch dienen: Im letzten Jahr sah es in diesem Block mitunter traurig aus. Christian wehrte sich und verbat sich Lobhudeleien. Offenbar waren es immer dieselben die hier ihren Betrag zum Besten gaben und häufig in wenig innovativer Art und Weise.
    Was war passiert? Nun, wir hatten es mit einem abgeschlossenen System zu tun. In einem solchen, so wissen wir aus der Thermodynamik, verlaufen alle Prozesse in Richtung maximaler Entropie. Offenbar war dieser Zustand erreicht.
    Nun darf ich mich über mich selbst freuen, was ich alles weiß und wie toll ich doch die Dinge zusammenführen kann und schließlich ist da ja sowieso die Sache mit der Selbstähnlichkeit und ansonsten könnte man die maximale Entropie ja auch als neue Hypersummation also Emergenz verkaufen. Ach ja, Marx ist auch noch dabei: Die Anhäufung von Quantität führt zum Umschlagen in eine neue Qualität.
    Offenbar hatte die Anhäufung von Blogeintragschreibern gleicher Couleur dazu geführt, dass maximale Entropie erreicht wurde und damit eine eigentlich nicht gewünschte Emergenz.
    Also noch mal, bei so viel Intellektualität kann man ja nur stolz auf sich sein.
    Jetzt könnte ich eigentlich auch woanders Eindruck damit schinden und in die Analen des Internets mit dem „Problem von m.g.“ eingehen. Dieses sagt aus, dass sich trotz der großen Offenheit des Internets immer wieder abgeschlossene Systeme bilden, die dann Gefahr laufen zu sterben, weil sie sich in Richtung maximaler Entropie bewegen. Da die Appelle, Neuronen zu sein, nicht so recht fruchten wollen (wir sind nun mal Menschen und haben/hättengern Sex) kann man da auch nicht viel gegen machen.
    Selbst wenn sich die User wie Neuronen verhalten würden, wäre nicht viel gewonnen. Letztlich kann ihre Anzahl nur endlich sein … .
    Doch halt, Rettung naht. Unter Blogretter.de findet sich eine Schar unentwegter Jünger zusammen, die sich dem Kampf gegen das „Problem von m.g.“ verschrieben haben. Bald werden sie in den Kampf gegen die Entropisten ziehen, die es sich so schön bequem in der überall gleichen Wärme etablierter Blogs gemacht haben. …

    Lange Rede kurzer Sinn: Irgendwie muss man aufpassen, dass sich die Dinge nicht verselbständigen. Vieleicht bin ich ja auch im falschen Film und verstehe die Dinge nicht wirklich. Aber mir wird einfach nicht klar, wie um Himmels Willen die Neuronenmetapher helfen soll. Natürlich, wenn ich mehr aus der Sache mache als sie ist, dann brauch ich sicherlich auch andere Geschütze, um die Dinge ins Laufen zu bringen.
    Aber wie auch immer „LdL“ oder das „aktive Plenum“ ist nichts weiter als ein Unterrichtsgespräch, und zwar eins in dem ein/mehrere Schüler/Studierende moderieren. Ein Unterrichtsgespräch wird zu einem solchen, wenn sich möglichst viele Schüler/Studierende an diesem beteiligen. Dieses zu ereichen ist nicht einfach, es ist geradezu eine hohe Kunst der Unterrichtsgestaltung. Die Gesprächsteilnehmer müssen zu diesem Gespräch befähigt sein und sie müssen natürlich auch Willens sein, sich wirklich am Gespräch zu beteiligen. Sollte dem nicht so sein, wenden wir einen Trick an: Wir sagen Ihnen, dass wir ein Spiel spielen wollen: Gehirn. Dieses Spiel ist so sexy und so geil, dass natürlich jeder mitmachen will.

    Liebe Freunde der gepflegten Blogschreiberei, ein Gespräch ist ein Gespräch. In einem Gespäch wird gesprochen. Wenn nur zwei sprechen, dann nennt man es Zwiegespräch. Will man ein Gespräch, das mehr als ein Zwiegespräch ist, müssen mehrere beim Gespräch Anwesende sprechen. Notwendig dafür, dass bei diesem Gespräch für möglichst viele etwas herauskommt, ist, dass die Gesprächsbeiträge aufeinander Bezug nehmen. Ich glaube, das versteht jeder halbwegs intelligente Mensch.

    Nun mag es den einen oder anderen geben, der Hemmungen hat, sich im Gespräch zu äußern. Dem sagen wir dann also, dass er sich jetzt einfach wie ein Neuron verhalten soll. Kann natürlich auch sein, dass er sich wie ein abgestorbenes Neuron verhält.

    Könnte auch sein, dass er das bewusst macht, weil er keine Lust hat, Neuron zu spielen. Schließlich bekommt ja ein Neuron nicht wirklich die neuen Emergenzen des Mechanismus Gehirn mit. Es trägt einfach nur dazu bei.

    Nebenbei, ich bin in der DDR geboren und solange sie existiert groß geworden. Das Kollektiv wurde groß geschrieben.

  37. m.g. sagt:

    Bitte die Rechtschreibfehler zu entschuldigen, insbesondere die Analen. Das kommt dabei raus, wenn man zuviel über Sex schreibt.

  38. @m.g. die explosiven ent-ladungen scheinst du aber zu schätzen 😉

  39. @Jean-Pol #Nick Haflinger, danke, sehr spannender Artikel

  40. m.g. sagt:

    @Jutta Dierberg schon, allerdings als mensch und nicht als neuron

  41. cspannagel sagt:

    @m.g. „Im letzten Jahr sah es in diesem Block mitunter traurig aus. Christian wehrte sich und verbat sich Lobhudeleien.“ – Und ich finde, seitdem sind die Diskussionen hier im Blog wesentlich fruchtbarer und besser geworden. Insofern fühle ich mich „ein Stück weiter“ und finde das prima. Und das Ganze kann als Beispiel dienen, was in „abgeschlossenen“ Blogsystemen so alles passieren kann.

    „Irgendwie muss man aufpassen, dass sich die Dinge nicht verselbständigen.“ – Ich gebe dir recht, möchte aber darauf hinweisen, dass sich Ideen oft durch Menschen verselbstständigen, die hinter den Ideen „Größeres“ vermuten als ursprünglich intendiert. Ich habe die Idee, eine bestimmte Art Unterrichtsgespräche zu führen, auf Vorlesungssituationen übertragen, habe festgestellt, dass es ganz gut funktioniert, unter bestimmten Bedingungen, in bestimmten Situationen, und habe ebenso festgestellt, dass es mir am leichtesten fällt zu erklären, wie man sich in dieser Form des Gesprächs verhalten sollte, wenn man das Neuron-Bild verwendet. Punkt. Verselbstständigen tut sich die Sache dann, wenn Leute nicht richtig lesen oder verstehen wollen, was damit gemeint ist, fälschlicherweise annehmen, man würde behaupten, wir sollen alle immer Neuronen sein, oder wir würden im Internet wie Neuronen funktionieren, das alles sein eine „entweder Mensch oder Neuron“-Alternative und sich dann über diese Sache den Mund fusselig reden (wie beispielsweise in dem Beitrag über Neuronen und Sex). Es geht – wie du richtig sagst – um nicht mehr als um den Versuch, Menschen in komplexen Kommunikationssituationen dazu zu bringen, ihre Gedanken zu äußern und nicht zurückzuhalten. Es geht um nicht mehr. Also macht bitte auch nicht mehr daraus, und vor allem behauptet nicht, wir „Neuronenmetapherverwender“ würden viel mehr damit meinen. Wem diese Metapher nicht gefällt (wie beispielsweise dir), der braucht sie ja nicht einzusetzen. Niemand muss Metaphern verwenden, die ihm nicht gefallen. Ich möchte aber bitte trotzdem weiterhin schreiben dürfen, dass ich diese Metapher gerne verwende. Und wenn dann irgendjemand daher kommt und die Neuronenmetapher als deskriptives Modell menschlichen Verhaltens verkauft, dann schiebt bitte ihm (!) in die Schuhe, dass sich die Dinge verselbstständigen. Danke.

  42. m.g. sagt:

    @Christian
    Es steht mir ja auch gar nicht zu, irgendwelche Metaphern zu verbieten. Ich sehe das Problem nur darin, dass dadurch, dass für eine Trivialität (wenn man ein Gespäch führen will, muss man auch sprechen) eine Metapher verwendet wird, die Sache künstlich aufgeblasen und der Eindruck erweckt wird, dass mehr dahinter steckt als es ist. Da die didaktische Forschung voll von derartigen Blasen ist, reagiere ich immer häufiger allergisch auf diese. Stichwort: Modellierung.
    Ich möchte damit keineswegs unterstellen, dass Du bewußt Blasen produzieren möchtest.
    Lass uns doch mal schauen, ob wir nicht das ein oder andere mathematische oder auch mathematikdidaktische Problem so aufbereitet können, dass es unsere Studierenden so geil finden und ihre Vorsicht, Hemmungen etc. vergessen und begeistert diskutieren.

  43. cspannagel sagt:

    @m.g. Ganz so trivial („Wer ein Gespräch führt, muss auch sprechen“) ist die Angelegenheit nicht. Es geht vor allem auch darum deutlich zu machen, dass man sich in der Mathematik nicht nur dann melden soll, wenn man das richtige Ergebnis weiß, sondern dass jeder Gedanke – egal ob richtig oder falsch – weiter helfen kann und deshalb nicht zurückgehalten werden sollte. Es geht ja nicht nur darum zu sprechen, sondern es geht um die Änderung jahrelanger fehlerhafter Sozialisation in Mathematikstunden.

    Interessante Probleme: Ja, okay, lass uns aufbereiten. 🙂 Ich vermute aber, dass es hier auch nicht ganz so einfach geht, Hemmungen einfach zu vergessen. Aber vielleicht waren meine Aufbereitungen bislang auch einfach nicht geil genug. 😀

  44. um die „fehler- und lösungskultur“ geht’s, ja. auch die alltagssprache hat ja ein grosses sortiment an vergleichen.
    aber dazu ? komme ins grübeln 😉

  45. m.g. sagt:

    @Christian

    (1)
    Mitunter ist es sinnvoll, eine Theorie wieder herunter zu brechen bis man „ganz unten“ angekommen ist. Dann hat man versimplifiziert. Aber gerade das hilft, sich zu erden.

    (2)
    Was bleibt, wenn Du die Metapher weglässt? Könntest Du sie durch eine andere ersetzen? Menschen sind unterschiedlich. Der eine braucht diese, der andere jene.

    (3)
    In den letzten Jahren verzahnte sich die Theorie über Unterrichtsgespäche unter Schülerleitung immer mehr mit WEB.1.9-Überlegungen. Letztlich kam ja durch diese Verzahnung insbesondere die Neuronenmetapher in die Theorie. Die Analogieüberlegungen der Metapher wurden dann benutzt um „neue“ Theorieerkenntnisse zu gewinnen. Es ist schon witzig zu lesen, wie in einem alten Blogeintrag JPM eines der Grundgesetze der Dialektik von Marx (was dieser (Marx) sicherlich von Hegel hat) entdeckt: Umschlagen von Quantität in Qualität (Wenn JPM als Grüner das mal nicht schon vorher wußte?). Viele versuchten nun nach der Metapher zu leben. Bei Dir wurde es so schlimm, dass Du die Reißleine ziehen musstest. Das schafft allein eine Metapher? Ich glaub der Übergang zur Heilslehre ist fließend.

    (4)
    Die Verbreitung von Theorien hängt mit Personen zusammen. Dominiert eine Person dabei besonders, sollte die Bedeutung der Theorie relativiert werden. Irgendwie müsste dann im Fall einer solchen männlichen Person der Hahnfaktor (persönliche Eitelkeit, Hang zur Selbstdarstellung … ) mit berücksichtigt werden. Leider kann ich noch nicht mit einer griffigen Formel dienen. Nach meinen Berechnungen wäre die Lehre von den Unterrichtsgesprächen unter Schülerlleitung dann im negativen Bereich anzusiedeln gewesen. Und das ist natürlich total falsch.

  46. […] einem Kommentar von m.g. im Blog von Christian Spannagel Die Verbreitung von Theorien hängt mit Personen zusammen. Dominiert eine Person dabei besonders, […]

  47. cspannagel sagt:

    @m.g.
    (1) Ich stimme dir zu.
    (2) Sicher könnte ich die Metapher auch weglassen. Ich verwende sie manchmal auch gar nicht. Je nachdem, ob ich Lust drauf habe oder nicht. Sie ist nicht notwendig. Ich finde sie aber einfach praktisch.
    (3) Ich habe mich tatsächlich in meinem Netzverhalten bis vor einem Jahr zu stark an dieser Metapher orientiert. Ich habe mich selbst damit vollkommen überfordert. Danach ist mir klarer geworden, dass man sie selektiv einsetzen sollte. Vielleicht war es dumm von mir, sie immer bei jeglichen Kommunikationssituationen vor Augen zu haben. Bzw.: Es war sicher dumm. Aber ich hab was gelernt dabei. Ich finde die Metapher wegen all dem auch nicht komplett doof. Ich schätze sie immer noch als Metapher – mit begrenztem Kontext.
    (4) „Dominiert eine Person dabei besonders, sollte die Bedeutung der Theorie relativiert werden.“ – Wäre das nicht schade für die Theorie? Was ist schlecht an einer Theorie, selbst wenn sie von dem größten Hahn auf Erden vertreten wird?

  48. ehrenpreis sagt:

    @m.g.
    Theorien sind ja nicht immer leicht zu verstehen und die Mühe, sich eine Theorie verständlich zu machen braucht gelegentlich die Zuversicht, dass sie sich lohnt.

    Oft ist es der gute Namen eines Autors, manchmal das mitreißende Auftreten desselben, das hier Orientierung bietet.

    Orientierung bieten auch ein weißer Kittel, ein akademischer Titel und notfalls auch die Gravur des eigenen Namens (natürlich in Verbindung mit der Firma oder dem Institut, das man vertritt) im Montblanc-Füllfederhalter.

    (Mit der eigenen Bescheidenheit kokettierenden Leuchten des Geisteslebens versuchen es Gelegentlich – really sophisticated – mit der Gravur der eigenen Bleistifte…)

    „Vanitas vanitatum, omnia vanitas“
    Kohelet 1, 2

  49. m.g. sagt:

    @ehrenpreis
    Ich schwöre es: Ich hab nur die virtuellen Bleistifte auf meiner PH-Site graviert, niemals echte.
    @christian
    Wenn die Theorie gut ist, ist alles weitere egal, dann und nur dann.

  50. […] dann Aufgaben gelöst (z.B. nach dem Think-Pair-Share-Prinzip oder im aktiven Plenum; siehe auch hier). Ich habe Zeit rumzulaufen, den Studierenden zu helfen, mir einen Eindruck zu verschaffen, worauf […]

  51. […] gab es doch mal einen Blogeintrag dazu. Ah: Da ist er. Da erklärt Christian, worum es in dieser Session hier geht. In dem Beitrag nennt er diese […]

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